Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das dreiunddreißigste Kapitel.

Als der vom weiland römischen Reiche übrig gebliebene Freiherr königlich sächsischer Nation in seiner Wohnung anlangte, erkundigte er sich auf dem Vorplatze vorsichtig, ob jemand bei der gnädigen Frau zum Besuche sei, und wer? Kurz und bündig antwortete ihm die schwäbische Katharina:

»Na, das versteht sich und natürlich sie!«

»Hm, hm!« sprach der Baron, schob sich leise in die Pforte des Salons und fand in der Tat Miß Christabel bei seiner Frau sitzend. Sie saßen in dem Boudoir der Gnädigen und bildeten eine Gruppe von zwei Freundschaftsinseln im großen Ozean des Weltgewoges, und dem Baron ward es beim Anblick dieser rosenrot angehauchten Gruppe grün und gelb vor den Augen.

Sie saßen nebeneinander auf dem Diwan, und Christabel hatte den rechten Arm um die umfangreiche Taille Lucys gelegt, und Lucy hielt die linke Hand der Freundin im Schoße zärtlich warm: berühmte Maler pflegen auf ihrer Leinwand die Hoffnung und die Liebe so hinzusetzen, wenn sie dleselbigen gerade nicht als auf den Füßen stehend abkonterfeien.

Der Baron, der sich ebenfalls sehr gern gesetzt hätte, da er sich recht schwach auf den Füßen fühlte, stand mit dem Hute in der Hand und dem bodenlosesten Armensündergefühl im Herzen und lächelte krankhaft die beiden Damen an in der festen Überzeugung, augenblicklich aus irgendeinem Grunde auf das Unpassende dieses Lächelns aufmerksam gemacht zu werden. Er erschrak fast, als das Gegenteil geschah.

Die Gattin lächelte ihm entgegen! . . . Die Gattin lud ihn mit einem »Liebes Herz!« ein, Platz zu nehmen; die Gattin war übergnädig, war in erschreckender Weise gütig, und – dem Gatten war alles in seinem Körper sich umtreibende Blut plötzlich in den Kopf gestiegen! – die Gattin war ihm, dem Gatten, entgegengetreten, hatte ihm die brennende Wange gestreichelt, hatte ihm den Hut abgenommen, hatte ihm mit dem feinen, duftenden Taschentuch den kalten Schweiß von der Stirn abgetrocknet und hatte ihm zugehaucht:

»Mein Mäuschen, du störst uns gar nicht! bitte, bitte, komm zu uns, nimm Platz! Siehst du, mein armes Kind, Christabel und ich, wir lassen uns in unserer jetzigen Stimmung so leicht nicht stören! Nicht wahr, Christabel?«

»Oh no!« sagte Christabel und schüttelte das schöne langumlockte Haupt mit einem Ausdruck, der dem Uneingeweihten ungemein süß dünken mochte; dagegen aber bei jemand, der eben von dem Doktor Pechlin kam, den innigen Seelenjammer des Mannes, seine auf dem Fußboden ausgestreckte Lage und seine herzzerbrechende, ohrenzerreißende Hingebung an den zehnten Band der gesammelten Werke Michel Hahns von Sindlingen vollständig rechtfertigte.

»Mein – unser – Freund – Pechlin – läßt die Damen – herzlich grüßen!« stotterte der betäubte, überwältigte Herr des Hauses, ganz vergeblich nach einem besseren Beginn der Unterhaltung seinerseits suchend. Aber dieser Anfang war recht gut und paßte vollkommen, wie sich im selbigen Moment auswies.

»Sie kommen von ihm?« fragte Christabel ruhig, aber Lucy rief fröhlich: »Warst du eben bei ihm?«

»Ja, ich stattete ihm einen Morgenbesuch ab und fand ihn – fand ihn – in – einer erstaunlichen Aufregung! Ei ja, ich traf ihn beim Packen!«

»Beim Packen?« rief Miß Christabel Eddish kerzengrade in die Höhe fahrend. »Dear me, Sie trafen ihn beim Packen? Weshalb trafen Sie ihn beim Packen, Sir? Und was packte er?«

»Seinen Koffer, gnädiges Fräulein, – seinen Reisesack. Er hatte es sehr eilig, und nach dem, was er mir mitteilte, war Grund zu dieser Eile vorhanden.«

Miß Christabel Eddish sah jetzt unruhig die Baronin Lucy von Rippgen an, und die Baronin Lucy sah Miß Christabel an.

»Er hatte es sehr eilig,« wiederholte die Baronin, und die Jungfrau fing wieder einmal an, die Unterlippe unter den Oberzähnen auf und ab zu schieben. Sich immer mehr verwirrend aber stotterte Ferdinand:

»Und er forderte mich auf, mit ihm morgen früh nach Frankfurt am Main zu fahren; und, liebste Lucy, ich – habe es – ihm so halb – und halb versprochen, das heißt natürlich nur mit deiner Einwilligung.«

»Du hast es ihm versprochen?« fragte die Gattin sehr gedehnt, und der Fingertrommelschlag auf dem Tische, der die Frage begleitete, machte sie dem Gatten deutlicher, wenn das nötig war.

