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Erinnerungen an große Schauspieler

Ich war ganz jung, als meine ersten Stücke gegeben wurden, der »Hochmeister von Marienburg« und »Der Kronanwalt«. Das letztere hatte, nachdem das erste beachtet worden war, einen durchschlagenden Erfolg. Es war die Geschichte von Francis Bacon und Essex. Bauer und Willhain schufen in ihr Meisterleistungen. Hinter mir lag eine Schule des Meiningertheaters, das in Graz an sechzig Vorstellungen und mehr gegeben hat unter Hofrat Kronigk, den ich kennen lernte. Es war die Reinhardbühne von damals, auf äußere Sensation eingestellt mit einzelnen guten Leistungen. Mir war es das Lebendigwerden der Klassiker; ich verlor mich vollkommen in ihrer Wunderwelt. Das Tagesleben berührte mich nicht mehr. Es sang und klang, es sprach nur das Einst. Das war das eine Erlebnis, das zum eigenen Schaffen drängte. Das zweite wurde Josef Kainz und das dritte, kleinere, aber tief ins Gemüt gehende Girardi mit dem lachenden Mund und der weinenden Seele. Josef Kainz! Dem Boykott aller Bühnen verfallen, spielte er in Graz einen ganzen Winter. Ich habe ihn in allen seinen Rollen gesehen. – Er kam und entfesselte in der Provinz einen Aufschrei der Entrüstung. Ein heißer Atemzug neuer, vermenschlichter Kunst glühte von ihm herab in den Zuschauerraum, klassisch starre Gestalten wurden lebendige Menschen. Durfte das sein? Romeo und Julia, wie er darin spielte, wie er dieses Stück den Schauspielern suggerierte, war nicht mehr Shakespeare – war kein Komtessenstück mehr. Die Mütter flüchteten aus dem Theater. Die Künstlerin, die seine Julia mimte, war kompromittiert – es gab Einen, der dieses Wort prägte. Seine Don Karlos-, seine Grillparzer- und Calderon-Auffassung – unerhört! Die Logen, über Erlaubnis besetzt, vibrierten vor Entrüstung. Der gebildete Bürger saß entweder wie ein Fragezeichen da, oder er schämte sich schüchtern. Das hohe Militär knurrte das Schreckenswort: »Disziplinlosigkeit – Anarchie!« Die Intellektuellen warteten auf die Zeitung mit Dr. Rullmanns Urteil. Und diesen verhinderte ein Katarrh an prompter Kritik – man muß erst vorsichtig etwas umfragen.

Auf den Stehplätzen, auf dem »Juchhe« hoch oben aber, auf den billigen Sitzen, da drängte sich das kommende Geschlecht. Da saß und stand die Jugend mit fieberheißem Herzen und bleichen Wangen. Da erlebte sie sich. Eisdecken schütterten und barsten, Ketten schmetterten nieder – Lenzbäche tauften, herunterbrausend von Höhen, die glühenden Stirnen. In einer Loge des zweiten Ranges – viele Jahre ist sie die unsere gewesen – sie lag der Loge gegenüber, in der täglich die kunstsinnige Witwe Ludwig Benedeks zu sehen war – saß ich, ein ganz junges Mädchen, und empfand wie diese Jugend da oben und unten – empfand nicht wie meine Kreise in den Logen rundumher, nicht wie das ablehnende Parkett, die vorsichtigen Sperrsitze. Meine Handflächen glühen, ich balle die Faust, mein Herz schlägt hoch auf, krampft sich zusammen, meine Pulse fliegen; ich sage mir fest: Was da herunterdroht und flammt von der Bühne, hinter der dünnen Maske überlebter Klassik, das ist die Revolte der menschlichen Natur gegen die Kerker der Enge, der Ungerechtigkeit, der Gesellschaftslüge. Ich will das ganz anders laut, ganz anders kühn von den Lippen der Schauspieler klingen lassen! Meine Natur sucht den Kampf gegen das Bestehende, durch die Gewohnheit zum Recht gewordene. Ich will einen Kampf – ich werde ihn haben. –

