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Welfen, Preußen und Österreicher

Hochzeiten im großen Stile, mit Menschenansammlungen im Festgewand und mit meist unfestlicher Seele, mit Pomp und Klang sind eine seelische Geschmacklosigkeit. Wenn zwei sich zur harten Lebensarbeit zusammentun, so ist das ihre Sache. Die Öffentlichkeit berührt es nicht. Von solch lautem Aufzug mit Verwandtenansammlung fühlt' ich mich zum ersten Male abgestoßen bei der Vermählung meines Bruders im Jahre 1894 in Gmunden, der regenreichen aber schönen, sogenannten Residenz des Herzogs von Cumberland, aus der entthronten und nach Österreich geflüchteten Hannover-Dynastie.

Mein Bruder, der immer tat, was man von ihm nicht erwartete, heiratete eine Deutsche, eine Protestantin, und meine Mutter freute sich nicht. Sie hatte für den Majoratserben eine, in jeder Hinsicht glänzende Partie erwartet. Vater und Bruder der Braut standen in österreichischen Militärdiensten, ihre Mutter war eine Österreicherin gewesen. Deren Nachfolgerin aber wurde eine starre Preußin, die das Haus wieder mit preußischem Geist erfüllte. Wir wunderten uns sehr über diese Verlobung. Wer würde die Oberhand gewinnen? Der kleine, bewegliche, cholerische junge Mann voll Eigenwillen, die hagere steif und frostig in sich verschlossene, junge Frau von deutschestem Typ, wie er in Österreich nicht anziehend gefunden wurde. Hingegen zweifelte der Österreicher nie an der Gediegenheit und Tüchtigkeit dieser norddeutschen Art, dessen Wert er seufzend und sich schüttelnd anerkannte. Meine Schwester und ich waren Brautjungfern, ich kam dazu aus Wels, der lieben, alten Stadt in grünem Land, wo meine Großmutter Numero zwei ihre Greisentage verbrachte und mich so oft als möglich um sich zu haben wünschte. Die teure, alte Frau war zu dieser Hochzeit des Enkels nicht gebeten worden, was mich tief empörte.

Aber der deutschen Braut brachte ich heimlich ein aufrichtiges Interesse entgegen und die Hoffnung, von ihr, die gewiß weit gediegener erzogen war als wir, etwas lernen zu können, ihren guten Einfluß auf eine gewalttätige Natur zu beobachten. Das Alles hat sich nicht erfüllt; eine eisige Fremdheit blieb zwischen der Fremden und uns, obschon sie einmal zu meiner Mutter nach Graz kam. –

Diese Hochzeit hatte etwas Interessantes durch die dreierlei Menschenart sogenannter erlesener Kreise, die sich da zusammenfand: Preußischer, hannoveranischer und österreichischer Uradel. Zum ersten Male sah ich Deutsche des großen Siegerreiches draußen, von dem man träumte, wie von einer unfaßbaren Herrlichkeit und Vollkommenheit, lebendig vor mir. Die Hannoveraner und Preußen waren sehr verschieden. Gemeinsam besaßen sie die vollendete äußere Form, die eisige Kühle bis in die Fingerspitzen, die bei den Welfen noch besonders ausgeprägt war. Dieser Adel hatte seiner Dynastie in die Fremde Gefolgschaft gegeben, ein Abglanz von Treue, eine gewisse Romantik des, wenn auch unvernünftigen Festhaltens, sollte sie umgeben. Große Gestalten, meist blond, viele schon weiß, wie in eine Form der Unnahbarkeit gegossen, bildeten sie einen freiwilligen Hofstaat um gefallene Größen, die durch ihre glänzenden, pekuniären Verhältnisse ihre Auslandsbeziehungen, eine höfische Aufmachung wohl erhalten, noch immer Gnaden austeilen konnten, das Heer der Gabenempfänger, der Liebediener, auch der aufrichtigen Anhänger war da. Im Ganzen beliebt, hatte dieses elegante und gesellige Hoflager in Gmunden doch auch energische Gegner in verschiedenen Kreisen, die sich darüber beschwerten, daß Hofdamen zu Baroninnen erhoben, Orden ausgeteilt wurden, was nicht berechtigt erschien. Die scharfen Zungen außerhalb der erlesenen Koterie der Zugelassenen standen nicht still. Da gab es einen originellen Gutsherrn, der nach irgend einer Ordensverleihung dieses Hofes seinem Jäger und Förster die Brust mit Papierorden bedeckte, und die beiden so bei einer offiziellen Jagd antreten ließ. Und Anderes mehr. Aber die Familie Cumberland tat viel Gutes, hatte sich klug auf die Wesenheit des oberösterreichischen Volkes eingestellt, ließ reichlich Geld im Lande und wurde vom Hofe in Wien hochgeachtet. – Der alte Hannoveranertraum von Losreißung und neuer Souverainität glomm unter Asche und Schweigen weiter. Das wußte Jeder. Bismarck hat dazu gelächelt. Schon damals bestimmten die Monarchen und Dynastien die Schicksale der Völker nicht mehr, weil sie nicht ein integrierender Teil des Volkes gewesen sind. Wer über den Parteien schwebt, verliert mit ihnen die Fühlung, – damit die Macht.

