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6. Kapitel

Nach Beendigung der Befestigungsarbeiten in Kiejdan durfte Kmiziz nicht länger zögern, den Befehl des Fürsten, den Schwertträger von Reußen und Olenka von Billewitsche nach Kiejdan zu bringen, auszuführen. Es kostete ihm große Ueberwindung, diesem Befehl nachzukommen. Nur zu gut fühlte er, daß er dort keiner freundlichen Aufnahme gewärtig sein dürfe. Ihm war zu Mute, wie einem Soldaten, welchem der Befehl ward, um jeden Preis einen verlorenen Posten wieder zurückzugewinnen. Der Gedanke, daß der alte Edelmann den Kampf mit ihm aufnehmen und ihn dadurch zur Anwendung von Gewalt zwingen würde, peinigte ihn.

Er war fest entschlossen, durch Vorstellungen und Bitten den Zweck seines Erscheinens zu erreichen zu suchen. Um seiner Ankunft das Aussehen eines kriegerischen Ueberfalles zu benehmen, ließ er seine Dragoner in einer ein Gewände vom Dorfe entfernten Schankwirtschaft zurück und begab sich allein, nur von einem Wachtmeister und seinem Burschen begleitet, nach dem Gutshofe, wohin ihm bald ein bereitgehaltener Kutschwagen folgen sollte.

Die Sonne neigte sich schon dem Abend zu, aber der stürmischen, regnerischen Nacht war ein schöner Tag gefolgt. Der Himmel war klar, nur im Westen zeigten sich hier und da kleine rosige Wölkchen, welche allmählich am Horizont verschwanden, ähnlich einer Herde Schäfchen, die zur Ruhe gehen.

Voll Unruhe, klopfenden Herzens durchritt er das Dorf, wie der Tartar, welcher als Erster einen fremden Ort betritt, stets vorsichtig Umschau haltend, daß er nicht hinterrücks überfallen werde. Aber die drei Reiter schienen eine besondere Aufmerksamkeit gar nicht zu erregen. Die barfüßigen, auf der Dorfstraße spielenden Kinder liefen den Pferden aus dem Wege und die wenigen Alten zogen vor dem schmucken Offizier tief die Mützen.

Am Ende des Dorfes erblickte er endlich den Gutshof, das alte Stammnest derer von Billewitsch, umgeben von weit sich ausbreitenden Gärten, welche weit hin in grüne Wiesen ausliefen.

Kmiziz begann langsamer zu reiten. Er hielt Selbstgespräche, indem er sich die Antworten auf die Fragen zurechtlegte, welche man jedenfalls an ihn stellen würde, und blickte dabei nachdenklich auf die vor ihm liegenden Gebäude. Sie sahen gar nicht nach einem Herrschaftssitze aus; trotzdem konnte man sich des Eindruckes nicht erwehren, daß hier ein vornehmer Herr residiere. Das mit der Vorderseite der Dorfstraße, mit der Rückseite dem Garten zugekehrte Herrenhaus war sehr groß, aber ganz aus Holz. Das Gebälk in den Wänden war vom Alter so dunkel geworden, daß die Glasscheiben der Fenster weiß daraus hervorschimmerten. Ueber diesen Wänden erhob sich ein ungeheures Dach mit vier mächtigen Schornsteinen in der Mitte und je einem großen Taubenschlage an den Seiten. Ganze Haufen weißer Tauben lagerten auf dem Dache, bald mit großem Geräusch in die Höhe flatternd, bald wie Schneeflocken auf die Schindeln niederfallend, bald sich auf den die Veranda stützenden Säulen hinsetzend. Die Veranda war mit einem Giebel gekrönt, auf welchem das Wappen der Billewitsch prangte. Er störte die Symmetrie des Gebäudes, da er sich nicht in der Mitte, sondern seitwärts befand.

Wahrscheinlich war das Gebäude früher kleiner gewesen, später von einer Seite angebaut worden. Aber auch dieser Anbau war schon vom Alter so geschwärzt, daß er vom Hauptgebäude kaum noch zu unterscheiden war.

Zwei lange Offizinen erhoben sich zu beiden Seiten des Schloßhofes, sich an das sogenannte Schloß dicht anlehnend und mit demselben einen großen Halbkreis bildend.

In diesen befanden sich die Gastzimmer, welche bei großen Zusammenkünften benutzt wurden, die Vorratskammern, die Wagenremisen, die Stallungen für die Kutschpferde, welche die Herren jederzeit gern bei der Hand hatten, die Wohnungen für die Dienerschaft und Hauskosaken.

Die Mitte des großen Schloßhofes nahmen mehrere uralte Lindenbäume ein, auf welchen Störche nisteten, darunter angepflöckt ein brauner Bär. Etwas seitwärts zwei Ziehbrunnen und ein Christus am Kreuz auf hölzernem Sockel über den Thorpfeilern vervollständigten das Bild. Rechts vom Schloßhofe sah man die Strohdächer der Scheunen, Stallungen und Speicher.

Das Thor stand weit offen. Es sah aus, als ob Gäste erwartet würden. Kmiziz ritt in den Schloßhof. Das Gebell der dort umherlaufenden Hunde meldete den Bewohnern den Ankömmling. Zwei Burschen sprangen herzu, demselben das Pferd abzunehmen.

Gleichzeitig erschien in der Thür des Hauptgebäudes eine weibliche Gestalt, in welcher Kmiziz sogleich Olenka erkannte. Das Herz schlug ihm fast hörbar. Er warf den Burschen die Zügel zu und ging entblößten Hauptes, Mütze und Säbel in den Händen haltend, auf sie zu.

Einen Augenblick stand Olenka, wie eine liebliche Erscheinung, mit der Hand die Augen vor den Strahlen der untergehenden Sonne schützend, dann verschwand sie blitzschnell, erschreckt von dem Anblick des nahenden Gastes.

»Sie flieht mich, das ist ein schlechtes Zeichen!« dachte Herr Andreas.

Ihre Flucht berührte ihn um so schmerzlicher, da der heitere Abend, der Anblick dieses Hofes, der Friede, welcher darüber hingegossen war, sein Herz mit Trost und Hoffnung erfüllt hatte, ohne daß er selbst sich Rechenschaft über diese Gefühle geben konnte.

