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Der österreichische Friedensoffizier

Nach dem Bismarckbesuche, der gewiß nicht solches beabsichtigt hatte, wurde es nicht mehr wirklich still in den Provinzen. Irgendein Akkord war aufgebraust, – so stark, daß die Adels- und Militärkreise (ich meine vor allem die hohen Pensionistenkreise) ihn nicht mehr leugneten. Untertöne rauschten, Stimmen meldeten sich. Es ging in allen Kreisen sehr hitzig zu. Der Adel war, wie heute noch, durchschnittlich großösterreichisch, er meinte fest, daß dieses Sprachenbabel Österreich-Ungarn gar nicht untergehen könne, immer so bleiben werde und müsse, wie es eben war. Die Utopien dieser großösterreichischen Strömung beherrschen auch jetzt, nach dem Kriege, noch immer eine Clique; die Unbelehrbarkeit hat nicht aufgehört. In Offizierskreisen, wo offiziell keine Politik gemacht werden durfte, war vielfach eine tiefgehende Unzufriedenheit, ein Haß auf das Beckische System, auf die undurchdringliche Hofatmosphäre der Paar, Lichtenstein, Montenuovo. Die Wehrmacht hatte über den Nationalitäten zu stehen. Und über der Wehrmacht stand in wachsender Selbstüberheblichkeit der neugebildete Generalstab, eine Schar von Strebern, die über Leichen gingen. Hinter der scheinbaren Kameradschaft schufen Eifersucht und Ehrgeiz sonderbare, ja erschreckende Verhältnisse.

Der alte Kaiser hat alles getan, um das Prestige dieses großen, unbeschäftigten Friedensheeres, das eine schwere materielle Belastung der Monarchie bedeutete, zu erhöhen. Das Zivil war den Offizieren nahezu untersagt; zu den Hoffestlichkeiten wurden sie zugezogen. Der Kaiser wußte, daß die Armee sein einziger wirklicher Halt sei. Und dennoch – während man die Gehälter der Staatsbeamten außerordentlich erhöhte, wie schlecht stand sich der österreichische Friedensoffizier!

