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Zwist in der Seele

In Österreich war der Kampf der politischen Bischöfe und ihrer Vertreter offen ausgebrochen; er füllte die Zeitungen aller Parteien. Es ging nicht nur um die Vorherrschaft in Staat und Schule; nicht nur um Besitzprivilegien der Orden, viel tiefer einschneidende Gärungen mischten sich in das religiöse Leben, die Hetze auf allen Seiten nahm kein Ende. In Untersteiermark nahmen diese Störungen sehr ernste Formen an. Da waren Pettau, Marburg, Cilli, die Hochburgen deutschen Denkens, kräftig besetzt mit wehrhaftem Mannestum aus allen Kreisen. Deutsche Studentenschaft stand gegen slowenische; das Slaventum rannte an gegen die deutsche Hochkultur des noch primitiven, aber sehr ergiebigen und schönen Landesteils, den, von Triest und Agram in Kroatien aus, Agenten einer unsichtbaren Internationale überschwemmten. Es kam fortgesetzt zu Unruhen, schwerem Blutvergießen; es kam zu Todesopfern, Zerstörung öffentlicher Gebäude, offenen Beleidigungen der Deutschen, die dem Land alle seine Kultur gebracht hatten. Denn das Slowakentum stand unglaublich tief. Wenn nicht verhetzt, war es ein indolentes, mechanisch frommes, scheues Volk mit kriechender Servilität und Gewalttätigkeit, wo es anging mit Hang zum Diebstahl und zur Faulheit. Die ganzen Bodenstrecken waren wie Gärten anzusehen, eine wilde Fruchtbarkeit ließ Mais, Polenta, Hopfen, Gemüse, Hanf, Obst massenhaft gedeihen, die Erzeugnisse hatten keinen Preis. Die riesigen goldgelben Kürbisse, die langen Schlangengurken verfaulten. Ungeerntet blieb manches trotz großer Armut. Die Tagelöhne waren fünf und zehn Kreuzer, eine Handvoll Mais und Salat. Damit gab sich dieses Volk lange zufrieden. In den immer gefährdeten Städten, die ich genannt, veranlaßte die stete Bedrohung des Deutschtums eine fieberhafte Tätigkeit desselben, in Vereinen, Schule und Kunstpflege, politischen Maßnahmen, Verbindungen mit dem deutschen Bruderland, was man in Wien als eine Art Hochverrat ansah. Die österreichische Regierung haßte die »verpreußte« Untersteiermark, rührte aber keine Hand, die Gründe zu beseitigen, die diesen deutschen Geistesanschluß unbedingt erforderten. Im Gegenteil! Nie habe ich preisgegebeneres Land und Volk gesehen. Die vornehmen Herren der Clique, die die Grazer Amtsstellen besetzt hielten, – Namen, die unweigerlich immer wiederkehrten, (einer ihrer Träger ist schließlich in einem Attentat dem Volkszorn erlegen) warfen die Beschwerden in den Papierkorb, die aus der südlichen Provinz von den Bezirkshauptmannschaften und Gemeinden eintrafen. Nie wurde gegen slowakische Kapläne eingeschritten, die auf der Kanzel zu Gewalttaten aufforderten, die zu den Wahlen bewaffnet im Leiterwagen fuhren, sich mit Gewalt eine Leibwache von gefährlichen Burschen schaffend, und die kaltblütig die Totschlägereien bei diesen Wahlen mit ansahen. Zwei Dinge lernte man in diesem Landteile: Der Deutsche in bedrängtem Land, gefährdet in seiner nationalen Existenz ist der größte, der stärkste Mensch aller Völker. Der entfesselte Slawe wird hyänenhaft in seiner Grausamkeit. Seine gefährliche moralische Minderwertigkeit tritt furchtbar hervor, wenn er Gewalt hat. In Laibach war ein streitbarer Bischof politisch tätig, und der Unruhen wurde kein Ende. In Cilli und Pettau verliefen die Wahlen blutig, sprengte man Versammlungen, bedrohte die besten Männer. Graz schwieg dazu; seine deutschen Bewohner knirschten. Die Universität horchte auf. Sie war, wie gesagt, sehr durchsetzt von italienischen Studenten, die aber harmlos auftraten, der Stadt eine fröhliche Note gaben, in den welschen Opern das Theater mit ihrem Jubel erzittern machten, im übrigen harmlos lebten. Der welsche Student der Jahrhundertwende war ein Mensch, dem noch romanische Lebensfreude und Poesie anhaftete. Anders verhielten sich die Polen, Tschechen, besonders die tückischen Slowaken. Sie waren durchaus verhaßt. Das steinerne Schweigen der politischen Behörden bei den schlimmen Zuständen war etwas Unerhörtes, viele verantwortlich werdende Unterbeamte fielen mitleidslos dem Regime zum Opfer. Unfähige Minister, schwache Statthalter, schufen feige Bezirksverwalter. Die Note, auf die alles gestimmt war, kam von Wien, wo die Aera Taaffe, berüchtigt und schulemachend einen ganzen Klüngel zersetzenden Ministeriums schuf, während im gelehrten Generalstab der Theoretiker, Graf Beck, sich sein neues Offizierkorps von rücksichtslosen Strebernaturen schulte. – Die ernsten Zustände in der Provinz wollten sich nicht bessern. Langsam, in großen Abständen scheinbaren Verstummens ist da etwas Furchtbares für Österreich herangereift. – Mein Vater schüttelte den Kopf, wie jeder ernstdenkende, wachsame Mann: »Der Kurs führt abwärts. Der Kaiser kennt seine Länder nicht.«

