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Jahrhundertdämmerung

Im Sommer 1897 war ich in Ungarn, in der Schomod und in Siebenbürgen, dem deutsche Stämme eine hohe Kultur gebracht haben; in Budapest und auf den Pußtaweiten. Mir ward, als hätte ich da einmal schon gelebt, in vergangener Zeit.

Es gibt kein Land, wo das historische Empfinden derart lebendig wird, wie in Ungarn. Ich war zu Gast bei der Familie des Grafen Somsich, unter dessen drei Töchtern sich eine interessante Eigenart befand. Eine junge, vornehme Magyarin von durchaus, von unaufhaltsam moderner, vorwärts strebender Seele und einer Schärfe des Denkens, die jedem begabten Manne Ehre gemacht hätte. Die vornehme Erziehung ist in Ungarn immer außerordentlich streng gewesen, insbesondere wurde jede Eitelkeit unterdrückt, die Lektüre scharf überwacht, das Verhältnis der Kinder zu den Eltern war ein formelles, ehrfürchtiges. Ungarische Frauen sind stark in der Seele, stolz bis aufs äußerste, vaterländisch gesinnt und bildungsfähig im weitesten Sinn. Zahlreich sind wohl unter ihnen auch die Verschwenderinnen, die üppigen, hochfahrenden, in vielem skrupellosen Charaktere. Aber es überwiegt die außerordentlich leistungsfähige, in schweren Zeiten großartige Magyarin, die für ihr Vaterland alles hingibt, und wenn sie königstreu ist, dies zeigt, wie ein Römer in antiken Zeiten. Die Ungarin bester Art ist die berufene Mutter von Söhnen. Sie weiß, wie keine zweite adelige Frau, mit dem Volke umzugehen, es zu beeinflussen, zu führen, zu zwingen, wenn es nötig wird. Sie ist der Ansporn des Mannes, der durchschnittlich ein großes Talent zur Politik und politische Reife besitzt, erworben in Jahrhunderten entsetzlicher Daseinskämpfe. Blutig und glorreich ist die Geschichte der Magyaren; mit berechtigtem Stolz tragen diese Menschen ihre schwer behauptete Nationalität durch die Zeiten. Das Haus Habsburg ist von den Magyaren wiederholt gerettet, erhalten, immer wieder hochgehoben worden. Da war eine Nibelungentreue in entscheidenden Stunden, die der deutschen, vorbildlichen nichts nachgibt. Es muß ein Hochgefühl sein, sich einen echten Ungarn nennen zu dürfen.

Oft verwöhnt, ungerecht bevorzugt, dann wieder verraten und verkauft, wo sie vertraute, hat die Dynastie die ungarische Nation. Das edle Blut, das 1848 geflossen ist, kann nie vergessen, nie verziehen werden. Wer in Ungarn lebt, seine Seele kennt, der weiß das. Denn dieses Land, jahrhundertelang allen übrigen Ländern ein Rätsel, ist nicht, was so viele im Ausland naiv denken, eine Mischung von Hunnen- und Israelitentum mit Zigeunerwesen, mit sinnloser Lebensgier und kindlich aufschluchzendem Augenblicksschmerz. Ist nicht nur ein wunderbares Bild, eine bloße Temperament- und Trachtenfülle, ein Lodern, Verlöschen ... Dieses Land verkörpert ein Urvolk adeliger Art mit einer noch unausgeschöpften Seele. Es hat mit echtem Germanentum viele tiefe Züge gemeinsam. Mir ist es erst später, als junge Frau, bei Studien auf den Schlössern, in Bibliotheken vergönnt gewesen, als ich für das Werk » Dynasten und Stände« vorarbeitete, den ganzen unermeßlichen Wert des Magyarentums, seine Bedeutung in der Weltgeschichte, seinen prachtvollen Opfermut zu erfassen. Ich habe große und andächtige Stunden in Ungarn verlebt, auf die ich im zweiten Buche zurückkomme, spannende Einzelheiten. Damals, als junges Mädchen von jungen Mädchen eingeladen, sah ich nur eine tiefe, stille Naturschönheit auf den Pußten, eine Eigenart, die sich erhielt im Volks- und Herrschaftsleben, eine jauchzende Lust, eine rasende Schwermut, einen Selbsterhaltungswillen als Volkstum, der mich erschütterte. Und eine Natur! Man konnte nicht schlafen in diesen Mondscheinnächten, wenn die Pußta unbegrenzt dalag in einem Geisterlicht, alles Ferne wurde, alles Sehnsucht, wenn irgendwo an einem Heidegrab ein Cymbal schluchzte oder in einer einsamen Schenke laut jauchzte. Man ging hinaus, der Weite entgegen, ziellos eingesponnen. Über den zitternden Birken der weiten Wälder lag das weiße, unirdische Licht. Zigeuner waren irgendwo, ein Tanz war am Erntefeuer. Hirten und Pferdescharen edelsten Blutes sah man, Menschen von einer Würde und Anmut des Wesens, daß man staunte. Lebendig war das Lied, des Volkes Seele jauchzend und traurig. Auf der weiten Pußta im unsäglichen Schweigen eine Fata Morgana. Das Fernenbild. Ich habe es einmal gesehn.

