Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das sechsundzwanzigste Kapitel.

Christoph Pechle aus Waldenbuch im Schönbuch an der Hand der Liebe lustwandelnd am Neckarufer! Christoph Pechlin mit einem zugeknöpften Hemde, einer regelrechten Krawatte, einer Tuchnadel vor der zottigen Männerbrust und mit einem hohen, schwarzen Seidenhut! Pechle in einem Anzuge, der das Neue mit dem Geschmackvollen in einem so hohen Grade vereinigte, daß er, sein Besitzer, jedermann darin auffallen mußte, vorzüglich aber allen seinen Freunden und Bekannten, letzteren jedoch nur, wenn sie ihn darin erkannt hätten. Das war es! seine besten Freunde erkannten ihn erst nach längerem Anstarren, und sprachen ihm sodann ihre Verwunderung, ihr Erstaunen und ihr Entzücken in derartig exaltierten Reden und Redensarten aus, daß er sie auf alle Weise vermied, im weitesten Bogen um sie herumging und zur Vervollständigung seiner Eleganz am liebsten einen Zettel mit der Inschrift:

»Hier sind die Pocken!«

am Hute getragen haben würde. Daß er jemals wieder mit ihnen, das, heißt, seinen Bekannten und Freunden zu Sauerkraut und Blutwurst auf das Canstatter Volksfest gehen könne, erschien ihm längst als eine Unmöglichkeit; aber uns erscheint es jetzo als höchste Schuldigkeit und Pflicht, eingehendst zu berichten, wie er in den Pomp und Staat hineingeraten war, und wie er sich darin fühlte – nach allen Richtungen hin darin fühlte. Ob und wie er dann wieder herauskommen wird, das steht dann auf einer andern Seite. –

Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen; allein man sieht dann und wann auch nicht ungestraft vom Gipfel des Hohenstaufen aus die Sonne untergehen. Auf den Sonnenuntergang pflegt die Nacht zu folgen, und in der Nacht regt sich allerlei, und besonders zu Zeiten und unter Umständen, was zu denken gibt. Wir wissen, was Miß Christabel Eddish in jener romantischen Nacht im Lamm zu Hohenstaufen erlebte, und was sie zu fühlen gezwungen wurde; wie gut sie damals inmitten des Schlachtlärms über den Exstiftler Herrn Christoph Pechlin zu denken anfing, das kam erst durch die Folgen zutage.

Daß die geistig und körperlich zerschlagene Vergnügungpartie damals unter dem Schutze des Exstiftlers nach Stuttgart zurückfuhr, ist ebenfalls bereits erzählt; aber hinzuzufügen ist jetzt, daß die Fahrt der britischen Jungfrau Gelegenheit gab, noch besser von dem Reisebegleiter denken zu lernen. Er saß ihr gegenüber im Wagen. Er fand, fast allzu häufig für seine Ruhe und Bequemlichkeit, Gelegenheit, ihre wankenden Lebensgeister aufrecht zu erhalten und ihre erschütterte, zitternde Psyche vor dem rohen Andrängen, vor den Widerlichkeiten des Weges zu schützen; er war sehr heiter, und er machte einen immer tieferen Eindruck durch diese Heiterkeit, wie denn das Unverwüstliche im Guten wie im Schlimmen in jeder Beziehung niemals verfehlt, einen nachhaltigen Eindruck zu machen. Man kam an in Stuttgart und trennte sich matt, müde und in allerlei Stimmungen. Wenn die Baronin von Rippgen im Lamm zu Hohenstaufen Gründe gehabt hatte, sich mehrere Male zu verwundern, so war diese Verwunderung unterwegs um ein Bedeutendes gestiegen; erreichte aber ihren Gipfelpunkt, als die liebliche Freundin sich durch den wüsten, rauhhaarigen Tektosagen vom Stuttgarter Bahnhofe am Arm nach Hause führen ließ – nach ihrer Wohnung.

Sie fand das sonderbar, und sonderbar war es auch.

Aber was würde Frau Lucie von Rippgen erst gesagt haben, wenn Miß Christabel ihr am folgenden Morgen mitgeteilt hätte, daß der Tektosage, ihr, der schamhaften Jungfrau, sofort in der Nacht einen Besuch abgestattet habe, um sich höflich nach ihrem Befinden zu erkundigen: wenn Miß Christabel Eddish, wenn die jungfräuliche Freundin der verheirateten auch die näheren Umstände dieses Besuches nicht vorenthalten hätte?!

Herr Christoph Pechlin kam wirklich in der Nacht zu Christabel – er erschien ihr im Traume und war sehr liebenswürdig! – –

Im Traume! und am anderen Morgen in der Erinnerung des Traumes! und drei Tage nachher auf der Königstraße in Fleisch und Blut, gutmütig lächelnd den Hut herunterreißend! und so weiter durch die Zeit von Tag zu Tage bis zu jenem Nachmittage, bis zu jener Stunde, wo das Paar, ganz zufällig auf einer jener Bänke um die Gruppe des von den Nymphen, nicht des Nesenbaches, sondern des Askaniosflusses geraubten Hylas im königlichen Schloßgarten sich zusammenfand.

