Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Weitere Südfahrt auf dem blauen Nil

Nachdem ich mich hinlänglich ausgeruht und alles nötige vorbereitet, schiffte ich mich am sechsten Mai mit dem Kawaß, drei Dienern und dem in Mandera gewesenen Dschaus in der bequemen, aber etwas delabrierten Kangsche des Gouverneurs gegen Abend auf dem blauen Flusse ein, um trotz des täglich erwarteten Eintritts der Regenzeit noch etwas weiter vorwärtszudringen, ein Unternehmen, das für einen Dilettanten, der die Sonnenseite des Lebens schon hinter sich hat, der auch nicht ex officio «mandé par l'Angleterre ou la France», wie die Inschriften Linants und Cailliauds in Mesaourat lauteten, ebensowenig von seinem Vaterlande gesandt, sondern aus bloßer Laune in der Welt umherzieht, immer genug getan war; denn das Reisen in der Regenzeit wird hier für Europäer oft tödlich. Der Doktor folgte mit seinen beiden Sklaven in der zweiten Barke. Ein heftiger Staubsturm indes, der im Moment unserer Abfahrt eintrat, zwang uns, ganz nahe der Stadt in einer geschützten Bai bis zum nächsten Morgen zu verweilen. Wir hatten dann ziemlich günstigen Wind, wegen der vielen und jählingen Krümmungen des Flusses diente er jedoch nur teilweise, und die meiste Zeit mußten die an unsre Fahrzeuge angespannten Einwohner zu unsrem Fortkommen das beste tun. Dennoch ging es im Ganzen nur sehr langsam vorwärts. Drei Stunden von Khartum kamen wir bei den Ruinen von Soba oder Saba vorbei, was die unwissenden Türken für die Residenz der berühmten Königin ausgeben, die den weisen Soliman (Salomo) besuchte, deren Besichtigung wir aber bis zu unsrer Rückkunft aufschoben und drei Stunden weiter unfern eines freundlichen Dorfes für die Nacht ankerten; die Schiffahrt ist hier in der Nacht zu unsicher, und überdies wünschte ich so wenig als möglich von der Gegend ungesehen zu lassen. Als wir zu einer kleinen Exkursion ins Innere während der Abendkühle ans Land stiegen, fanden wir die Ufer mit einer Menge Pelikane, schwarzer und weißer Ibisse, die zum Teil gleich Störchen auf den Bäumen nisteten, wilden Gänsen, Enten und vielen andern Wasservögeln so reichlich bevölkert wie im Paradiese, doch Menschen ließen sich nicht sehen. Endlich stieß uns jedoch ein hübsches junges Mädchen auf, ganz allein in einem Durrafelde mit ländlicher Arbeit beschäftigt, die, sobald sie uns gewahr ward, sogleich die Flucht zu ergreifen Miene machte. Mit Mühe brachte sie der Dschaus durch einige zugerufene Worte zum Stehen, obgleich sie bei unserer Annäherung am ganzen Leibe heftig zitterte. Noch ehe wir sie erreicht hatten, rief sie uns ängstlich zu: «O liebe Leute, wollt Ihr mir gewiß nichts tun – wollt Ihr mich nicht essen?» und nur auf die wiederholte Versicherung, daß wir uns bloß nach dem Weg bei ihr erkundigen und ihren schönen, bunten Perlenschmuck besehen wollten, mit dem sie ganz behangen war, kam sie uns langsam und zögernd ein paar Schritte entgegen, jetzt schon freundlicher lächelnd, aber immer noch furchtsam und bebend. Ich habe in meinem Leben nichts Jungfräulicheres gesehen, als das halb entsetzte, halb neugierige und dabei so liebevoll gutmütige Benehmen dieses reizenden Kindes, voll von aller Grazie einer unverfälschten Natur. Als sie etwas zutraulicher geworden war, schenkte ich ihr ein blankes kleines Goldstück, das sie in die Hand nahm und verwundert anschaute, aber nicht behalten wollte. Die Erklärung, was es sei, schien ihr unverständlich, sie schüttelte mit dem Kopf und bat, ich möchte es wieder zurücknehmen. Da ich mich dessen weigerte, so legte sie es behutsam auf einen Stein zu meinen Füßen nieder, grüßte höchst anmutig und lief dann eilig ihren Eltern zu, die, wie wir erst jetzt bemerkten, ungefähr einige hundert Schritte davon am Saume eines großen Waldes arbeiteten, der sich rechts und links, dicht und fern hinzog, so weit der Horizont reichte. Doch war erst ein Teil seiner hauptsächlich aus Akazien, Mimosen, Nebkas usw. bestehenden Bäume grün, denn nur wenn die fortdauernden Güsse der Regenzeit sie erfrischt hat, wird diese von den Sonnenstrahlen versengte Gegend mehrere Monate lang zum üppigsten Garten.

