Wilhelm Raabe
Christoph Pechlin
Wilhelm Raabe

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Das achtundzwanzigste Kapitel.

Sie hatten selbstverständlich schon längst Brüderschaft miteinander getrunken, Herr Michael Alexandrowitsch Tumboffski aus Boriszoglebsk, Großrußland, Gouvernement Woronesch, und Herr Christoph Pechlin aus Waldenbuch im Schönbuch, Neckarkreis des Königreichs Württemberg. Vor anderthalb Jahren hatten sie bei der ersten Begegnung augenblicklich erkannt, daß sie ganz und gar füreinander gemacht seien – beide Theologen, beide Kenner und Liebhaber eines feinen, herzerfreuenden Getränkes, beide solide, behaglich und gemütlich ihren Platz auf der Bank warmhaltende Gesellen, und beide mit einem ungemein drolligen Behagen an dem Vergnügen der Stunde und mit einem nicht zu verachtenden witzigen Verständnisse für diese Vorgänge begabt! Ihre internationalen Bezüge mußten jedermann erquicken. O, sie verstanden es, sich gegenseitig auf ihre Vorzüge und ihre Schwächen aufmerksam zu machen; und was der alte Tübinger jedem andern seiner Bekannten übel genommen und durch unsägliche Grobheit hätte entgelten lassen, das nahm er von seinem Freunde Michael Alexandrowitsch ruhig und nur angenehm gekitzelt hin und rächte sich höchstens durch verdoppelte Anzüglichkeit gegen das heilige Rußland bei dem nächsten Zusammentreffen vor dem schwäbischen Schoppen.

Sie hatten sich im Lauf der Zeit manches Stelldichein gegeben, und selten war einer von ihnen zur verabredeten Stunde ausgeblieben; eine Begegnung wie die jetzige am Mausoleum auf dem Rothenberge hatten sie jedoch noch nicht erlebt. Zuerst wandte sich Pechle natürlich an das zu Haufen gelaufene Volk mit der Notiz, daß das Schauspiel zwar bis jetzt gratis gegeben worden sei, daß er, Christoph, jedoch nunmehr anfangen werde, zu »sammeln«; und er gewann durch diese ironische Bemerkung jedenfalls mehr Raum, als wenn er wie der Pope die Polizei zu Hülfe gerufen hätte. Sodann wendete er sich zum zweiten Male an seinen Freund Michael mit dem vorwurfsvollen Worte:

»Aber Aexandrowitschle?!«

»Ich bin schon ruhig, Brüderchen,« seufzte der im schwäbischen Nachmittagssonnenschein brätelnde Sohn der Steppe. »Alles, was du willst, mein Söhnchen! Wenn das Mütterchen sich zur Ruhe gibt, ist alles in Ordnung. Sprich ihr zu, Söhnchen, und mach es ihr verständlich, daß du, und ich, und der Schultheiß da, die Satzungen – Gott erhalte sie – nicht gemacht haben. Nachher können wir ja –«

»Jawohl, jawohl!« rief der Exstiftler abwehrend und widmete sich, ohne den Ideenassoziationen des russischen Freundes fürs erste weiter Folge zu geben, vor allen Dingen der Beruhigung der entrüsteten britischen Jungfrau. Er sprach lächelnd aber eindringlich und fest zu ihr. Ob er sie überredete, oder ob sie aus einem andern Grunde nachgab, können wir nicht sagen; jedenfalls schien sie Vernunft anzunehmen. Sie schob ihr Album in die Tasche, sie drückte die Lorgnette fester auf die Nase, sie sah sich ihren Widersacher – den gutmütig blinzelnden, lächelnd die Hände reibenden Michael Alexandrowitsch genau an, ließ sich nach einer eingehenden Prüfung herab, ebenfalls zu lächeln und – hatte nichts dagegen, ihn sich durch ihren Freund, Herrn Christoph Pechlin in aller Förmlichkeit vorzustellen zu lassen. Der Friede war geschlossen, und –

»Geben Sie mir Ihren Arm, Sir!« sprach Miß Christabel Eddish zu ihrem Freunde. – –

Das Wirtshaus zur Krone im Dorfe Rothenberg besitzt eine reizende kleine Laube dicht an der Wand des Hauses und am schroffen Bergabfall. Aus ihr genießt man einen wunderhübschen Blick auf das Ulbacher Tal, das Dorf Ulbach und die gegenüberliegenden Höhen. Höchstens vier Menschen haben an dem Tischchen in der Laube Platz, und für Drei genügt sie vollkommen. Mit grünem und buntem Laube, mit Sonnenschein und weißen und roten Trauben war der enge Talkessel bis an den Rand gefüllt, und oben am Rande in der Laube saßen Christoph und Christabel an der einen Seite des schlechten Tisches, und ihnen gegenüber auf der anderen Bank saß Michel Alexandrowitsch Tumboffski, und zwischen dem Kleeblatt funkelte es rot vom Ulbacher Vorjährigen aus der Flasche und dem Glase und duftete es käsig. Den Emmenthaler hatte der Pope sich bringen lassen, nachdem er dem Paare ihm gegenüber seinen Segen gegeben hatte, und Christabel war nicht imstande, heute abend noch einmal die Nase zu rümpfen.

