Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das fünfundzwanzigste Kapitel

Blau, sonnig glitzernd fließt der Neckar in unsere Geschichte herein. Da ist er in der Begleitung seiner grünen Berge und sanft geschwungenen Hügel – Burgtrümmer, feine moderne Schlößchen, alte, schöne Kirchen, behagliche Wirtshäuser und liebliche Dörfer in Hülle und Fülle widerspiegelnd! Da kommt er, weinrebenbekränzt, und in jeglichem blitzenden Wellchen holdselig und anlächelnd, und hat keine Ahnung davon, welch ein wonniges Behagen er uns mitbringt, wie er durch unser Konzeptpapier glänzend rauscht, spült und wühlt und demantfunkelndes Getränke über die närrischen Arabesken in widerlichem, abgeschmacktem, verdrießlich-melancholischem Schwarz spritzt und sprüht.

Bei Untertürkheim bekommen wir ihn zuerst zu Gesicht und auf der Stelle Grund, unsere Muse wegen ihres Verständnisses und seinen Gefühles für das Behagen des Augenblickes rückhaltslos zu loben. Ja, rückhaltslos; denn schon liegt sie bei Untertürkheim am blauen Neckar in dem Grase und zwischen den Herbstastern auf dem Rücken, hat die Hände unter den Hinterkopf geschlagen und die rechte Kniebeuge über das linke Knie, und blinzelt tiefatmend aus selig befreiter Brust hinauf in den Äther, ohne die geringste Rücksicht auf die Gefühle, und zwar auf die Anstandsgefühle anderer zu nehmen. Aber den möchten wir sehen, der uns hindern könnte, unsere Freude an dem lieben unbefangenen Mädchen zu haben! Und hübsch ist sie auch! – sehr hübsch, vorzüglich in diesem Momente! Da liegt sie ohne Arg im Grase, ist liegen geblieben, wie sie sich hingeworfen hat, und ahnt gar nicht, wie vorteilhaft die Lage für ihre Figur und ihren Wuchs ist. Weithin über die wohlgeformten Schultern und rund umher über das grüne Gras fallen die blonden Locken. Behaglich ruht das gute Kind, und wenn es mit den Äugelein zwinkert, so geschieht auch das nur aus Behagen an dem guten Tage – ah! –

»Wenn nur die Mücken nicht wären!« sagt die Leserin; und sie, la blonde fainéante unter den Reben, wendet sich auf das Wort, stützt sich auf den Ellenbogen und stützt das Kinn mit der Hand, blickt lächelnd nickend auf die gleich ihr unendlich liebenswürdige Zwischenrednerin und Einsprecherin und sagt:

»Das sagte die Frau Lucie von Rippgen auf dem Gipfel vom Hohenstaufen ebenfalls.«

Damit sinkt sie wieder zurück in die vorige bequemere Lage, blickt weiter lächelnd hinein in den dicht über ihrer Nase munter durch Blätterschatten und Sonnenschein tanzenden Schwarm, und – wir nehmen das Wort und fragen:

»Wo wären wir, und was wäre die Welt, wenn die Mücken nicht wären?!«

Der blaue, wolkenlose Himmel aber wölbt sich über dem Worte, die Sonne bestrahlt es, der laue Wind tanzt darüber hin, und der Neckar – der Neckar rauscht in dasselbe hinein. Oh, das alles ist klug, ist gescheit, und weiß, was es für den Poeten zu bedeuten haben würde, wenn die Mücken nicht in der Luft tanzten! –