Ihm war gewesen, als ob er der Verlobten entgegeneile, die ihn sehnsuchtsvoll, mit strahlenden Augen und freudig geröteten Wangen erwarte.

Dieses Gefühl war also eine Täuschung gewesen. Olenka war bei seinem Anblick wie vor einem bösen Geiste geflohen. Dafür trat ihm der Schwertträger entgegen. In seinem Gesicht malte sich Unruhe und Zorn zugleich.

Kmiziz verneigte sich tief und sagte:

»Es war längst mein Wunsch, Ew. Gnaden die schuldige Aufwartung machen zu dürfen. In diesen unruhigen Zeiten aber konnte ich nicht dazu gelangen, obgleich ich den besten Willen hatte, es zu thun.«

»Sehr dankbar. Tretet näher,« entgegnete der Schwertträger, mit der Hand über das Haar fahrend, was immer ein Zeichen von Verlegenheit und Unruhe bei ihm war.

Er trat zurück, um dem Gaste den Vortritt zu lassen. Kmiziz wollte der Aufforderung zuerst nicht nachkommen. Sie zierten sich beide eine kleine Weile; endlich betrat Herr Andreas vor dem Schwertträger die Gemächer.

Er fand dort noch zwei andere Herren. Der eine, eine kräftige Gestalt in den besten Jahren, war Herr Dowgird aus Plemborg, der nächste Nachbar des Herrn Billewitsch, der andere Herr Chudzynski aus Giragol. Es entging Kmiziz nicht, daß beide Herren einander ansahen, ihre Blicke sich verfinsterten und sie Miene machten, über ihn herzufallen, sobald sie seinen Namen nennen hörten. Er blickte sie scharf an, bezwang sich aber und beschloß, sie vollständig zu ignorieren.

Es entstand eine verlegene Pause.

Herr Andreas fing an, ungeduldig zu werden. Er biß seinen Schnurrbart und sah von einem zum andern. Die beiden Gäste blickten hochmütig auf ihn herab, der Schwertträger fuhr fort, sein Haar zu glätten.

»Trinkt ihr mit uns ein Gläschen einfachen Met?« begann er endlich, indem er gleichzeitig nach der Flasche und den Gläsern wies. »Ich bitte!«

»Gewiß trinke ich mit Ew. Gnaden!« entgegnete Kmiziz ziemlich barsch.

Herr Dowgird und Herr Chudzynski schnauften, da sie die Antwort als eine Beleidigung ihrer selbst aufnahmen. Sie befanden sich aber als Gäste in einem fremden Hause, wollten deshalb keinen Skandal heraufbeschwören mit einem Menschen, welcher als der größte Raufbold in ganz Smudz bekannt war. Die von ihm gegen sie an den Tag gelegte Nichtachtung kränkte sie jedoch tief. Der Herr Schwertträger hatte inzwischen durch Händeklatschen einen Diener herbeigerufen. Er befahl ihm, noch ein Glas zu bringen; darauf goß er in dasselbe von dem Met, erhob sein Glas zum Munde und sagte:

»Die Gesundheit Ew. Liebden! ... Es freut mich, euch in meinem Hause zu sehen.«

»Ich würde mich aufrichtig freuen, wenn ihr die Wahrheit sprecht!« erwiderte Kmiziz.

»Gast bleibt Gast,« entgegnete hierauf mit Nachdruck der Schwertträger.

Sichtlich bemüht, seinen Pflichten als Wirt nachzukommen, fragte er, um die Unterhaltung in Fluß zu bringen:

»Was hört man aus Kiejdan? Wie befindet sich der Großhetman?«

»Nicht besonders, Ew. Gnaden,« antwortete Kmiziz. »Wie könnte das in diesen unruhevollen Zeiten auch anders sein. Der Fürst hat große und viele Sorgen.«

»Das will ich glauben!« rief Herr Chudzynski.

Kmiziz sah ihn einen Augenblick stumm an, dann wandte er sich wieder an den Schwertträger:

»Nachdem der Fürst sich der Bundesgenossenschaft Seiner Majestät des Königs von Schweden versichert hatte, glaubte er sogleich nach Wilna aufbrechen zu können, um Rache an den Marodeuren dort zu nehmen. Es wird Ew. Gnaden wohl bekannt sein, daß Wilna vollständig niedergebrannt und nur noch ein Trümmerhaufen ist.«

»Leider!« entgegnete der Herr Schwertträger.

»Das ist sicher ein großes Unglück, welches, da man ihm nicht vorzubeugen vermochte, um Rache schreit. Man müßte die feindliche Residenz ebenfalls in einen Trümmerhaufen umwandeln. Das wäre auch sicher geschehen, wenn nicht jene Raufbolde, anstatt ihn dabei zu unterstützen, seine Gesinnungen verdächtigt und ihn zum Verräter gestempelt hätten. Da ist es wohl kein Wunder, daß der Fürst, welchen Gott zu großen Dingen bestimmt hat, sich grämt, daß immer neue Infamien gegen ihn geschmiedet werden, daß sogar seine besten Freunde ihn verlassen oder in das feindliche Lager übergehen, dadurch seine besten Unternehmungen gefährdend, und daß er vor Gram kränkelt.«

»Ja, das ist geschehen!« sagte ernst der Schwertträger.

»Das schmerzt den Fürsten sehr,« entgegnete Kmiziz. »Ich hörte ihn sagen: Selbst die edelsten der Edlen verdammen mich: warum aber kommt man nicht, mir das selbst zu sagen, warum kommen sie nicht nach Kiejdan, um mir vorzuwerfen, was sie gegen mich haben? Ich könnte ihnen dann doch darauf antworten.«

»Wen meinte wohl der Fürst damit?« fragte der Schwertträger.

