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Das Joanneum

Einer der größten Bildungsstätten muß ich gedenken, aus deren Quellen die akademische Jugend in Graz, jeder denkende Mensch daselbst schöpfen konnte, was er brauchte. Das Joanneum – die Landesbibliothek.

In unserem Hause hatte sich viel geändert, auch zum Guten; aber die Sorge war immer da. Der jüngste Bruder wollte nicht gedeihen. Ihn liebte die Mutter abgöttisch und quälte ihn dennoch. Er sollte lernen, er mußte ins Gymnasium. Geistig verkürzt, kam er nicht mit und litt. Mein Vater kränkelte fortgesetzt, nach Jahren einer großen Besserung, die das Grazer Klima gebracht hatte. Bei einer Ausfahrt waren an unserem Break die Pferde durchgegangen, die er selber lenkte, und er stürzte entsetzlich. Siebzehn Wunden bedeckten seinen Leib. Wir glaubten, es sei das Ende; und nie werde ich die furchtbaren Augusttage vergessen, in denen ich an dem Bette des Märtyrers saß, zerbrochen von Sorge. Denn der Vater war alles, war die eine Liebe in meinem Leben. Er hatte mir die Schriftstellerei erlaubt, sie gefördert, trotz des Tobens der Familie. Mit ihm ging ich täglich stundenlang spazieren, Winter und Sommer; mit ihm zumeist in die Welt, denn die Mutter, noch jung und schön, freute sich der erwachsenen Tochter wenig. Wir waren nun große Kinder und lebten mit den Eltern. Unser Zusammensein zumeist in den vielen Abendstunden, im Familienkreis, bestand unweigerlich aus lauten, oft maßlos erregten Diskussionen, in denen wir Gott und die Welt verbesserten, einander wütend widersprachen, aber geistig viel erlebten. Des Vaters mildere Stimme verhallte zumeist. Dann hörte er staunend zu. Die Mutter tat mit, als sei sie jung, wie wir. Sie war die Extremste. Mir gefiel das. Geistig hat sie mir immer gefallen, bis sie mich in entscheidender Stunde mit den Geistern, die sie beschworen, im Stiche ließ. –

Von Papas schwerer Verwundung blieb etwas zurück, das nicht mehr heilte. Er fand die frühere Gesundheit nicht wieder. In jener Zeit sind unsere Pferde unaufhörlich durchgegangen bei den täglichen Ausfahrten, und schließlich stellte es sich heraus, daß man ihnen, um sie sinnlos gereizt zu machen, Zündschwamm in die Ohren gesteckt hatte. Unter der Dienerschaft war ein Sozialdemokrat versteckt, hieß es. Das Wort hatte damals dieselbe Bedeutung wie Raubmörder. Das Halten der Equipage war überhaupt unvernünftig; es entsprach bei vier Kindern nicht den Verhältnissen. Das gesamte große, durch meinen Vater nun wieder langsam aufblühende Majorat ging in die Hände des ältesten Sohnes; uns sogenannten jüngeren Kindern blieb nichts als das durch den Ruin der Großeltern sehr geringe Muttererbe. Es wurde die Lebensarbeit meines Vaters, uns Apanagen, der Mutter ein Witwengehalt zu sichern, – das glückte erst kurz vor seinem Tode. Wäre er bei jenem Unglück tot geblieben, so standen wir als Bettler auf der Straße. Noch immer bezog die Großmutter eine große Rente. So wurde erst ganz spät gestattet, daß auch für uns Leibrenten und das Witwengehalt meiner Mutter grundbuchlich gesichert werden durften. –

Mehrmals im Leben bin ich an Mangel und Not hart vorbeigegangen. Es ist das aber trotz allem nicht das Schlimmste gewesen.

