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Der Martin

Martin, der zwei Jahre lang Diener im Schlosse war unter dem alten Silberbewahrer, der ihn abrichtete. Ein stiller, geschickter, flinker und fleißiger Mensch. Er schmiß, nach der Gepflogenheit der anderen Oberösterreicher, nicht die Wildbretplatte zur Erde oder in den Schoß der Gäste; er schlug die Türen nicht donnernd zu, noch ließ er sie offen stehn. Auch begriff er, daß Sauberkeit sein müsse; las und schrieb gut, – was damals unerhört war und – er machte Gedichte; die las er uns Kindern vor. Wir liebten ihn zärtlich, besonders mein Bruder hing an ihm. Er war so geschickt in Basteleien, in mechanischen Sachen. Er klatschte nie, was die geliebte Marie doch immerhin tat. Bei der hatte meist jener recht, der eben vorhanden war. Der Martin aber zeigte Takt und Treue. Trotz seiner überwiegenden Bildung haßte ihn die Dienerschaft durchaus nicht. Die böhmische Köchin liebte ihn sogar hoffnungslos, sie buk ihm die riesigsten Liwanzen, Buchteln und anderes Wohlschmeckende des Tschechenlandes. Er ging gern in die Kirche, der Martin. Saß schmuck neben dem alten, immer etwas schmierigen Kutscher auf dem Bock.

Das ging so lange Zeit. Er sollte Winters mit in die Stadt, und Papa dachte daran, ihn als feinen Diener ausbilden zu lassen. Aber eines Septembermorgens (im Oktober wollten wir zum ersten Male reisen) kam die Polizei ins Schloß, was damals ungeheuerlich war. Der zweite Diener hatte beim Biergodl, dem Dorfkrämer, vom Grafen zur Bezahlung einer Rechnung eine Fünfzig-Guldennote gegeben, die war falsch. Ja falsch! Guter Gott! Das ganze Haus lief zusammen, während die Gendarmen, in Vaters Zimmer, vor ihm den Martin streng verhörten. Volk umstand das Schloß; die immer klebrig schmierige Biergodelin genoß die Wichtigkeit, eine Stunde Hauptperson zu sein; die Köchin lag in Ohnmacht, der Kutscher – er mißtraute dem Diener, weil der sich täglich wusch und die Zähne putzte – brummte: »Der is nöd richti', i hab's immer g'sagt!«

Das lange Verhör ergab schließlich schlimme Dinge. Im Hintertrakt des Schlosses, der sehr groß und voll ungebrauchter Räume, Keller, riesiger Dachböden war, hatte sich der junge Mensch, in einer großen Wölbung, die längst nicht mehr betreten wurde, tatsächlich eine Art primitive Druckerei und Presse eingerichtet, mit der er unglaublich geschickt Noten nachmachte. Es gehörte dazu eine ganz rare Begabung. Ein Jahr lang glückte nichts – dann brachte er Scheine zustande, die er anstandslos ausgab. Er gestand das alles ruhig, nicht frech, mit einer sonderbaren Sachlichkeit. Der Begriff Geld war ihm, der krassester Not entstammte und selbstlose Lehrer gefunden, erst hier im Schlosse aufgegangen, und sogleich kam ihm der Gedanke: Das machen, kann ich auch. Er fand absolut kein Unrecht darin. Er wiederholte: »Es muß doch solche geben, die das Geld machen. Warum soll ich das nicht auch tun?« Das Verbrecherische einer solchen Tat blieb ihm unbegreiflich. Genommen hatte er nie etwas. Seine Ehrlichkeit stand sonst außer Frage.

Als sie ihn abtransportierten, war ein Weinen und Klagen unter den Kindern, die ihm nachstürzen wollten und ihn mit Entsetzen, zwischen den bewaffneten Soldaten, fortfahren sahen, in stummer Fassung.

Die Sache machte Aufsehen. Amtspersonen kamen, sich die Falschmünzerwerkstätte anzusehen, die unglaubliche Geduld und Kunstfertigkeit zu bestaunen, die hier brauchbare Werkzeuge geschaffen in mühsamer Arbeit.

Der Martin bekam eine lange Haftstrafe mit Verschärfungen. Die Jugendjahre würden in ihren Ketten hingehen.

Nach mehreren Jahren erhielt mein Vater ein Kästchen mit kunstvoller Schlosserarbeit zugesendet, das Werk des Sträflings. Dabei ein Brief: Ich hab es jetzt verstanden, was auf der Welt Recht und Unrecht heißt. Man darf Menschenleben zugrund' richten, aber nicht Papierzetteln bedrucken, als Guldenscheine. Wenn ich herauskomm', werd ich nur tun, was nicht gestraft wird.

Wir haben lange um den seltsamen Burschen getrauert. Er hatte so sorglose Augen, so geschickte Hände. Er war uns nur ein Kind erschienen unter uns Kindern.



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