»Vor allen Ew. Gnaden! Er schätzt euch sehr hoch, obgleich er euch im Verdacht hat, daß ihr es mit seinen Feinden haltet.«

Wieder begann der Herr Schwertträger hastig sein Haar zu glätten. Da er merkte, daß die Unterhaltung eine gefährliche Wendung nahm, klatschte er wieder in die Hände und rief dem erscheinenden Diener heftig entgegen:

»Siehst du nicht, daß es dunkel wird? Licht her!«

Kmiziz aber fuhr unbeirrt fort:

»Gott ist mein Zeuge, daß ich selbst das heftigste Verlangen spürte, euch meiner Hochachtung zu versichern. Aber auch ein Befehl des Fürsten führte mich hierher. Der Fürst wäre selbst zu euch gekommen, fesselte ihn nicht Kränklichkeit an das Haus.«

»Mein Haus verdient solche Auszeichnung nicht,« sagte der Schwertträger.

»So niedrig dürft ihr von euch nicht denken. Es ist ja doch Brauch und Sitte, daß Nachbarn sich besuchen. Da aber der Fürst gegenwärtig verhindert ist, so sagte er zu mir: ›Entschuldige mich bei dem Herrn Billewitsch, daß ich nicht selbst komme, bitte ihn, daß er dafür zu mir komme, er und sein Mündel, aber bald, denn Gott weiß, wo ich morgen schon wieder bin!‹ Da seht Ew. Gnaden, das ist eine Einladung, die ich euch überbringe. Ich freue mich, daß ich euch und Fräulein Alexandra so wohlauf treffe, denn als ich hier ankam, sah ich das Fräulein in der Thür stehen, aus welcher sie leider aber gleich verschwand.«

»So ist es,« sagte der Schwertträger. »Ich sandte sie selbst hinaus, nachzusehen, wer angekommen sei.«

»Ich erwarte eine Antwort, Ew. Gnaden, Herr Schwertträger.«

Jetzt brachte der Diener Licht und stellte es auf den Tisch. Beim Scheine der flackernden Kerzen sah Kmiziz, daß der Schwertträger sehr verlegen aussah.

»Die Ehre ist für mich sehr groß,« sagte er. »Aber sogleich kann ich der Einladung nicht Folge leisten. Ihr seht selbst, ich habe Gäste. Entschuldigt mich bei dem Fürsten.«

»Das ist ja aber gar keine Entschuldigung, die Herren lassen doch gewiß dem Fürsten den Vorrang.«

»Wir haben selbst Zungen, um für uns zu reden!« rief Herr Chudzynski.

»Wir brauchen keinen Vormund!« setzte Herr Dowgird aus Plemberg hinzu.

»Da seht ihr, Herr Schwertträger,« sprach Kmiziz, indem er sich den Anschein gab, als nehme er die hastig hervorgesprudelten Worte für bare Münze, »ich wußte es, daß die beiden Herren echte Kavaliere seien. Um sie nicht zurückzusetzen, lade ich auch sie im Namen des Fürsten ein, nach Kiejdan zu kommen.«

»Zu viel Ehre!« antworteten beide gleichzeitig. »Wir haben nötigeres zu thun als dies.«

Kmiziz blickte sie von der Seite an, dann sprach er über sie hinweg, wie zu einer vierten Person:

»Wenn der Fürst bittet, darf man nicht ablehnen!«

Die Beiden erhoben sich von ihren Stühlen.

»Es ist mit anderen Worten ein Zwang?« fragte der Schwertträger.

»Herr Schwertträger, Ew. Gnaden,« antwortete Kmiziz, »diese beiden Herren werden mit mir gehen, ob sie wollen oder nicht, weil es mir so gefällt. Auf Ew. Gnaden aber möchte ich keinen Zwang ausüben, ich bitte euch aber inständigst, mir zu folgen. Ich stehe im Dienst des Fürsten und habe Befehl, euch unbedingt nach Kiejdan zu bringen. So lange ich hoffen darf, daß meine Bitten nicht fruchtlos sind, werde ich nicht aufhören, zu bitten. Ich schwöre, daß euch kein Haar gekrümmt wird. Der Fürst wünscht euch zu sprechen und euch in einer Zeit, wo sogar die Bauern haufenweise raubend und plündernd im Lande umherziehen, in Kiejdan Schutz und Obdach zu bieten. Das ist der ganze Sachverhalt. Auf Kavalierehre kann ich versichern, daß ihr als Gast und Freund dort die höchsten Ehren genießen sollt.«

»Als Edelmann protestiere ich gegen diese Ueberführung; ich habe das Recht auf meiner Seite!« sagte der Schwertträger.

»Und die Waffen!« riefen Chudzynski und Dowgird.

Kmiziz lachte zuerst, dann runzelte er die Stirn und sagte:

»Meine Herren, ihr werdet eure Waffen gar bald einstecken, denn ich werde euch Beiden vor der Scheune eine Kugel durch den Kopf jagen lassen.«

Jene sahen einander erschrocken an. Herr Billewitsch aber rief:

»Das ist offenbare Gewalt gegen die Freiheit des Adels, gegen unsere Privilegien!«

»Es wird keine Gewalt gebraucht werden, wenn ihr freiwillig folgt,« entgegnete Kmiziz. »Den Beweis dafür habe ich dadurch erbracht, daß ich meine Dragoner im Dorfe zurückließ und allein hierherkam, um Gastfreundschaft zu bitten. Schenkt meiner Bitte, mit mir zu gehen, Gehör; die Zeiten sind nicht darnach, um sie ungestraft zurückzuweisen. Der Fürst wird seine Handlungen schon vor euch verantworten, seid dessen gewiß, daß ihr wie ein Freund empfangen werdet. Glaubt mir auch, daß, wenn es nicht so wäre, ich lieber auf der Stelle tot hinstürzen wollte, als euch nach Kiejdan zu geleiten. So lange ich lebe, darf keinem, der den Namen Billewitsch trägt, ein Haar gekrümmt werden. Bedenkt doch, wer ich bin, denkt an Heraklius Billewitsch, an sein Testament, und erwägt dann, ob der Fürst-Hetman mich zu dieser Expedition ausersehen hätte, wenn er euer Verderben wünschte.«

»Warum dann aber übt er einen Zwang auf mich aus, warum zwingt er mich zu dieser Reise? Wie soll man einem Manne trauen, den ganz Litauen wegen der Not verdammt, in welche er gegenwärtig die angesehensten Bürger von Kiejdan gebracht hat?«

Kmiziz atmete auf. Aus den Worten des Schwertträgers glaubte er entnehmen zu dürfen, daß er in seinem Widerstande zu schwanken begann.