An sich ist dieser Offizier – ich nehme die Kavallerie in den sogenannten eleganten Eliteregimentern ganz aus und halte mich an den Kern, den wertvollen Durchschnitt – sehr anspruchslos gewesen. Was österreichische Offiziere in elenden Garnisonen aushielten, davon wußte der gutgestellte deutsche Offizier nichts. Wie da Leben vergingen, in trostloser Einsamkeit, in primitivsten Verhältnissen! Darüber ist es besser zu schweigen. Der Kaiser fand: der Armeedienst sei einfach an sich schon eine Ehre, ihm schwebten die großen, gewalttätigen Herren seiner Jugend, in der Armee vor 1866 vor. Für ein Volksheer hatte der Kaiser kein Verständnis. Seine verschiedenen Elemente berücksichtigte er nicht. Ihm, der auf einen ganz bestimmten Ton unbedingt eingestellt war, sagte der bürgerliche Offizier wenig, der gemeine Soldat war ihm lieber. Die feinen Herren seiner schillernden Arcierenleibgarde taten um ihn den inneren Dienst, sie hatten bedeutende Privilegien. In den Provinzen aber fühlten die Offiziere kaum etwas von der zeitgemäß notwendigen Entwicklung einer Heeresmacht, die die alten Generäle um den Kaiser, vor allem der Graf Beck, im Schneckentempo betrieben. Im kleinen nörgelnd, präzis und peinlich, war dieser alte Elegant und selbstüberhebliche Mann, der Jugendgespiele des Monarchen, ohne jeden Zukunftsblick. Das eben empfand der Hof als nicht störend – als bequem. Denn, wie es auch kam – Österreich mußte ja immer da sein – würde da sein. So oder so – in irgendeiner Gestalt. In Berlin, in Italien, überall im Ausland spöttelte man über die Alte-Herrenwirtschaft in Wien. Das ungeheuer vermehrte Offizierskorps fühlte sich miserabel gehalten. Die Klagen nahmen böse Formen an. Als die Erhöhung der Staatsbeamtengehälter anfangs der neunziger Jahre durchgeführt wurde, war die Stimmung der Armen im Militärstaat eine sehr schlechte. Es sprach der Mittelstand, dem jetzt die meisten Offiziere entstammten. Beamte wurden in diesen Friedenszeiten reichlich, Offiziere sehr selten dekoriert. Die Avancements schleppten sich, es bestand keine direkte Fühlung mehr zwischen dem Heere und dem Kaiser, seit sein aristokratisches Element darin nicht mehr dominierte. Automatenhafte Antworten auf militärisch knapp und hart gestellte Fragen, das war der Verkehr des Kriegsherrn mit seiner Armee. Bei den Audienzen war alles vorgesehen; ganz kurz angesetzt. Nie kam der Kaiser zwanglos unter seine Offiziere, wie es in Deutschland Brauch war. Tief verletzend mußte es wirken, daß Infanterie- und andere Regimenter gesellschaftlich sehr gering eingeschätzt wurden, in den guten Häusern wenig, in den vornehmen gar nicht verkehrten und, während sie bei Hof Eintritt hatten, in den adeligen Kasinos geradezu vor den Kopf gestoßen wurden. Ich weiß von Komtessen, die Herren der Truppe einen Tanz verweigerten, von peinlichen Duellen und Auseinandersetzungen. Das sogenannte Bandl, Krätzl (österreichischer Ausdruck für Sippe) hielt impertinent zusammen. So war der Ausdruck »österreichischer Offizier« und »verbittert« vielfach gleichbedeutend, die materielle Lage elend. Helle Köpfe sahen sorgenvoll in die Zukunft. Die vielen Sprachen, die der Offizier zu lernen hatte, die verschiedene Behandlung der verschieden gearteten Nationalitäten machten die Arbeit des Offiziers zu einer sehr verantwortungsvollen; Dank erntete der Untergebene selten; Ernte hielten nur die Exzellenzen, deren große Kreise selbstbewußt, engherzig und schroff herumsaßen, nur sich selber hörend, sich selber wichtig. Es herrschte da gegen Untergebene der rücksichtsloseste Ton, auch sehr oft von Seiten der kommandierenden Damen. Im Khunischen Salon zum Beispiel, wo es einem als Offiziersfrau geschehen konnte, gemaßregelt zu werden. Auch Benedeks Witwe, die geborene Baronin Krieg-Hochfelden, Tochter des höchsten deutschen Regierungsbeamten in Lemberg im Jahre 1848, der für sein prachtvolles Verhalten in großer Gefahr die höchsten österreichischen Orden erhalten hatte, war eine Frau, die außerordentlich schroff sein konnte, aber geistvoll. Sie lebte in tiefer Bitterkeit in Graz pietätvoll dem Andenken ihres Gatten in einem sehr schönen Hause, daß sie mit Kunstschätzen füllte, und spielte eine große Rolle. Voll Kunstsinn und heimlicher Menschengüte, tat sie viel für Arme, schenkte der Stadt Graz eine prächtige Galerie; ihre Wohnung war ein Museum; das Theater, das sie täglich besuchte, dankte ihr sehr viel. Sie haßte den Adel, der Österreich und ihren Gatten im Jahre 1866 seinem Privathaß hingeopfert, sie verachtete die sogenannte Gesellschaft. Wartend auf einen Menschen, der das Buch über Benedek nach den vorhandenen Quellen mit ganzes Hingebung schriebe, lebte sie still – eine Persönlichkeit. Mein späterer Gatte, Dozent der Technik, Dr. Franz Freiherr von Krieg, war ihr Neffe und Erbe, ihr eng verbunden durch die glühende Liebe zu dem Feldherrn, geduldig ihre Sonderbarkeiten tragend. Und Benedek lag draußen auf dem Leonhardfriedhof, neben ihm der siegreiche, in Ungnade gefallene Admiral Tegetthoff, auf dessen Grab man täglich seine unglückliche Mütter weinen sehen konnte. Ein zweites entsetzliches Beispiel österreichischer Undankbarkeit und Selbstvernichtung. An jedem Allerseelentage habe ich – das weiß ich noch – ein paar blasse Monatsrosen auf diese beiden Gräber gelegt, wenn wir des kleinen, heimgegangenen Bruders Grab besuchten. Da lag Geschichte begraben, groß und schrecklich. Das wußten wir wohl: Benedek-Tegetthoff. War es ein Wunder, wenn der jugendliche Geist, feinfühlig für jede Ungerechtigkeit, sich abwandte von dynastischem Empfinden?

