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Das Wien der Jahrhundertwende

Ich sehe es vor mir in schneeigen Dezembertagen 1897, festlich und laut, undeutsch durch und durch. Ich war auf einige Wochen zu treuen Freunden, dem Feldzeugmeister Baron Kober und seiner reizenden Frau gekommen und verlebte äußerlich glänzende Tage. Die große Welt, die politischen und lebenslustigen, die künstlerischen Salons taten sich auf vor mir, die ich schon als Schriftstellerin sehr bekannt war.

Die Badenistürme hatten in Wien scheinbar keine Spuren hinterlassen; wieder ging äußerlich alles glatt. Die Minister wechselten wie die Burgtheaterdirektoren, die Lebenslust schäumte. Der ganze Adel war in der Stadt. Nachmittags bei Demmel, dem glänzend arbeitenden Konditor, sah man das elegante, das reiche, vor allem das verjudete Wien. Und wie war dieses ganze Wien in Judenhänden! Juden, Tschechen, Polen gaben eigentlich den Ton an.

Ich begriff ahnungsvoll andere Zeiten, die ich nicht gekannt, den Ekel, mit dem Menschen wie mein Vater sich längst abgewandt hatten von der einst unvergleichlichen Stadt. Ich fühlte in all diesem Daseinsbachanal den dumpfen Unterton, der aus Verwesungen emporstieg. Das goldene Wiener Herz war lange tot, falsch klang die Note des Humors; falsch alles für den ernsteren Beobachter. An die Stelle von Echtheit war Aufmachung getreten und Wien war nicht mehr Wien, nur als Kaiserstadt frisiert. Luegers Stadt mit dem äußeren Flimmer besaß keinen goldenen Kern mehr. Im Belvedere saß, abgeschlossen, wachsam und lauernd, Franz Ferdinand Este.

Es war das Jahr vor dem Tode der Kaiserin, die irgendwo auf Inseln träumte. Den Kaiser sah man sehr selten. Auf der alten Wieden rauschten noch ein paar große Gärten, Paläste voll Vornehmheit umspinnend. Im Belvedere und Schwarzenbergpark war kalte Pracht. Auf dem Graben, auf dem Ring, in der Kärntnerstraße rohes Lebensdrängen. Die feine, alte Wienernote fehlte. Es war Schuberts, Grillparzers, Lenaus, Beethovens, Mozarts und Bauernfelds Stadt nicht mehr. Und meine Illusionen starben leise. Ich saß herum in Exzellenzen-Salons, in alten dunkeln Herrschaftshäusern, als junges Mädchen, das nicht widerspricht, nur zuhört. Da redeten verknöcherte, steinharte Menschen wütende Worte der Unduldsamkeit. Glatte unergründliche Generalstäbler huschten salongewandt aus und ein. Ein Luxus, dessen Ursprung man nicht begriff, war überall – auch in Militärkreisen. Nachmittags, Abends kein Mensch zuhause. Ein Caféhausleben, auch für die Frauen.

Auto und Kino waren noch nicht die Herren, aber trotzdem unbeschreiblich der Lärm. Die starke Note der Unvornehmheit und Entfesseltheit herrschte schon überall.

Im Reichstage wurde man sehr traurig, oder unwürdig fidel. Fühlte in sich alle bösen Geister lebendig aufstehen. Sah man sich nach echten Talenten, starken Charakteren, großen Menschen um, dann kamen die nicht zu Wort, die saßen irgendwo brachgelegt und schwiegen.

Ich fand jemanden, der mich nach vielem Drängen meinerseits jenes andere Wien, das der Arbeit und der Schatten, sehen ließ. Das suchende, gedankenvolle Wandern durch Vorstädte, in verlorenen Viertel ist mir immer ein Lebensbedürfnis gewesen. Das Lauschen auf den wirklichen Pulsschlag des Lebens. Ich konnte in zwei große, sozialistische Versammlungen gehen. Da sah ich andere Menschen. Tausende von Menschen! Schwer war die Luft, medusenhaft das Volksantlitz, von erstickten Drohungen die Rede heiser. Männer, Frauen sah ich, und – Führer. Die Kommenden! Wir wußten das nur damals nicht. Ich begann dann, vor dem Glanz der ewigen Feste allmählich zu schaudern. Ich rettete mich in die Kunst; in Wiens, von seinen Einheimischen fast nie besuchte, unvergleichliche Museen.

Da stand eines Tages plötzlich der Mann neben mir, den ich in Kairo glaubte, Franz Krieg-Hochfelden, und sah mich freundlich an. Er, der rastlos jahrelang an der Zusammenstellung der Bildergalerie gearbeitet, die Frau von Benedek der Stadt Graz hinterlassen, und der selber ein Bildersammler war, er verstand von Kunst außerordentlich viel. Er führte mich durch die schönsten der Galerien, lehrte mich sehen. Es waren reiche Stunden. Das Grau des Lebens versank, es wurde licht.

Rasch gingen diese Wochen und an ihrem Ende hatte sich die Gegenwart für mich geändert, mit ihr die ganze Zukunft. Ich legte meine Hand in eine treue, feste Hand. Es kam rasch. Wie im Traume griff nach mir eine ehrliche Liebe, ein Führerwille und ein Schutz! »Du sollst nach Deutschland gehen, aber nicht allein. Sollst schaffen und reifen, aber auf edlen Pfaden zu edlen Zielen. Der Heimat dienend, die Menschheit veredelnd. Ihre Besten, nicht ihre Schlechtesten zeige ihr.«



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