Wir saßen nun an der Eltern Tisch, bewohnten hübsche Zimmer in ihrer Nähe, allmählich kam eine gewisse Freiheit in unsere Existenz, nicht ohne viele Kämpfe. Ich unterrichtete meine Schwester, den Liebling meines Herzens. Sie war fünf Jahre jünger als ich, mit mir eng verwachsen. Lernen wollte sie nichts als Musik, Sprachen, Handarbeiten. Der Wissenschaft setzte sie einen ruhigen Widerstand von unbesiegbarer Zähigkeit entgegen, den ich nur stundenweise überwand. Ich habe ihr die Meere und Erdteile, auch die Hauptstädte nie dauernd beibringen können. Hingegen war sie manuell sehr geschickt, von klein an unglaublich selbstlos, sonnig und lieb. Eine große katholische Frömmigkeit ist der Grundton ihrer Existenz geblieben, die zu einem echten Frauenleben in der Stille und Enge wurde. Denke ich an Gabriele, so seh ich in ihr die Poesie der Frau verkörpert, wie sie durch die Jahrhunderte geht; ein wenig weltfremd, wirklichkeitsscheu, mimosenhaft. Ich wollte immer nur wissen – wissen. Sie nicht! Ängstlich hielt sie an Illusionen fest. Wir vertrugen uns wunderbar. Sie hatte keinen Welttrieb, eher einen Hang zur Einsamkeit. –

Ich schließe die Augen und atme die Luft des Grazer Zimmers, unserer Kemenate in Leonstein, die wir zusammen bewohnten. Die Hyazinthen duften. Mondlicht fällt herein, die Gärten draußen stehen in Blüte. Ich sitze am Fenster und spinne meine Welt, die in mir glüht. Von nebenan tönen leise, innige Zitherklänge von großer Zartheit. Die kleine Schwester spielt. Ihr braunes Köpfchen mit den schönen Augen neigt sich über die Saiten. Sie ist glücklich – weltentrückt.

Später, als sie ihren Lebensweg gegangen, an der Seite eines um fünfunddreißig Jahre älteren Gatten, eines hochgestellten, politischen Großösterreichers, hat sie es auf der Harfe zu großer Vollendung gebracht. Ihr Dasein blieb immer gewollt einsam. Sie wurde nicht Mutter – ging am Leben vorbei. Wollte es wohl so. Liebte und betreute den alten Mann, beweinte ihn untröstlich. Und fand in der Kirche einen tiefsinnigen Trost. Sie ist ein glücklicherer Mensch als ich geworden. –

In jenen guten Jahren eines zwar stürmischen aber engeren und reicheren Familienlebens reiften wir. Wir durften offen unsere Meinung sagen. Eine der großen Erzieherinnen meines Charakters wurde damals die Joanneumsbibliothek, ich kann sagen die Heimat meiner suchenden Seele. Das Joanneum in Graz mit seiner umfangreichen Bibliothek lag in einem stimmungsvollen Parke mit uralten Bäumen. Einem Park von solch schöner Stimmung, daß sie dem Herzen unvergeßlich wurde. Im Umkreis summte das Treiben der Stadt, aber man sah es nicht. Auf den Wällen blühten altmodische Blumen und dufteten. Eine ganze Vogelwelt beseelte den Garten. Er war immer still. Pensionierte Offiziere schritten da auf und ab, Insichgekehrtheit auf meist verschlossenen Gesichtern; es gab viele verbitterte Offiziere seit 66. Gelehrte, Künstler sah man. Ab und zu saß auf einer Bank Robert Hamerling, versunken in ein Buch, ging Roseggers hagere Gestalt, leicht gebeugt, vorbei – er freute sich des Joanneumgartens. Von irgendwo hinter kleinscheibigen Fenstern kam der Ton einer Violine, trug ein Schubertlied daher. Die Reseden, Nelken und Verbenen atmeten Süßigkeit aus, eine schöngestimmte Kirchenglocke sandte ihre Mahnung herüber aus der Stadt. Es ist wunderbar, sich dem Leben nahe zu wissen, ganz nahe, ohne es doch mit leben zu müssen. –

