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Der schwarze Adel in Oberösterreich

Während ich oben, im damals noch hochgelegenen Schloß, (die berüchtigten Bergstraßen, des oberösterreichischen Landes Eigenart, waren noch nicht kulturell berührt worden) dahindämmere, im pflanzenhaften Kindheitsdasein der ersten Lebenszeit, ahnungslos, daß an meiner Wiege die Sorge steht um meines Vaters Gesundheit, geht in weitem Umkreis das Leben meiner Heimat seine Wege. Sie ist tiefgrün, meine Heimat, die Ausläufer des Salzkammergutes, ragende Berge umstehen sie; die Steier, ein echter Gebirgsfluß, durchrauscht sie mit köstlicher Frische. Buchenwaldungen, nach denen das Heimweh mich all mein Tag nicht verließ, schmücken sie mehr als Nadelwald; der große Forstbesitz des Majorats wäre prächtig, wenn nicht die unberufene Hand einer unersättlichen Frau so arg in seinen Beständen gewütet hätte, daß die inspizierenden Kommissionen dem späteren Besitzer das Dasein sauer genug machten. Buchenwald, in dem die Maiglöckchen wie nirgends blühen, die rosa-violetten Cyklamen Lichtungen decken, jede Jahreszeit neue Wunder bringt, das Farnkraut hoch wächst im Humus wieder zerfallener Stämme! Leise schreitet das Wild durch Einsamkeiten. In Schleiern wallen die Zweige; die Luft ist Genesung und Leben. Das Bauerntum, schon verarmend, schon im Verblassen seiner Blüte, ist doch noch da. Ist doch noch die Seele des Landes, denn ein rechtes, lebensfähiges, geistig erwachtes Bürgertum gibt es nicht. Kleine Bürger, ja – verschlafen in verlorenem Städtchen, Krämer und Wirte, aber kein florierendes Handwerk, nur Kleingewerbe, wie das typische der Taschenveitel, Taschenmesser mit buntem Griff, das ganze armselige Ortschaften füllt. Noch liegen Bauernhöfe am Rande der Wälder, aber es mehren sich die kleinen Wohnstätten der Häusler und Taglöhner, der Verarmten. Seit 66 ein stetiges Zurückgehen.