Einmal sah ich Raskolnikow. – –

Ein finsteres Schuldbewußtsein ist seit jenem Abend drängend in mir als Kind meiner Kreise geblieben; ich wurde es nicht mehr los, es verfolgte mich. Ich war ein Kind jener behüteten Kreise, die das Leben nicht wissen wollen – ich wollte das aber nicht sein. Arbeit und Kampf ersehnend war schon meine früheste Jugend. Groß öffneten sich meine Augen den Wirklichkeiten. Als Persönlichkeit im Leben war Kainz eine jener vielen Enttäuschungen, die man an Künstlern und Dichtern erlebt. Er hatte Interesse für meine Arbeiten gezeigt, und mein Vater ging mit mir eines Tages zu ihm, auf Drängen von verschiedenen Seiten. Er wohnte in dem alten, gemütlichen »Hotel Erzherzog Johann« in der inneren Stadt, wo der vornehmste alte Herrentisch thronte, konservative, militärisch-aristokratische Luft wehte – auf der rechten Seite. Links in den Lokalen ging es dagegen viel radikaler zu, da kamen Schauspieler, Bürger, kleine Politiker, Journalisten zusammen. Die beiden Säle hießen die schöne und die nicht schöne Seite, der Ton ihrer Kellner war ganz verschieden. Ebenso gab es im Theater gerade und ungerade Abonnementstage, schöne und nicht schöne. Der schöne Tag erhielt durch den Besuch der société seine Prägung – gewisse Stücke – Zugeständnisse einer modern strebenden Direktion an die Zeit, wurden da gar nicht gegeben. Der erste Bonvivant, im Leben ein Muster von Familienvater, war dazu auserlesen, zu bestimmen, ob die Komtessen in ein Stück gehen oder nicht gehen dürften. Ebenso bestimmte ein Hofrat mit schönen Händen und öliger Stimme die geistige Nahrung der haute volée. Ich aber bin in alle Stücke gegangen, alle Bücher las ich – das Leben ist kurz.

Josef Kainz also und seine erste Gattin, die »Amerikanerin« Sarah Hutzler, wohnten im alten Johann. Es war sehr unordentlich bei ihnen, und sie empfingen gänzlich formlos, gänzlich gleichgültig, wie Geschöpfe, die von Eindrücken überfüttert sind. Frau Sarah, mit hoher, fuchsroter Perücke (sie hat hübsche Kindergeschichten geschrieben und soll durch Selbstmord geendet haben) lag in einem hellblauen, nicht reinen Atlasgewand auf einem ungemachten Bett. Neben ihr standen viele Schnapsflaschen, und sie rauchte heftig. Ein Kreis von Journalisten saß um sie herum, hing an ihren gemalten Lippen, sie benahm sich sehr paschahaft und streifte mit einem rätselhaften Blick die korrekte Erscheinung meines Vaters. Die kleine Komtesse neben ihm war Luft für sie. Kainz saß vor einem Tisch, den Kopf, mit wildem, schwarzem Schopf, in den Händen vergraben, er stöhnte ab und zu. Jeden Augenblick kamen Leute, die Albums, Einschreibbücher, Briefe und Blumen brachten, mit denen sie ihn umlegten. Ab und zu stürzte eine vornehme Dame herein, die sein Bild zur Unterschrift brachte und etwas Überschwengliches ausstieß. Er blinzelte alle an aus tiefliegenden Augen in einem weichen, knabenhaften Schauspielergesicht, das von Stimmungen zerrissen war. Er musterte mich und sagte endlich langsam: »Das Stück Dingsda – ja es zeigt Talent. Aber mit dem Drama macht man nie was. Schreiben Sie übrigens über den Mirabeau, im Falle Sie wissen, wer das war.« Ich war fürchterlich beleidigt und gab mein Wissen sofort kund. Da lachte er kurz, aber sehr gutmütig und sah plötzlich hell auf: »komische Sachen gibts unter dekadenten Leuten.« Sein Blick ging von mir zu meinem Vater, der sehr unbehaglich dasaß. Dann wurde Kainz sachlich. Er redete prachtvoll und lange von Kunst. Ich empfand in seinem Gesicht etwas Tragisches, von unerfüllten Träumen; er wirkte auch als Mensch dramatisch und explosiv. Er sagte beim Abschied: »Na, nur so fort, kleine Dame. Ihnen kann's noch sehr schlecht gehen. Aber Sie bleiben ja doch nicht bei der Chose.« – Die Sarah auf dem Bette lachte laut auf. Da warf er ihr einen sehr finsteren Blick zu und begleitete uns mit großer Höflichkeit hinaus. – Kainz war sehr zerstreut. Er soll bei seiner Abreise sämtliche Photographien und Stammbücher, in die er sich eintragen sollte, einfach mitgenommen haben, und die literarischen Damen wehklagten laut. –