»Ew. Gnaden!« rief er fast fröhlich. »Unter Nachbarn nimmt der Zwang oftmals eine wunderliche Gestalt an. Ist es etwa kein Zwang, wenn ihr einem lieben Gaste die Räder vom Wagen losnehmen lasset, damit er nicht fortkann, wann es ihm beliebt, und wenn ihr ihn immer von neuem zu Speise und Trank nötigt, trotz seiner Versicherung, daß er außerstande sei, mehr zu genießen. Nun denkt einmal, daß selbst dann, wenn ich gezwungen wäre, euch gefesselt, mit Gewalt nach Kiejdan zu entführen, das auch nur zu eurem Besten geschähe. Aufständische Bauern ziehen in Haufen umher, begehen Gewaltthaten, schwedische Truppen ziehen heran. Glaubt ihr euch denn so sicher vor diesem Getümmel hier in diesem Taubenschlage. Oder denkt ihr, daß man euch hier nicht aufsuchen, euer Hab und Gut und eure Person selbst schonen wird? Schon heute oder morgen kann ein Ueberfall hier stattfinden. Was also will der Fürst anderes, als euch in Sicherheit bringen, und die findet ihr jetzt einzig und allein in Kiejdan, wo die fürstliche Besatzung Sorge dafür zu tragen hat, daß niemandem dort ein Leids geschieht.«

Der Schwertträger ging im Gemach auf und ab.

»Darf ich euren Worten trauen?«

»Wie euch selbst!« entgegnete Kmiziz.

In diesem Augenblick trat Fräulein Alexandra in das Gemach.

Kmiziz wollte auf sie zueilen. Da sah er ihr kaltes, strenges Gesicht, und er erinnerte sich der Vorgänge in Kiejdan. Er blieb also stehen und machte ihr mir eine stumme Verbeugung.

Der Schwertträger trat vor sie hin.

»Wir sollen nach Kiejdan reisen!« sagte er.

»Zu welchem Zweck?« fragte sie.

»Der Großhetman bittet darum ...«

»Er ladet freundlichst zu einem nachbarlichen Besuche ein,« setzte Kmiziz hinzu.

»Sehr freundschaftlich – allerdings,« sagte erbittert der Schwertträger. »Wenn wir nicht freiwillig gehen, so hat dieser Kavalier den Befehl, uns durch seine Dragoner mit Gewalt dorthin zu führen.«

»Ich hoffe, daß es dazu nicht kommt,« warf Kmiziz ein.

»Sagte ich es euch nicht, Ohm,« sagte Fräulein Alexandra. »Sagte ich euch nicht, fliehen wir so weit als möglich, man wird uns hier keine Ruhe lassen! Hatte ich nicht recht?«

»Was ist nun zu thun! Gegen die Uebermacht haben wir kein Mittel!« rief der Schwertträger aus.

»Leider ist es so,« sagte das Fräulein. »Trotzdem dürfen wir freiwillig nicht in jenes Haus der Schmach gehen. Mögen die Mörder uns mit Gewalt nehmen. Nicht wir allein sind es, die Verfolgungen erleiden, nicht uns allein wird die Rache der Verräter treffen, aber man soll es erfahren, daß wir den Tod der Schmach vorziehen.«

Sie wandte sich mit dem Ausdruck tiefster Verachtung zu Kmiziz:

»So fesselt uns doch, Herr Offizier, oder vielmehr Herr Henker, und laßt uns an die Pferde koppeln. Anders folgen wir euch nicht.«

Kmiziz wurde dunkelrot im Gesicht. Er sah aus, als wolle er in unbändigem Zorn losbrechen, aber er bezwang sich.

»Gnädiges Fräulein!« sagte er mit vor Erregung bebender Stimme: »finde ich so wenig Gnade vor euren Augen, daß ihr mich zum Räuber, Mörder und Verräter stempeln wollt? Möge Gott richten, wer von uns beiden im Rechte ist, ich, der ich dem Großhetman diene, oder ihr, die mich deswegen wie einen Hund mißhandelt. Gott schmückte euch mit Schönheit, gab euch aber ein unerbittlich hartes Herz. Ihr findet Gefallen daran, euch selbst zu quälen, nur um einen anderen noch empfindlicher zu treffen: ihr überschreitet alles Maß, bei Gott, und das führt zu nichts gutem.«

»Das Mädchen hat recht!« rief der Schwertträger aus. Er war plötzlich mutig geworden. »Wir folgen euch nicht freiwillig!«

Kmiziz beachtete diesen Einwurf gar nicht. Er war zu tief von Olenka getroffen worden und fuhr fort, auf sie einzureden.

»Ihr freut euch an der Qual der Menschen, nennt mich einen Verräter, ohne mir zu erlauben, daß ich die Gründe meines Handelns nenne, verdammt mich, ohne mir Gehör zu schenken. Sei es auch so. Nach Kiejdan aber müßt ihr mit, ob im Guten oder Bösen, das ist einerlei. Dort werdet ihr meinen Charakter kennen lernen, dort erkennen, wie unrecht ihr an mir gehandelt, wer jemandes Henker war, ich oder ihr. Eine andere Genugthuung begehre ich nicht. Gott bewahre euch, aber ersparen kann ich euch das nicht. Der Bogen biegt sich so lange, bis er bricht. Unter eurer blühenden Schönheit birgt sich eine Schlange. Wehe, wehe über euch!«

»Wir fahren nicht mit!« rief noch energischer der Schwertträger.

»Nein, wir fahren nicht!« riefen die anderen beiden Herren. Bleich vor Wut, wandte Kmiziz sich ihnen zu. Die Zähne schlugen ihm aufeinander wie im Fieber.