Immer voller, schöner und grüner erschienen schon am folgenden Tage die Ufer des Flusses, durch deren Buschgewirr die unsre Barken ziehenden Neger jetzt große Mühe hatten, sich durchzudrängen. Ich bemerkte viele Weidenarten, die nebst einer Gattung Holunder mit großen weißen Blüten fast die einzigen Pflanzen sind, welche nicht mit unzähligen Stacheln bewaffnet, dem Spaziergänger hier jeden Schritt streitig machen zu wollen scheinen. Der Fluß war sehr breit und verhältnismäßig seicht, die Ufer jedoch meistens schroff, der Wind konträr aus Süden und dennoch die Luft ungemein kühl, die Atmosphäre trübe. In der Nacht hatte es einige Stunden geregnet, aber nicht heftig. Wir fanden das Wasser des blauen Flusses, dessen Farbe, beiläufig gesagt, jetzt dunkelockergelb ist, nicht ganz so gut und wohlschmeckend als das des Nils nach dem Zusammenfluß, auch wurde es, trotz alles Filtrierens, nicht so kristallklar. Da ich leider keinen Wein mehr habe, ist dieser Mangel desto empfindlicher; glücklicherweise findet man indes hier überall Milch. Öl kennen die Einwohner nicht und brennen in ihren Lampen anstatt dessen Butter, die sie auch sehr reichlich als Pomade gebrauchen und wahrscheinlich aus diesem Grunde einen Abscheu davor hegen, sie zu essen.

Fünf Krokodile lagerten mittags auf dem Sande einer kleinen Insel, während Susannis nach seiner unartigen Manier ganz unbesorgt vor ihnen zur Abkühlung ins Wasser sprang und zu meiner großen Angst in ihrer Nähe umherschwamm, denn er wäre jetzt ein ebenso leicht zu erreichender als leckerer Bissen für jene Untiere gewesen, da der einst magere Spartaner durch die lange Fleisch- und Milchdiät ohne Brot so fett wie ein Mönch geworden ist. Er hat übrigens einen Rival in unsrer Gunst erhalten, ein junges Äffchen mit rabenschwarzem Gesicht, nicht größer als die Hand, Abeleng mit Namen, das ich in Khartum kaufte. Es ist so zahm und artig gewöhnt, daß man es frei umherlaufen lassen kann, ohne zu befürchten, daß es etwas verderbe. Ein kleiner Diebstahl ist die einzige Sünde, deren sich Abeleng zuweilen schuldig macht, und da dann das üble Gewissen seine Possierlichkeit nur noch vermehrt, so wird ihm leicht vergeben. Auf Susannis ist er bitter eifersüchtig, der ihn jedoch von seiner Seite nur mit Verachtung betrachtet.Dieses Äffchen lebt noch frisch und gesund in den Wäldern der Lausitz, es ist aber leider seitdem viermal größer geworden und lange nicht mehr so gutmütig als im Naturzustande.