Ich aber habe sofort angefangen, über Mirabeau Quellen zu sammeln. –

Eine zweite Enttäuschung erlebte meine Seele, als ich Charlotte Wolter gegenüberstand, ihren Wiener Dialekt hörte, ihre frivol klingenden Reden nach einem Abend, an dem sie als Deborah aufs Tiefste erschütterte. Man hatte ihr meinen » Hochmeister« gegeben, sie wollte mich kennen lernen. Auch sie wohnte beim »Johann«; ich stand sprachlos da, als eine kleine, rundliche Frau mit roten Zitterlocken, im hell-lila Kleid hereinschoß und meinen Vater anrief: »Jessas, der Graf Salburg, den hab' ich doch 'kennt, wie er ein fescher Husar g'wesen ist, und ich noch gar nix war, bloß eine vom Chor oder so was.« Mein Vater war etwas verlegen – augenscheinlich glitt eine flotte Erinnerung durch seine Gedanken, aber er verlor die Fassung durchaus nicht. Es wurde sehr munter; ein zweites, noch stärker Naschmarktdeutsch sprechendes Wesen erschien, aufgefordert mich zu besichtigen. »Schau amal her, du, das is' die Komteß, von der 's Wiener Fremdenblatt g'schrieben hat, sie darf in ihre eigenen Stück nicht gehn, und sie weiß schon, daß es uneheliche Kinder gibt.« »Ja«, sagte ich stolz, »das weiß ich schon lang.« Die Wolter bog sich vor Lachen. Sie ließ uns nicht fort. Sie war furchtbar fidel, während mich eine heilige Entrüstung, eine bittere Enttäuschung erfüllte. Plötzlich erschien mit einem Fliederstrauß die alte Fürstin Teck, Mutter der jetzigen Königin von England, die mit ihrer Familie sehr viel in Graz lebte, begleitet von der theater- und kunstfreundlichen Gräfin Olga Meraviglia, die einen äußerst lebhaften Salon hielt. Beide Damen fielen der Tragödin um den Hals, es gab Abküsserei, Rührung, eine Fülle von Worten. Die Wolter machte sich sichtlich nichts daraus und wimmelte die Beiden schleunigst, wenn auch liebevoll wieder ab. Wir aber schienen sie unendlich zu amüsieren. Sie nahm mein Stück, das gedruckt vor ihr lag, blätterte darin, las; einen Augenblick war sie wieder Sappho und Deborah. Dann sah sie mich schelmisch an. »Warum tust das? Du wirst ja noch ganz hübsch, Mäderl, ganz apart wirst! Heirat lieber! Nimm an anderen, wannst kein Graferl nicht find'st. Die haben das nicht gern, wann man g'scheit ist.« Sie blinzelte auch meinen Vater an und machte zum Schluß die niederschmetternde Bemerkung: »Sagens' amal, mein bester Graf, sein Sie auch wirklich ganz sicher, daß das da Ihner Kind ist?« Ich habe sie nicht verstanden, ich sags ehrlich. Meine unpassenden Kenntnisse saßen doch noch sehr locker. Papa aber wurde gletscherhaft, zeremoniell bis ins Äußerste. Ich hörte sie noch ausrufen: »Jessas – Jessas, da bin ich in was hineintreten!« Dann waren wir draußen.