»Nach Frankfort will er morgen fahren? Dear, dear me, was will er denn machen in Frankfort? und, Sir, und ohne mich zu benachrichtigen?«

»Yes, Miss Christabel!« stammelte der unselige Ferdinand. »Aber er wollte heute nachmittag zu Ihnen kommen, um – Ihnen – alles – mitzuteilen, sein Glück und –«

»Nicht wahr, Lucy, liebe Lucy, du findest die Sache doch auch sonderbar?«

Die Baronin sah ihren Mann während einer geraumen Pause mit ihrem bohrendsten Forscherblicke an, und der Baron zuckte unter diesem Blicke. Er wand sich unter ihm und suchte ihm auf alle Weise zu entgehen, ohne daß es ihm gelang. Die Lüge, deren Erfindung dem Freunde so lächerlich leicht wurde, griff ihm wie mit eisernen Krallen in die Seele und drückte sie ihm zusammen. Aber was half es? Wie er sich als Mann und als Edelmann wehren mochte: heraus mußte mit der Erfindung des extheologischen Freundes sein eigenes besseres Selbst durch die Kehle; es kam ihm schwer an, zu lügen, wie es von ihm verlangt worden war; aber endlich log er doch, und als er einmal darin war, zu seinem eigenen Erstaunen mit ebenso großer Gewandtheit und ebenso fließend wie sein genialer Studiengenosse, Christoph Pechlin aus Waldenbuch.

Wir aber sind milde gegen ihn; denn es hat schon mehr ehrliche Leute gegeben, welche der Welt gegenüber stets die Wahrheit sagten und dieselbe sogar mit ihrem Leben und Mute bekräftigten, und welche doch unter dem Blicke ihrer Frauen – logen, ganz außerordentlich herzhaft logen. Es ist eine uralte Wahrheit, daß es eben viel leichter ist, das Leben zu verlieren, als es doppelt zu leben unter den Augen und im Mißfallen der Holden, die alle guten Stunden unter Verschluß hält und jeglichen Abend den Speisekammerschlüssel des Glückes unter das Kopfkissen schiebt.

Da war sie, die Frankfurter Tante, mit dem Totenscheine in der Hand und dem Testament im Strickbeutel! Ein bänglicher, seinem eigenen Zauberwort durchaus nicht trauender Magier, hatte Ferdinand sie beschworen, und sie war mit einem Knix aus dem Boden emporgestiegen und hatte beide Damen, ja beide! aller Gespensterhaftigkeit zum Trotz in das freudigste, fröhlichste, vergnügteste Erstaunen versetzt. Daß der Baron bei seiner Beschwörung sich den Rücken so frei als möglich hielt, und alle fernere Verantwortung für diese Geister- und Renten-Erscheinung dem theologischen, Tübinger Freunde überließ, kann ihm nur ein schnöder in unerprobter Sicherheit sich wiegender Junggesell oder ein gemütlich gestellter Witwer verdenken und zur Schande anrechnen.

Um die Vermögensumstände Christabels haben wir uns bis jetzt nicht gekümmert. Daß sie ein wohlhabendes Mädchen war und zu leben hatte, stand uns jedoch vom Anfange unserer Bekanntschaft an fest und wird uns jetzt zur völligen Gewißheit; denn sie fuhr nur ganz leicht zusammen und errötete nur ganz leise. Baroneß Burdett Coutts würde freilich, wenn die Einkommensteuer den Maßstab für das Erschrecken beim Erscheinen von alten Tanten abgäbe, noch bedeutend weniger zusammengefahren sein.

»O eine Erbschaft! o das ist sehr merkwürdig – very curious, very wundervoll! . . . Es freut mich sehr für ihn; – aber – er – hätte mir selbst sogleich die Nachricht bringen sollen,« sagte Miß Christabel; doch die Baronin Lucy rief, in die Hände klatschend:

»Aber nein, Christabel! Aber Christabel, das ist ja wirklich reizend. Jetzt tu mir nur die Liebe an und zürne ihm nicht! Gewiß, lieber Ferdinand, wirst du morgen mit unserem Freunde reisen! O Kinder, Kinder, alles, was eure Verbindung, eure glückliche Vereinigung beschleunigen kann, versetzt mich in einen wahren Tumult von Entzücken und Eifer. Mein Gott, mein Herz, mein süßes Herz, weshalb sitzen wir denn aber hier und packen nicht ebenfalls bereits?«

Der Boden wankte unter den Füßen des Barons. Ferdinand war einer Ohnmacht nahe; und schon hatte Miß Christabel sich erhoben, hatte dem Jugendgenossen ihres Verlobten die Hand auf den Arm gelegt und gesagt:

»Ja, Sir, wir reisen mit Ihnen! Lucy hat jetzt ganz recht, und . . . ich werde Christy sogleich, sogleich in Kenntnis setzen von unserer Beabsichtigung; Lucy hat ganz recht, und Christy wird sich sehr freuen!« . . .



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