Herbst, Herbst, o süßer Herbst! Noch zwar sind die Weinberge gesperrt, und die Feldhüter allein haben das Recht, zwischen den schwellenden, in der Sonnenhitze kochenden Trauben zu wandeln und nötigenfalls aus dem Blätterwerk hervorzubrechen und die engen Steintreppen unvermutet herabzuspringen, um einen Liebhaber billiger, saftreicher und verstohlener Genüsse am Kragen zu nehmen; aber bald, – morgen schon – ist die Zeit, wo du, jauchzender Herbst, deine goldenen Tore weit aufwirfst und alle Welt einladest, zu kommen, zuzugreifen und zu genießen. Schon liegt deine Hand an dem Riegel, – morgen, morgen, und alle Hügel und Berge ringsum werden ihre berauschenden Ströme und Bäche durch die Keltern niedersenden in die Butten, und jeder Wingerter und Bauer wird gern eilig und ohne Vergütung die Mühe auf sich nehmen, unbefugte Eingriffler und mittellose Sachverständige mit dem Kopfe gegen die Mauer zu stoßen und inmitten des Segens Gottes bis zum Liegenbleiben durchzuprügeln.

O süßer Herbst, was ist lieblicher, als deine Schritte im Tal? Was ist herrlicher, als dein Wandel auf den Hügeln? Redet uns nicht von den Wonnen des Maien; der Mai ist ein Lump, und wer ihn aus dem Kalender striche, der würde ein gutes Werk an der durch den grinsenden Betrüger vergrillten Menschheit tun. Der September ist die Zeit, Gedichte zu machen, und aus dem Leben ein Gedicht. Rede du, Blondinchen, – sprich du, mein holdes behagliches Mädchen unter den Astern, lehne dich noch ein einziges Mal auf den rundlichen Ellenbogen und nicke zu dem, was ich sage!

Natürlich nickt sie. Bigott, und das ist die richtige Liebe, die zum Ausbruche kommt, wenn die Mostpressen gerüstet werden, und die wadenstarken Winzer, Buben und Mannen, die Füße und die Beine bis zu den Knieen waschen, um reinlich und appetitlich in die traubengefüllten Bottiche hineinzusteigen. Noch ein kleines, und sie werden hineingestiegen sein, und der »Neue« wird aufschäumen und gären, und süßbreiig nicht allein die Mücken, die Fliegen und die Bienen berauschen und fangen, sondern auch die verständigsten Menschen beiderlei Geschlechtes!

Was bedeuten die zärtlichen Gefühle, die mit den ersten Veilchen von der feuchten Wiese unter regentriefenden Hecken hervorgeholt werden und unter heißen Kräuterkissen und durch den Aufguß der Kamille des vorigen Jahres abgebüßt werden müssen? Was bedeuten sie gegen den Herzensrausch, welchen im Herbste, im Oktober, Aphrodite von den Reben pflückt und aus den überschäumenden Bechern trinkt?

Wie manchem Menschenkinde im Schwabenlande wird der Neue ein Bein stellen, und es auf den Rücken legen? O Liebe, Liebe, Liebe, wie wird dein Reich sich ausbreiten unter seiner Regierung! Wie wird es verwaltet werden, dieses Reich der Liebe, und, o du Neuer, was wird man dir demnächst und dermaleinst in die Schuhe schieben, wenn der Rausch verflogen ist, und Erde und Himmel den nachdenklichen Zechern von neuem so erscheinen, wie sie wirklich aussehen; und welch ein Glück ist es, daß – unser Freund Christoph Pechlin dir in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen hat und deshalb späterhin auf dich keinen Haß zu werfen braucht!

Da haben wir ihn wieder, unseren Freund Pechle; aber der Neue ist nicht schuld an dem, was ihm in den Gliedern liegt; was ihm zu Kopfe gestiegen ist, und nicht bloß zu Kopfe, sondern auch zu Herzen. Es war eben ein heißer Sommer, und der »Alte« war auch noch nicht ausgegangen im Lande: wer in Himmelsbläue, Sonnenglut und Weinduft schwelgen wollte, der brauchte wahrlich nicht auf den Neuen zu warten, und Pechle hat nicht gewartet, und jemand hat mit ihm genippt und nach dem Nippen einen merkwürdig herzhaften und entschlossenen Zug getan. Die Nixen haben ihre schilfbekränzten Häupter aus dem Neckar erhoben und gelacht; Bacchus hat auf den Bergen die Hand über die Augen gehalten und genau hingesehen, denn er hat seinen Augen keineswegs sofort getraut. Aber Amor, der Lose; – ach, reden wir nicht von ihm, sondern erzählen wir einfach und nüchtern, soweit das möglich ist, dieweil er aus den Weiden am Neckar hervorkichert, weiter.