Dies ist in meinem Leben die Wolter gewesen. Sie lockte mich nicht mehr. – Weit harmonischer wirkte in ihrer gesunden Echtheit die vielbesprochene Freundin des Kaisers, Katharina Schratt. In späteren Jahren in Battaglia länger mit ihr zusammen, studierte ich die Einzelheiten ihrer drolligen, echt österreichischen Natur voll Mutterwitz. Sie war sehr weiblich, mit einem Stich ins Kindliche; wurde nie eine Dame, blieb aber unentwegt eine gute urösterreichische Frau, ein Typ der Heimat, die wohl viel Geld brauchte, aber keinen Schaden anrichtete und das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Sie war nicht geschaffen, sich vorzudrängen, das Volk zu reizen, Ärgernis zu geben. Der Kaiser liebte wohl in ihr einen gewissen durchschnittlichen Frauentypus seines Landes, ihr Witz unterhielt ihn; er, der immer erzählt haben wollte, lauschte den Hunderten von Anekdoten, die sie zusammentrug, lachte zu ihren kleinen Malicen. Die Kaiserin wie die Erzherzoginnen hatten eigentlich nichts gegen sie, und sie ist wohl die einzige Person geblieben, bei der der gänzlich unzugängliche, verschlossene Franz Joseph ein wenig Mensch wurde. Mischte sie sich in Politik und Hofsachen, fiel sie sofort in Ungnade. Aber geholt wurde sie immer wieder. Ich habe sie in dem Buche » Wenn Könige lieben« geschildert, wie ich sie sah. Sie hat bei einer Aufführung des Stückes »Maria Theresia« in der Burg die kaiserlichen Juwelen tragen dürfen. Unvergeßlich wirkte sie als Therese Krones. –

Alexander Girardi, der Mensch mit dem lachenden Mund, den traurigen Augen, war ein Grazer Handwerkersohn und der größte Komiker Österreichs, auch als Mensch eine überragende Persönlichkeit. Als Charakterdarsteller ernster Volksgestalten rührte er an das Tiefste der Seele. Maßlos verwöhnt, ein Freund der Prinzen, hatte er als Mensch durch seine Ehe mit der Schauspielerin Odilon ein furchtbares Schicksal, von dem er sich erst spät wieder aufraffen konnte, als eine wirkliche, reine Frauenliebe in sein Leben trat. Girardi war Wien – der letzte Vollklang dieses alten, echten Wiens, das immer mehr in Snobismus, Überfremdung und einer geradezu verheerenden Verjudung unterging. Aber er war auch das ganze Österreich mit allen seinen Seelenfarben, er kam aus dem Volke und hat seine Echtheit niemals verloren. –

Den tiefsten Eindruck von allen großen Schauspielern, die zu kennen mir in den acht Jahren meiner Bühnenschriftstellerei vergönnt war, machte mir Mitterwurzer. Das Charakterstück »Mirabeau« war geschrieben und ging, anläßlich eines Gastspiels, das er in Graz abhielt, an ihn. Nach acht Tagen ließ er mich zu sich bitten. Ich hatte ihn im »Hüttenbesitzer«, in »Serge Panin«, in allen möglichen, damals populären Dramen jeden Abend Triumphe feiern sehen, ging beklommen zu diesem blendenden Künstler, diesmal nur von der Promeneuse begleitet. Er wohnte auch wieder im »Johann« und empfing mich in einem öden, kleinen, halbdunklen Zimmer dritter Güte, sehr steif und wortarm. Er setzte sich auf eine Kiste, die da stand, hieß mich Platz nehmen und sah mich eine Weile an, unfreundlich, durchbohrend. In mir regte sich Trotz. Ich hielt den Blick aus und dachte dabei: Jetzt kommt sie – die Vernichtung!

Schließlich sagte er, mit diesem wundervollen Organ, bei dem die Herzen erschauerten. »Sagen Sie die Wahrheit, haben Sie das Stück wirklich geschrieben?« »Ja.« »Wer hat Ihnen geholfen?« »Keiner.« »Das Stück hat große Fehler, besonders im zweiten Akt. Der Erste ist der Beste. Der Letzte ist auch wirksam. Wie kommen Sie dazu, so ein Stück zu schreiben?« »Kainz hat gesagt, ich soll es tun.« »So haben Sie es für ihn geschrieben?« »Nein. Er kann einen Mirabeau nicht spielen.« Der Schatten eines grimmigen Lächelns huschte über Mitterwurzers ausgearbeitete Züge. »So? Das können Sie beurteilen?« »Das weiß ich. Ich fühle genau, wie Mirabeau sein muß, wer ihn darstellen kann.« »Wer?« »Sie.«

Ich war blutrot geworden und schrie es heraus, ein Zorn hatte mich gepackt. Das Antlitz mir gegenüber wurde milder – heiterer. »Sie glauben an sich, mein junges Fräulein,« sagte er langsam. »Pardon, Komtesse.« »Ach was! Edith Salburg. Das andere ist höchstens lästig.« Jetzt lachte er gerade heraus. Ein Schweigen entstand. Dann nahm er das Stück aus seiner Brusttasche, schlug es auf, ich sah Notizen, Randbemerkungen an verschiedenen Stellen.