»Wagt es, zu widerstehen!« schrie er. »Hört ihr das Pferdegetrappel? Das sind meine Dragoner. Wagt es noch einmal, zu wiederholen, daß ihr nicht mitgehen wollt.«

Man hörte draußen wirklich eine Anzahl Pferde herankommen. Tiefes Schweigen trat ein; man sah sich verloren, nur Kmiziz sagte noch einmal zu Olenka:

»Fräulein! In wenigen Augenblicken müßt ihr im Wagen sitzen oder euer Ohm bekommt eine Kugel vor den Kopf!«

Immer mehr nahm eine leidenschaftliche Wut Besitz von ihm. Plötzlich kommandierte er so laut, daß die Scheiben zitterten: »Vorwärts!«

Gleichzeitig that sich die Thür nach dem Flur zu auf und eine fremde Stimme fragte:

»Wohin, Herr Kavalier?«

Ueberrascht wandten sich aller Augen der Thüre zu. Betroffen, wie zu Stein erstarrt, blieben sie stehen, denn im Rahmen der Thüre stand, den blanken Säbel in der Faust, einen Panzer um die Brust, ein kleiner Mann.

Wie vor einem Gespenst fuhr Kmiziz plötzlich zurück.

»Herr Wolodyjowski!« schrie er auf.

»Zu dienen!« antwortete der kleine Mann, während er sich in das Gemach schob, hinter ihm in langer Reihe Mirski, Sagloba, die beiden Skrzetuskis, Stankiewitsch, Oskierko und Rochus Kowalski.

»Ha!« sagte Sagloba. »Da hat der Kosak den Tartaren am Schopf.«

Der Schwertträger fing endlich an zu reden.

»Wer ihr auch seid, Ritter, schützt einen Staatsbürger, welchen man gegen seinen Willen fesseln und gefangen nehmen will. Rettet, Brüder, die Freiheit des Adels!«

»Beruhigt euch, Herr!« entgegnete Wolodyjowski. »Die Dragoner dieses Kavaliers sind schon entwaffnet. Er selbst bedarf der Hilfe jetzt viel mehr als ihr.«

»Und vor allem den Beichtvater!« sagte Herr Sagloba.

»Ihr habt kein Glück mit mir, Herr Kavalier,« sagte zu Kmiziz gewandt Herr Wolodyjowski. »Zum zweitenmal kreuze ich euren Weg ... nicht wahr, ihr habt mich hier zu sehen nicht erwartet.«

»Nein!« antwortete Kmiziz. »Ich vermutete euch in den Händen des Fürsten.«

»Diesen Händen habe ich mich soeben entwunden ... Ihr wißt doch, daß der Weg nach Podlachien hier durchführt. Aber das ist Nebensache. Als ihr dieses Fräulein zum ersten Male entführen wolltet, lud ich euch zum Zweikampf auf Säbel ... nicht wahr?«

»So ist es!« entgegnete Kmiziz, unwillkürlich mit der Hand nach dem Kopfe langend.

»Jetzt liegt die Sache anders. Damals waret ihr ein Wegelagerer, was heutzutage häufig bei den Adligen vorkommt. Ihr wurdet eurer Ehre dadurch nicht absolut verlustig ... Heute seid ihr nicht mehr würdig, einem Ritter im Zweikampf euch zu stellen.«

»Warum das?« fragte Kmiziz.

Hocherhobenen Hauptes sah er dem Herrn Wolodyjowski fest ins Auge.

»Ihr seid jetzt ein Vaterlandsverräter, ein Renegat,« entgegnete Wolodyjowski, »Ihr habt brave Soldaten, welche treu zu ihrem Vaterlande standen, wie ein Henkersknecht niedergemetzelt. Euer Werk ist es, daß dieses unglückselige Land unter diesem neuen Joch sich krümmt! ... Kurz und gut, ihr habt das Leben verwirkt, so wahr Gott lebt, eure letzte Stunde hat geschlagen.«

»Mit welchem Rechte richtet ihr mich?« fragte Kmiziz.

»Betet!« sagte Sagloba feierlich, »statt daß ihr Rechenschaft von uns fordert. Habt ihr noch etwas zu eurer Entlastung zu sagen, so sputet euch, denn ich zweifle, ob eine einzige mitleidige Seele sich finden würde, die euch in Schutz nehmen möchte. Einmal schon, so hörte ich sagen, hat dieses Fräulein euch von Herrn Wolodyjowski losgebeten: ich glaube aber nicht, daß sie es heute noch einmal thut.«

Aller Augen richteten sich unwillkürlich auf das Fräulein. Das Antlitz wie aus Stein gehauen, unbeweglich, mit gesenkten Lidern, stand sie da, kühl und stolz, ohne sich zu rühren.

Da unterbrach Kmiziz das Schweigen, indem er sagte: »Ich bedarf der Fürsprache dieser Dame nicht; ich bitte nicht darum.«

Fräulein Alexandra stand noch immer unbeweglich da.

»Hierher!« rief Wolodyjowski, sich der Thür zuwendend.

Schwere Tritte, vermischt mit Säbelgerassel und Sporenklirren, näherten sich. Sechs Soldaten, geführt von Jozwa Butrym, traten in das Gemach.

»Packt ihn!« kommandierte Wolodyjowski, auf Kmiziz deutend. »Packt ihn, führt ihn hinter das Dorf und schießt ihn dort nieder.«

Sogleich fiel die schwere Faust Butryms auf die Schulter des Gefangenen, nach ihr noch die zweier Soldaten.

»Duldet nicht, daß man mich hinausschleppt wie einen Hund!« rief Kmiziz, »ich gehe allein.«

Der kleine Ritter winkte den Soldaten, worauf sie ihn losließen, Kmiziz schritt, umringt von ihnen, hinaus, ohne noch ein Wort zu sprechen oder jemanden anzusehen. Seine Lippen murmelten ein stilles Gebet.

Auch Fräulein Alexandra ging nach der entgegengesetzten Seite hinaus in ihre Gemächer. Tastend durchschritt sie mehrere Räume. Plötzlich befiel sie ein Schwindel, der Atem ging ihr aus, sie fiel leblos darnieder.

Unter den im Gemach Zurückgebliebenen herrschte tiefes Schweigen, welches nach langer Weile der Schwertträger von Reußen unterbrach.

»Hat denn niemand Erbarmen mit diesem Menschen?« fragte er.

