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Wenn die Grafenleut den Bauern besuchen und der Bauer mit den Seinigen einmal ins G'schloß geht, dann sind die Zeremonien zahlreich, beinahe höfisch. Dann prangen die vom Hofe im höchsten Staate, die Tochter schleppt den großen Korb, schwer von Ehrengeschenken, die geziemend erwidert werden müssen. Streng ist die Trennung der Geschlechter; im Gespräch, das langsam zur Höhe gegenseitiger Verständnisse emporklimmt, finden sich Mann zu Mann, Frau zu den Frauen. Der wandernde Blick, dieser stille, unglaublich scharfe Bauernblick sieht alles, schätzt alles ab, macht sich über Frömmigkeit, Ehe, Familienleben sein Bild. Er bildet sich sein Urteil, das er nie mehr ändert. Schätzt Mensch und Habe ein. Geringe Kinderzahl, getrennte Zimmer der Eheleute sind ein schweres, unbegreifliches Vergehen, das beredet wird. Von Wohlstand und Geschäften aber schweigt man mit Vorsicht. Der Bauer erkennt die Berechtigung des Adels unbedingt an. Hat der ihn früher auch geknechtet und ausgeschunden; tritt er heute, im entscheidenden Kampf um bäuerliches Bestehen, um deutsches Volksrecht viel zu wenig für ihn ein: er ist doch selber der hochmütige Feind der Industrien. So gut, wie der deutsche Bauer; in Österreich geht sein deutscher Erbadel langsam zugrunde. Unerbittlich! Irgend etwas Tiefes, Zeitbeständiges, Geschichtliches verwurzelt Adel und Bauerntum in den deutschen Erblanden Österreichs ganz unzertrennlich miteinander. Was ließe sich herausholen aus solcher Verwurzelung! Ab und zu ahnt es einer. Aber es kommt einmal kein Aufraffen. Kein gesunder Kampf um die deutsche Existenz, gegen Krone und Regierungen. Es reden der Bauer und der adelige Mann miteinander große Wahrheiten, stundenlang, Erkenntnis wäre da. Nur reift aus ihr die befreiende Tat nicht. Ein starkes Bauerntum, fest geführt von seinem Adel, hätte, am Ende des vorigen Jahrhunderts, noch das deutsche Wunder in Österreich wirken können, deutschfühlendes Priestertum hätte das fromm hörige Land gewaltig beeinflußt. Aber sie durften nicht deutsch sein, die einflußreichen Priester. Ihr Gebot war, wohl dynastisch – bei einer gläubigen Dynastie, aber nicht vaterländisch zu wirken. Darin liegt die Wurzel der großen Auflösungen meines deutschen Volkes. Seine Hoffnungslosigkeit in Österreich.

Wie lebendig sind sie mir, diese Bauernbesuche, die langen, schweren Jausen, mit denen man die schweren Gäste zu ehren hatte. Die merkwürdig sorgsamen Manieren dieses Bauerntums, die schlichte Gleichstellung als Grundbesitzer, mit gemeinsamen Interessen. Es wäre unausdenkbar gewesen, Männer oder Frauen aus dem Bürgerstand, dem so engen, noch so kleinen Bürgerstand der Städtchen und Weiler, so bei sich zu sehen. Welten trennten die Bürgerschaft vom Schlosse. Der Bauer betrat es als selbstverständlich. Die Abneigung gegen diese dumpfe enge Welt eines geistig noch mehr als materiell darniederliegenden Bürgerstandes war dem adligen Herrn mit dem Bauer auch etwas Gemeinsames. Beide blickten sie geringschätzig herab auf diese Kreise, die in den größeren Städten als Vertreter eines viel mißbrauchten und irregeleiteten Liberalismus anfangen wollten, politisch zu leben, Bedeutung zu erringen, gehört zu werden. Das Österreich der Jahrhundertwende hatte noch keinen Sinn für ein starkes, selbständiges, aufgeklärtes Bürgertum, wie es in Deutschland bedeutsam erwacht war. Den Kleinbürger umgab vielfach etwas Lächerliches. Der Bauer aber stand da in seiner alten, schweren, schollenfesten Würde und Unbeweglichkeit, des Landes lebendiges Wahrzeichen wie der adelige Herr. – Daß sie fallen mußten, diese Bauern, als Opfer der vielfach unerwünschten, oft wertlosen Industrien, des gierigen Judentums; daß sie, als dessen Hörige, den Boden bauen sollten, der ihr eigen gewesen, stückweis, den zerrissenen, befleckten Boden! Tragödie meiner Heimat; deutsches Volksschicksal! Wie unerbittlich traurig bist du!