»Im letzten Akt, der wie gesagt sonst wirksam ist, klingen ein paar Stellen possenhaft.« »Man war possenhaft in jener Zeit. Süßlich und grausam.« – »Ich sehe, Ihre Geschichte haben Sie gut gelernt.« »Ich lerne.« Ich sagte es leise, heiß, das weiß ich noch. Lebendig ist der ganze Auftritt vor mir. Der Mann, der im Leben etwas Finsteres, Tiefes hatte, nichts von dem Glanze seiner Abendstunden, hinter dem aber alle die anderen verblaßten, er stand auf, und plötzlich wieder steif, ganz formell. »Ich werde das Stück mitnehmen und es auf meiner Tournee spielen. Sie werden weiteres hören. Guten Tag.«

Ich bin damals in den grauen Nebeltag hineingegangen, wie, weiß ich nicht. Ich hörte nichts – sah nichts. Irgend ein Flügelrauschen war um mich, ich schritt wie getragen. Ich hatte die Größe gesehen und das Glück.

Ja, ich habe von ihm gehört! Bald hörte ich's: Mitterwurzer ist gestorben! In seiner Kraft gestorben, an dem elenden Zufall einer Medikamenten-Verwechselung in der Apotheke. Gestorben, in ein paar Stunden, knapp vor der Tournee. Ein Brief, der später kam mit dem Stücke, das zerblättert, zerlesen und schon in den Rollen besetzt war, bestätigte mir die feste Absicht, den Mirabeau zu spielen. Es hätte meinem Leben die große Wendung gegeben, die Freiheit, die Möglichkeit, in die Welt hinauszuziehen, an die Quellen der Kunst und des Lebens. Das Alles erlosch mit einem Schlage. Die Enge und leidvolle Hilflosigkeit blieb. –

Eines Mannes möchte ich gedenken, der einer der besten Köpfe im juridischen und künstlerischen Leben gewesen ist, der Burgtheaterdirektor Max Burckhard. Er hatte einen außergewöhnlichen Lebensgang durch seine Begabung. Kleinen Verhältnissen entstammend, bildete er sich neben den notwendigen Studien zu einem Brotberufe, selbst außerordentlich energisch. Ich war etwa vierzehn Jahre alt, als er als Adjunkt an das Bezirksgericht Grünburg bei Leonstein kam, ein formensicherer, ruhig selbstbewußter Mensch, der sich zuerst gesellschaftlich durchsetzte, obwohl er es als Bürgerlicher in der Gesellschaft nicht leicht hatte. Nur durch seine Persönlichkeit schuf er sich eine Basis. Er war rücksichtslos im Durchsetzen, witzig und geistreich, beobachtete außerordentlich scharf, erkannte sofort Schwächen und Vorzüge. Er hatte Sinn und Anerkennung für jede Größe. Ganz merkwürdig furchtlos, ich möchte auch sagen respektlos für einen österreichischen Beamten, geißelte er Mißstände schlagend. Das hat mich lebhaft angezogen, und ihn amüsierte zuerst das kleine Mädchen, das schon in den Zeitungen schrieb, politische Zeitgedichte machte. Er verspottete auch mich schonungslos und erzog mich dadurch. Stundenlang gingen die Reden hin und her, sekundiert durch meine Mutter: auf dem Whisttisch lagen die Karten, unbenutzt. Er brachte Bücher, von ihm erhielt ich die erste regelrechte politische Erziehung; er weitete den Blick, lehrte sehen. Das Herz spielte bei ihm eine geringe Rolle. Seine Beschäftigung machte er spielend und einwandfrei ab, die Vorgesetzten hatten in ihrem Schlendrian eine gewisse Angst vor dem kühnen Menschen. Er kam dann fort; nach wenigen Jahren, in denen wir in Kontakt geblieben, wurde er, ein vollkommen Außenstehender, Burgtheaterleiter in Wien, an dem Theater, das die vornehmste Tradition der Welt besaß! Er, ein Jurist, der wohl literarische Befähigungsnachweise in glänzenden, aber nicht in das Fach einschlägigen Büchern gebracht hatte. Er sagte selbst: »Ich bin der eiserne Besen, der da in der verrotteten Protektions- und Paschawirtschaft einmal auskehren muß!« Manche, aus der alten klassischen Gilde, hatten bei ihm keine guten Tage; man erzählte von argen Zusammenstößen mit der launenhaft selbstherrlichen Hohenfels und anderen. Er räumte auf, – säuberte, erzwang sich Disziplin. Er beseitigte die Schablone, und nicht zuletzt – er wandte der neuen Richtung in der Kunst seine Blicke zu, die am Horizont des Berliner literarischen Lebens empordämmerte. Das war ein Wagnis ohne Gleichen für die Burg. –