Die Windungen des Flusses blieben fortwährend mäandrisch, obgleich er hier durch ein ganz flaches Land fließt. Gegen Abend, nachdem der Wind mehrmals gewechselt, hatten wir ein heftiges Gewitter mit starkem und anhaltendem Regen, der auch durch das Dach meiner Kajüte drang und in des Doktors Barke, die noch weniger gut bedeckt war, alle Effekten gänzlich durchnäßte. An einem gut gebauten Dorfe mit Namen Nuba, das fruchtbare Felder umgaben, und wo wir nur wenige Sakis bemerkten, da hier die Regenzeit fast zu aller Bewässerung, die der Feldbau bedarf, hinlänglich ist, verweilten wir die Nacht und wanderten lange Zeit bei Mondschein am Ufer umher, bis eine plötzlich eintretende drückende Schwüle uns bewog, unser Lager auf dem frischeren Wasser aufzusuchen. In der Nacht ward es dagegen so empfindlich kalt und windig, daß ich alle Fenster zumachen mußte und mich mit doppelten Decken kaum erwärmen konnte, auch einige Tage einen steifen Hals davontrug. Diese plötzlichen Kontraste in der Temperatur in dieser Jahrszeit sind es hauptsächlich, welche die Regenperiode gefährlich für die Europäer machen, um so mehr, da der Reisende in der Regel so wenig Mittel findet, sich dagegen zu schützen, und jede Verkältung in diesem Himmelsstrich immer eine totale Erschlaffung der Unterleibsorgane hervorbringt, weshalb dies später leicht in eine das Leben zerstörende Krankheit übergeht. Sorgsam abgewogene, nie zu leichte Kleidung, eine wohlkalfaterte Kajüte im Schiff und ein luftdichtes englisches Zelt auf dem Lande nebst einem leichten, aber voluminösen Pelz und womöglich ein steter Vorrat leichter Weine oder guten Bieres würden wahrscheinlich hinlänglich sein, allen üblen Folgen der Regenzeit vorzubeugen, wo man dann bei nur mäßiger Vorsicht in jedem Genuß gewiß allen Fiebern, Dissenterien und inflammatorischen Krankheiten (Epidemien ausgenommen, gegen die nichts schützt als Entfernung) nicht leicht ausgesetzt sein möchte. In andern Ländern kann man dergleichen minutiöse Rücksichten Weichlichkeit nennen, aber hier, wo oft bei der geringsten Vernachlässigung die Strafe der Tod ist, scheint es mir unweise, sich zu viel zuzutrauen, und aus diesem Grunde mag es mir auch der Leser verzeihen, wenn ich so häufig auf diesen etwas trockenen Gegenstand zurückkomme. Es ist eine Warnung, deren Wichtigkeit man nur im Lande selbst gehörig würdigen und innewerden kann.

Was uns betrifft, so befinden wir uns, obgleich der erwähnten Dinge jetzt sämtlich ermangelnd, doch noch ziemlich wohl bis auf einen (die meisten von uns plagenden) juckenden Ausschlag über einen großen Teil des Körpers, gleich dem Friesel, ein Übel, das sich bei dem Fremden sehr häufig mit dem Steigen des Nils, in Ägypten wie hier, einfindet. Es soll aber wohltätig und gerade ein gutes Zeichen sein, ist aber deshalb nicht minder beschwerlich, da es im Anfang ein unerträgliches Jucken erregt und beim Abtrocknen wie Nadeln sticht.

Am neunten Mai schifften wir größtenteils durch kahle Sandufer, die Wälder hatten sich in weitere Ferne zurückgezogen. Abends zeigte sich ein Nilpferd ziemlich nahe unsrer Barke, blieb aber nicht lange sichtbar. Ein frischer Wind schwellte häufig unsre Segel, und die Hitze war nur gelind, so daß im ganzen die Fahrt angenehm zu nennen war. So bequem dieses Fahren auf dem Flusse indes in vieler Hinsicht ist, so bleibt es doch für den Wißbegierigen immer weit undankbarer als das Reisen zu Lande. Die Abwechselung fehlt, man sieht den langen Tag über zu wenig und reist fast wie ein Engländer, der seine Tour durch Europa in der Postchaise macht. Dieser verkehrt dabei wenigstens noch mit Gastwirten, wir nur mit Krokodilen und Hippopotamen. Man sollte wenigstens immer ein paar Esel in der Kangsche mit sich führen, um an interessanten Stellen ohne Zeitverlust eine gelegentliche Landtour vornehmen zu können, denn das Zufußgehen, besonders während der Tageshitze, fängt an untunlich für uns zu werden. Man fühlt sich zu matt, und jede Erhitzung droht Gefahr, um so leichter vielleicht, da durch das bedeutend entnervende Klima Geist und Körper gleich abgespannt werden und daher Kleinmütigkeit immer mehr die Stelle früherer Zuversicht einnimmt.

