Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das siebenundzwanzigste Kapitel

Sie hatte keine Ahnung davon. Sie lag in Rorschach am Bodensee in ihrer Hängematte, vegetabilisch ein- und ausatmend und zu ihren Füßen, wie es sich gehörte, saß Ferdinand, gänzlich unbeschäftigt; und er hatte noch viel weniger eine Ahnung davon, was am blauen Neckar vorging. Wie aber würde sich der vegetabilische Prozeß ihres Daseins ins heftigste Animalische verwandelt haben, wenn sie gewußt hätte, was eines Tages an der Kapelle auf dem Rothenberge über Untertürkheim passierte! Nur durch ein Wunder wären die Stränge der Hängematte imstande gewesen, die Erschütterung auszuhalten, wenn ihr – Lucia von Rippgen, plötzlich ein zweites Gesicht den Vorgang an jener griechischen Gruftkapelle klar und deutlich vor die Augen, den Sinn und – das Herz hingestellt haben würde!

An der russisch-griechischen Grabkapelle auf dem Rothenberge, wo einst die Stammburg der Grafen, Herzöge und Könige von Württemberg stand, kam zu einem ersten Abschluß das, was sich auf jener Stelle, wo voreinst die Stammburg der Hohenstaufen stand, angesponnen hatte. Unter neu zudringendem Hader, Zorn und Streit fanden Christoph und Christabel die Gelegenheit zu günstig, um sie unbenutzt vorübergehen zu lassen. Sie benutzten sie und verpflichteten sich gegenseitig einander für das irdische Leben und, wie Christabel meinte, for an everlasting happiness, also ziemlich weit über das Erdenleben hinaus – und zwar unter folgenden Umständen.

Die Maultrommel spielen oder schlagen zu können ist etwas Wunderschönes, und vorzüglich ist jedem Verliebten, einerlei ob glücklich ober unglücklich Verliebten, dringend anzuraten, augenblicklich, das heißt, unter den ersten kritischen Symptomen des Zustandes sich auf dies Instrument zu legen: Pechle, der es schon vor seiner Bekanntschaft mit Miß Christabel Eddish als Virtuose zu behandeln verstand, schlug, spielte es in Obertürkheim hinreißend.

Und schon die ersten summenden Töne, die er dem melodischen Tonwerkzeuge in der Sommernacht, in der Rebenlaube, nach seinem Einzuge entlockte, verfehlten nicht ihre Wirkung auf die Hörer.

»No, was ischt denn des?« fragte der ortseingeborene Hausbesitzer. »Des versteht er au!!«

»O Gott, wie seltsam!« sprachen die mit dem neuen Mieter unter dem friedlichen Dache wohnenden fremdländischen Badegäste.

Und Pechle schlug die ganze Nacht hindurch. Er schlug auch noch die folgende Nacht, wie eine Nachtigall auf der Fliegen-, Käfer- und Würmerjagd, und dazwischen sang er – und wie!? Am dritten Tage kannte man ihn und seine Zustände bereits durch und durch in Obertürkheim und auf den Wegen zwischen Ober- und Untertürkheim. Daß man Miß Christabel und ihre Zustände ebenfalls kannte, verstand sich von selbst, und acht Tage nach dem ersten Zusammentreffen unter den Weiden des Neckarufers, hatte der Exstiftler, wie erzählt ist, zum zweiten Male das Glück, der stolzen Britin in einem neuen Konflikte mit der rohen Menschheit zu Hülfe springen zu können, tat es auch, und diesmal nicht nur ohne alle Ironie, sondern mit voller Hingabe an den Enthusiasmus seiner erregten Seele und – es bedurfte keines weiteren Schüttelns mehr: die süße Frucht lag in seinem Schoße, er konnte sie dreist mit nach Hause nehmen. –

Es war am Nachmittag. Christoph Pechlin hatte seine Siesta gehalten, das heißt, zwei und eine halbe Stunde nach eingenommener Mahlzeit fest durchschlafen, und war nachher verschlafen, gelangweilt und verdrießlich an der Kirche des Ortes vorbei bergan gestiegen. War es eine Ahnung oder war es das gute Getränk in der Krone, was ihn nach Rothenberg zog? – einerlei! Auf den Höhen der Hügel, die Weinberge entlang wandelte er hin. Mürrisch, widerwillig, wie das so häufig zu geschehen pflegt, ging er nach Rothenberg auf sein Glück – die höchste Seligkeit seines Lebens, los, und vorerst hinein in keifendes, wetterndes Durcheinander empörter menschlicher Leidenschaften.