Burckhard war ein sehr großer Herr geworden, als ich ihn in Wien sah; aber die alte Herzlichkeit und Natürlichkeit brachte er alten Freunden entgegen. Er ermutigte mich, die eben die ersten Gedichte herausgegeben, das erste Drama hatte über die Bretter gehen sehen, und ermahnte mich kräftig zu Selbsterkenntnis, größtem künstlerischen Ernst, Stilpflege, Arbeit. »Vorderhand sind Sie literarisch nur ein begabter Fratz,« sagte er, »der zu viel anerkannt wird, das ist sehr falsch. Das junge Mädel macht ihrem Ideal Konkurrenz. Sie müssen hinaus, in den Ernst, nach Berlin sollen Sie.« Er sagte das auch meinem Vater, wie es diesem schon Verschiedene gesagt hatten.

Burckhards persönliches Leben war ein ziemlich wildes und ohne Glück, aber er vermißte das kaum. Er war auch politisch sehr begabt. In jenen Wienertagen lernte ich den Reichstagsabgeordneten Pernerstorfer persönlich kennen, der über meine Arbeiten Verschiedenes, sehr Ermutigendes in die großen Blätter schrieb. Er sagte mir offen, er tue das nicht nur vorhandener Begabung wegen, sondern weil er ein kampfmutiges, ausgesprochen soziales Empfinden in mir fühle, das meiner Zeit dienen könne, wenn ich opferwillig sei. Das gelobte ich in seine Hände. Er war einer unserer bedeutendsten Vorkämpfer für Deutschtum, Judenverneinung und Volksrecht. Ich habe viele Schriftsteller in Wien gesehen. Es war eine gewitterschwangere Übergangsepoche in der Literatur. Hermann Bahr, unerreicht im Schimpfen, ob es Berlin oder Wien galt, wirkte verheerend als Kritiker. Er war der Sohn des Rechtsanwaltes Bahr in Linz, der auch als Kurator des Salburgischen Majorates fungierte. Vater und Sohn glichen sich nicht. Bahr, der seine Anschauungen im Leben geändert hat, war ein starkes, rücksichtsloses Talent, nicht Jedem erfreulich. –

Nun muß ich eingestehen: die Ebner-Eschenbach galt mir nicht viel. Ihre gewollte Weltfremdheit, ihre Verneinung von Tatsachen, die einmal bestanden, ihre Hinneigung zum Tschechentum, ihre Enge des Sehens, das alles begriff ich nicht. Ihre gegebene Welt erschien mir winzig. Es war mir, als sei sie ihr Lebtag eine alte Dame gewesen, niemals jung. Die junge Delle Grazie, Ada Christen, Ada Negri, die herrlich war, solange sie unbestechlich blieb und nicht im Reichtum verödete, begeisterten mich. Die harte, realistische Grübelei und Zersetzungssucht einer Marriot war interessant, trotz allem; Berta Suttner habe ich vielfach erlebt. Sie war eine laute, dicke, sehr hübsche Frau, die immer Proselyten machen wollte und deren überquellende Wärme doch nur eine Geste blieb. Ihre Taktlosigkeiten gegen Offiziere, als Armeefeindin, brachten ihr schließlich eine Art Boykott ein. Das Friedensgefasel, dessen graue Theorie jeder denkende Mensch fühlte, wurde zur Posse. Die Friedensberta gefiel mir nicht. Einer der interessantesten Wiener Salons war der der Fürstin Hanna Lichtenstein, der geborenen Klinkosch, Gattin des vielgenannten klerikalen Fürsten Alois, des intimen Freundes Luegers, der der berühmteste politische Bürgermeister von Wien war.

