Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Ypsambul

Den 10. April

Wir sahen uns genötigt, wieder zum Ziehen der Barke durch Menschen und zum notwendigen Pressen der Eingebornen zu diesem Dienst unsre Zuflucht zu nehmen, womit man freilich nicht schnell vorwärts kommt. Auch entwischten häufig die Gepreßten unserm Kawaß, was langen neuen Aufenthalt verursachte. So erreichten wir erst spät nach Mittag den Tempel von Hamada, der von geringem Umfang, aber größter Schönheit aller Details und aus der besten Zeit der Pharaonen ist. Schade, daß der Sand der Wüste ihn so tief verschüttet hat, daß man bequem vom Boden auf sein Dach steigen kann, das hier aus doppelten übereinander liegenden Steinblöcken, jeder von zwei Fuß Dicke, besteht. In der Mitte dieser soliden Decke haben die Kopten, welche den Tempel eine Zeitlang als Kirche benutzten, ein weites Loch gebrochen, um eine Art weißgetünchter Kuppel aus Erdziegeln darauf zu stülpen, die einem Taubenhause gleicht, wie die meisten dieser Arbeiten aber schon wieder zur Hälfte eingefallen sind. Man bemerkt in diesem Tempel, dessen Inneres (in das man durch ein enges Loch kriechen muß) weniger mit Sand angefüllt ist, als es die äußere Verschüttung erwarten läßt, ähnliche kannelierte Säulen ohne Kapitäl mit bloßer Deckplatte wie in dem Speos zu Kalabsche und findet nur die Ringe ältester Pharaonen darin, vom Geschlechte Thutmosis' III., der für den König Moeris des Herodot gehalten wird, Ammenophis' II. und einiger andern. Mit Champollions Tafel in der Hand ist es jetzt jedem leicht geworden, der sich nur die Mühe der Vergleichung geben will, die meisten dieser Ringe zu erkennen, frühere Reisende hatten es nicht so bequem. Die vortrefflichen Skulpturen der inneren Gemächer dieses kleinen Tempels, der dem Gott Phre, wenn ich mich recht erinnere, gewidmet war, sowie die Frische der Farben sind von seltener Erhaltung, wozu es viel beigetragen haben mag, daß jedes Gemach von den Kopten sorgfältig mit Mörtel beworfen und überweißt worden war. Unter den Bildern bemerkte ich häufig einen Vogel, eine Art Drossel, die ich auch lebend hier schon hatte umherfliegen sehen; dieser Vogel war mit einer solchen Genauigkeit der Natur nachgeahmt, daß er in Buffons Werke hätte aufgenommen werden können. Er zeigte sich in den verschiedensten Attitüden, und in einem der Bilder saß er auf einem toten Tier, das ganz der seitdem in Neuholland aufgefundenen Amphibie mit dem Entenschnabel (Ornithorhynchos) glich. Sollte dieses Schnabeltier sonst auch in Ägypten existiert haben? Wieder sieht man hier rote und schwarze Fürsten, unter andern eine schwarze Königin mit einem rotbraunen König, die ein Bündnis miteinander zu schließen scheinen; sowie neben ihnen die vollständigsten Sammlungen aller Landesprodukte, Vasen, Möbeln, Eßwaren und Effekten. In keinem Tempel Ägyptens sah ich bisher eine so große Mannigfaltigkeit der Gegenstände auf einem so geringen Raume dargestellt.

Der Sand um den Tempel war so glühend heiß, daß man sich fast die Stiefel daran verbrannte und den Fuß nicht lange ohne Schmerz an ein und demselben Flecke ruhen lassen konnte. Man begreift, wie ein solcher Sand Straußeneier ausbrüten mag, und ich bezweifle nicht, daß man auch Hühnereier darin in einer Viertelstunde garkochen könnte.