»Er dauert mich,« entgegnete Sagloba. »Er schritt so mutig dem Tode entgegen.«

Darauf erwiderte Mirski:

»Er schoß etliche Waffenbrüder aus meiner Fahne nieder, außer denen, welche er im Kampfe traf.«

»Dasselbe that er mit meinen Leuten und die Kompagnie Niawiarowskis soll er vollständig vernichtet haben.«

»Jedenfalls gehorchte er den Befehlen Radziwills, als er das that,« nahm Sagloba Partei für ihn.

»Meine Herren,« bemerkte der Schwertträger, »ihr fordert die Rache Radziwills gegen mich heraus.«

»Ja, ihr müßt fliehen. Es hilft nichts. Wir gehen nach Podlachien, wo der Aufstand gegen die Verräter ausgebrochen ist. Ihr und euer Mündel müßt mit uns gehen. Ihr müßt nach Bialowicz flüchten; dort hält ein Verwandter Skrzetuskis, der Jägermeister, Hof. Dort findet euch niemand.«

»Aber meine Güter gehen mir verloren.«

»Geschieht dies, so wird die Republik sie euch ersetzen.«

Da rief plötzlich Sagloba dazwischen: »Ich will eilen, nachzusehen, ob jener Unglücksmensch nicht etwa wichtige Papiere mit sich führt. Denkt ihr daran, Herr Michael, was ich bei Rochus Kowalski fand?«

»Ihr habt Recht. Setzt euch aufs Pferd und eilt euch, damit die Papiere nicht blutig werden. Ich ließ ihn absichtlich hinter die Dorfhäuser führen, damit das Fräulein den Knall der Muskete nicht höre. Frauen sind gewöhnlich sehr weichmütig und erschrecken leicht.«

Wenige Augenblicke darauf hörte man Sagloba davontraben. Herr Wolodyjowski aber wandte sich an den Schwertträger mit der Frage:

»Wo steckt denn eure Verwandte?«

»Sie betet wohl eben für die Seele dessen, welcher jetzt vor Gottes Richterstuhl treten soll ...«

»Gott gebe ihm die ewige Ruhe!« sagte Johann Skrzetuski.

»Wäre er nicht freiwillig zu Radziwill übergetreten, so würde ich der Erste sein, welcher um sein Leben bittet. Wenn er schon dem Vaterlande nicht treu bleiben wollte, so brauchte er seine Seele wenigstens nicht dem Radziwill zu verkaufen.«

»Das ist auch meine Meinung,« sagte Herr Wolodyjowski.

»Er hat sein Los verdient,« meinte Stanislaus Skrzetuski.

»Trotzdem wäre es mir lieber, Radziwill oder Opalinski ständen jetzt an seiner Stelle – Opalinski!!! oh!«

»Die Größe seiner Schuld kann man am besten daraus ermessen, daß seine Verlobte auch nicht ein Wort der Fürsprache für ihn hatte,« warf Oskierko ein. »Ich bemerkte wohl, wie sehr sie mit sich kämpfte; wer könnte aber auch für einen Verräter bitten.«

»Und sie liebte ihn so ehrlich, das weiß ich am besten,« sagte der Schwertträger. »Erlaubt, ihr Herren, daß ich nachsehe, wie sie sich befindet. Sie hat eine schwere Stunde durchzumachen.«

»Macht euch gleich reisefertig!« rief der kleine Ritter. »Sobald die Pferde etwas verschnauft haben, müssen wir weiter. Kiejdan liegt zu nahe und Radziwill muß schon dort angelangt sein.«

»Gut!« antwortete der Edelmann und verließ das Gemach. Einen Augenblick darauf hörte man einen durchdringenden Schrei. Die Ritter eilten dem Schalle nach; sie konnten sich nicht erklären, was geschehen sei. Auch die Dienerschaft eilte mit Fackeln herbei und beim Scheine derselben sah man den Schwertträger die leblose Olenka vom Boden emporheben.

Wolodyjowski eilte zu Hilfe. Sie legten das Fräulein auf ein Sofa. Sie gab kein Lebenszeichen von sich. Man bemühte sich, sie zu sich zu bringen. Die alte Schleußerin eilte herbei, flößte ihr Tropfen ein und endlich schlug die Ohnmächtige die Augen auf.

»Begebt euch in das Nebenzimmer, meine Herren,« sagte die Schleußerin, »ihr könnt hier nichts nützen.«

Der Schwertträger führte seine Gäste hinaus.

»Hättet ihr doch jenen Unglückseligen irgendwo auf der Landstraße niedergehauen, statt ihn hier zu töten. Ich wünschte, das alles sich ließe ungeschehen machen. Wie sollen wir nun reisen? Das Mädchen lebt kaum, sie kann den Tod davontragen.«

»Geschehenes ist nicht zu ändern!« sagte Wolodyjowski.

»Wir setzen die Dame in eine Kalesche, denn fliehen müßt ihr, soll euch die Rache Radziwills nicht treffen.«

»Vielleicht erholt sich das Fräulein auch bald,« meinte Johann Skrzetuski.

»Es steht ja eine bequeme Kalesche bereit zum Besteigen, Kmiziz hat sie mit hierher gebracht,« sagte Herr Wolodyjowski. »Eilt, Herr Schwertträger, sagt dem Fräulein, sie möge alle ihre Kräfte sammeln. Wir können die Flucht nicht aufschieben, wir müssen fort, denn morgen früh können schon Radziwillsche Truppen hier sein.«

»Es ist wahr!« rief der Schwertträger und eilte hinaus.

Bald darauf kehrte er mit seinem Mündel zurück. Sie war, obgleich noch sehr schwach, doch völlig reisefertig. Ihr Gesicht war mit Fieberröte überzogen, die Augen glänzten fieberhaft.

»Eilen wir, eilen wir,« wiederholte sie, in das Gemach tretend.

Wolodyjowski ging hinaus, um Leute nach der Kalesche zu senden. Darauf machten sich alle marschbereit.

Nach einer kleinen Viertelstunde fuhr der Wagen vor.

»Fort, fort!« rief Olenka.

»Vorwärts, marsch!« kommandierten die Offiziere.