Im Glanz der untergehenden Sonne erblickten wir ein schön gebautes Dorf, in dem fast alle Häuser die Größe der Paläste von Schendy und Metemma zu erreichen schienen, was die bisherige Monotonie der Landschaft auf das Anmutigste unterbrach und für den Wohlstand der Gegend ein gutes Vorurteil erweckte. Mitten vor dem Dorfe stand neben einem doppelten Saki ein prachtvoller Baum von der Höhe und Breite einer alten Linde mit ähnlich geformten, aber dunkleren und glänzenderen Blättern. Er hat purpurrote Blüten und trägt Schoten, deren nach der Reife ebenfalls hochrote Bohnen einen bedeutenden Handelsartikel als Damenschmuck für die hiesigen Schönen abgeben; dieselben, von denen ich, wie man sich vielleicht noch aus einem früheren Artikel erinnern wird, auf dem Bazar zu Metemma einen ganzen Viertelscheffel zur Sendung an meine europäischen Freundinnen einkaufte. Bald darauf überzog sich der Himmel mit voreiliger Nacht, und drei Gewitter umringten uns, eins im Rücken und eins zu jeder Seite. Sie schossen wie aus Batterien unter krachendem Donner ihre Blitze auf uns ab, zielten aber glücklicherweise nicht richtig. Dazu gesellte sich ein so heftiger Sturm aus Norden, daß er unsre Barke, obgleich wir alle Segel eingezogen hatten und dem Strom entgegenschwammen, dennoch mit weit größerer Schnelle vorwärtstrieb, als uns lieb war. Nach einer halben Stunde dieser rapiden Fahrt machte der Fluß ein plötzliches Knie, und da uns hier der Sturm in die Flanke genommen haben würde, sahen wir uns genötigt, das Fahrzeug am Ufer zu befestigen und vorderhand hier zu kampieren. Sturm und Wetterleuchten hörten während dieser Nacht keinen Augenblick auf, aber der gütige Himmel verschonte uns mit Regengüssen, die wir mehr als alles fürchten, weil wir so gut als gar keinen Schutz dagegen haben. Es war jedoch nur eine Galgenfrist, die uns vergönnt worden war, denn kurz nach Aufgang der Sonne ließen sich die Wolken stromweise über uns nieder, und der Wind, der uns gerade entgegenblies, verhinderte alles weitere Fortkommen, da es unmöglich war, selbst mit Hunderten von aufgebotenen Schwarzen die schweren Barken dem Wind entgegen zu ziehen. Der Regen strömte ebenso ungehindert durch die gänzlich erweichte Decke meiner Kajüte als auf dem offnen Verdeck und jagte mich schnell aus dem Bett. Wo nun ein Obdach suchen? – Endlich kam ich auf den glücklichen Gedanken, mein türkisches Zelt, so gut es zu bewerkstelligen war, noch über dem Dache der Kajüte aufschlagen zu lassen, und obgleich dieses ebenfalls nicht allzu wasserdicht ist, so gewährte die doppelte Bedeckung doch einige Erleichterung. So vor dem Regen leidlich verwahrt, blieb mir nichts andres übrig, um nicht ganz geschäftslos zu bleiben, da jede Exkursion unmöglich war, als mich an den Schreibtisch zu setzen und über die Neugierde, vielleicht auch die Eitelkeit, welche uns Europäer so rastlos umhertreibt, allerlei philantropische Betrachtungen niederzuschreiben, die sich manchmal stark zu dem Resultate hinneigten, mit Molière auszurufen: «qu' allais-je faire dans cette galère!» Ich ward jedoch unvermutet in dieser melancholischen Anwandlung durch Abeleng unterbrochen, der ganz unbemerkt von mir auf den Tisch gesprungen war und mir jetzt sanft die Feder aus der Hand zog, mit der Miene, als wolle er selbst ein Postscriptum hinzusetzen, was allerdings mein Werk zu einer der unschätzbarsten Seltenheiten gestempelt haben würde. Der Boshafte sah mich aber nur mit unwiderstehlich komischem Ernste an, blinzelte heftig mit den Augen, zerkaute dann hastig die Feder und warf sie in die Ecke der Kajüte! – wahrlich eine bittre Satire! Aber Autoren sind unverbesserlich, selbst wenn Affen sich die Mühe geben, sie zu rezensieren. Und so ward die zerkaute Feder bald mit einer neuen vertauscht, der Himmel gebe mir des Lesers nachsichtige Genehmigung.