In Ungarn adeligen Blutes zu sein, das ist schön gewesen. Das wurde hoch geschätzt; aber vom Adel wurde adelige Art streng gefordert. –

Gabrielle Somsich, hübsch, trotzig und energisch, ist im Leben ihre eigenen Wege gegangen. Ich hätte sie mir als Gattin meines Bruders heiß gewünscht. Sie war eine kühne, rechtliche Seele, ein guter Kopf, wenn auch extrem. Ich denke wieder an Hamerlings Worte: »Und so lobet die Nüchternheit – ich lobe den Rausch mir! Ja, dich lob' ich, o Rausch, Begeisterung, Tochter des Himmels!« Dieser Lebensrausch war in ihr.

Wenn ihre hübschen Schwestern, die eine eine unglaublich verwegene Reiterin, die wilde Hengste zähmte, Balltoiletten aussuchten und von Grazer Ball-Triumphen im Kasino phantasierten, dann saß sie in ihrem hellen, taubenumflogenen Atelier, in das ein wilder Garten hereinduftete, und las oder diskutierte über Gott und die Welt. Heiß und jung mit hellem Geist. – Unheimlich klug und doch so begeisterungsfähig, gegen den eigenen Willen.

Sie liebte es, ein kühles Zweiflergesicht aufzusetzen.

Gabrielle Somsich ging nach München und malte dort. Durch ihr eigenes Wollen kam sie in damals noch schwer verpönte Kreise der neuesten Literatur und Kunst. Das war, als die Wedekind-Epoche mit vielen Skandalen und moralischen Entrüstungen, mit zahlreichen Irrwegen, aber einer absoluten inneren Berechtigung einsetzte. Sie, eine ungarische Komtesse, die an den Hof gehörte, wagte es kecklich, sich allein, unerfahren in diese noch sehr schwankende Welt zu begeben. Unberührt ist sie hindurchgegangen, sich nur das Wertvolle darin zu eigen machend. Eine vornehme, junge Erscheinung, mehr interessant als hübsch, verstand sie mit ihrer tiefen Stimme, dem geistreichen Spottlächeln blendend zu diskutieren; man rechnete in geistigen Kreisen bald mit ihr, ohne sich ihr gegenüber etwas herauszunehmen; sie verstand abzuwehren ohne Worte wie keine Zweite. Die Sauberkeit ihrer ganzen Wesenheit machte schließlich dem Frechsten Eindruck. München hatte damals eine große, aber wilde Zeit, auf die ich zurückkomme. Die geistige Revolution der Anschauungen war im vollen Gange. Als ich, verheiratet, später Gabrielle Somsich wiedersah, da war es freilich anders um sie als früher; das taubenumflatterte Atelier im feudalen Hause war ihre Umgebung nicht mehr. Sie hat sich, gewiß in vielen Kämpfen, – denn sie erlebte die bittere Enttäuschung, kein stark schaffensfähiges Talent zu sein, – sie hat sich zusammengerissen, reinen Tisch gemacht, ist eine ganze Persönlichkeit geworden, nachdem auch ihr Irrwege nicht erspart geblieben. Sie heiratete einen Mitarbeiter der Münchner Jugend, wurde eine geistige Kameradin ihres Gatten und blieb eine Gräfin im besten Sinne. –