Vor der Pforte des Grabmales auf der Höhe des Berges, die einst die Stammburg des Hauses Beutelsbach trug, schrillte und brummte es. Ein heftiger Wortkampf wogte vor dem Gitter; und, um die Ecke biegend, genügte dem Exstiftler ein Blick zur vollständigen Kenntnisnahme der Sachlage: Miß Christabel Eddish, im grimmigen Streite mit den Wächtern der Gruft, stand ihren Mann!

Wie aber geriet Christabel in diesen Konflikt mit dem Popen? Auf die alleratürlichste Weise, – sie hatte, durch ihren Murray darauf aufmerksam gemacht, die Gruftkapelle einfach auch im Inneren betrachten wollen, und war dabei auf eine der Grundsatzungen der griechisch-katholischen Kirche gestoßen und hatte das von ihrem anglikanisch-kirchlichen Standpunkte aus selbstverständlich im höchsten Grade shocking gefunden.

Miß Christabel Eddish hatte keinen Begriff davon gehabt, daß die russisch-orthodoxe Kirche ihr den Eintritt in die Gruft des Königs Wilhelm von Württemberg auf dem Rothenberg im Lande Schwaben, Neckarkreis, Oberamt Eßlingen, verbieten könne, strikte verbieten könne, hatte die Erfahrung gemacht und weigerte sich als Jungfrau, als Weib, als britische Jungfrau und königlich großbritannisches Weib, dieselbe sofort zu ihren übrigen zu legen. Sie fand es im unausdrückbaren Grade entwürdigend, daß man gerade ihre Eigenschaft als Weib heraussuche, um sie von den Särgen der Toten auszuschließen. Sie sagte ihre Meinung auf englisch und auf deutsch, sie rief den Gott ihres eigenen Volkes zum Zeugen auf, zitierte die Genesis wie ein bestbesoldeter Bischof der Hochkirche und bestand auf ihrem Recht, das heißt auf ihrem Willen. Natürlich bestanden die Wächter am Grabe auf dem ihrigen. Nachdem sie vergeblich dem hohen Mädchen deutlich zu machen gesucht hatten, daß es nicht mit seinem Album und Bleistift – auch gegen das generöseste Trinkgeld nicht – in die Gruft der Königin Katharina eingelassen werden könne, waren sie grob geworden.

Sie waren allmählich sehr grob geworden; der untere Wächter hatte den oberen herbeigerufen, und der Pope war gekommen. Ein behaglicher, bärtiger Herr, sein rundes Bäuchlein mit würdiger Fröhlichkeit vor sich hertragend, war er herangewackelt und hatte im Anfange nicht geringe Mühe gehabt, sich klar zu machen, um was es sich in dem Lärm eigentlich handle. Nachdem er es begriffen hatte, hatte er zuerst mit großer Höflichkeit im gebrochenen Deutsch die englische Maid von ihrem Vorhaben abzubringen gesucht, allein durch ein bedauerndes Achselzucken ließ sich in einem solchen Falle nichts gegen Miß Christabel Eddish ausrichten. Miß Christabel, in den tiefsten Tiefen ihrer weiblichen Würde und Gefühle beleidigt, stand hier für ihr ganzes Geschlecht, war sich ihres Standpunktes im vollen Maße bewußt, und hielt fest an ihrem Vorsatze. High church vom blonden Scheitel bis zum Absatz ihrer Pariser Stiefelchen bot sie, den Verstand und die Vernunft sämtlicher neununddreißig Artikel in ihre Blicke, Mienen und Worte zusammenfassend, der russian popery, der griechisch-katholischen Satzung Trotz, und der Pope stand ratlos, selbst den neununddreißig Artikeln gegenüber.

Und allgemach hatte sich ein ziemlicher Haufen landeseingeborenen Volkes um die streitende Gruppe versammelt. Männer mit den Pfeifen im Munde und den Händen in den Hosentaschen waren herangekommen. Mädchen und Weiber, Butten und Heubündel auf den Köpfen tragend, waren stehen geblieben. Ein mit vier schwitzenden, keuchenden Hunden bespannter Milchwagen hatte angehalten; und alles hatte für und wider Partei genommen, die Mädle und Weiber ausnahmslos für die Miß und gegen die Grabeshüter.

