Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Am andern Morgen begannen wir an demselben Fleck eine mehr systematische Besichtigung.

Die erste Betrachtung, die sich mir aufdrängte, war die, freilich nichts weniger als neue: wieviel besser die Ägypter die Architektur verstanden haben als wir, ohne daß wir, wie es scheint, imstande sind, etwas von ihnen zu lernen. Die mit ungeheuren Kosten bewerkstelligte Wegholung des hiesigen zweiten Obelisken und seiner Aufstellung in der Mitte des großen Platzes Ludwig des Fünfzehnten in Paris ist kein kleiner Beweis für diese letztere Behauptung. In Luxor bilden den Eingang zum Tempel zwei imposante Pylonen von 100 Fuß Höhe, unmittelbar an den Seiten des Tores sitzen zwei Kolosse ungefähr 40 Fuß hoch, und wenige Schritte davon ab, nur doppelt so weit als die Kolosse von den Pylonen entfernt, standen die beiden Obelisken von 80-90 Fuß Höhe, von denen der eine nun entführt ist. Diese gedrungene Zusammenstellung wirkt mit voller Macht und hoher Bedeutung, während dieselben Gegenstände vereinzelt und im weiten Raume wie verloren hingestellt beides verlieren. Nie errichteten die Ägypter einen Obelisk ohne seinen Gefährten, ebensowenig wie eine einzelne Säule, am wenigsten würden sie aber einen solchen vereinzelten Obelisken in die Mitte eines großen Platzes gestellt haben, wo er nur einem charakterlosen Pfahle gleicht, die Ansicht des Platzes verdirbt, während dieser ihm selbst alles Imponierende seiner Masse raubt und so das Große künstlich klein erscheinen läßt. Es ist wahrlich jammerschade, daß für einen solchen Zweck die Erhabenheit des hiesigen Tempeleingangs so gestört wurde, denn sie zu vernichten, war man dennoch nicht imstande. Der gebliebene Obelisk, aus dem schönsten Rosengranit geformt, ist nur unten auf zwei Seiten etwas beschädigt, sonst überall vortrefflich erhalten und die bis an zwei Zoll tief eingegrabnen Hieroglyphen anerkannt das vollendetste, was in dieser Art die Ägypter selbst geleistet haben. Auch wäre diese Arbeit zu übertreffen in der Tat unmöglich, und man begreift es heutzutage gar nicht mehr, wie man in diesen felsenfesten Granit die subtilsten, bis auf das kleinste Detail ausgeführten Figuren mit eben der Präzision und Leichtigkeit einzugraben vermochte, als unsere besten Wappenstecher in Karniol gravieren. Ein elfjähriger Knabe erbot sich, für einen Kärie (ägyptisches Geldstück, 2½ Franken wert) den Obelisk an diesen Hieroglyphen zu erklettern und führte das gefährliche Wagstück bis zu zwei Dritteilen der Höhe ohne Schwierigkeit aus, worauf aber der heftige Wind ihn oben so schaukelte, daß wir ihm zwei Kärie versprachen, um nur schnell wieder herunterzusteigen. Wenn man von der Disposition und dem Plane des Tempels eine recht deutliche Idee bekommen will, muß man die Spitze der Pylonen ersteigen, obgleich dies auf der verfallnen engen Treppe und zuletzt auf freiliegenden Randblöcken von einem zum andern springend etwas beschwerlich ist. Die Aussicht ist in jeder Hinsicht sehr belohnend, und der erste Erbauer dieses Palastes, Amenophis III. (Memnon), konnte sogar von den Zinnen desselben sich selbst jenseits des Flusses in seinen Kolossen doppelt vor sich sitzen sehen. Es ist ungemein anziehend, die Form und Ausdehnung der Ruinen im Gewirre des Dorfes aufzusuchen, dessen für Ägypten ganz stattliche Häuser wunderlicherweise hier alle die Gestalt der Pylonen im Staube ihrer Kotziegel lilliputartig nachgeahmt haben. Mehr als hundert der alten Säulen erheben sich noch zwischen ihnen, und einer der Haupthöfe des Tempels besteht fast noch ganz. In diesem fand ich mehrere Skulpturen von unbeschreiblicher Erhabenheit und Anmut und mehr als ein Gesicht darunter mit einer Zartheit und Tiefe des Ausdrucks, der dem feinsten europäischen Gemüt hätte genügen müssen. Diese Bilder sind aus der höchsten Blütenperiode ägyptischer Kunst, der Abfall wird schon unter den spätern Pharaonen etwas erkennbar, unter den Ptolemäern ist er bereits gewaltig, unter den Römern endlich bleibt nur die Karikatur. Die Franzosen haben zum Behufe der Luxorschen Expedition sich nicht begnügt, dem Tempel am Eingang eine seiner schönsten Zierden zu rauben, sondern auch dessen Ende durch den darin bewerkstelligten Aufbau eines großen Hauses geschändet, infolgedessen selbst ein Teil der ehrwürdigen Trümmer neu angeweißt wurde. Dieses Haus hindert jetzt einen der interessantesten Teile des Tempels zu besichtigen, neue Mauern sind mitten durch die Heiligtümer gezogen, die noch lebhaften Farben der Bilder in den Fugen mit Kalk verschmiert, um den Luftzug abzuhalten, ein Allerheiligstes zum lieu d'aisance umgewandelt, kurz, barbarischer gewirtschaftet, als es zu verantworten ist. Ich fand eben einige Franzosen in diesem Hause etabliert, die von Indien kamen, denn es scheint, daß man einen permanenten Khan daraus zu machen beabsichtigt, und man wies mir einen Befehl des Herrn Generalkonsuls Mimaut vor, nach welchem durchaus niemandem als Franzosen die Wohnung hier vergönnt sein sollte und nur die französische Flagge auf diesem Hause aufgezogen werden dürfe. Der Vizekönig ist wirklich sehr gutmütig, dergleichen zu gestatten, und ich möchte wohl wissen, welchen Bescheid man Türken erteilen würde, die in Frankreich zum Beispiel auf der Ruine von Chambord oder einer andern in gleicher Einsamkeit liegenden, dergleichen Spekulationen auszuführen versuchten.