Da wurde die Thür angelweit aufgerissen. Atemlos, wie eine Bombe, platzte Herr Sagloba in das Gemach.

»Ich habe die Exekution inhibiert!« schrie er.

Olenka färbte sich kreideweiß. Fast wäre sie wieder ohnmächtig geworden. Aller Augen richteten sich starr auf Sagloba, welcher wie ein Potwal fauchte.

»Was, ihr habt die Exekution inhibiert?« fragte erstaunt Wolodyjowski. »Warum das?«

»Warum? Laßt mich doch zu Atem kommen. Darum, weil jener edle Mensch uns vom Strange gerettet hat, weil wir ihm allein es zu verdanken haben, daß wir hier zusammen sind ... Uf! ... unseren Wohlthäter hätten wir morden lassen ... Uf! ...«

»Was soll das bedeuten?« fragten alle insgesamt.

»Hier dieser Brief wird euch aufklären.«

Mit diesen Worten reichte Sagloba dem kleinen Ritter ein Papier, welches dieser sogleich entfaltete und zu lesen begann. Es war jener Brief, in welchem Radziwill dem Kmiziz heftige Vorwürfe machte, das er, auf seine Bitten allein, jenen das Leben geschenkt. Zuweilen unterbrach sich Wolodyjowski im Lesen und blickte von einem zum anderen und jede solche Pause benutzte Sagloba, um seinen Gefühlen durch ein lautes »Nun, es ist nicht so?« Luft zu machen. Der Brief schloß, wie bekannt, mit dem Befehl, den Schwertträger und dessen Mündel nach Kiejdan zu bringen. Kmiziz hatte den Brief offenbar deshalb mit sich geführt, um nötigen Falles denselben dem Schwertträger vorzuzeigen, doch war es nicht dazu gekommen.

Vor allem blieb kein Zweifel, daß ohne Kmiziz's Dazuthun die beiden Skrzetuskis, Wolodyjowski und Sagloba ohne Barmherzigkeit gleich nach jenem denkwürdigen Vertrage mit de la Gardie in Kiejdan ermordet worden wären.

»Meine Herren!« rief Sagloba. »Wenn ihr jetzt noch diesen Mann erschießen laßt, dann, so wahr ich Gott liebe, dann mag ich von euch nichts mehr wissen!«

»Davon kann nicht mehr die Rede sein,« entgegnete Wolodyjowski.

»Wie gut ist es, daß ihr, Väterchen, den Brief gleich an Ort und Stelle gelesen habt, anstatt ihn zuerst hierher zu bringen,« sagte Skrzetuski, mit den Händen durch seine Haare fahrend.

»Mau muß euch von klein auf mit Spatzen gefüttert haben!« rief Mirski aus.

»Ha! nicht wahr!« rief Sagloba. »Jeder andere hätte den Brief zuerst hierher gebracht, jenem wäre unterdessen der Kopf mit Blei gefüllt worden. Gleich als man mir das Papier reichte, war mir, als müsse ich lesen, was darauf stand, denn ich bin von Natur begierig, alles zu wissen. Zwei Männer mit Laternen schritten mit dem Verurteilten der Wiese zu. Da ries ich sie an: »Leuchtet mir einmal,« sagte ich; »ich will wissen, was hier geschrieben steht!« Während ich las, rieselte es mir kalt über den Rücken, mir war, als schlüge mir jemand den Schädel ein. »Herr Kavalier! Bei Gott!« rief ich. »Warum habt ihr diesen Brief nicht vorgezeigt?« »Weil ich nicht wollte!« giebt mir dieser noch in der Todesstunde hochmütige Mensch zur Antwort. Ich konnte nur nicht helfen: ich umarmte diesen Wicht. »O, unser Wohlthäter!« sagte ich, »wenn ihr uns nicht gerettet hättet, so wären wir jetzt wohl eine Speise der Raben.« Ich ließ ihn wieder hierher bringen und eilte selbst, so viel das Pferd laufen konnte, zu euch, um zu berichten ... Uf!«

»In diesem wunderlichen Menschen steckt ebenso viel Gutes wie Böses,« sagte Stanislaus Skrzetuski. »Wenn dieser nur wollte ...«

Er kam nicht weiter. In der geöffneten Thür erschienen die Soldaten mit Kmiziz.

»Ihr seid frei, Ritter!« rief Wolodyjowski ihm entgegen. »So lange wir leben, wird keiner von uns euch jemals ein Haar krümmen. Ihr seid ja ein verzweifelter Mensch, daß ihr diesen Brief nicht vorwieset; wir hätten euch dann sicher unbehelligt gelassen.«

Hierauf wandte er sich den Soldaten zu und kommandierte: »Abtreten! Aufsitzen!«

Die Soldaten gingen hinaus. Kmiziz blieb allein mitten im Gemach stehen. Er schaute sehr ruhig drein, nur waren seine Züge verdüstert und ein gewisser herber Stolz malte sich in ihnen.

»Ihr seid frei!« wiederholte Wolodyjowski. »Geht, wohin ihr wollt, sei es auch zu Radziwill zurück, obgleich es für uns sehr schmerzlich ist, zu wissen, daß ein so tapferer, edler Ritter von so vornehmer Herkunft einem Vaterlandsverräter dient.«

»Bedenkt euch wohl,« sagte Kmiziz, »denn ich erkläre, daß ich einzig und allein zu Radziwill stehe!«

»Bleibt lieber bei uns. Der Teufel hole diesen Kiejdaner Tyrannen!« rief Sagloba. »Ihr sollt wie unser liebster Freund und Bruder gehalten werden und das Vaterland vergiebt freudig, was ihr an ihm gesündigt.«