Wir blieben die Nacht in Doerr, einem sehr ansehnlichen, reinlichen, mit schönen Fluren und einem weithin gedehnten Palmenwalde umgebnen Orte, der ehemaligen Hauptstadt des Landes und dem Sitz seines Souveräns, der auch jetzt noch, nachdem er seine Unabhängigkeit verloren, als Kascheff des Vizekönigs hier residiert. Mehemed Ali hat diese sanfte Politik an mehreren Orten befolgt und die alten Landesfürsten ihr Gouvernement als seine Beamten fortsetzen lassen. Wir besahen den ziemlich weitläufigen Palast des Exsouveräns, der aus bunten Ziegeln und Lehm aufgeführt ist, sowie seine Gärten, in denen wir Weinplantagen, Orangenhaine und allerlei bei uns seltne Bäume und Gesträuche der Tropen mit vieler Sorgfalt gepflegt fanden. Was mich aber am meisten überraschte, waren zwei ungeheure Sykomorbäume, die größten, welche ich bisher gesehen, und die in der Mitte zweier Plätze vor dem Schlosse standen, welche sie fast ganz beschatteten. Die Ausbreitung der Äste des einen derselben betrug volle hundert Fuß. Ewige Kühle herrscht unter diesen Laubkronen, und keine Baumart, die ich kenne, übertrifft die Schönheit ihres hellen Apfelgrüns, das der Sykomor übrigens nur in diesem, ihm ganz zusagenden Klima anzunehmen scheint, denn in Ägypten ist die Farbe seiner Blätter weit dunkler.

Der erwähnte Palmenwald, in welchem Doerr liegt und der sich mehrere Stunden weit ausdehnt, liefert das Material zu den schönen Matten, welche die hiesigen Weiber verfertigen. Einige zwanzig derselben, glänzend von Fett, und das Haar in hundert schmale Tressen, voll Goldzierden und Glasperlen, geteilt, umringten uns bald nachher, um uns ihre Arbeiten dieser Art anzubieten, während sie die Matten mitten im Staube der Straße aufrollten. Indem ich mich bückte, um einige davon näher zu untersuchen, fühlte ich mich plötzlich von zwei Armen umschlungen, und als ich mich jähling umwandte, erblickte ich einen abscheulichen, schmutzigen alten Bettler, der auf diese verbindliche Weise um ein Almosen bat. Doerrs Bewohner schienen ein zudringliches, aber gutmütiges Völklein zu sein, immer bettelnd, aber auch gefällig und höchst genügsam in ihren Wünschen. Wir kauften eine Anzahl der schönsten Fußdecken von höchst mühsamer Arbeit, die in Europa mit Gold aufgewogen werden würden. Ein Teppich aus Palmblättern in bunten Farben und geschmackvollen Dessins, groß genug, um ihn vor ein Sofa legen zu können, kam uns auf nicht mehr als fünf Franken zu stehen, und erst, als wir mehrere Bestellungen machten, um sie bei unserer Rückkehr mitzunehmen, erfuhren wir, daß eine Person mit angestrengtester Arbeit einen solchen Teppich nicht vor zwei Monaten beendigen könne. Der Gewinn ist also nur 2½ Franken monatlich, wozu das echt gefärbte Material noch umsonst hergegeben wird. Von geringerer, aber immer noch, nach unserm Maßstabe, vortrefflicher Ware kostete das Stück nicht mehr als einen Franken! Vor fünfzehn Jahren war Geld hier fast ganz unbekannt, wenigstens unter den gemeinen Klassen, und Champollion hatte viel Mühe, den Leuten, welche ihm den Eingang zum Tempel von Ypsambul vom Sande freimachten, ihre Bezahlung, welche sie in Naturalprodukten erwarteten, in Geld annehmen zu machen. Seitdem sind sie jedoch sehr begierig danach geworden, überschätzen aber noch seinen Wert. Einige Dutzend reisende und kaufende Europäer mehr, und sie werden bald unserer Aufklärung in dieser Hinsicht nichts mehr nachgeben.

Der Sonnenuntergang spielte an diesem Abend unter Doerrs hohen Palmen mit unnachahmlichen Farben. Der ganze Himmel schien ein zerflossner Regenbogen, in dessen Mitte die junge Mondessichel, nicht gelb wie bei uns, «gleich einem Eierdotter», wie Schefer singt, sondern brennend smaragdgrün wie ein Goldkäfer glänzte. Auch der Nil rollte heut nur bunte Wellen, und selbst der graue Wüstensand hatte sich in Rosa- und Silbersand verwandelt.