Aber es ist Zeit, über die grüne Ebne nach Karnak zu reiten, wo uns Thebens Kulminationspunkt erwartet, ein in Stein verkörpertes Märchen, vor dessen Anblick man sich die Augen reibt, um sich zu fragen: Träum' ich, oder wach' ich? – Wahrlich, vom Riesensaal in Karnak kann man ohne alle Übertreibung sagen, daß er den Traum noch überflügle, denn da man nie Ähnliches gesehen, sieht man es auch im Schlafe nicht. Dieser Wald von Säulen, stärker, höher als die meisten Kirchtürme, diese Felsenmassen, die sich über ihre Kelchkronen spannen, dieses Meer von Zierden und Bildern, unermeßlich wie der Sternenhimmel, und diese Farbenglorie einst, von der nur noch einzelne glücklich erhaltne Stellen einen anschaulichen Begriff geben – die kühnste Theaterdekoration bleibt hinter der Erfindung einer solchen Wirklichkeit zurück. Und was war dieser Riesensaal? – nur ein kleiner Teil des ungeheuren Ganzen, dessen Umfang, wie die Mauertrümmer noch deutlich zeigen, über 8000 Fuß betrug, zu dem von außen sechs, größtenteils noch stehende Prachttore von 70 Fuß Höhe, zum Teil mit drei- und viermal wiederholten Pylonen führten und von außen eine Allee vieler hundert kolossaler Sphinxe die Auffahrt zu jedem dieser Tore bildete. Dies war ein einzelner Tempelbau im Bereich der hunderttorigen Thebai – man faßt kaum die Idee dazu, geschweige denn seine Ausführung, und welche Ausführung! In der fast jeder denkbaren Anforderung an ihrer passendsten Stelle Genüge geleistet, das Riesigste wie das Lieblichste in höchster Vollendung erschöpft wird, und wo – betäubt von dieser Masse von Pylonentürmen, Kolossen, Obelisken, Toren, Portiken, Pfeilern und Säulen, Höfen, Sälen, Galerien und Gemächern, alle mit Tausenden und Abertausenden von Figuren bedeckt, alle im blendendsten, mannigfachsten Farbenschein erglänzend – gewiß jeder Gläubige einst mit erschütterter Seele und in frommem Schauern der Götter Nähe fühlend, im Angesicht des irdisch vor ihm dargestellten Himmels anbetend in den Staub gesunken sein muß.

