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Familie

Da geschah es, daß der ältere Bruder meines Vaters starb, jener stille Sonderling, der sich nie über das Leben ausgesprochen, meine Mutter nie verfolgt hatte. Damit kam notgedrungen mit den Argen in Linz wieder ein Kontakt, der meinen Vater aufregte, aber beglückte. Trotz allem – er hatte Heimweh nach den Seinen. Mein Onkel hinterließ, zu dem atemlosen Staunen der Seinen, eine hübsche Summe Geld, regellos verstreut in Taschen, Mappen, Schiebladen. Die Hälfte davon erbte die Großmutter. Die andere verteilte sich auf die Geschwister, auch auf meinen Vater, der mit dieser Erbschaft den Grundstock zu einem kleinen Vermögen für uns jüngere Majoratskinder legen konnte, ein großes Glück. Geld macht menschenfreundlich. Es kam nun eine ganz kurze Spanne Zeit, in der die alte Frau in Linz sich mit uns aussöhnte – äußerlich, auf einen kleinen Teil ihrer Apanage verzichtete, dafür viele Rechte und Erleichterungen erhielt. Mein jüngster Onkel vermittelte. Er war kein geistvoller, aber ein sehr gewandter, eleganter und geschmeidiger Salonmann, der Typ des Hofbeamten, in Hochmut eingesponnen, mit einer viel älteren Gräfin vermählt. Man sprach da nur von Stammbäumen und Verwandtschaften. Dieser Onkel fand uns unangenehm g'scheit. Ich bin dann mit meinem Vater nach langen Jahren wieder an der Stätte meiner ersten Kindheit, Schloß Altenhof, gewesen, einem riesigen, stillosen alten Schloß auf windumpfiffener Hochebene des Mühlviertels in Oberösterreich, wo jeder Verkehr aufhörte, die Straßen unbeschreiblich waren und das Dasein um fünfzig Jahre zurück. Tief unter der Hochebene rauschte die Donau, nahe war die Bayerische Grenze. In Ranariedl stieg man aus dem Schiff, das von Linz nach Passau fuhr.

Diese Donaufahrt ist wunderschön, sie gibt den Rheinfahrten nichts nach, im Gegenteil. Keine Fabrik stört die Bilder. Alte Schlösser liegen in Wälderschweigen. Engelhardszell, die verkörperte Poesie; Fichtenstein, Maaßbach, Sprinzenstein. – – Das Leben geht in diesem Lande geruhsam. Es könnte reich an Handel und Industrie sein. Es rührt sich nicht. Altenhof hat große Dimensionen, war verwahrlost aus Mangel an Mitteln, nur halb möbliert. Im zweiten Stock thronte mit den Tanten die Großmutter. Alle Erinnerungen meiner frühen Kindheit griffen wieder nach mir. Sie musterte mich, das in Graz verwöhnte junge Mädchen mit dem Dichterrenommé. Sie musterte mich klagend. Ich hörte sie im Geiste wieder sagen: »mein armer Otto, mein ärmster Sohn.« Ich hatte schöne Zöpfe, die, wie sie sagte, bürgerlich frisiert waren. Ich hatte Schuhe, einfach unmöglich. – Mein Kleid –, so etwas trug man nicht! Aber das war ja begreiflich; ein schmetternder Seufzer, daß alle Respektlosigkeiten sofort in mir lebendig wurden. »Du armes Kind! So schlecht frisiert und so gottlos! Dichten ist auffallend. – Man tut nichts Auffallendes. Und unfromm bist du, du widersprichst, un-comme-il-faut bist du; du denkst – das tut man nicht! Ach es ist die Strafe, es ist ja zu begreiflich. Dein armer Vater.« – Und so fort.

Ich schlief in ihrem Salon und wachte des Nachts auf. Da stand sie im langen Schlepprock und weißer Nachtjacke, spukhaft über mich gebeugt, starrte in meine Züge, machte ein Kreuz, murmelte: »Hast du abends gebetet?« Ich schrie: »Zum Donnerwetter ja, Großmama!« und legte mich auf die andere Seite. Die Tanten benahmen sich ganz nett, zeigten mir in der Kapelle viele Knochen von alten Mönchen und wollten mir einen schenken; ich verzichtete aber. Sie klärten mich auf, daß sie alles, was sie von meinem Vater erhalten hatten, unweigerlich den Kapuzinern hinterlassen würden. Uns nichts. Und stellten fest, es sei schade um mich. Ich kam von diesem Besuch und den Verwandtenbesuchen in Linz mit dem Entschluß heim, eine Satire, ein schlimmes Lustspiel über Gesehenes zu schreiben. Das geschah auch. Das Lustspiel » Scheinehre« erschien. Man sagte mir, mein Onkel trüge es in der Westentasche herum, zeige es jedem und bemerke: »Schauns amal, das soll ich sein. So arg bin ich doch gar nicht!«

Meine Mutter lachte.

Ich aber fühlte mich in Bosheit und Rücksichtslosigkeit ermutigt. Mein keckes Wagen wuchs in dieser Zeit.



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