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Deutsche Seele

Wer bist du, mein Land? Wo ist deine deutsche Seele? Sprecht, ihr Bilderreihen, an denen ich vorübergehe. Erzählt von den Provinzen und Landschaften, die in verwegener Selbstherrlichkeit jede ihre eigenen Verfassungsgesetze hatten, ihren Landtag, in Form und Recht anerkannt. Mit aufgerecktem Finger und entblößtem Haupte, angesichts der herrschenden Stände und Herren beschworen uns die gekrönten Fürsten die Rechte und Freiheiten, von alters her; Ober- und Niederösterreich war uradeliges Land. Der Bauernstand hatte nur in Tirol Vertretung, das Bürgertum verlor in der Reformationszeit fast alle seine Rechte. Nur die oberen Stände besaßen die Einzelstimmen zu Landesgesetzgebung, Verwaltung, Werbung, Heeresverpflegung, Grundsteuer, Gefälle in allen heimischen Angelegenheiten. Neben der Macht und Herrlichkeit des Klerus glänzte der Reichsadel, der Klöster und Stifte baute, so viel er vermochte. Aus unserem Hause stammen die Klöster Schlögel, Florian und Schlierbach in Österreich. Es lag lange erstarrt die eigentliche Kraft eines Staates; das Volk unter Gesetzen, die nur mit den Landständen vereinbart wurden. Der Mangel eines einheitlichen Rechts war in allen Provinzen drückend fühlbar. Die alten Sonderrechte erstickten lange das provinzielle Recht. In der Abstufung der scheintoten bürgerlichen Elemente war die Zunft, die die vornehmste gewesen, entgeistigt; verfallen lag sie darnieder. Wohl hatte Karl der Sechste, der letzte Habsburger, viel getan für Oberösterreich, in staatswirtschaftlichen Reformen, aber die Zwischenzölle, die Zünftigkeit der Gewerbe, die Unfreiheit des Bodens überdauerte ihn lange. Die Staatsfabriken in Linz kosteten mehr als sie trugen. Finster blieb die Rechtsgebarung. Viel Hinrichtungen fanden statt. Nach Josefs des Zweiten kurzer Lichtperiode sank neue Verfinsterung über deutschösterreichisches Land, das der Aera Metternich oft genug unliebsam wurde. Steig herab aus deinem dunkeln Rahmen, Graf Gundaker Starhemberg, Josef Harrach, Landmarschall von Niederösterreich, du Ludwig Khevenhüller, der ein Großer gewesen, der Heimaterhalter in der Schicksalsstunde. Das sind unsere klingenden Namen, die jeder kennt, die Starhemberge, die Thun, Khevenhüller, die Grafen Traun und Daun, die Sinzendorfer, Herberstein, Kinskys. Aber es gab auch andere. Als unter Maria Theresia es um alles ging, und Österreich ungedeckt durch Geld und Truppen dalag, da gab es der Untreue genug. Oberösterreich wurde als Vorland vom Kurfürsten Bayerns eingefordert. Die Kommission der Stände in Linz für allgemeine Landesbewaffnung stieß auf Gleichgültigkeit, ja Widerstand. Am 15. September 1741 ließ man die Bayern und Franzosen ungehindert in Linz einziehen. Nur Scharmützel gab es da und dort in der Ennser Gegend. Am 21. Oktober haben in Linz viele Stände dem Bayern eine Huldigung gebracht. Zu der erschienen fast alle Prälaten, die Thürheims, Sprinzenstein, Königsfeld, Kufstein, die Klam, Hoheneck, Röder, Stiebar. Ganz zu Bayern gegen Habsburg hielten drei Grafen Sceau und der Freiherr Josef von Weichs, alles alte, eingesessene Geschlechter. – Der Graf Thürheim hat hierauf diese Huldigung dem Staatskanzler Sinzendorf gemeldet, mit dem beruhigenden Worte: »Aber hoffen wir, bald wieder unter des Hauses Österreich mildeste Regierung zu kommen ...«

Stolz und vollkommen treu verharrten, um die Tochter Karls des Sechsten, in ihrem großen Existenzkampf die Lamberge, Harrach, Polheim, Gundaker Starhemberg, Salburg, Sinzendorf, Ludwig Khevenhüller. Sie ließen sich die Güter nehmen. Sie scharten sich um die Königin.