Inhaltvolle Worte waren auf dem Wege von der Kapelle bis in die Krone gesprochen worden, und Alexandrowitsch hinter dem Freunde und der besänftigten Feindin hertrippelnd, hatte alle fünf Schritte die fröhlichen Äuglein zum Himmel emporgehoben, den Kopf geschüttelt und den Finger an die Nase gelegt: Dieses hatte er seinem Freunde Pechle jedenfalls nicht zugetraut! . . . Und Miß Christabel in der Laube! Wenn alle Glocken im Lande Schwaben das Wunder ein- und ausgeläutet hätten, so würde das zwar eine verdiente Anerkennung der ungeheuren Tatsache bedeutet haben; allein auch nicht mehr. Nur durch den Druck und die Schnellpresse vermag dem großen Faktum Genüge geleistet werden, und das besorgen wir! Glaubet, o ihr Geschlechter der Menschen: es verhielt sich in der Tat so; grade als die Sonne unterging, als alle Berge wiederum einmal im feurigsten Lichte lagen, hatte der russische Gottesmann Michel Alexandrowitsch Tumboffski dem deutsch-englischen Paare seinen Segen gegeben, – – – – und nimmer hatte die Sonne widerstrebender von dem Blick auf das Dorf Rothenberg Abschied genommen, sie, die ihre Planeten beleuchtete und auf ihren Planeten feuerspeiende Berge, mit Sturm genommene Städte und meilenweite Schlachtfelder in Hülle und Fülle sah, ohne je den Wunsch zu haben, ein Ding noch länger, als es ihr möglich war, zu betrachten. –

Und nach dem Sonnenuntergang wurde es allgemach dunkel, sowohl in Ulbach im Tal wie in Rothenberg auf der Höhe, sowohl in Obertürkheim wie in Untertürkheim. Und daß der Mond in dieser Nacht nicht schien, das war noch viel schöner für Christoph und Christabel, als wenn er mit verdoppeltem Glanze das nachgeholt haben würde, was die Sonne zu ihrem unaussprechlichen Leidwesen versäumen mußte. Es wurde sogar ein sehr dunkler Abend. Selbst Alexandrowitschle vermochte kaum seine Behausung zu finden, und – Christoph hatte Christabel nach Untertürkheim den Berg hinunter zu führen. Viele selige Leute sind den steilen Pfad vor ihm hinuntergestolpert, ein sonderbarerer Seliger als er wahrscheinlich noch niemals. Ein biedermännischer betrunkener Bär, der sich, seinen Gesellen gegenüber, bewußt ist, einer Gazelle, einem schlanken Reh, einer graziösen Ziege, statt sie zu fressen, eine Liebeserklärung und einen Heiratsantrag gemacht zu haben, und der jeden Augenblick befürchtet, von der rauhhaarigen Brüderschaft darüber zur Rede gestellt zu werden, mochte sich ähnlich in seinem Pelze fühlen, wie Herr Christoph Pechlin in seiner Haut. Das war es aber nicht allein. Pechle war nicht nur verlegen, nein er befand sich zu gleicher Zeit sehr wohl, – ganz außergewöhnlich in seiner Eitelkeit gekitzelt. Er war wirklich selig, und wenn ihn ein ironischer Waldgenosse auf sein Glück mit verzogener Schnauze angeredet haben würde, so würde er – Christoph Pechle – seiner Verlegenheit unbedingt durch eine gigantische Grobheit gegen den Gratulanten Luft gemacht haben. Er würde imstande gewesen sein, selbst mit Christabel am Arm – in Christabels Gegenwart – vor Christabels süßen Ohren das drastische Wort, mit welchem der Kernmensch unberufene Insinuationen und so weiter am liebsten abweist, unverzüglich in Anwendung zu bringen. Er würde einfach gesagt haben – nein, sagen wir es doch lieber nicht, was er gesagt haben würde!