Der Haupteingang zum Tempel stieg in einer Sphinxallee, wahrscheinlich von den Kronen grüner Sykomore beschattet, vom Nil heran, bis er zwei pyramidengleiche ungeheure Pylonen erreichte, zwischen denen sich das größte der Tempeltore befand, welches jetzt teilweise zertrümmert ist. Wenn man bis hierher gelangt ist, eröffnet sich eine Perspektive, die auf einmal die ganze kolossale Größe der Ruine Karnaks entfaltet. Trotz der Trümmerhaufen und sieben ganz in der Nähe umgestürzter Säulen von 23 Fuß Umfang sieht man auf einer Distanz von 1000 Schritten durch 12 innere, auch zum Teil zerstörte Tore, alle zwischen 70 und 80 Fuß Höhe, hindurch, zuerst durch den weiten Vorhof, dann, entlang der Riesenhalle, durch den Hof der Obelisken und den der Kolossen hinweg über das Heiligtum, das, wie ein Juwel geschmückt, vertieft in der Mitte liegt, dann jenseits desselben abermals durch viele Höfe und Portiken, bis wo das reine Blau des Himmels wieder durch die turmhohe Pforte am äußersten Ende hindurch glänzt – ein Schauspiel ohnegleichen und nur dadurch möglich gemacht, daß man für diesen Bau ein in der Mitte sich senkendes Terrain wählte und nur eine geringe Erhebung dem Heiligtume gab, welches diese Mitte einnimmt, gegen das nun von beiden Seiten, wie in Ehrfurcht, die heranrückenden Gebäude niederstiegen.

Was in dem sogenannten Riesensaal oder der Riesenhalle vielleicht den grandiosesten Effekt hervorbringt, ist die eigentümliche Anordnung, infolge deren die Säulen der durch die Mitte desselben führenden Doppelreihe (welche beiläufig gesagt an 40 Fuß im Umfang messen) um ein Dritteil höher und stärker als alle übrigen sind, und während bei diesen letzteren die Decke auf den Würfeln über ihren Kapitälen anfliegt, über den großen durch die Mitte führenden Säulen noch eine ganze Stockhöhe mit kolossalen Fensteröffnungen, die nach innen herabschauen, bis an die Decke, an 50 Fuß hoch, frei darüber bleibt. Da die Säulen selbst nun über 80 Fuß Höhe haben, so beträgt der ganze freie Raum, den man in der Mitte stehend über sich sieht, gegen 130 Fuß. Dies bringt aber zugleich von allen andern Seiten des Saales aus gesehen nicht nur ein Emporsteigen, sondern ein völliges Verschwinden der Decke nach der Mitte zu hervor, wovon die Wirkung so eigentümlich ist, daß man es gesehen haben muß, um ihre Gewalt begreiflich zu machen. Die Fenster in den erwähnten Wänden der Höhe, die sich wie in der Luft schwebend auf den bunten Lotosknäufen der großen Säulen erheben, sind zum Teil durch ein weitläufiges Steingitter geschlossen, dessen massiver und doch zierlicher, aber ganz fremdartiger Charakter vortrefflich zu dem aus allem Gewöhnlichen ohnedem so völlig heraustretenden Ganzen paßt. Auch hier, wie im Ramsejum, diente dieser dem Tempel aufgesetzte zweite Stock nach Champollions Vermutung zur Wohnung der verschiedenen Mitglieder der königlichen Familie, die von der inneren Seite aus ihren Zimmern in den Säulenwald hinabblicken und von den andern Fenstern die unermeßliche, vom Nil durchströmte Hauptstadt und ihr romantisches Tal von Bergkette zu Bergkette und von Wüste zu Wüste in seiner ganzen Ausdehnung übersehen konnten. Bequeme Treppen, wie es alle altägyptischen in hohem Grade sind, führten ohne Anstrengung in diese turmhohen Wohnungen, was man leider jetzt nicht mehr rühmen kann, sondern sehr mißlich von Stein zu Stein auf dem Schutt und Bruch hinaufklettern muß. Doch erst wird man die Größe der Massen recht gewahr, welche die Säulen verbinden und unter denen es Steine gibt, die über 30 Fuß Länge bei 6 Fuß Dicke und ebensoviel Breite haben; freilich noch immer unbedeutend gegen den Obelisken im nächsten Hofe von 96 Fuß Höhe aus einem glatt wie Spiegel polierten Stück, dessen ganz gleicher Gefährte zerschmettert neben ihm ruht. Außer Kambyses und der Zeit muß auch ein furchtbares Erdbeben hier gewütet haben, oder die Perser kannten gleich den Chinesen schon damals die zerstörende Macht des Pulvers. Nur auf solchem Wege war eine Verheerung dieser Art möglich, der der Riesensaal allein erfolgreich widerstanden hat. Die Säulen desselben, deren sich noch alle 134, bis auf zwei, welche zerbrochen am Boden liegen, aufrecht erhalten haben, stehen sehr dicht nebeneinander, was vielleicht zu ihrer Konservation viel beitrug und überdies den Reichtum ihres Effekts ungemein vermehrte. Die umschließenden Wände enthielten von innen die imposantesten Darstellungen religiöser Gegenstände, von außen noch ungleich ausgedehntere und riesenhaftere Schlachtbilder als die im Ramsejum. Es befindet sich unter andern eine große Segelbarke mit einem Tempel in der Mitte darauf, welche fast natürliche Größe erreicht, wenn man sich dieses Ausdrucks bei einer Barke bedienen kann. Überall im dichtesten Gewühl der Schlacht erscheint der König weit über alle hervorragend, entweder vom Streitwagen oder davor stehend fechtend, wo Diener sich bemühen, die ungeduldig stampfenden Rosse zurückzuhalten, während ein anderer eine Art Sonnenschirm hält, welchen einige für die ägyptische Fahne ansehen. Dies ist auch nicht eben unwahrscheinlich, da Formen eine Konventionssache sind und zum Beispiel der Szepter der ägyptischen Könige uns ganz wie ein Dreschflegel vorkommt. Er ist jedoch in Wahrheit nur eine Geißel, vielleicht ein noch humaneres Königszeichen als das Schwert. Wie Achill den Körper des Hektor um Trojas Mauern schleift, so auch hier der König einen überwundenen Fürsten, aber nicht nur ihn, sondern auch seinen Streitwagen mit den niedergestürzten Pferden, was alles zusammen an des Königs Wagen angefesselt ist.