Die Argo setzte die Fahrt nach Kolchis ohne den Hylas fort, was wir nicht tun. Wir ließen den Baron und die Baronin von Rippgen ruhig nach Rorschach in die Sommerfrische reisen, und hielten uns an die Nymphe und den geraubten Jüngling. Wir haben den Baron und die Baronin von Rorschach zurückkehren gesehen, und wir stecken noch immer tief, tief, und mit unverringertem Interesse in der anmutigen Sage des Altertums! –

Sie sahen sich nun täglich und saßen nebeneinander auf der Bank an der Hylasgruppe und trieben die schönsten Wissenschaften, die es gibt. Von Tag zu Tag veredelte sich der Exstiftler mehr, und wie ein Naturprozeß ging die Sache vor sich und entwickelte sich der Schmetterling, der in der stachlichsten, grauen, unansehnlich-sonderbaren Puppenhülle, genannt Christoph Pechlin, gesteckt hatte. Es war wahrhaft lächerlich zu beobachten, wie sich das Äußere Christophs nach jeglichem neuen Zusammentreffen mit Christabel veränderte, ins Zierliche und Anständige veränderte. Heute knöpfte er die Weste zu, und morgen kam er mit einer schämig in einen Naturknoten gewundenen Halsbinde. Heute kam er mit reinlichen Manschetten und morgen, in wohlangepaßten dunklen Beinkleidern. Er kam im neuen Rock, und er kam mit dem neuen Hute in der Hand, und jedwede Verschönerung trat, wie gesagt, an und für sich in die Erscheinung und kam um so mehr zur Geltung und machte einen um so tieferen Eindruck auf Miß Christabel. In der Busennadel aber, welche ein von einem Pfeil durchbohrtes rotes Herz darstellte, gelangte der Prozeß zum Abschluß. Dieser zierliche und bedeutungsvolle Schmuck war die Blume, welche das Gewächs trieb, war der farbige Schmelz auf dem Flügel des Pavillons, war der duftige Hauch auf der saftreich geschwollenen Pflaume, war der Tautropfen im Kelche der Rose, – der Pfingstrose – ja, der Pfingstrose. Wie aber vieles in diesem Berichte und Buche seltsam erscheinen muß, so war auch das seltsam, daß an dem Tage, an welchem das pfeildurchbohrte Korallenherz auf der Brust Christoph Pechlins erschien, Miß Christabel Eddish, nach einem Blicke darauf, hold befangen sich wegwendend, dem liebenswürdigen Gentleman mitteilte, daß es sehr heiß in Stuttgart sei, daß sie anfange, es daselbst nicht länger auszuhalten, daß sie deshalb für die nächste Zeit eine reizende Sommerwohnung in Untertürkheim gemietet habe, und daß sie es sehr, very, very, sehr bedauere, wenn man nunmehr für längere Wochen sich nicht mehr begegnen, nicht mehr grüßen, nicht mehr sehen werde.

»Uh! . . . Na?« fragte Pechle, und Christabel mit einem zerstreuten Blick auf den von den zudringlichen Wasserjungfern am Rock, an den Armen und Beinen gefaßten und mit in die Tiefe gezogenen Hylas werfend, seufzte:

»O ja, Sir, und morgen schon. Ich reise morgen mit Virginy; denn es ist zu sehr heiß, und meine Gesundheit leidet. Es war mir sehr angenehm; aber wir müssen Abschied nehmen voneinander – heute.«

»Heute schon?« rief der Exstiftler mit der Miene eines klugen Pudels vor einem täuschend in Öl gemalten Schinken.

»Yes, weil ich morgen schon abgegangen bin.«

Morgen! Das ist unter Umständen das fürchterlichste Wort im ganzen Wörterbuche, und das Behagen, welches sich dann und wann an es knüpft, ist von einer verschwindenden Geringfügigkeit dem Grauen gegenüber, welches es mit sich bringen kann. Der Mensch sagt »Morgen« und würde vergehen ohne den Trost, den der große Schrecken stets bei sich führt. Dieser Trost aber liegt in der unumstößlichen Gewißheit, daß dem Morgen stets ein Übermorgen folgt, und daß wir armen Erdenwürmer also immer noch Gelegenheit finden, uns zu besinnen und von neuem einzurichten, wenn nicht ein gütiges Schicksal uns übermorgen bereits aller Mühe und Qual entledigt hat, indem es uns jeglichen Verkehrs in der Zeit überhob.

Letzteres kommt vor, kommt für jedermann vor; allein Christoph Pechlin hatte heute noch nicht das Glück. Er durfte sich diesmal noch von der Überraschung erholen. Er erholte sich, er lächelte und – es ist kaum zu sagen – er – er, Christoph Pechle, war schon so tief gesunken, oder so hoch gestiegen, daß er – der Miß die Hand unaufgefordert küßte. Vier Tage nach jener vertraulichen Mitteilung im Stuttgarter Schloßgarten an der Gruppe des Hylas und der Nymphen, begegneten Christoph und Christabel einander zum erstenmal am Ufer des Neckars: Christoph Pechlin wohnte in Obertürkheim! –



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