Ging der Graf zu dem Bauern, so war der Empfang angemessen, die Auftischung riesig, die Ehrung einwandfrei. Traut weht es herüber von den alten Höfen und ihrem Innenleben, spinnt die Seele in Heimweh ein. Da waren die großen Bauernhochzeiten, bei denen die Braut sich unaufhörlich umzog, eine Last schwerer Röcke trug, ihren Reichtum zu zeigen; bei denen die Tafelei kein Ende nahm, über ein Dutzend von Gängen den Tisch belud und die Mägen. Da klangen die neckischen, schelmischen, die patriotischen Heimatlieder, die Gstanzeln, da prunkten die Ehrentänze. Bei den Begräbnissen wurden die üppigen und wunderlichen Totenmahle gehalten, die später teils verboten wurden, teils von selber aufhörten, eine Sitte von derber seltsamer Herzlosigkeit und ungewolltem grimmigen Volkshumor. Die höchsten Feste waren die Primizen, die Priesterweihen. Der geistliche Herr stand als lebendige Mittelsperson zwischen Gott und seinem Volke sehr angesehn, beliebt, wenn er nicht zu scharf Politik trieb. Die Kämpfe um die Hierarchie waren in den deutschen intelligenteren Landesteilen, wo es wenig Analphabeten mehr gab, still aber sehr zäh. Wie die Schullehrer lebten die Pfarrer zumeist knapp und entbehrungsreich, abhängig von dem guten Willen der Gutsherren, der Gemeinde. Ihre Arbeit war hart, sie forderte in den Gebirgswintern eine eiserne Gesundheit, viel Geduld, Kenntnis der Volksseele. Die Vorgesetzten liebten auf dem Lande geistig rege, hochgebildete Priester durchaus nicht. Solche blieben unter der Aufsicht der Domkapitel in der Stadt oder wurden in den großen Weltdienst, den Rom leitet, eingestellt. Das Land aber behielt seine Bauernsöhne, mit dem fest abgeschlossenen Rahmen ihrer inneren Welt, zumeist gut und ehrenfest, kindlich fromm, sehr einfach. Politische Treibereien entsprangen in der Regel einem bitter empfundenen Zwang.

Vor mir steht in schlichter Größe die seltene Priestergestalt des Mannes, der mich getauft hat, Norbert Purschka, des Dechants von Waldneukirchen; als Dichter seines Volkes und Stelzhamers Kollege weit bekannt – und geehrt. Dieser unscheinbare kleine Mann mit dem unvergeßlichen Gesicht voll Schalkheit, Güte, Geist und Wehmut besaß Gaben, über ein eigensinniges, in sich verbohrt dahin lebendes rückständiges Landvolk zu herrschen. Er zwang es mit eiserner Geduld und lachendem Munde zum Vorwärtsschreiten, er wurde zu seinem Heiland in schweren Zeiten. Es kamen da so viele große Sterben, durch Unvernunft, Aberglauben, Rückständigkeit, furchtbare Blatternepidemien, weil gegen das Impfen eine unerschütterliche Resistenz herrschte, daß oft ein Grauen über die Lande ging, die Dörfer sich angstvoll voneinander abschlossen.