«In allen diesen Bildern», sagt mein geistreicher Freund ungemein wahr, «ist eine ungeheure Phantasie offenbar, die Handlung reich und lebendig, die Bewegung keck und rasch, der Ausdruck sprechend, lebendig, ergreifend, die Zeichnung fast ohne Perspektive, aber die Ausführung der Details unbegreiflich reich und schön. Die Pferde zum Beispiel haben eine Wahrheit im Kopfe, welche an die berühmten venezianischen erinnert. Gebiß, Zaum und Geschirre sind prachtvoll und zweckmäßig; die Wagen sind wie aus Elfenbein gedrechselt, mit erhabner Arbeit und Schmuck, fest, leicht und schön.»

Ich erwähnte bereits, daß an vielen Stellen auch die Farben, mit denen der ganze Saal überdeckt war, noch ihre ehemalige Frische bewahrt haben, und in Karnak wie in den Gräbern der Könige muß man die Menge verschiedner Kombinationen und überraschender Zusammenstellungen bewundern, die der Farbensinn der Ägypter hervorzurufen wußte. Besonders zeigt sich dies in dem Adytum, wo nach meinem Gefühl das Edelste vereinigt ist, was ägyptische Kunst aufzustellen fähig war. Die Grazie, die wahrhaft bezaubernde Schönheit vieler dieser Schildereien ist meines Erachtens nirgends überboten worden. Weder die Antike noch die Zeit Raphaels haben auf ihrem Standpunkt Vollendeteres hervorgebracht. Ich fand hier die Abbildung eines jungen Königs – der Porphyrpforte gegenüber, die aus der Galerie, welche den kleinen Saal des Allerheiligsten umgibt, in ein zerstörtes Nebengemach führt –, deren unbeschreibliche Herrlichkeit mich im Innersten ergriff. Es war ein so hinreißendes Ideal von tadelloser Schönheit, ein solcher Inbegriff aller reizendsten und gewinnendsten menschlichen Eigenschaften, mit einer so schmeichelnden Milde der Züge, einem so himmlischen Lächeln um den üppig geformten Mund, einer solchen Begeisterung im Auge, einem Adel der Formen und einer so göttlichen Erhabenheit der Stellung wie der ganzen Erscheinung, daß ich mir, dies Bild verwirklicht, kein unwiderstehlicheres lebendes Wesen denken könnte. Es war wahrhaft ein jugendlicher Gott, der in meinen Augen jeden, den die Griechen gebildet, übertraf.