Der Hof hatte dem Brautpaar Vertreter geschickt und Geschenke. Das große Hochzeitsdiner bot ein buntes Bild. Das laissez-faire, laissez-aller des österreichischen, insbesondere des oberösterreichischen Adels mit der scheinbaren Harmlosigkeit, den urwüchsigen, den »schlamperten«, gutmütigen Manieren, hinter denen oft ein verbohrter Hochmut mit einer hoffnungslosen geistigen Enge und Leere beisammen saßen, vertrug sich mit dem Formenwesen der Hannoveraner merkwürdig gut, das war wohl Absicht. Es ging vereint gegen die Preußen, die weit natürlicher und interessanter wirkten. Gegen diese vereinzelt vorhandenen Preußen stand eine Front. Man hatte Angst vor ihnen, sie waren ungemütlich. Der alte adelige Haß und Zorn von 1866, hier lebte er noch. Die feine Dekadenz vornehmen Österreichertums neben der kraftstrotzenden Mannesblüte und Mannesreife eines Siegervolkes von strahlender Jugend hatte etwas Pathetisches. Ich erinnere mich, daß ich still an der Tafel saß, meine Blicke hingehen ließ über die Reihen der Gesichter, die Verschiedenheit der Haltungen. Auf festen Zügen stand die Einigung deutschen Reiches, standen die Flammenzüge der Jahre sechsundsechzig und siebzig geschrieben. Das Eiserne Kreuz des Jahres siebzig, des heiligen deutschen Jahres, ruhte auf kampfgestählter Brust. Es schienen sich alle diese Preußengesichter zu gleichen, geschult in einer Zucht, zu einem Ziele geboren: Deutschlands Größe, hinter der die eigene Existenz verschwand. In diesem Kreise gab es kein Wort des Zweifels, wurde Kritik nur im engsten Zusammensein dienstlich und sachlich ausgeübt, Regierung und Dynastie mit Fremden nie besprochen.

Ehrfurcht war der treibende Geist für das in Not und Blutvergießen, in unsäglichen Aufopferungen geborene Reich, für seine Dynastie. Der Aufblick zum Thron kam dem religiösen Empfinden dieser streng konservativen Familien vollkommen gleich. Was Friedrich der Große geschaffen, Wilhelm der Erste ausgebaut, hatte hier die stärksten, die treuesten Erhalter. Sie umstanden den Thron, sie besaßen des Kaisers und Königs Ohr. Alle waren sie deutsch, arischer Wesenheit, reinen Blutes, die gleichen Ehrbegriffe verbanden sie und forderten unerbittlich Makellosigkeit des Denkens.

In solchen Kreisen spielte das Geld eine geringe Rolle; über dem Ehrgeiz noch stand das Vaterland. Im kargen Boden der nordischen Heimat unausrottbar verwurzelt, war dieser Adel Erzieher seines Volkes. Sein Souverain stammte aus seiner Mitte. Da war nichts Fremdes, da galt nur deutsche Art. So wenigstens war es bis zu Bismarcks Sturz gewesen. Prangendes Leben in den breit ausladenden, saftstrotzenden Kronen des deutschen Eichenwaldes überall.

Neben mir saß ein unbedeutender, aber von sich sehr eingenommener Linzer Lebemann in mittleren Jahren, ein Baron, der als gute Partie galt; die jungen Mädchen am Tische blickten ärgerlich herüber, weil gerade dieses Juwel mein Kranzelherr war. Er machte sich in einem faden, näselnden Ton über alle und alles lustig, mich dabei erwartungsvoll musternd, um eine amüsante Bosheit zu hören. Aber ich beachtete ihn kaum. Während er in den Staub zog, was nur möglich war, mit dieser oft unleidlich läppischen Art, die in Österreich mit dem Ausdruck Hölzlwerfen bezeichnet wird, und bei vielen Leuten den Geist ersetzen muß, hing mein Blick gebannt an den Gesichtern von Männern, die dieses Eine mir so Fremde, so Ferne und doch als einen starken Halt Geahnte besaßen, die Ehrfurcht, den Respekt, aus stolzen überzeugten Mannesherzen freiwillig gegeben. Den Aufblick! Bei uns im Lande war der nicht mehr zu Hause. Nicht mehr? War er jemals dagewesen? Vielleicht flüchtig zu einer Maria Theresia, eines Josefs auftrotzender Zeit. Im Ganzen hatte man sich wohl gefürchtet, gedemütigt, auch erniedrigt; aber man hatte nicht diese innere Zusammengehörigkeit empfunden.