Vor uns lag das langgestreckte gelbe Gebäude mit den Sammlungen, in denen die Schulen Naturwissenschaft vordemonstriert erhielten in der gewohnten öden Weise. Aber die Hauptsache war die heilige Welt höher oben, die Bücherwelt, deren endlose Reihen man schimmern sehen konnte von Stock zu Stock. Welten waren das. Ich liebte sie, ich träumte nur von ihnen. Der Leiter des Joanneums war der Universitätsprofessor von Zwiedineck-Südenhorst, ein bedeutender Historiker, voll Liebe und Interesse für seine Heimat, deutsch gesinnt, daher ziemlich verbittert, wie jeder denkende Mensch in Österreich. Ich verdanke ihm viel von Kindheit an. Seine Geschichtsforschung war etwas pedantisch und schwunglos, aber die Bücher, die er verfaßte, sind ausgezeichnete Quellenwerke, die denen Heinrich Friedjungs, des Verfassers des Kampfes um die Vorherrschaft, des Herausgebers unserer Benedekbriefe, mit dem ich später andauernd gearbeitet habe, nichts nachgaben. Ich muß sogar bekennen, hätte Professor Zwiedineck, der jung starb, noch gelebt, als mir die Benedekarbeiten mit der Sichtung des großen Materials vorlagen, ich hätte lieber mit ihm diese grandiose geschichtliche Arbeit unternommen. Denn er war durchaus Österreicher mit vaterländischer Romantik in der Seele, geschichtlich intuitiver, feinfühlender als Friedjung, der sich bei aller Bedeutung nicht mit ganzer Tapferkeit auf dem einmal eingenommenen gefährlichen Posten einsetzte, sich auch stark in panslawistischen Utopien verlor. Zwiedineck war, bei allem absprechend skeptischen Wesen, das er zuzeiten anzunehmen pflegte, ein begeisterungsfähiger Sohn seines Landes, in tiefster Seele Geschichtsromantiker. Er wurde leicht zornig, zankte oft heftig; sagte mir, als mir die ersten Bühnenerfolge zu Kopf stiegen, starke Wahrheiten und Grobheiten, die richtig waren. Er ließ sich oft herab, mit mir zu streiten, dann ging es zwischen den Bücherkolonnen stürmisch genug zu; wir hatten Beide rote Köpfe. Aber wie plagte er sich selbstlos, mir alles Richtige in die Hand zu legen, wenn ich um historische Quellen bat. Was alles habe ich durch ihn gelernt, geistig genossen. Ich gedenke seiner mit der größten Dankbarkeit. Die vielen Stunden im Joanneum waren ein Pulsschlag vollen Lebens und Werdens. Er selbst, als Universitätsprofessor und Bibliothekar in Graz ziemlich gehemmt, hätte einen größeren Wirkungskreis verdient. Wohl hatte die Grazer Universität ausgezeichnete Professoren, Größen. Aber sie kamen und gingen. Zwiedineck blieb. Vielleicht behagte seiner Österreicherseele Deutschland nicht. Selbst oft sehr schroff, war er zu leicht verletzt, ein Sensitiver des Geistes. Seine ganze Persönlichkeit ist mir instinktiv klar geworden, als er einmal auf dringenden Wunsch schöngeistiger Adelskreise einen Zirkel geschichtlicher Vorträge für geladene Gäste in seiner Wohnung abhielt. Damals habe ich ihn, ohne es zu wollen oder recht zu wissen, scharf beobachtet, aus diesem nie rastenden Drang des Menschen-Verstehen-Wollens heraus, der in mir grübelte und forschte.

Zwiedineck sprach über interessante österreichische Geschichtsvorkommnisse – gewollt, beinahe boshaft uninteressant. Mich ärgerte, was er sagte. Wo war die Schärfe, in der er geistreich werden konnte; wo die schonungslose Wahrheit, die er liebte? Vor ihm saßen, in der ersten Reihe allerhand Gräfinnen, die Schlagsahne der Gesellschaftsschüssel, fein serviert, darunter die Gräfin Philipp Lamberg, die einen großen musikalischen, auch etwas geistigen Salon im alten Palais Saurau führte und eine märchenhaft schöne Tochter, die spätere Gräfin Franz Meran, kompliziert erzog, auch mit wissenschaftlichen Episoden. Sie war eine prominente Persönlichkeit der Wohltätigkeitsfeste, las etwas, hatte einige Ansichten; aber das gegen die ganze übrige Welt aristokratisch Unvertraute, das Fahrige, Sich-nie-Konzentrierende besaß sie auch.