Auf die Nachricht, daß sich ein frischer Wind erhebe, segelten wir mit Sonnenaufgang ab und ließen vorderhand Doerrs uralten Tempel ungesehen. Die Gegend war freundlich und der Tag heiter mit einem anmutigen Luftzug unter dem Zelte vor meiner Kajüte. Ich saß hier ruhig mit Susannis, der in seinem dicken Naturpelze sich vor Hitze nirgends mehr zu lassen weiß. Da er schon mehrmal mit neidischen Augen die Matrosen sich von der Barke ins kühle Wasser hatte stürzen sehen, kam er heute, während wir mit dem besten Winde rasch fortsegelten, plötzlich auf den unglücklichen Einfall, es ihnen nachzumachen, und wenige Minuten darauf war er schon so weit zurückgeblieben, daß ich die Segel einziehen lassen mußte. Zwei Araber sprangen sogleich ins Wasser, um ihn zu holen. Der hier sehr breite Strom trieb aber alle drei so gewaltsam abwärts, daß sie durchaus weder uns, noch das Ufer mehr erreichen konnten und wir zuletzt die größte Besorgnis für ihr Leben zu hegen anfingen. Die beiden schwarzen Matrosen blieben über eine starke Stunde im fortwährenden Schwimmen gegen den Strom, ehe wir sie aufzunehmen imstande waren, und dazu hatte noch der stärkste von ihnen die meiste Zeit über den gänzlich erschöpften Susannis auf seine Schultern geladen. Es ist wahrlich viel wert, sich einer solchen Fähigkeit zu erfreuen, und im Grunde ist doch nur vernachlässigte Erziehung daran schuld, wenn wir sie nicht alle besitzen, denn an sich sind die Leute nicht stärker als wir.

Die Dekoration unsrer heutigen Abendmahlzeit, die wir auf der freien Barke einnahmen, während der Wind uns immer gleich rasch forttrieb, war von ganz eigentümlicher Art. Ein glorreich leuchtender Himmel mit Mond und Sternen im höchsten Glanze diente uns zur Decke, des Flusses geschmolznes Metall, vom Monde vergoldet, zum Teppich; das rechte Nilufer bot dazu ohne Unterbrechung eine dichte Wand stets abwechselnder Bäume und süß duftender Sträucher dar, ein Bild der gesegnetsten Üppigkeit, in dem das dämmernde Licht der Nacht auch nicht einen kahlen Fleck erkennen ließ. Das linke Ufer dagegen stellte diesem reichen Leben den wahrhaft entfleischten Tod entgegen, die flachste, farbloseste, weißgraue Sandwüste, die sich fast in gleicher Höhe mit dem Wasser vereinigte, ohne die mindeste Spur irgendeiner Vegetation blicken zu lassen.


Den 11. April

Nicht ohne gespannte Neugierde nahten wir den alten Denkmälern von Ypsambul, oder eigentlicher Abu-Simbel. Seit Burkhardt diese erhabensten aller Felsentempel in Afrika aufgefunden und Belzoni mit unermüdlicher Geduld sie geöffnet, wobei er wochenlang zubrachte, um das Riesentor des größten nur zur Hälfte vom Sande zu befreien – in welchem Zustande es auch noch jetzt ist –, setzen die beharrlichsten der Touristen ihre ägyptische Expedition häufig bis hierher und auch wohl bis zu den nicht mehr weit entfernten Katarakten von Ouadi-Halfa fort, aber darüber hinaus dringt seltner ein Fremder. Ypsambul ist daher schon ebenso häufig mit dem Crayon gezeichnet als mit der Feder beschrieben worden; doch wird beides immer weit hinter der Wirklichkeit zurückbleiben.