Die uralte Reichsstraß' entlang, über geschichtlich blutigen Boden stampften die Franzosen- und Bayernrosse, auf Wien; der Khevenhüller stand, so schwach er sich wußte, wie ein Mann von Eisen mit seiner Besatzung da. Die Franzosen befahlen den Bayern, Wien zu verlassen, über dem der Schutzengel deutschösterreichischer Treue stand. Sie drängten über Mautern nach Böhmen, nur ihrer eigenen Interessen gedenk, dieses Land zu erobern, und der Bayer erfuhr am eigenen Leibe, was es heißt, sich zu verlassen auf Franzen.

Er wurde von ihnen einfach ausgespielt. Da lachten in Wien die ritterlichen Herrn, es schämten sich tief in Linz die Ungetreuen.

In Böhmen ist dann der Adel untreu gewesen, gerade der fürnehmste, am reichsten vom Hofe dotierte. Man kennet die Menschen nie. Da fielen ab die Fürsten Kinsky, die Grafen Wrbna, Gallas, Sternberg, Kokorowa, Wrtby, Buquoy, Merzin, Lasansky, Kolowrat – es muß aber gesagt werden, viel deutsches Blut war in denen nicht. Das Bürgertum blieb dem österreichischen Gedanken, obwohl es klein, elend und gedrückt war, vollkommen ergeben.

Es reiten in Oberösterreich die adeligen Herrn, es ist ein großes Raunen auf den Schlössern, in den tiefen Wald- und Bergeinsamkeiten, es huscht über das flache Land. Im Bauernstande regt sichs, – ungewohntes Leben. Das ist der Geist der Starhemberge und Khevenhüller. Und während ein siegestrunkener Kurfürst sich krönen läßt als Karl der Siebente, die Hand ausstreckt nach ganz Österreich, den deutschen Erblanden, da haben die Österreicher, in einer verstohlenen Flinkheit, die ihnen nur in ganz großen Augenblicken eigen war, Linz und Passau wiedergenommen, nicht ohne Blut. Ihre Freischaren wüten racheerfüllt im Bayrischen. Denn das muß wahr sein: Wenn der Oberösterreicher einmal aufwacht, die Faust reckt, dann tut ers ganz – mein Seel und Gott. –

Dann kennt er kein Pardon, und wo er hinhaut, da wächst nichts mehr. Lang, oft ärgerlich ist seine Gutmütigkeit. Aber wenn's in ihm einmal zu glimmen beginnt im Sinn und Blick, dann kannst du des Brandes gewiß sein. Jeder Krieg hat das gezeigt. Kein Zeitenwandel ändert eines Volkes Grundcharakter. Sie können gefährliche Burschen sein, die Mostschädel – und zäh – zäh. Weichen – das gibt es nicht.

In Wien versagten damals alternde Minister, eine junge Frau allein war des Dynastiegedankens Trägerin und hob ihn hoch. Sie wurde plötzlich der Provinzen Abgott. War's eine Volksahnung, daß Josef, der Sohn, den sie eben geboren hatte, die einzige deutsche Stütze, der einzige Vertreter des deutschen Gedankens in Österreich werden würde? Wer weiß es! Volkesstimme – Gottesstimme.