Um drei Uhr nachmittags ließ das Unwetter endlich insoweit nach, daß wir mit großer Anstrengung der requirierten Leute wieder flott wurden. Die Ufer blieben noch flach und unbedeutend, obwohl öfter als gestern mit niedrigem Buschwerk eingefaßt. Doch sah man über die weißen Sandflächen fortwährend tiefe Wälder in der Ferne. Wir bemerkten wenig Dörfer, sahen aber häufig große Herden von Ziegen und auch eine Herde von vielen hundert Kamelen zur Tränke an den Fluß kommen, was fortwährend für die Wohlhabenheit der Einwohner spricht. Mein Kammerdiener Ackermann, der rüstiger als wir geblieben und mehrere Stunden zu Land marschierte, fand viele runde spitze Strohhütten der Neger einzeln im Walde verteilt. Er sah die Leute dort eine Art Kürbisblätter mit Vergnügen genießen, und die gedörrten Körner der Frucht wurden ihm als eine vorzüglichere Delikatesse gastfrei angeboten, schienen jedoch nicht sehr nach seinem Geschmack gewesen zu sein. Grüne Papageien waren sehr häufig im Walde, und er brachte uns einige Exemplare davon nebst einem schönen, rot, weiß und grün gestreiften Vogel von bedeutenderer Größe als Beute zurück. Eine Giraffe hatte er vergebens und zum Ruin seiner Kleidung verfolgt, da in der Tat das stachlige Gebüsch hier nur mit einer Axt zu passieren ist. Die wilden Tauben, die er geschossen hatte, fanden wir noch größer und schmackhafter als in Ägypten und Nubien.Die Geographen dehnen zwar auf den meisten Karten Nubien bis zum Fazol aus, die hiesigen Türken aber lassen es, wie schon erwähnt, bei der letzten Katarakte enden, wo ihr Sudan beginnt. Sie waren uns um so willkommner, da wir seit Khartum nur von Hammelfleisch und lauem gelben Wasser lebten, nebst schlechtem Zwieback, den wir in letzterem auflösten.

In der folgenden Nacht wurden wir noch härter als bisher geprüft, denn die Gewitter kehrten wieder, und diesmal mit einer Sündflut, der nichts zu widerstehen vermochte. Von drei bis vier Strömen erwachend, die sich wie Wasserfälle in mein Bett ergossen, langte ich zwar beim Leuchten der Blitze noch nach meinem Regenschirm, doch da auch dieser wenig half und kein Ort in der Kajüte trocken blieb, so ergab ich mich in mein Schicksal, und das mich schon überall umgebende Wasser mit der natürlichen Hitze meines Körpers wärmend beschloß ich, in der innehabenden Position mich bewegungslos dem Elemente hinzugeben. Wirklich schlief ich auch auf diese Weise von neuem ein, und obgleich ich am Morgen mit den steif gewordnen Gliedern kaum aufstehen konnte, nahmen doch eine starke Motion und Schwitzbad in der wiedergekehrten Sonnenhitze alle üblen Folgen hinweg. Mehr litten unsre Effekten, selbst das Mahagoniholz meines letzten größeren Perspektives zerbröckelte wie Schwamm, so daß die Beschläge und Gläser davon abfielen, und nur mühsam konnte ich es zu mangelhaftem Gebrauch mit Leim und Bindfaden wieder einigermaßen zusammenrichten. Tragikomisch war es, daß die bunten Leimfarben, mit denen das Innere der Kajüte angemalt war, sich teils auf meine Person, teils auf die umherliegenden Kleider, Wäsche usw. übertragen hatten, was mich an die «malheurs et avantures d'Arlequin» lebhaft erinnerte, dem mein Äußeres sehr ähnlich geworden war.