Hanna Lichtenstein, eines großen Goldschmieds Tochter, gehörte der Glanzzeit schöner Frauen in Wien an, die Makart in vergänglicher Farbenpracht gemalt hat. Er wagte es, die vornehmsten Erscheinungen Wiens auf seinen, oft sehr kostümarmen Gemälden zu verewigen und zu – enthüllen. Er machte sogar vor der Kaiserin nicht Halt. An Hans Makart erinnere ich mich sehr gut. Denn er ist eines Sommermittags in Leonstein ganz gemütlich in unseren Park eingebrochen. Er stieg über den Zaun mit seiner jungen Frau, der Tänzerin Linda von der Hofoper. Und dann küßten sie sich im Park unter den blühenden Linden. Der Bediente kam grinsend zurück, uns das zu berichten; wir saßen eben bei Tisch, und er war ausgesandt worden nachzusehen, wer sich da keck hereinwagte. Wir haben die Beiden nicht gestört.

Die Fürstin Lichtenstein, des klerikalsten Politikers Gattin, eine Unebenbürtige, aber trotzdem sehr Gefeierte, sie hatte sich vollkommen durchgesetzt, entstammte also dieser Periode strahlender Makartgestalten. Sie war die schlankste Frau, die man überhaupt sehen konnte und dadurch, daß sie sich maßlos schnürte, immer krank. Aber trotzdem immer im Sattel. In den stimmungsvollen Sälen ihres Palastes, den edelste Kunst und Tradition schmückten, traf man den Hoch- und Hofadel, ferner mehr die politische als die literarische Welt, aber kein Militär. Es gab eine Zeit, wo der Fürst durch seine Betätigungen und Anschauungen von der Armee boykottiert wurde. Die Gattinnen der Generäle kamen in sein Haus, die Generäle selber nicht. Hier wehte scharf die Luft Luegers, des Rücksichtslosen, des in Manchem genialen Draufgängers, der sich um Wien große Verdienste erworben, aber in der Politik viel Unheil gestiftet, die Gegensätze verschärft hat. Man sah Priester, hohe Würdenträger. Ernste und geistvolle Gespräche zeigten das interessanteste Österreichertum. Hier habe ich den Prinzen Ludwig Windisch-Grätz, der heute aus patriotischen Ursachen zum Falschmünzer wurde, gesehen; später lernte ich ihn bei Auffenberg kennen, dem gemaßregelten Heerführer, der sich für einen Benedek hielt. Windisch-Grätz war ein vornehmer Herr, hochmütig unter Seinesgleichen, aber sehr entgegenkommend, wie auch Alois Lichtenstein in anderen Kreisen, um deren Gunst er zähe und absichtsvoll warb. Daß er nicht deutsch – kaum österreichisch, sondern nur ungarisch fühlte, ist sicher. Ebenso, daß ihn ein brennender Ehrgeiz verzehrte, aber nicht für das Vaterland. Damals war er Ichmensch im höchsten Grade. Der Fürst Alois war klein, unscheinbar, hatte schöne Hände, mit denen er kokettierte, war furchtbar höflich gegen jedermann und dabei doch ironisch. Ein großer Frauenfreund. Ich habe ihn in Graz, im Landtag, den ich jahrelang regelmäßig besuchte, um politisches Leben kennen zu lernen, täglich gesehen, sprechen hören aber sehr selten. Er saß meist ironisch da, beobachtete die Galerie, ob hübsche Frauen auf ihr waren, besah sich die Gegenparteien, die ihn haßten, wie etwas ihm ganz Fernes. Als Hausherr war er reizend, ebenso die Fürstin als Hausfrau. Die Politik aber, die er trieb, treiben ließ unter seinem Namen, ist die verhängnisvollste gewesen und arbeitete mit an der unaufhaltsam fortschreitenden Zersetzung Österreichs. Ich sehe Luegers sieghafte Gestalt durch diese Säle schreiten; der Mann imponierte sogar dem Kaiser. Und auch denen, die ihn haßten. Ich sehe die Fülle fremder Nationalitäten, das Erstarken und Herrwerden des polnischen Elementes; die große Badeni-Katastrophe, die ein Wendepunkt war, dämmert heran. Und ich brenne darauf, im Wiener politischen Leben zu bleiben, zu hören, – zu sehen, bis ich mitsprechen darf. Aber ich muß zurück über den Semmering, nach Graz, in die Stille, den scheinbaren Frieden.



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