Unter ihrem Einfluß wurde mein Entschluß, im kommenden Jahre die Heimat endgültig zu verlassen, immer fester. Die Provinz hatte mir nichts mehr zu geben. Ich brauchte die moderne Stadt, ihre harten Lehren; das volle Bekenntnis zu meiner Arbeit konnte mir nicht erspart bleiben, der große Ernst mußte kommen. Ich war gefestigt durch ein schweres, schweigendes Ertragen; war genügsam, fleißig, nicht abhängig von Äußerlichkeiten. Der Literat in Berlin, der mich unausgesetzt weiter trieb auf extreme Wege, war inzwischen, für eine Zeit, – bei seiner Gesinnung ein seltsamer Einfall, – Prinzenerzieher geworden. Sein Urteil über das Fürstenhaus, dessen Söhne er unterrichtete, mit dessen Prinzessinnen er schöngeistig reden sollte, war vernichtend. Wieweit er darin recht hatte, weiß ich nicht. Das Verpflichtungsgefühl ihm gegenüber, dessen Haß für meine Kaste ich deutlich empfand, begann mich schwer zu drücken. Mein Ideal war, diese Kaste zu retten, zu erheben, durch harte Wahrheiten in letzter Stunde. Er aber war der Unerbittliche, der sie zertreten haben wollte, ohne Mitleid, unter Folterqualen. Ich konnte da nicht mit, das wurde mir immer mehr bewußt. Ich wollte nach Berlin gehen zu einer Schriftstellerin, die ich kannte, und dort warten, bis meine Schwester kommen konnte. Zu zwei guten Zeitungen hatte ich Beziehungen, die Bühnen lockten mich; was wußte ich von Berliner Bühnenbetrieb, von Autorenschicksalen und – Leidenswegen. Meine kecke Sorglosigkeit trug mich wie auf Flügeln. Eines stand fest in mir: Ich wollte nun meine Wege allein suchen. Wie das aber dem Manne beibringen, dem ich verpflichtet war?

Wunderlich spielt das menschliche Leben. Wer nicht an Vorsehungen glaubt, der hat es nicht wirklich gelebt. Als ich, mit meinen achtzehn Jahren, noch kindlich anzusehn, nach dem erfolgreichen » Kronanwalt«, den der Charakterdarsteller Bauer spielte, von Beifall umjubelt auf der Bühne stand, da hat mich mein späterer Gatte, Benedeks Erbe, zum erstenmal gesehen. Er saß in der Loge seiner Tante, und Frau von Benedek sagte: »Aus diesem kleinen Mädel, wenn es in rechte Zucht kommt, kann etwas werden, das sich daran wagen könnte, dem Schicksal Benedeks die geschichtliche und menschliche Gerechtigkeit furchtlos widerfahren zu lassen, die ihm werden muß.« Ich lernte damals den Freiherrn von Krieg-Hochfelden, der an der Technik Dozent war, nicht kennen. Kränklich, unfrei in seinen Verhältnissen, abhängig von der alten Frau, die ihn nie entbehren wollte, ging er nicht in die Welt. Er schloß eine Konvenienzehe mit einer fast gleichalterigen Gattin, die ich lange kannte; einer klugen, fein veranlagten, von erblicher Krankheit schwer gezeichneten, armen Frau. Diese Ehe war still und kinderlos. Aus dem Leonhardfriedhof an einem Allerseelentage sprach Sophie Krieg, die mir immer wohl wollte, mich einmal an, unweit des Benedekschen Grabes; damals stellte sie mir ihren Gatten vor. Ich stutzte vor der innigen, gütevollen Wärme dieser Augen, die auf mir ruhten, dem besonderen Drucke der festen Hand. Oft kreuzte dann dieser unendlich geistige, in jeder Faser vornehme Mann meinen Weg, auf dem damals die Stürme der Seele, die Revolten brausten. Immer erwies er mir eine besondere, herzenswarme, auch sorgenvolle Beachtung. Denn ich war wild und einsam – hat er das empfunden? Manchmal, wenn ich meine Kämpfe nicht tragen zu können glaubte, begegnete ich ihm. Er hielt mich jedesmal an, hielt mich fest. Nach der Veröffentlichung der » Exklusiven« sagte er ernst: »Das war nicht recht. Das hätte man Sie nicht tun lassen dürfen.« Er sah mich traurig an, als ich auflachte. Und ich spürte in meinem, damals so verarmten Leben nach des Vaters Tod, den ganz leisen Hauch einer wirklichen, anteilsvollen, einer wachsamen Menschengüte, irgendwie.