Wir Jungen, mit den heißen Pulsen, dem lauschenden Ohr für den Herzschlag der Zeit, wir wurden irre an dem, zu dem der Aufblick notwendig war. Viel Jugend ward in diesen Tagen der Kirche in Österreich wegen ihres politischen Treibens abtrünnig. Es lockten die ersten Lehren der Reformationszeit, der Reinigungsgedanke der Kirche, der nach seinem Aufblitzen so schnell in die Greuel des Mißbrauchs, der Gier übergegangen war. Man las Geschichte mit glühenden Wangen. Man revoltierte im Unterricht gegen die blinde Unterwerfung. Der tiefsinnige Zauber katholischer Religionsausübung, zu dem im späteren Leben das Herz, das ihn einmal besessen, immer wieder zurückkehrt, wirkte nicht mehr. Die Gestalten eines Melanchthon und Hutten, eines jungen Luthers, eines Götz und Sikkingen waren stärker als die Heiligen. Keine Politik für die Priester! – Eine reine, klare Christuslehre ohne Zwang, unweltlich – hieß es. – Vor allem gegen seine unbeugsamen Lehrer wandte man sich. Diskussion gab es nicht – jeder Kontakt zwischen Schüler und Lehrer schaltete aus. Die lange, schwere Kirchengeschichte und Liturgie im überlasteten Stundenplan ward zur Qual. In den Gottesdiensten, die man gezwungen besuchte, erstarb das Kindergebet auf den Lippen. Dazu die Fülle der Lektüre voll von fesselnden Widersprüchen. Die viele Religionsheuchelei, die man als Maske der guten Gesellschaft sah! Nein, in die ringende Seele war ein schmerzvoller Mißton gekommen. Leicht nahm sie es nicht mit der Religion. Sie konnte sie nicht abstreifen, nicht glaubenslos werden. Sie suchte, suchte traurig. Wie viele suchen so! Ich bin in die protestantischen Kirchen gegangen und habe diese Predigten gehört, die formenschön von den Lippen gelehrter Männer kamen. Sie gaben mir historisches Empfinden. Mehr nicht.

Ich bin in der Judensynagoge gewesen und habe die Männer des ganzen Volkes im Gebetmantel als Priester wirken sehen, die Weiber gedrückt, wie unrein, auf ihrer Galerie hocken. Ich sah die finstere Schließung jüdischer Ehen. Eine ungeheure Wesensfremdheit war um mich, das gefährliche Geschlecht eines Gottes der Rache, des Hasses. Ich dachte an Christus, der die Liebe gewesen, und zu dem die Stimme meines Herzens nicht mehr hinaufdrang. Ich war so traurig. Es gibt dafür keine Worte. In der Synagoge empfand ich alle Schauder des alten, des jüdischen Testamentes, des semitischen Kultus, der gar keine Religion ist, nur ein Droh- und Blutsbekenntnis gegen die anderen Stammesarten auf Erden; gesprochen und geschrieben, in Rätselworten einer Sprache, die nur die Rabbiner und Henker jenes Wanderstammes verstehen; und in bodenloser Selbstvernichtung von den Regierungen arischer Völker dem großen christlichen Glaubensbekenntnis im Staate an Rechten gleichgestellt!

Der Gedanke war unglaubhaft und war schrecklich in allen seinen Folgen, durch alle Epochen der Geschichte. Die Synagoge zog mich magisch an wie eine Richtstätte, ein Golgatha allen Christentums. Ich sah immer Jesus daknien inmitten seiner Mörder. –

Dann las ich einmal irgendwo: Qui mange du juif – en meurt. – Wer vom Juden ißt, stirbt daran.

Und wieder beichtete ich daheim in meiner Kirche, wo Weihrauch um das Madonnenbild schwebte, das Erlöserbild herniedersah als Bruder aller, ein Mensch unter Menschen. Aber ich beichtete nur Worte, nicht meine Seele. Ich fand die Worte nicht. Da zwang ich mich auf Grund der Inquisitions- und Reformationsgeschichte immer tiefer hinein in den Widerspruch gegen katholisches Sehen und Fühlen. Ich ging ins Gymnasium mit besonderer ministerieller Bewilligung und wußte, diese Jungen um mich her am Ende ihrer Studien sind fast alle abtrünnig. Viele sind abtrünnig. Ich bin nicht allein.

Aber protestantisch zu werden – das vermochte ich doch nicht. Lange hatte ich es in mir vor. Ich konnte es nicht.



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