Die innere Wand des heiligen Zimmers besteht aus geglättetem Rosengranit, und die zierlichen darauf eingemeißelten Figuren sind mit einer sehr zarten, blaßgrünen Bronzefarbe bemalt, die Decke ist azurblau mit goldgelben, schmalstrahligen Sternen, in ihrer Mitte der Länge nach durch eine geschmackvoll unterbrechende Bande geteilt, in der sich Blau, Rot und Gelb abwechselnd wiederholen. Alles dies ist, wo es nicht gewaltsam zerstört wurde, in vollster Frische erhalten und im höchsten Grade lieblich. An der auswendigen Wand, um die eine unbedeckte Galerie führte, ist der Grund bronzefarben, und die Figuren behalten zum Teil die schillernde Rosenfarbe des natürlichen Granits. Eine sich weit ausladende prächtige Krönung über der Decke bietet dieselben Farben wie die Bande im Innern. Auf diesen Außenwänden findet man die schönsten Arbeiten, meistens in verkleinertem Maßstabe, und keine Figur über Lebensgröße; einige dieser Figuren sind blau, andere rot, und so sonderbar dies dem europäischen Geschmack auch vorkommen mag, die Behandlung, die Zusammenstellung, der ganze eigentümliche Charakter des Stils sind von der Art, daß ich wenigstens nie durch diese scheinbare Unnatur in der Darstellung so erhabner und reizender Gestalten gestört wurde.

In dem großen Portikus von 48 Säulen und Pfeilern, ohnfern des zehnten Tores, der von einigen fünfzig zellenähnlichen Gemächern umgeben ist, haben die Kopten auch wieder eine christliche Kirche improvisiert und auf die Kunstwerke der Pharaonen hideuse Heiligenbilder gekleckst. Glücklicherweise sind aber bis auf ein wohlerhaltnes die übrigen schon größtenteils wieder abgefallen und die alten Gottheiten ganz unbeschädigt und, ohne daß ihre Farben auch nur im mindesten gelitten, unter ihnen wieder zum Vorschein gekommen. Durch einen zweiten Säulengang gelangt man von hier zu einer andern Tempelabteilung mit an Pfeiler gelehnten Karyatidenkolossen und aus diesem endlich zu der letzten großen Ausgangspforte.

Wir brachten viele Stunden im Bereich der Ruinen zu, um jedes Detail derselben möglichst zu untersuchen, was ich jedoch vorläufig beiseite lassen und nur eines kleinen Intermezzos erwähnen will, das sich, wie das Komische überall in der Welt zum Ernsten tritt, auch hier als wohltätig zerstreuende Erheiterung darbot, denn auch das Entzücken ermüdet. Als wir im Angesicht des nordöstlichen Tores, unter dessen Skulpturen sich ein enormer Priapus befindet, frühstückten, erschien ein englisches Kammermädchen, deren Herrschaft in der Nähe sein mußte, von einem langen Araber geführt, ein recht hübsches, echt national englisch aussehendes Geschöpf, mit vollendeter Geschmacklosigkeit in einen kurzen weißen Rock mit schwarzer Schürze, einen rosa Spenzer und grünen Hut gekleidet, um sich gleichfalls die Wunder Thebens zu beschauen. Nachdem sie, ohne sich durch unsre Gegenwart irren zu lassen, ihre Inspektion eine Weile fortgesetzt hatte, sahen wir sie endlich auch vor der erwähnten Figur stehenbleiben und sie lange mit ungeteilter Aufmerksamkeit betrachten. Endlich wandte sie sich zu ihrem Araber, der, andächtig hinter ihr stehend, jeder ihrer Bewegungen folgte, und, indem sie ihm mit der Hand winkte, sie weiter zu führen, rief sie mit unwillkürlicher Bewunderung und einem allerliebsten Gesichtsaudruck aus: «Now I declare, this is very curious indeed!» Gern hätten wir die naive Insulanerin gebeten, unser Mahl mit uns zu teilen, aber als ich einen meiner Diener zu diesem Behuf abschickte, verschwand sie schon flüchtig unter den Ruinen. Statt ihrer bemerkte ich mit Entsetzen auf meiner Bernus, die bisher von einem Araber nachgetragen worden war, und die ich jetzt erst wegen des Zugwindes umgenommen hatte, zwei viel unwillkommnere Gäste, auch Kolosse ihrer Art von demjenigen Insektengeschlecht, das man bei uns im gemeinen Leben Kleiderläuse zu nennen pflegt (pediculus horridus, zum Verständnis der Gelehrten). Dies sind die unabwendbaren Schattenseiten einer Reise in den Ländern der Tausendundeinen Nacht.