Als ich einst nach der bittersten Abschiedsstunde meines Lebens nach Hause kam, an einem Maitag war's, und ganz zerbrochen mich an das stille Fenster setzte, von dem man über blühende Gärten nach Maria Grün hinübersah, da lag da ein Handschuh, den hatte ich vor ein paar Tagen bei einem Tee bei Baron Krieg liegen lassen. Neben ihm ein Strauß der schönsten, halberschlossenen Rosen und ein paar dieser schlichten, herzenswarmen Worte, wie von Gott gesendet. Sie kamen von Sophiens Mann. Inzwischen ging Leid um Leid durch sein Leben. Eine Nervenentzündung warf ihn nieder, er erblindete auf einem Auge. Es starben ihm in kurzen Abständen nach Benedek, den er angebetet, der das Ideal seines Lebens war, die Mutter, dann Benedeks Frau, und unter unsäglichen Qualen seine eigene Gattin. Ein gebrochener Mann, trotz seines nunmehrigen Reichtums freudlos geworden, mußte er fort, seine Nerven zu retten, nach dem Süden. Er wurde viel umworben, das ekelte ihn an. Vor seiner Abreise für lange Zeit erschien er plötzlich bei uns; ich war allein zu Hause. Wir hatten ein langes Gespräch, von Mensch zu Mensch. Mir war's, als höre ich wieder meines Vaters Stimme. Eine unsägliche Geborgenheit griff nach mir, eine Schutzengelhand. Sie pochte lind an die Härten, die sich in mir entwickelt. Sie tat wohl und weh. Ich vermochte den forschenden Frageblick zweier Augen zu ertragen, in denen kein Falsch, nur inniges Verstehen war. Er reiste ab. Dann und wann kam ein Gruß. Monate vergingen. Man sprach von Verlobung des Benedekschen Erben in Kairo. Ich schrieb, und meine ganze Existenz war Abschiednehmen. Von Heim und Haus, von behüteter Jugendzeit. Weite Wege bin ich damals wieder gewandert. Erinnerungen standen überall. Ich sagte mir fest, daß ich nun in das wirkliche Arbeitsleben eintreten wollte, als ein selbständiger Mensch, mich an keine andere Existenz binden, Enttäuschungen ruhig ertragen wollte. Vielleicht war es auch besser, wenn die geliebte Schwester nicht mitkam, denn ihr graute heimlich vor Norddeutschland. Eingesponnen in altes Österreichertum, in stille Frömmigkeit, konnte ihr kein lautes Tagestreiben auf die Dauer behagen. Sie durfte nicht geopfert werden. Sonst war niemand da, der mich halten konnte: ich fühlte nirgends mehr eine selbstlose Liebe, das einzige, was mich gehemmt hätte. Leonstein, die Heimat, wurde zur Fremde; was der Vater Schönes geschaffen, rissen gewalttätige junge Hände nieder. Wozu all diese Schmerzen erleiden? Besser gehen! Das hatte ich ja immer gewußt, daß diese Stunde kommen würde. –

So bereitete ich mich vor, in den ersten Frühlingstagen zu scheiden. Ich hatte noch viele und wertvolle Vorstudien für neue Bücher gemacht, vor allem für » Humanitas«, das eines meiner meistgelesenen, vielfach übersetzten Bücher wurde. Die Spitalzustände in Österreich waren fürchterlich, ich studierte sie an Ort und Stelle gründlich und holte mir dabei zwei schwere Krankheitsfälle. In Wien erschien, glänzend geleitet, die » Fackel«, ein scharfes Blatt, das den Korruptionen nachspürte. Es warf auf das Ärztewesen, das für Armut und Not in Betracht kam, grelle Schlaglichter. Schwer litt das unbemittelte Studententum, litten zahlreiche, begabte Mediziner, deren Fähigkeiten ausgebeutet wurden unter jüdischen Emporkömmlingen, die den Tag beherrschten, in der medizinischen Welt den Ton angaben. Das Material war umfangreich und gefährlich, war wertvoll. Mir half dabei unser Hausarzt Dr. Hans Löschnigg, ein einfacher Mann, der aber, erfüllt von literarischen Interessen, ein warmer Förderer meiner sozialen Bestrebungen in der Literatur, überhaupt ein selbstloser Freund und Förderer der Künste gewesen ist. Er hatte langjährige Beziehungen zu Königsbrun-Schaup, dem vielgeprüften Dichter, und wurde, nicht nur als Arzt, auch als Literaturkenner in Graz sehr geschätzt. Ihm danke ich eine gründliche Kenntnis damaliger Spitalverhältnisse, Einblicke in die Armenviertel, die Fürsorgezustände. Er rettete mich auch bei einem Diphtherieanfall, den ich mir im Annen-Kinderspital holte. Das Buch »Humanitas« hat später sehr viel Beachtung und in gewissen Ärztekreisen ernsthafte Unruhe erregt. Noch später aber wurde für seinen Hauptinhalt, eben durch die »Fackel« in Wien, der Wahrheitsbeweis erbracht.



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