Am elften hielten wir in einem ganz neu aussehenden, wohlgebauten Dorfe, Ouad-Abüfrönt, wo ein Kascheff residierte, an, um unsern Proviant zu erneuern. Ich stieg ans Land und watete durch den Kot, in welchen das viele Wasser den fruchtbaren Boden verwandelt hatte, bis zu des Kascheffs Wohnung. Im höher gelegenen Dorfe war es etwas trockener und der Anblick freundlich. Die Häuser waren unregelmäßig gruppiert, aber in gehörig bequemer Entfernung voneinander aufgebaut und angenehm mit breiten Dum-Palmen und hohen Tamarindenbäumen, die uns hier zuerst bekannt wurden, umpflanzt. Einige der Wohnungen waren viereckig mit einer platten Terrasse darüber, andere rund mit spitzen Rohrdächern so glatt und gut gedeckt als in England, die Mauern aber immer, nach Landessitte, nur aus Erde und gehacktem Stroh ausgeführt. Man sagte uns, das hiesige Land sei so fruchtbar, daß, wenn es nur in einem Jahre sehr reichlich und vollständig regne, man während diesem imstande sei, die nötigen Lebensmittel für sieben folgende erbauen zu können; leider aber habe es jetzt schon seit zehn Jahren keine ganz vollständige Regenzeit mehr gegeben, was teilweise große Not hervorgebracht. Doch hoffe man nun um so mehr auf diesen Segen, da es diesmal den Anschein habe, als beginne die Regenzeit schon vierzehn Tage früher als gewöhnlich und mit allen Anzeichen großer Nässe. Dies söhnte uns einigermaßen mit dem für uns selbst daraus entstehenden Ungemach aus; denn wo gäbe es ein Gutes, von dem nicht immer einige leiden müßten!

Eine große Menge weiß und schwarze und auch einige ganz weiße, dem Ibisgeschlecht angehörige oder verwandte Vögel hatten die hohen Bäume in der Nähe der Hütten zu ihrem Aufenthalt gewählt, in deren Zweigen sie wie Früchte hingen und zum Teil auch dort horsteten; denn die Einwohner scheinen sie von jeher sorgfältig respektiert zu haben, wenn sie sie auch nicht mehr anbeten. Man nennt sie hier Simbilleh. Ehe ich mich wieder einschiffte, besuchte ich des Kascheffs wohlgehaltenen Garten, wo ich mit einem Korb sehr willkommner Weintrauben und Wassermelonen beschenkt wurde und, im Schatten der arkadenartigen Weinlauben auf einem mit Kissen belegten Engareb ausgestreckt, behaglich einige Pfeifen einheimischen Tabak rauchte, dessen Farbe hellgrüngelb und sein Geschmack sehr milde ist.

Es schien, daß wir jetzt erst, nahe dem vierzehnten Breitengrade, in die wahre tropische Natur eingetreten seien, und dies vermehrte um vieles meinen Kummer, drei Monate zu früh oder zu spät in diese Regionen zu kommen – denn ohne dies wäre ich vielleicht mehr als irgend ein Reisender vor mir immer weiter und weiter vorwärts gedrungen, weil mir durch Mehemed Alis Güte allerdings in vieler Hinsicht ungleich mehr Hilfsmittel als meinen Vorgängern zu Gebote stehen. Aber ohne alle nötige Präparation dieser mörderischen Jahreszeit von Anfang bis zu Ende zu trotzen hieße den Himmel zu sehr versuchen, abgerechnet, daß man überhaupt nichts übertreiben muß, wenn man Seele und Leib frisch erhalten will. Obgleich mit einer ziemlichen Elastizität in dieser Hinsicht begabt, fühle ich doch, daß es allgemach Zeit wird, die Dekoration zu verändern, und fürchte manchmal ernstlich, schon jetzt so verafrikanert zu sein, daß ich bei meiner endlichen Rückkunft mich genötigt sehen werde, einen ganz neuen Kursus europäischer guter Lebensart durchmachen zu müssen. Und bei uns, wo alles der Mode unterworfen ist, Politik wie Kleider, Sitten wie Literatur – während hier seit Jahrtausenden alles fast stationär bleibt –, wie gotisch-arabisch erscheint vielleicht schon jetzt mein Stil, wie veraltet und fremd wird meine ganze Individualität sich ausnehmen, wie unbekannt mit allen Interessen der Gegenwart ich selbst mich fühlen gleich dem erwachten Siebenschläfer!