Wie Norbert Purschka in seiner Jugend noch gegen den Hexenglauben gesprochen und gearbeitet hat, der, unheimlich tief, von manchen Kreisen noch tatsächlich begünstigt, im Volke lauerte – stand er auf für moderne Errungenschaften, Befehle der Medizin, der Aufklärung, gegen überkommene, schauerliche Unsinne und Bräuche. Er ging furchtlos in die verseuchten Häuser, wo ihm finstere Gesichter grimmig entgegentrotzten; er riß die Fenster auf, verjagte die alten Weiber mit ihren Geheimmitteln und Besprechungen, er kontrollierte den Wöchnerinnenschutz, die Kinderfürsorge an Leib und Seele, die furchtbaren Zustände des Alterschutzes, das noch ganz verwahrloste Irrenwesen auf dem Lande, im Herzen der Provinzen. Er bekämpfte auf der Kanzel in furchtlosen Worten die lächerliche Volksangst vor der Spitalbehandlung, die ansteckende Kranke im Heu verstecken machte, Epidemien verheimlichte. Er war der Mittler zwischen Volk und verhaßter, sehr oft ganz verständnisloser Behörde, die willkürlich wirtschaftete. Das Irrenwesen war derart vernachlässigt und im Argen, daß Schwachsinnige (es gab deren viele), vollständig Gestörte frei herumliefen und als »halt a wengerl damisch« im Hause behalten wurden, nicht selten als die Wärter kleiner Kinder, hilfloser Greise. Untaten kamen vor, entsetzliche Unglücke. Der scharfe Dechant kämpfte, ununterstützt, einen harten Kampf um die Seele seines Volkes und gewann ihn auf allen Linien. In Wort und Tat, in Lied und Gedicht. Er fand das endliche Verständnis der Mütter, die Bauern begannen ihm zu glauben, in seinen lebendigen Predigten, da schlief man nicht. Sein Priesterweg war hart, ihn hemmten vielfach die eigenen Vorgesetzten, die, im Sinne damaliger Zeitkämpfe um die unbedingte Macht, Volksaufklärung zu gesunder Vernunft nicht wünschten. – Das Los der Priester damals war nicht leicht. In drei Büchern, die nach Dokumenten aus geistlicher Hand entstanden, habe ich das Schicksal dreier solcher geistiger Führer unseres Volkes niedergelegt, wie ich es gesehen. Schwerwiegend von den dreien war das »Priesterstrafhaus«, eine Stätte geistlicher Züchtigung schildernd, die tatsächlich in der Nähe von Linz bestand und furchtbares menschliches Leid gesehen hat. Dies schrieb ich hin, nach den eigenen Aufzeichnungen eines seiner Büßer, der später im Irrenhause starb, ein armer junger Kaplan mit besonderem Erleben. Vielleicht ein Sünder – gewiß ein Dulder. Hart lag die gebietende Hand auf der geistlichen Jugend, die aus den Seminaren dem neuen, fordernden Leben entgegentrat, eingespannt in mittelalterlich unbeugsame Gesetze. Es ist nicht leicht, lebendiger Priester und Führer eines fordernden Volkes zu werden. Das Priesterstrafhaus hab' ich schreiben müssen; es quoll aus meiner Seele, zwingend und heiß für geistliche Not einzutreten. Denn, auf dem Lande aufgewachsen, wußte ich, was der Priester dort dem Volke bedeutet. – Das Buch hat viel Aufsehn, böses Blut, auch große Anerkennung der Intelligenzkreise, Beachtung ruhig denkender, geistig hochstehender Männer selbst des Priesterstandes gebracht. In »Golgatha«, dem Werke, das ich so ganz in der Heimat, an ihrem schlagenden Herzen, inmitten ihres Volkes geschrieben, steht das erlebte Schicksal eines jungen Kaplans. Auf »Judas im Herrn«, den katholischen Fürstbischof aus jüdischem Blute, muß ich später ausführlich zurückkommen. Seine Gestalt bildet einen Abschnitt seelischen Erkennens, Erwachens zum völkischen Bekenntnis. – So gab ich mir, ganz jung, ein Kind mit sehenden Augen, schon Rechenschaft über meine Umwelt und sah mir die Menschen an, nicht als das, was sie hießen, vorstellten, redeten, sondern als das, was sie waren. Ich empfand ganz früh, ganz unbelehrt, triebhaft, die wirkliche Natur des mir entgegentretenden Menschen; der Eindruck war unbestechlich und entschied. Dieses Menschenwissen aber ist ein Danaergeschenk. Es nahm harmlos selige Kindheit, genußfrohe Jugend. Ich mußte beobachten – mußte denken – denken. Es lag mein Ohr horchend am Pulsschlag der Zeit, wo all die Anderen gedankenlos um mich spielten, Kinder des Augenblicks. Ganz früh habe ich die Menschheitsschauer gekannt der heißen Entrüstungen, des Aufknirschens, des heiligen Zornes, der in jedem Menschen einmal sein soll, rasendes Mitleid, Verachtung, die sich schüttelte vor Ekel, große Traurigkeiten. All das ging schon mit mir die Kinderpfade. Ungerechtigkeit, Enge wurden zur Folterqual, kleines, furchtsames Denken hat mich abgestoßen. Wann ich zu schreiben anfing, weiß ich kaum. Ich glaube mich zu erinnern, mit sieben Jahren und gleich mit ganz schwerem Kaliber, ein Trauerspiel: »Der Herzog von Enghien«.

Wie sollte man wohl ein solches Kind lieben, das innerlich keines, das schon menschliche Zerrissenheit war? Ein Beobachter – schon erwacht zum Unzulänglichkeitsempfinden, von einer geistreichen, unruhigen, zur Erziehung ungeeigneten Mutter hin- und hergerissen? Welch' besonders weicher und reicher Mutterhand hätte eine solche Natur bedurft, ein Geschöpf, einerseits einer großen, aristokratischen Dekadenz, andererseits überschäumendem, wild gesundem roten Blute entsprungen. Aber meine Mutter revoltierte selbst und haderte unversöhnlich, unausgleichbar ihr ganzes Dasein lang mit Welt und Leben. Ihr Wesen war Glanz, Irrlichterlocken, dann wieder reizvolle geistige Lebendigkeit, ein Sprühen und Versprühen. Was unter solchem Geflacker echt und tief sein sollte – hatte sie nicht, ich glaube, sie war sich selber nichts. Aber sie hat, meine Sonderheit und Begabung früh erkennend, mich mächtig, mich unerbittlich aufgepeitscht, Bundgenoß, Vertreter ihrer Gedanken zu werden, erfüllt von ihrem Geist. Doch sie besaß nur die Entrüstungen. Was unter ihnen liegen muß als ihre Berechtigung, woran ich verzehrend litt, die Sehnsucht nach Versöhnung und Befreiung, den Weg empor – das hat sie nicht gekannt. Frappiert durch meine Eigenart, warf sie in meine Kindheit sofort das Leben – unbedenklich, was sie damit tat. Ich glaube, ich war acht Jahre alt, als sie den ersten Roman in meine Hände legte. Meine Lektüre wurde nicht bewacht. Die verschiedensten Bücher waren mir erreichbar. Ich lernte das vorschnelle, mitleidlose Urteil, den Hohn und Haß, das Abtun mit ein paar Worten – ich lernte die Entheiligung, die Respektlosigkeit der Seele. Großes Mißtrauen wurde überhaupt uns allen eingeimpft. Die Welt war der Feind, – der Todfeind war die eigene Familie. Das wurde unser Evangelium.



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