Lachend blickte der wolkenlose Herbsthimmel auch auf diese Szene hernieder. Auch er schien Partei zu nehmen, und zwar gleichfalls für Miß Christabel. Dem Popen rannen die hellen Schweißtropfen über Stirn und Backen. Es lachten die Berge bis in die blaueste Ferne; die Grillen, die heißen Weinbergsmauern entlang, sehr kluge Tiere mit runden, dicken Köpfen und vorstehenden, glänzenden Augen, baten einander, still zu sein und Achtung zu geben, und schrillten natürlich um so lauter. Es ging ein Flüstern durch die Reben, und die Trauben unter dem Laub glänzten auch saftiger und schienen die Backen aufzublasen vor Vergnügen. Rings in die Runde richtete sich alles in der Natur auf, um auf die lange, tapfere Engländerin und ihren kurzen, dicken, schwarzbärtigen, slavischen Widersacher zu sehen: in diesem Moment gab es der heißen Stunde zum Trotz wahrlich nichts Lebendigeres als den großen Pan!

»Je le veux! I will! Ich will es, und ich will es!« sprach Christabel mit unheimlichster Charakterfestigkeit, und Herr Michael Alexandrowitsch Tumboffski konnte endlich nicht umhin, ebenso grob wie sein Unterbeamter zu werden. Er wurde es gegen die energische Dame, nachdem er wahrlich eine ziemliche Weile Vernunft, soweit sie durch ihn und an dieser Stelle möglich war, auf die willenskräftige Jungfrau hineingesprochen hatte. Er wurde sackgrob, je mehr er in Transpiration geriet, und rief nicht nur alle Heiligen seines Himmels, sondern auch alle Teufel seiner Hölle, und nicht nur im gebrochenen Deutsch, sondern auch im fließendsten Russisch auf; außer allen Heiligen und Teufeln aber natürlich auch die irdischen Behörden. Im eiligen Lauf schickte er seinen Untergebenen zum Schultheißen von Rothenberg, und dieser – war gekommen und zwar in Begleitung von einigen Feld- und Weinbergshütern, welche der Lärm gleichfalls hergelockt hatte.

Die Sache trieb einer Krisis entgegen. Verhaftung, Abführung zu Amte mit gewalttätiger Hand drohte der für die Würde und die Rechte ihres Geschlechts so heroisch in den Kampf getretenen Christabel. Kopfschüttelnd hatte der Alkalde vom Rothenberge seinerseits das Für und Wider erwogen, und hatte sich eben, nach abgegebenem dorfpolizeilichen Verdikt, zurückgebogen, um der Ohrfeige auszuweichen, die Miß Christabel im Begriff war, ihm hinzuschlagen; als – Herr Christoph Pechlin um die Ecke bog und den verworrenen Knäuel der Streitenden zu Gesicht bekam, zugleich aber auch die aus der Mitte des Knäuels hoch aufragende Gestalt der göttlichen Maid.

Im maulaufreißenden Erstaunen stand er da, und die ersten Worte, die er zur Wiedergabe seines Erstaunens zusammenfand, waren:

»Ja aber, Gerichte Gottes, was ischt denn dees nun wieder?«

Aber ihrerseits den Freund erblickend machte das hohe Mädchen sich Bahn durch den schwülen Kreis, der es umgab, faßte den Rettung und Trost bringenden Jüngling am Arm und rief:

»It is an abomination, und ich werde mir wenden an die englische Gesandtschaft.«

Doch im Fahrwasser der ausländischen Jungfrau war auch der Pope herangekommen. Mit ausgebreiteten Armen hatte er sich von der andern Seite auf den Exstiftler gestürzt und ihn nach fast erdrückender Umarmung am linken Arme gepackt und zwar mit den kläglichen, hülfeflehenden Worten:

»Brüderchen, wenn du die Dame kennst, so sprich du ihr Vernunft ein! Wir sind zu Ende mit unserem Griechischen und Latein. O Brüderchen Christoph, bei allen lieben Heiligen in unserer heiligen Rossia, das Weib, diese Anglitschana, wäre selbst dem bielawo czaro, dem weißen Zaren, zuviel. Befreie mich von dem Geschöpf, Freundchen, und sei gesegnet in deinen Kindern und Kindeskindern. O, o, dieses sollte mir passieren daheim in unserer swiataja Rossia und nicht hier in der wüsten, spöttischen Fremde!«

»Yes, Sir, in old England sollte mir dieses begegnen!« rief Miß Christabel. »O Mr. Pichlin, sagen Sie dem Ungeheuer meine Ansichten. Machen Sie ihn bekannt mit meinem Inneren! O Mr. Pichlin, in Ihrem Deutschland bekommt man doch alles, alles in die Erfahrung!«

»Da haben Sie nicht ganz Unrecht, Fräulein,« sprach Pechle, hatte sich jedoch vor allen Dingen an den Russen mit der vorwurfsvollen Frage zu wenden:

»Aber Alexandrowitschle, was fällt dir denn ein? O Brüderle, trinkt man deshalb und dazu Schmollis und schwört sich ewige Freundschaft von der Newa bis zum Neckar?!«



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