«So mögt ihr mich denn trösten», rief ich jetzt, freudig überrascht von der jeden Augenblick zunehmenden Pracht unserer Umgebung, aus, «ihr undurchdringlichen Urwälder, die ihr heute, während wir so sanft auf dem ruhigen Strome dahingleiten, zum erstenmal mit euren majestätischen Baumkronen rechts und links bis an das Wasser niedersteigt; ihr Ungeheuer der Tiefe mit aufgesperrtem Rachen, auf die wir bis jetzt immer vergebens unser Pulver verschossen; ihr kolossalen Geier, die ihr, auf den höchsten Spitzen euch wiegend, verwundert auf unsre Schiffe herabblickt; ihr buntgefiederten Papageien mit dem krächzenden Willkommen; ihr fischenden Pelikane, ihr Elefanten, Giraffen und Gazellen, die ihr den Durst aus den lehmigen Fluten des Flusses löscht, und vor allen ihr drolliges Völklein schwarzer, grüner und gelblicher Affen, die ihr zu unsrem größten Ergötzen ganze Familien stark von Ast zu Ast umherspringt oder possierlich grimassierend tanzt und euch so unbefangen in eurem wilden Zustande mit ungestörtester Muße von uns betrachten laßt – ihr seid vorderhand unser einziges Publikum und wenigstens mit aller Unverstelltheit und Grazie der Natur ausgestattet. Wo man sich aber an dieser Mutter Busen legt, ist man immer noch in der wahren Heimat, und auch ich fühle hier etwas von eurer göttlichen Freiheit, ihr guten wilden Tiere, das die früheren trüben mattherzigen Gedanken heilsam wieder niederschlägt.» Mein Freund, ein alter österreichischer Beamter, hatte Recht, als er mir häufig wiederholte: Es kompensiert sich haltet alles in der Welt, wenn man es nur recht anzuschauen weiß. – Und als ich nun, meine Barke verlassend, mitten unter die plötzlich wie mit einem Zauberschlage von allem Bisherigen so verschiedene Umgebung trat, boten, vom Land aus gesehen, der majestätische Fluß mit den beiden darauf wogenden geschmückten Kangschen und den langen Reihen nackter Neger, die sie im Wasser wandelnd zogen, ein fast nicht weniger originellen Schauspiel dar, das noch heute täuschend den Bildern gleicht, welche Thebens Königsgräber uns vorführen. An diesen Negern, im Durchschnitt schöne Leute, ist besonders etwas ganz ungemein auffallend, das ich mir, aus Furcht vor Skandal, von einem gelehrten Gönner erst chaldäisch übersetzen lassen müßte, ehe ich es drucken zu lassen wagen dürfte.


Nicht für Damen
und nur für NaturforscherDer folgende Absatz ist in der Buchausgabe auf dem Kopf stehend gedruckt.

Ein Greis, dem wir unsere Verwunderung über diese monströsen Dimensionen äußerten, sagte aus: Es besäßen einige ihrer Weiber ein geheimes Mittel, schon bei den Kindern diese mehr als Verdoppelung der Natur durch Kunst hervorzubringen; worin dies arcanum aber bestehe, wisse er nicht. Herr Doktor Koch, den die Sache ex officio interessierte, konnte nie etwas Bestimmtes darüber erfahren. Ich erinnere mich, in einer englischen Reisebeschreibung genau dasselbe von den indischen Priestern zu Jagernaut gelesen zu haben, wo der Gegenstand in das Reich religiöser Verehrung übergeht, ähnlich dem Phalluskult der Alten.

 

Am Abend dieses schönen Tages wurden wir durch meinen Diener in einige Unruhe versetzt, der sich auf der Jagd verirrt hatte und erst nach vielen vergeblichen Signalschüssen und angezündeten Feuern um ein Uhr in der Nacht unsern Ankerplatz erreichte, ohne uns durch die Erzählung unterhaltender Abenteuer entschädigen zu können. Er hatte nur mehrere Vögel erlegt und war einer Hyäne begegnet, die hier bereits ein sehr prosaisches Untier geworden ist.