Der Graf Ludwig Khevenhüller, vor dessen streitbarem Bilde meine Jugend in Ehrfurcht steht, ging plötzlich los mit 16 000 Mann, die hatte er sich selber still geschart, ohne viel Worte. Er begann in Oberösterreich die Offensive mit 8000 regulären Infanteristen, 4000 Reitern, ebensoviel Grenzern nebst Freischärlern unter dem kühnen Menzel, von der Trenck und Bernclau. Das waren Leute! In drei kleinen Korps kamen sie stromaufwärts in meine engste Heimat, nahmen Steyer, die altgeschichtliche, schöne Stadt, Enns, schlossen Linz ein, wo der Graf Ségur die Franzosen befehligte. Am 23. Januar begann der Khevenhüller zu schießen, am 24. schon ergab sich der Graf Ségur. Im Lager von Linz las Khevenhüller, unter seinen Truppen stehend, Maria Theresias Brief, der wie ein Aufschrei jubelnd durch das deutsche Österreich ging: Du Retter des Vaterlandes! –

Ganz Oberösterreich räumte er in acht Tagen von dem Feinde. Ein Törring, bayerischer Feldmarschall, ist bei Passau gestellt, bei Landshut und Schärding in wilde Flucht geschlagen worden, er war einer der bayerischen Kriegshetzer gegen Österreich. Das ganze Land zwischen Inn, Isar, Donau besetzten nun die Truppen Khevenhüllers. Er selbst hat die Grausamkeiten Menzels und der Liccaner Truppen nie gewollt.

Seine Prachtgestalt geht durch die ganze Geschichte jener traurigen Kriege Deutscher gegen Deutsche. Als Österreich auch wieder Herr in Böhmen war, kam eine ungemütliche Stimmung über diese Vielen aus dem Hochadel, die dem Feinde gehuldigt, denn Maria Theresia vergaß keine Schuld. Ihre Untersuchungskommissionen erschienen überall, wo Abfall gewesen. In drei Kategorien wurde der Adel gesichtet und vorgeladen. Da waren die Leichtsinnigen, die Neuerungssüchtigen und die gar Abholden, die sogar gegen Österreich gedient.

Es zitterten die Wrbnas, Khuenburg, Merzin, Clary, Pötting, der Bischof Graf Manderscheid. Der wanderte aus. –

Als Opfer passiven Gehorsams, um sich zu retten, haben sich mit diplomatischem Talent die edlen Herren Stephan Kinsky, Rudolf Chotek, Philipp Gallas, Kolowrat und reichlich andere hinzustellen wohl verstanden. Nicht, daß ihnen die kluge Fürstin glaubte – aber sie ließ sie laufen. Bürgerlichem Manne wäre es anders ergangen. Strafen erhielten die Mannsfeld, Bubna, Michna, Ferdinand Kolowrat, Deym, Paradies, Karl David. Hingerichtet wurde niemand, die Sache ging rasch und sehr still. Den Treugebliebenen aber leuchtete eine Dankbarkeit, wie sie sonst nicht habsburgische Art war, und die Sterne Auersperg, Lichtenstein, Dietrichstein, Lobkowitz, Schwarzenberg, Colloredo, Kaunitz, Harrach, Salm, Schlick, Trautmannsdorf, Czernin bekamen besonderen Schimmer. Wäre dieser Adel national seinem Volkstum so treu gewesen, wie er kaiserlich war, dann stünde heute Österreich obenan in Europa.

Oberösterreich aber verblieb damals ungeteilt dem Reiche. Es hatte eine Feuer- und Eisenprobe abgelegt.

Es ist nur ein kurzes Blatt der Geschichte meines Vaterlandes, das ich aufschlagen darf. Die Kinderhand hat es mit Beben gestreift. Mir war die Heimat wie ein lebendes Wesen, und der Wunsch, sie groß zu wissen in der Geschichte, eine Sehnsucht wie eigenste Daseinserfüllung. Ich suchte und suchte nach ihren Ehrenblättern mein ganzes Leben. Denn, was sie an Gegenwart gab, war Dämmerzustand, lautloses Abwärtsgleiten. Da wollt ich, daß die Größe einer starken Vergangenheit erweckend an ihr Ohr dröhne. Schon in der Kindheit war mir das ein Sehnsuchtstraum der deutschösterreichischen Seele, die ich in mir fühlte.



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