Ganz Österreich war krank an der Zersetzung, der Respektlosigkeit vor sich selber und seinen Verantwortlichen; persönliche Selbstvergötterung, der kalte Ichkult des Hochmuts hatten das Echte der hohen Selbstachtung nie ersetzen können. Das war ganz klar. Das Völkerleiden lag tief.

Und ich beneidete sie, diese Ruhigen, tief in sich Gefestigten, von Geschlecht zu Geschlecht zu starken, vertrauenswerten Stützen Erzogenen. Diese Väter und Söhne. Sie kannten in ihrem kühlen blauen Blick das Flackern des ungezügelten Temperamentes nicht, das in den österreichischen Augen war, da, dort, überall. Dieses Gemisch aus Spottsucht, Zynismus, Gutmütigkeit, Geist und hochfahrender Gleichgültigkeit. Dieses Sich-selber-täuschen über Wahrheiten, das von hoch oben kam. Von einem Fürsten, dem man nichts mehr ehrlich sagen durfte. Die Art hatte Schule gemacht.

Das beamtenhafte Würmchen neben mir fand sich wenig gewürdigt. Meine Gedanken gingen unaufhaltsam weite Wege. Statt einer Hochzeit, eines engen Kreises von Kastenmenschen, die hier beisammen hockten, wie sie es jahrhundertelang getan, sah ich um mich geschichtliche Entwicklung, blickte mich verschiedene Art völkischen Werdens und Bestehens an, der Kampf aller Zeiten. Er war da, in Menschen verkörpert von dreierlei Wesensart. Preußen voran, zwingend-sieghaft das Ganze nehmend, sich ganz gebend; zum Führer einer Welt geschaffen. Das hat sich mir tief eingeprägt an jenem Tage, da ich so seelenfremd noch einmal unter all den Meinen saß, den Kindern meines Landes, meiner Kreise. Heimweh nach einem größeren, geeinten Vaterland – Sehnsucht nach einer unerbittlich führenden Hand packten mich, rissen mich empor, wie zwingende Hände. Steh auf und wandle! Mache Dich endlich frei. –

Werde!

Werde, wie Deutschland ward unter den schwersten Opfern, mit höchster Hingabe deines Selbst, mit Entsagung und Wollen. Lerne zu dienen. Du hast unbewußt frevelnd, zu früh das Spiel des Herrschenwollens getrieben. Weite – harte Wege mußt du zurück. Denn ohne Aufblick kein Recht, der Menschheit zu dienen. So tönte es in mir und verstummte nicht mehr.

Als wir nachmittags im alten feuchten Nixenschloß Ort, in seinen verwahrlosten Anlagen herumwanderten, eine große Gesellschaft von Menschen lose zusammengefügt, da sah ich auch hier wieder einmal, wie so oft in Oberösterreich, das uralte Wappen meines Hauses aufglänzen über dem Portal; moosübergrünt – epheu-umwuchert war der Falke, der auf den drei Würfeln saß. Verblaßt die Farben, die Lilien kaum erkenntlich. Verlöschende Größe – abbröckelnder Glanz! Auch die junge Protestantin, die da hager und verschlossen, ihren Mann an Größe überragend, neben ihm schritt, würde keine neue Herrlichkeit in das alte Haus bringen. –

Seit langer, trauriger Zeit wieder zum ersten Male regte sich in mir an diesem Tage das unbezwingliche Empfinden einer doch niemals erloschenen Zusammengehörigkeit in tiefster Seele mit der katholischen Kirche, die wie erlösend nach mir griff. Es war, als riefe die Stimme einer Mutter, lange ungehört. Ich mußte sie alle stehen lassen, die da die Luft mit leerem Geschwätz erfüllten, mußte allein einsame Wege suchen, in eine Kapelle treten, die da irgendwo vergessen und verloren in grünem Dickicht dämmerte.

Dort habe ich lang gesessen. Meinen inneren Frieden gemacht mit dem Unbegreiflichen, dem vor Verzweiflung Bewahrenden über uns, das leise mahnt und leitet auf Menschenwegen. Mir war es – als sei ich niemals fort gewesen – weit fort aus dem Vaterland meiner Seele. Als könne irdischer Kampf, Parteienzwist, dessen Weltlichkeit mich irre gemacht, die großen und letzten Dinge überhaupt nicht berühren. Einem Gottgedanken nichts von seiner Unendlichkeit nehmen.



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