Die Bauern sind mit der Grafenfamilie im Schloß durch die Jahrhunderte der Interessengemeinsamkeit fest verwachsen, wenn auch ohne Gefühlsmomente. Ins Jahr 1282 zurück, in Rudolf von Habsburgs Zeit reicht die Ansässigkeit der aus dem Rhonegebiet gekommenen Herren; Raubrittersage geht um die Trümmer der riesigen geschleiften Burg über dem Schlosse, unter der ein Gang mit verschüttetem Wasser sein soll. Aus den Steinmassen dieser, wie es scheint recht unchristlich behausten Burg wurden später Kirche und Schule des Patronats, viele ehrsame Häuser des Ortes errichtet. Ein Besitzer schenkte sie zu diesem Zweck. Von den Bauernhöfen, deren Innen- und Umwelt mir soviel gegeben, will ich später reden. Jetzt aber von diesem schwarzen Arbeitsadel, der in engverwandten und versippten Schmiedegeschlechtern, in weitläufigen Häusern an der Segensfülle unserer rauschenden Wasser saß. Es war das merkwürdigste Arbeiter- und zugleich Herrentum, das mir jemals begegnet ist, stilvoll in seiner Unbewußtheit, seinen menschlichen Schwächen, äußerlich unbeholfen, dabei stolz in tiefster Seele. Liberal in der Gesinnung, nicht selten in Zwist mit den Pfarrern, aber freigebig gegen die Kirche als solche. Nach ihren konservativen Sitten und Gewohnheiten hielten diese Geschlechter den Majoratsherrn im Schlosse und die Seinen hoch. Der gegenseitige Verkehr ging durch Jahrhunderte. Seine Formen waren von der adeligen Seite herzlich und zwanglos, aber die gewisse Schranke bestand. Das wurde als durchaus richtig empfunden. Die Sensengeschlechter machten keine Sprüche; sie übten in den einfachsten Formen eine Gastfreundschaft und Schenkfreudigkeit an Erzeugnissen ihres Bodens, die ihresgleichen überhaupt nicht hat. Wurden sie eingeladen, so saßen sie, in fürchterlicher Steifheit, im Saale des Schlosses herum, arm an Worten, aufmerksam auf alles. Selbsteinladend waren sie Hausherren von fürstlicher Würde und warmer Güte, sich und ihre Innenwelt, ihre Schätze an köstlichen Altersdingen langsam offenbarend. Ihre Bedeutung im Kulturleben ist generationenlang sehr groß gewesen, ihre alten Namen klangen rein deutsch. Ihre Familienfeste lieferten Legenden der Verschwendung, auch des Übermutes, ihre inneren Beziehungen untereinander gaben Gesprächsstoff genug. Die Inzucht unter ihnen produzierte Taubstumme, Schwachsinnige, abnorme Naturen. Diese wurden gehegt von den anderen. Der Blutadel hätte sich an solcher Zusammengehörigkeit ein Beispiel nehmen können. Die Sensenherren erzeugten in ihren schwarzen Essen am Wildwasser, an nie verlöschender Flammenglut, die blutrot die Nächte durchloderte, die besten Sensen der Welt; sie belieferten fernste Länder. Sie ließen die Kunden an sich herankommen. Die Russen besonders erschienen jedes Jahr, brachten den köstlichen Tee, Konfitüren, Tabak und Seide des Orients, kauften, kauften. Die Gulden tanzten. Man riß sich um die unvergleichliche Ware österreichischer Kunst. Die raschen Slavenblicke flackerten hin, an den breiten Männern im Steirerg'wand oder auch dem Lederschurz, den wochenlangs jedes Mitglied des Hauses trug, ganz selbstverständlich. Hin zu den Lohnarbeitern, die, ausgezeichnet gehalten, solidarisch mit der Familie waren, Streiks gab es hier nicht. An der Herren Tisch setzten sich bei Gelegenheiten Werkmeister, auch Arbeiter. Der Herr stand am Blasebalg so gut wie der Angestellte. Frauen- und Kinderfürsorge war da, freiwillig gegeben, aus breitem Gesichtspunkt. Das machte ihnen keiner nach. Die Slaven staunten. Und wieder gingen die züngelnden Schlänglein ihrer Blicke dann, im Wohnhause, bei Tische, hin über die Sensen-Frauen und -Mädchen, diese Mitarbeiterinnen in der Schürze, im Werktagskleid, die auftrugen und schwiegen. Oder in Feiertagspracht der alten, geschichtlichen Tracht. Sie waren hochgewachsene Frauen mit merkwürdig feinen Gesichtern und schlanken Gliedern, alle versippt – ein Blut. Viel Schönheit unter ihnen. Sie wirkten als echte deutsche Frauen. Damen wurden sie niemals, obwohl ein paar Jahre Institut ihnen zugebilligt waren. Eine Schüchternheit und platonische Lyrik der Seele mit manch geheimer Sehnsucht erhielt sie hörig ihren Männern. Tief und stumm waren diese Menschen alle, hilflos im Ausdruck, der Scholle verwurzelt, mit einer tragischen Leidenschaft. Sie konnten nicht fort aus rückständigem Lande – ging einmal Einer, er kam in die Enge wieder zurück. Kein reicher Russe hat je ein oberösterreichisches Sensenmädchen mitgenommen. Viel Liebesleben gab es hier, das oft auch sündig war. Diese Menschen, die auf wachstuchgedecktem Tisch ihre Mahlzeiten aßen, mit Eisenbestecken, wie die Arbeiter gekleidet gingen, die Art ihres unbeugsamen Hochmutes nur in starrstem Widerstand gegen Fremde und andere Elemente zeigten, kauften auch Bücher; lasen sie sie? Man erfuhr es nie. Sie waren musikalisch, sangen und spielten. Sie verstanden die derbe Lustigkeit des Volkes mitzumachen. Sie fühlten deutsch, machten keine Geschäfte mit Juden. Hatten Kirchenplätze, auf denen sie fast niemals saßen. In ihren Gärten wuchs, auch im rauhnassen Klima des Landls, das edelste Obst, der herrlichste Blumenflor; ihr Feldbestand, ihre Jagden waren die besten im Lande. Es lag darin: Sie blieben eben Leute des Volks, die alles selber mit angriffen. Das war ihr lebenserneuerndes Geheimnis, der Urborn ihrer Kraft. Und sie ließen über einander nichts und keinen kommen. Mochte auch manch tiefer Konflikt im Geheimen der Familie sich austoben unter leidenschaftlichen Naturen. Keine Frau ließ je etwas verlauten über Untreue des Gatten. Keine Tochter erzwang eine Ehe in anderen Stand. Kein Sohn wurde Berufsoffizier, Beamter, Gelehrter, Auslandsmensch. Den Kaufmannsstand haben sie sonderbar verachtet. Ich sah eine Frau aus diesem, die sich ein Sensenherr in zweiter Ehe genommen – ein unerhörter Fall – ihr Leben lang kämpfen um die Anerkennung ihrer Rechte, um ihre Stellung in der Sippe. Sie erhielt sie nicht.

Existenzen sind zerbrochen an der Starrheit dieser Naturen. Der Glanz der Sensengeschlechter ist heute dahin. Neue Errungenschaften und Industrien, neue Zeiten, denen sie sich nicht anpaßten, verstecktes Festhalten an Sitten, die sie ruinierten, haben sie niedergeworfen. Ihr Stern erlosch. In meine Kindheit hat er noch hell hineingeleuchtet, festliche Tage, Feierstunden habe ich in den schwarzen Häusern an den Wassern verbracht. Eine maßlose Verwöhnung galt uns sonst unverwöhnten Kindern da, überhäufte uns mit allem. Ich meine wohl, es hat für meinen Vater einst, als er die hellblaue Attila trug mit den goldenen Schnüren, in einem dieser Häuser ein Herz sehr heiß geschlagen, sehr kühn gehofft. Ihm wars vielleicht Spiel. Er sagte: »Aus einer Sensenschmiedin wird keine Gräfin«; das stille Mädchen aber heiratete nicht. Hieß meine Mutter dann willkommen. Brachte Rosen und Früchte. Sah nur mit an, was es selbst so gern erlebt hätte.

Das ist der schwarze Adel von Oberösterreich gewesen, bei dessen Hochzeiten und Kindtaufen es höher herging als bei Königen. Die wochenlang den Karren anfaßten und Sonntags vierspännig fuhren; deren Frauen an zweihundert Kleider hinterließen, aus schwerer Seide und Brokat. Sie haben die Sympathien des Volkes, der Arbeiterschaft nie verloren. Zugrunde sind sie gegangen an Bourgeoisie und Judenherrschaft in der Industrie. In den neunziger Jahren schon, als neue Weltfragen kamen, verflackerte langsam die Flamme ihres hochgemuten, in allen Irrtümern bedeutsamen Seins. Volksadel aus gesunder Tiefe geboren, lange Zeit immer wieder aus ihr zur Lebensfähigkeit erneut. Ich sage mir heute, in nachdenklichem Rückwärtsschauen: Sie sind adeliger gewesen als wir.



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