Es läßt sich gut lustwandeln auf den grünen Wiesen, unter den Erlen und Weiden am linken Ufer des Flusses zwischen Obertürkheim und Untertürkheim; und der Doktor Pechlin – Christoph Pechle, der in Obertürkheim wohnt, pflegt auf dem angenehmen Wege täglich zu ganz bestimmter Stunde einer Dame zu begegnen, die in Untertürkheim ihren Wohnsitz genommen hat. Und die Dame pflegt seinen Arm zu nehmen, den er ihr ein wenig unbeholfen bietet, aber doch bietet; und sie nimmt ihn lächelnd, freundlich lächelnd und portugiesertraubenhaft errötend. Und dann wandeln sie mitsammen unter den Weiden durch das grüne Gras; und den Erlen, den Geisterbäumen, rinnt ein sonderbarer, unbedingt magischer Schauer durch die Borke und kitzelt sie bis ins tiefste Mark. Am Ufer des Neckar flüstert es sich gut in der warmen Abenddämmerung. Für unausgesprochene Dinge gewinnt der Blödeste, der Befangenste Worte. Und wenn nun gar der Mond über den Bergen emporsteigt und sich im Flusse spiegelt und im Auge der Geliebten, und wenn dieses Auge so zu blicken versteht, wie das der Miß Christabel, dann – ja dann fängt der Befangenste an, sich so unbefangen zu geben, daß es eine Freude – eine wahre Freude ist.

Aber was brauchen wir den Mond über die Berge heraufzubeschwören und ihn im Flusse sich spiegeln zu lassen? Christoph und Christabel sind längst darüber – über dieses – über das weg, und wir auch! Christoph und Christabel bereden ihre Angelegenheiten seit mehreren Tagen bereits am liebsten am Morgen zwischen zehn und elf Uhr im hellen Sonnenschein unter den schattenden Bäumen am Ufer, und achten gar nicht einmal mehr darauf, daß die Weidendryaden kichernd ihre grünen Haare tiefer gegen die blauen Wellchen herabneigen; und vollständig gleichgültig ist es ihnen – Christoph und Christabel – ob sämtliche ringsum flatternde Schmetterlinge von dem ersten, der ihnen, den zwei Spaziergängern, begegnete, herbeigerufen wurden, um »das auch zu sehen« und mit lustigem, liebesgötterhaftem Geflatter die in ihre Verhältnisse und Auseinandersetzungen Versunkenen zu begleiten.

Wahrlich, es ist weit gekommen, Christoph Pechlin; und wir haben leider zu erzählen, wie es kam; – greife an die Tasche deines Rockes, Christoph, und fühle nach deinen Gedichten, setze dich auf den Trost deines Daseins! Uns aber laß in Prosa berichten, wie du in deinen Gefühlen beim Wort genommen wurdest, und wie du aus deinem Leben ein Gedicht machtest, diesmal aber uns Gelegenheit gäbest, dich drucken zu lassen. Sperre dich nicht, alter Freund, sondern komme heiter um in der Gefahr, in welche du dich begabest; denn siehe, du allein wirst dem Schicksal aller der Leute, die wie du nach den Sternen oder nach dem, was sie dafür hielten, griffen, nicht entgehen. Der Neckar aber rauscht doch in unseren Bericht, und es »geht in Herbst«, wahrlich, es geht in Herbst, wie in Heilbronn auf dem Wartberge! –



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