Denkende Kinder? War es ein Wunder, daß die innere Heimatlosigkeit und Vereinsamung den Mangel an Aufblick zeitigte! Daß man nur immerzu verlor – verlor, in der Familie – in der Kirche – in Thronesnähe; illusionslose Kinder – arme Kinder! War es ferner ein Wunder, daß der österreichische Durchschnittsoffizier den Kampf um sein Prestige aufgab, in mindere Kreise ging, minderwertig oder gar nicht heiratete. Die Damen vom Aerar lösten in der Société Grausen aus. Sie wieder haßten und verspotteten die führenden Kreise. Es gab eine erste, zweite, dritte Gesellschaft und »noch was«. Dieses Noch was war das Lustigste. Da kam manches vor.

Mit Ernst und Trauer muß ich ihrer aller gedenken, dieser ungezählten Träger des militärischen Ehrenkleides in meiner Heimat, der einfachen, unergiebig diensttuenden, in Provinznestern vergessenen Offiziere, die die Höhen nie erklommen, die Sonne nie gesehen, die hinvegetierenden Opfer einer langen, lastenden, ungesunden Friedenszeit mit inneren, unheimlichen Gärungen. Wahrlich, so schrecklich dann der Krieg gewesen, die nächste blühende Generation, sie, die fiel, hat sich reicher gefühlt wie die nach 1866, als unsere Armee diskreditiert war, – besiegt. Als kein freier Atemzug wehte. Draußen aber blühte das deutsche Reich in einer Pracht auf, ohne Beispiel, wenn auch später verhängnisvoll. Draußen stand eine sieghafte Armee in Waffen mit einem Weltprestige. Man zitterte vor ihr. Bitter für den Denkenden waren die letzten Jahrzehnte des scheidenden Jahrhunderts in Österreich. Bitter für seine braven, genügsamen, begabten Offiziere.

Ich möchte das Schwert vor euch senken, die Fahne wehen lassen zu einem letzten tiefen, feierlichen Gruße, Ihr Offiziere und Soldaten meines Vaterlandes, aus meiner Zeit. Ihr undankbar Behandelten, nicht Anerkannten. Nie ist die österreichische Armee in ihren ganzen Leistungsmöglichkeiten ausgenutzt, gefördert worden außer einem einzigen Male unter Benedek, dem Schöpfer des italienischen Heeres, das bei Custozza in seinem Geiste gesiegt hat.

Im übrigen zu oft der Spielball unfähiger oder pflichtenloser Prinzen und Aristokraten, als daß sie zu ihrer rechten Auswirkung gekommen wäre. Ein Prinz Eugen, Erzherzog Karl und Radetzky sind ihre klingenden Namen von früher. Benedek ihr letztes großes Wort, das nicht gesprochen werden durfte an rechter Stelle.

Ich grüße dich, deutscher Offizier und Soldat in Österreich, auf deinen harten, vielfach unverstandenen Wegen, in deiner Dürftigkeit und Verlassenheit, verantwortlich im Nationalitätengewimmel. Tapfer warst du –, treu –, bescheiden, voll Geduld. Eine ganze Generation deiner Besten ist hingemäht worden. Ich grüße in Ehrfurcht die Heldengräber in Tirol, gegen den Erbfeind gerichtet, im Herzen meines Landes. Und träume mir ein kommendes Soldatengeschlecht, deutsche Österreicher, unter deutschen Brüdern ein Wall – eine Macht, eine Zukunft.



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