Am zwölften war ich schon eine Stunde vor Sonnenaufgang im Walde, den ich etwas lichter und zugänglicher als gewöhnlich fand, um in seinem Inneren die Ruinen eines sonst bedeutenden, aber durch Ismaels Truppen gänzlich verheerten Ortes zu besuchen. Keine Lage kann romantischer sein, keine Waldeinsamkeit grüner, üppiger und poetischer! Zwischen alten Akazien, Nebeks oder Nebkas, Tuntums und Heglyds (die botanischen Namen kann ich nicht angeben und der Doktor auch nicht, der nur die Apothekenkräuter studiert hat) erhoben sich einzelne prachtvolle Gruppen von Tamarindenbäumen, unsern höchsten Eichen nichts nachgebend, und eine halbe Stunde weiter hatte ich die Freude, endlich zwei Exemplare jener gigantischen Adansonien anzutreffen, von denen mir Mustapha Bey erzählte, die aber hier den Namen Kongulos führen. Der Stamm des größten maß, eine Elle über dem Boden, noch fünfundfünfzig Fuß im Umfang. Die Blätter seiner weit gebreiteten Zweige glichen denen unsrer Nußbäume, aber von dunklerem Grün, sein Holz war schwammig wie Kork und der Anblick der ganzen ungeheuren Masse in hohem Grade imposant. Ich glaube, daß es derselbe Baum ist, der auch in Südamerika vorkommt, wo man ihn «Boabab» nennt (Adansonia digitata habe ich seitdem gehört). Das erwähnte Waldindividuum mochte kaum 80-90 Fuß hoch sein, die andern waren bedeutend kleiner, und alle schienen nicht ganz gesund, wenigstens wurden sie von den ihnen an Höhe gleichen Tamarindenbäumen an Fülle und saftiger Frische sehr übertroffen. Ihr eigentliches Klima mag erst noch südlicher beginnen. Nur selten ward dieser schöne Wald von einzelnen Dickungen unterbrochen, so daß man auf dem jungen, in der jetzigen nassen Zeit schon üppig sprossenden Gras im dichten Schatten der Bäume ohne alle Schwierigkeit fortschritt. Fast durchgängig fanden wir den Boden mit einem schönen Insekt von brennendroter Koklikofarbe bedeckt, dessen Oberfläche dem weichsten Samt glich. Dies wunderlich rotgescheckte Grün hätte man mit einem Fußboden aus Blutjaspis vergleichen können, und dies um so mehr, da auch nicht eine einzige Blume durch andre Farben das Grün und Rot desselben unterbrach. Das Insekt war von der Größe eines Rosenkäfers und hielt in seiner Konformation die Mitte zwischen Wanze und Spinne. Ich zerquetschte einige der Tierchen auf Papier, das sogleich davon in gesättigter Fülle gelbrot gefärbt wurde, und ich zweifle nicht, daß man bei der zahllosen Menge dieser Tiere in der jetzigen Jahreszeit aus ihnen einen neuen Farbstoff von Wichtigkeit für den Handel ziehen könnte. Auch einige Schmetterlinge, doch von keiner neuen Spezies, zeigten sich und eine ausgezeichnet schöne, sehr große Heuschreckenart von hellgelber Farbe mit glänzend blau und roten Flecken gesprenkelt, das innere der Flügel dunkel feuerfarben. Vögel sahen wir nur wenig und vierfüßige Tiere diesmal gar nicht, doch verfolgten wir eine Weile die Spur eines Elefanten und trafen später auch die eines Löwen nebst einer von ihm zerrissenen Ziege, deren Leichnam mir auf auffallende Weise eine Behauptung Korschud Paschas bestätigte, die ich früher für eine Fabel hielt, nämlich, daß der afrikanische Löwe, wenn er am Fraß keinen Mangel leidet, als ein wahrer Feinzüngler nur Kopf, Leber und Herz der gewürgten Tiere zu sich nimmt. Genau diese Teile fehlten auch der sonst nicht weiter angefressenen Ziege.

Nachdem meine Promenade ungefähr zwei Stunden gedauert hatte, sah ich mich während der trotz des Schattens später außerordentlich drückend gewordenen Hitze und infolge meiner gänzlichen Entkräftung genötigt, die Barke, welche uns auf dem Flusse gefolgt war, wieder aufzusuchen, obgleich ich gern den ganzen Tag auf Entdeckungen umhergezogen wäre. Jedem rüstigen Reisenden riet ich deshalb schon wiederholt, so oft er kann, den Landweg vorzuziehen, der überdem weit weniger Zeit wegnimmt als hier die Flußfahrt wegen der ewigen Krümmungen.


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