Wir nahmen unsern Rückweg südwestlich durch drei sich folgende Pylonenpaare, alle mit sitzenden oder schreitenden Kolossen versehen, und wie jeder Stein in diesem Riesenbau, an dem seit Thutmosis I. die Pharaonen aller Dynastien während mehr als tausend Jahren gebaut und immer etwas Neues hinzugesetzt zu haben scheinen, mit Bildern und Hieroglyphen überall bedeckt. Am äußersten Tore schließt sich hier die längste der Sphinxalleen an, neben welcher eine Reihe fortlaufender Schutthügel auf beiden Seiten noch viel andre Gebäude der Vorzeit anzeigen. Sie führt ohngefähr eine Viertelstunde weit bis zu dem ältesten, ganz zerstörten Typhonium, das aber auch in seinen Trümmern noch den abenteuerlichsten Charakter entfaltet. Während alle übrigen Ruinen Karnaks, einige im Sande erwachsene Palmen abgerechnet, fast ganz ohne Vegetation sind, ist hier alles mit hohem Unkraut überzogen. Ein furchtbares Typhonsbild, zerbrochne Kolosse und eine Unzahl von Sphinxen blicken aus dem üppig wuchernden Gestrüpp hervor, von denen man seltsamerweise nur gerade hier, wo alles übrige zerstört ist, noch ganz wohlerhaltene antrifft, zuweilen mit dem reizendsten Menschenantlitz, meistens mit vortrefflich geformten Widderköpfen. An drei bis vier Stellen hocken im Grase dicht nebeneinander mehrere Dutzend schlammgrüne Weiber aus Basalt mit grimmigen Löwengesichtern, schauerlich und gespenstisch anzuschauen. Ein seeartiger Wallgraben, der auch jetzt noch voll Wasser ist, also jedenfalls durch unterirdische Kanäle mit dem entfernten Nile in Verbindung stehen muß, umgibt drei Seiten des Hügels, auf dem dies Typhonium gleich einer Festung stand, und hohe Dämme und Schutthaufen auf der entgegengesetzten Seite des Wassers verraten auch in dieser Umgebung eine Menge ansehnlicher Bauten in alter Zeit. In diesem einsamen Gewässer soll sich zuweilen noch der heilige Ibis als Gespenst sehen lassen, und ich wäre geneigt, an jede wunderbare Erscheinung an diesem Ort, dem bösen Gotte geweiht, zu glauben, so unheimlich ward mir selbst dort zumute, wozu wohl die betäubende Erinnerung all der riesenhaften Massen und nie geahnter Wunderwerke, die sich vor mir zusammengedrängt, noch einen Schauer mehr in meine aufgeregte Seele goß. Die Abenddämmerung kam hinzu, und, in die fabelhafte Vergangenheit gänzlich versunken, ritten wir fast unbewußt durch die weit hingestreuten Palmenbuketts der Plaine, hoch überragt in Nord und Süd von Karnaks und Luxors schwarzen Ruinen, zwischen denen ehemals eine starke halbe Stunde weit ebenfalls eine geschloßne Allee mehrerer tausend kolossaler Sphinxen führte! Endlich sahen wir unsrer Barken Wimpel wieder im Glanz des Mondes leuchten, und unter ihnen erglänzten schimmernd und funkelnd die blauen Fluten des Nils – denn hier fand ich ihn wirklich blau, seine gelb trüben Wasser klar und rein geworden, und hier in Theben ist es auch, wo der Nordbewohner mit Überraschung die ersten Krokodile, wenn auch noch selten, seinen Strom durchschneiden und auf der Inseln weißem Sande sich ruhig vor ihm sonnen sieht. Die Reste eines toten, von der Sonne schon vertrockneten lagen am Ufer und erlaubten uns zum Schluß der langen Bilderreihe noch eine gefahrlose Untersuchung des gräulichsten aller heiligen Tiere Ägyptens.


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