Und irgend etwas von dieser Fahrigkeit schien dem Professor, während er vortrug, klar zu werden, er – man kann sagen – er verödete vollkommen. Er hielt einen Damenvortrag in seichtestem Sinne, widersprach sich ein paar Mal, spottete über sich selber, schnitt ab, wo es erst anregend werden sollte. War dann entsetzlicher Laune und ziemlich unhöflich gegen seine Gemeinde, die gar nichts bemerkt hatte und sich herablassend befriedigt zeigte. Am nächsten Tage sprach er im Joanneum über dasselbe Thema, glänzend, in prägnanten Wahrheiten. Die aristokratischen Geistesthee's aber verflauten im Sande, – weil eben doch zuviel Unpassendes für Komtessen mit unterlief – sagte man milde. Man wird so leicht verdorben. Und die reine Phantasie dieser Komtessen – Na. – Die Affaire schloß mit einem vielsagenden Räuspern im Joanneum. Dort zwischen den Büchern hat auch jahrelang ein Idealist gewaltet, Dr. Wilhelm Fischer, der Dichter einer nicht sehr großen aber erlesenen Gemeinde, der Bücher von einer stillen, ganz tiefen Schönheit geschrieben hat. Ein Mensch, der nichts aus sich machte, der traumhaft lebte. Der – ich glaube es, ein Glücklicher war. Vielleicht noch ist. Auch aus seinen Händen habe ich jahrelang das Beste der Literatur empfangen, Lehren und Fingerzeige von ihm bekommen. Es war damals kein Mann im Joanneum, der nicht geistig das Mittelmaß überragt hätte. Oft kamen Rosegger, Hamerling; das waren dann unvergeßliche Stunden. Das Wehen unsterblicher Geister machte das junge Herz weit – so weit. Und von Respektlosigkeit, der quälenden, schicksalsvollen, der Selbstzerstörerin war keine Rede. Hier endete ihre Gewalt.

Unter den Professoren von Graz sind klingende Namen gewesen: Schey, Kanstein, Ettinghausen, der einen Weltruf genoß. Tewes; Weiß, der Historiker, viele andere. Das musikalische und geistige Leben blühte in diesen und in einigen vornehmen Bürgerhäusern, wo für die Kunst vieles geschah. Der Zusammenhang mit dem Theater war sehr stark. Man konnte überhaupt regelrecht von einem Kunstleben sprechen. In diesen Kreisen gab es Verständnis für Kunst und Literatur. Ihnen verdankte ich meinen ersten Verleger, die Styria, als ich siebzehn Jahre zählte, und der »Heimgarten« erschloß sich mir. Unvergessen ist mir Rosegger in seiner Häuslichkeit am Arbeitstische, wo ich kecklich mit meinen Manuskripten auftauchte, wie bei Hamerling. Rosegger war hager, kränklich, hatte einen Charakterkopf, in dem sich altes Bauerntum, etwas Priesterliches und große abgeklärte Geistigkeit mischten. Im Leben ernst, zurückhaltend, durchaus salonfremd, außerordentlich verinnerlicht war er als Vortragender bezwingend, und gerade Norddeutschland, das ernste, liebte ihn. Alle Lichter eines köstlich echten, tiefgründigen Humors, einer inneren Güte und Menschenkenntnis spielten in seinen Zügen; jede Stimme gab er echt wieder; jedes Gefühl meisterte er. Er schlug die Brücke vom Kern des Volkes zu den oberen Klassen. Stadtfremdheit – Hirtenbubheimweh starben nie in seiner Brust. Einfach war er, bescheiden, ein Lebensgebeugter, dem die Seinen daheim im Bauernhaus nicht mehr ganz trauten. Der Kronprinz Rudolf hat einen Vortrag von ihm als Erlebnis bezeichnet. Das war er auch. Rosegger ging so still durch die Straßen von Graz und war doch einer ihrer Edelsteine. – Zwischen ihm und Hamerling, dem deutschen Dichter, der in Bildung und Wissen naturgemäß über ihm stand, spannen die innigsten Fäden. Denn in ihrer Tiefe waren sie dasselbe. Deutsche Männer.

Deutsche Österreicher arischen Blutes, arischer Art.



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