»Um alles in der Welt nicht!« gab Kmiziz energisch zurück. »Gott allein kann richten, wer von uns dem Vaterland treuer dient, ihr, die ihr auf eigene Verantwortung den Bruderkrieg entfacht, oder ich, wenn ich treu zu dem einzigen Manne halte, welcher allein imstande ist, diese unglückselige Republik zu retten. Geht ihr eure Wege, laßt mich den meinigen gehen! Es ist hier nicht Zeit und Ort, euch eines Besseren belehren zu wollen, es würde auch zu nichts führen. Das eine aber sage ich euch aus vollster Ueberzeugung: ihr bringt dem Vaterlande das Verderben, ihr arbeitet seiner Rettung entgegen. Zwar will ich euch nicht Verräter nennen, denn ihr handelt nach edlen Grundsätzen, aber seht: das Vaterland ist dem Untergange nahe, Radziwill streckt die Hand aus, um es demselben zu entreißen, und ihr verwundet diese Hand mit Schwerthieben, ihr nennt in thörichter Verblendung denjenigen einen Vaterlandsverräter, der es retten will, und mit ihm alle diejenigen, die zu ihm stehen.«

»Bei Gott!« rief Sagloba aus. »Hätte ich nicht selbst gesehen, wie mutig ihr dem Tode entgegengingt, ich müßte glauben, die Angst habe euren Verstand verwirrt. Wem eigentlich habt ihr den Treuschwur geleistet, dem Radziwill oder dem Johann Kasimir, Schweden oder der Republik? Mensch, habt ihr denn ganz und gar den Verstand verloren?«

»Ich dachte es mir, daß mein Bemühen, euch zu bekehren, umsonst sein würde ... Lebt wohl!«

»Wartet noch einen Augenblick,« sagte Sagloba. »Es handelt sich noch um die Beantwortung einer Frage von Wichtigkeit. Hat Radziwill euch völlige Freiheit für uns zugesichert, als ihr in Kiejdan für uns batet?«

»Jawohl!« antwortete Kmiziz. »Ihr solltet bis zur Beendigung des Krieges in Birz bleiben.«

»So lernet euren Radziwill kennen. Er ist nicht nur ein Verräter an seinem Könige, an seinem Vaterlande, sondern auch an denjenigen, welche ihm so treu dienen wie ihr. Hier habt ihr einen Brief an den Kommandanten von Birz, welchen ich dem Offizier abnahm, der das Kommando über unseren Transport hatte. Da lest!«

Indem er das sagte, überreichte Herr Sagloba den Brief des Hetman Kmiziz.

Dieser vertiefte sich sogleich in denselben, und je weiter er las, desto dunkler färbte sich sein Antlitz. Plötzlich knitterte er das Papier in den Händen zusammen, warf es zu Boden, und rief:

»Lebt wohl! Mir wäre wohler, wenn ich durch eure Hand gefallen wäre!«

Dann eilte er hinaus.

»Meine Herren,« ergriff endlich Skrzetuski das Wort, »es ziemt uns nicht, diesen Menschen zu verdammen. Er glaubt an Radziwill wie der Moslem an Mahomet. Zuerst dachte auch ich, er diene dem Verräter um des eigenen Vorteils oder um des Ehrgeizes willen, aber dieser Unglückliche ist kein Bösewicht, sondern nur ein Verblendeter.«

»Nun, wenn er bis jetzt fest an seinen Mahomet geglaubt hat, so habe ich jetzt diesem Glauben einen derben Stoß versetzt. Habt ihr bemerkt, welchen Eindruck das Schreiben auf ihn machte? Das wird einen schönen Strauß zwischen den Beiden dort geben, denn Kmiziz fürchtet den Teufel nicht, noch viel weniger den Radziwill. Weiß Gott, der Sieg über eine türkische Heerschar würde mich weniger erfreuen, als daß ich ihn vom Tode errettet.«

»Es ist wahr!« sagte der Schwertträger, »niemand kann bestreiten, daß er euch das Leben verdankt.«

»Gott geleite ihn!« sagte Wolodyjowski. »Was ist nun zu thun?«

»Brechen wir auf. Die Pferde sind ausgeruht,« mahnte Sagloba.

»Gewiß! Brechen wir so schnell als möglich auf. Kommt ihr mit uns?« fragte Mirski den Schwertträger.

»Ich kann nicht unthätig hier zurückbleiben,« antwortete der alte Herr. »Offen gestanden, würde ich aber lieber erst später aufbrechen als ihr. Da Kmiziz nicht erschossen wurde, so wird man hier nicht gleich rauben und brennen. Gott weiß, wann ich wieder zurückkehren kann; ich möchte gern zuerst einige Anordnungen treffen, meine Kostbarkeiten bergen, das Vieh den Nachbarn senden, das bare Geld zum Mitnehmen verpacken. Bis zum Tagesanbruch kann ich damit fertig sein, über Hals und Kopf geht das nicht.«

»Wir aber können nicht warten; das Schwert schwebt über unseren Häuptern,« antwortete Wolodyjowski. »Wohin wollt ihr euch begeben?«

»Eurem Rate folgend in die Wildnis ... Ich will wenigstens das Mädchen dort unterbringen, denn ich selbst fühle mich noch nicht alt genug, um meinen Säbel in der Scheide rosten zu lassen. Vielleicht kann ich dem Könige und dem Vaterlande noch nützen.«

»So lebt denn wohl, wolle Gott, daß wir uns in besseren Zeiten wiedersehen.«

»Gott vergelte es euch, daß ihr zu meiner Rettung herbeigeeilt seid. Jedenfalls treffen wir auf irgend einem Schlachtfelde zusammen.«

»Möge es euch gut ergehen!«

»Glückliche Fahrt!«

Sie verabschiedeten sich auch von Fräulein Alexandra mit einer Verbeugung.

»Ihr trefft mein Weib und meine Knaben dort,« sagte Johann Skrzetuski. »Grüßt sie herzlich von mir und erblüht ihr selbst dort zu neuem, gesunden Leben.«

»Und gedenkt zuweilen des Soldaten, welcher nicht das Glück hatte, Gnade vor euch zu finden, aber trotzdem das Beste für euch vom Himmel erfleht!« setzte Wolodyjowski hinzu.

Die anderen folgten ihnen. Zuletzt kam Herr Sagloba an die Reihe.

»Empfanget auch meinen Abschiedsgruß, liebliches Blümchen. Umarmt Frau Skrzetuska und meine wilden Rangen, diese Prachtkerle!«

Statt aller Antwort faßte Olenka die Hand des alten Ritters und drückte sie stumm an ihre Lippen.

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