Christoph Pechlin war selig. Und wenn der Bär einmal sentimental wird und sein Herz verschenkt, so fühlt er Wonne, wie kein anderes, tierisch sich fortpflanzendes Geschöpf. Dazu imponiert er sich selber in der Tiefe seiner Seele ungeheuer. Es ist da etwas über ihn gekommen, was er seiner Natur trotz seinem täppischen Selbstbewußtsein im letzten Grunde doch nicht zutraute. Und das war nicht allein über ihn gekommen, nein, er hatte es selbst gemacht, fertig gebracht und konnte es nun selber in den Merkur setzen lassen. O fassen wir ihn im Ganzen und Vollen! War er nicht ein Dichter? Hatte er nicht Gedichte gemacht? Hatte er dieselben etwa nicht auf seine eigenen Kosten drucken lassen? Hatte er dieselben nicht als Kommissionsartikel einem Buchhändler zum Verschleiß anvertraut, und war er von dem Manne nicht mehrere Male aufgefordert worden, die Auflage doch lieber wieder an sich zu nehmen und den Vertrieb selber zu bewerkstelligen? Waren es nicht siebenhundertundneundneunnzig Exemplare, welche im Dunkel des Lagers vergilbten, und trug er nicht das achthundertste hinten in der Rocktasche? Ja, freilich es verhielt sich das alles so – achthundertfältig lag ihm seine Lyrik auf der Seele, und trotzdem – trotz alledem fühlte er sich auf seinem Wege vom Rothenberge nach Untertürkheim hinab nicht als Poet; nein, er war es diesmal! er war es in dieser Stunde wirklich! Die goldenen magischen Ströme ertränkten ihn fast; daß er so zu fühlen verstehe, hatte er wahrlich nicht gewußt, wenn er seine Verse machte; hatte er nicht geahnet, als er sich nach einem Verleger umsah: ach, und um so mehr war es zu bedauern, daß er in dieser Stunde des Wunders mit seinen Gefühlen so sehr – so sehr – so kläglich und jammervoll an – die Unrechte kam. Miß Christabel dachte an kuriose Dinge, als sie auf dem steilen Pfade an seinem braven Arme hing; und als sie am Eingange des Dorfes Abschied von ihm nahm und sagte: »Good night, dearest, and the Lord bless you! Gute Nacht, mein Teuerster, und unser Herrgott möge dich segnen!« da war es in der Tat die höchste Zeit, daß der Herrgott sich Pechles annahm. Er selber, unser Freund, Herr Christoph Pechlin, hatte sich in der Laube des Wirtshauses zur Krone da oben auf dem Berge, unter den Auspizien Michael Alexandrowitsch Tumboffskis für eine geraume Zeit aufgegeben.

Das war ein Abend! und welche andere Abende folgten auf diesen so sehr ereignisreichen! Nicht nur Abende, sondern auch allerlei Morgen und Mittage; bis eines Morgens der Jubel über den schwäbischen Hügeln losbrach, und die Weinlese im vollen Ernste begann.

O Herbst am Neckar! o neuer Wein und junge Liebe! o Christoph und Christabel! Wie griff der Poet auf allen Wegen und Stegen, im Sitzen und Stehen, und, vor allem, in schlaflosen Nächten auf dem Rücken liegend, in seine Leier! Welche Töne, welche Melodien entlockte er seinem Lieblingsinstrumente – acht Tage lang. Am achten Tage nach der Verlobung in der Laube auf dem Rothenberge, unter einem Gebüsch am murmelnden Strome sitzend, wagte es Pechle, sein Tongerät zum ersten Mal vor seiner Verlobten aus der Tasche zu ziehen, machte er sie auch mit diesem seinem eigentümlichsten Talente bekannt – spielte er ihr etwas vor, und hatte nach Hervorbringung der ersten summenden Töne mitten im Takte abzubrechen und unermeßlich zu erstaunen.

Miß Christabel Eddish saß versteinert neben ihm, und nachdem Pechle während einer angsthaften Minute geglaubt hatte, ihr sei unwohl geworden, gelangte er zu seinem Entsetzen zu der Gewißheit, daß er selbst sie unwohl gemacht habe. Die Versteinerung der Jungfrau löste sich durch einen schrillen Schrei; und was ächzte Christabel, als sie nach dem Schrei die ersten artikulierten Worte fand?

»Oh! that is horrible! fürchterlich ist das! that is indelicate! Oh, he performs on the Jew's harp! ach, oh die Maul – die Mund – er spielt die Mund-Trommel! oh dear, dear, dear! Ich hatte das vergessen – ich hatte das ganz und gar vergessen, o Lieber – Liebster, dieses Instrument wirst du nicht weiter spielen – du wirst es mir geben, bitte, und ich werde –«

Sie hatte nicht nötig zu sagen, was sie tun werde. Die Tat genügte schon, und jetzt hatte Christoph Pechlin das Recht, zu versteinern.

»Was war, was ist denn das?« sagten die Fische im Neckar, die sonst gewöhnlich stumm sind; wir aber wissen, was es war, was zu ihnen hineinflog in die blaue poetische Flut, und versank, wie schon so manches in Strom und Meer versunken ist, und zwar meistens auf Nimmerwiederauftauchen oder Aufgefischtwerden. –



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