Die Wirkung der gegen siebenzig Fuß hohen vier Kolossen an der Fassade des größten Tempels, die in majestätisch heitrer Ruhe, die Hände behaglich auf die Knie gelegt, in ihrer 100 Fuß hohen, 115 Fuß breiten und 24 Fuß tiefen geglätteten Felsennische dicht am Wasser sitzen und als des unterirdischen Heiligtums treue Wächter hier schon über dreitausend Jahre lang unverrückt harren und sich das Spiel der Wellen beschauen, ergreift vielleicht manche Einbildungskraft noch gewaltiger als die Säulen- und Obeliskenwälder Thebens. Hinsichtlich des hohen Standpunktes der Kunst behaupten sich beide Werke fast auf gleicher Stufe, denn wenig in Theben kann die edle Form, die Vollendung der Arbeit, den erhabnen Ausdruck dieser Riesenstatuen übertreffen, welche alle vier, sich völlig gleich, des großen Ramses Heldenbild darstellen, und in den ebenso schönen als charakteristisch feinen Zügen untrügliche Porträtähnlichkeit verraten. Nur eine derselben ist durch ein herabgestürztes Felsenstück zum Teil zertrümmert worden, die übrigen blieben fast ganz unversehrt. Von dem Koloß rechter Hand hat Belzoni das Antlitz abgegipst und hätte wohl so viel Rücksicht für das Kunstwerk nehmen sollen, um die Spuren dieser Operation wieder abwaschen zu lassen, da die Statue von rotbrauner Steinfarbe durch ihr weiß angetünchtes Gesicht jetzt wie zu einem Clown von ungezognen Händen verunstaltet erscheint.

Alles an und in diesem Tempel atmet zwar tiefen Ernst und göttergleiche Ruhe, aber er bietet nichts Furchtbares wie der von Yerf-Hussein, obgleich die Anordnung seiner ganzen Architektur viel ähnliches mit jenem hat. Auch herrscht nirgends der Charakter des Geheimnisvollen darin, noch Yerf-Husseins schauerliches Dunkel. Das 30 Fuß hohe Tor ist kaum mehr als ein Drittel vom Sande befreit, und dennoch schien die Sonne bis in das Allerheiligste hinein, so daß wir nur zu genauerer Besichtigung der Wandbilder und der achtlosen Nebenzimmer Fackeln gebrauchten. Würde die Fassade ganz vom Sande befreit, so müßte man schon vom Wasser aus ungehindert durch alle in die Felsen gehauenen Gemächer hindurchgehen können in einer Länge, die ungefähr 140 Fuß beträgt. Der erste Saal, welcher einige fünfzig Fuß lang und fast ebenso breit ist, wird wie in Yerf-Hussein von zwei Reihen viereckiger Pfeiler gestützt, vier auf jeder Seite, doch sind sie hier von größeren Dimensionen, mit einem breitern Gange davor und größern Räumen dazwischen. Die daran gelehnten Kolosse wiederholen alle, gleich denen außerhalb, die Züge des großen Ramses und tragen die Geißel (den ägyptischen Szepter) und den Krummstab über die Brust gekreuzt. Die Farben ihrer Gewänder und Gürtel sind noch an vielen stellen erhalten, doch hat die Feuchtigkeit ihnen geschadet, und noch mehr ist dies bei den Wandskulpturen der Fall. Diese, Opferzüge, Schlachten und Belagerungen darstellend, in denen größere und kleinere Figuren vom Kolossalen bis zum Diminutiven abwechseln, würden zum gänzlichen Verständnis ein wochenlanges Studium erfordern. Viele sind in der Anordnung ebenso seltsam als in der Ausführung vortrefflich, andere scheinen von weniger vollendeter Arbeit. Die Kompositionen nähern sich oft dem naiven Sinne unsrer altdeutschen Maler, einige erreichen die Vollkommenheit der Antike. So befindet sich namentlich auf der linken Seite vom Eingange eine auf vertieftem Grunde erhabne und bemalte Abbildung des Sesostris, auf seinem Streitwagen stehend und im Begriff, einen Pfeil auf den fliehenden Feind abzuschießen, die in Haltung und Form auf das lebhafteste an den Apoll von Belvedere erinnert, diesen aber nach meinem Gefühle an jugendlich göttlicher Schönheit des erzürnten Antlitzes, an unnachahmlicher Grazie und Kühnheit der Stellung wie durch den edelsten, makellosesten Körperbau noch übertrifft. Nur der unterste Teil des Gesichtes hat leider eine Beschädigung erlitten, sonst ist die ganze Figur bis jetzt noch intakt geblieben, so wie auch Wagen und Pferde, die auf das reichste geschmückt, in gleicher Vortrefflichkeit vollendet sind und mir, die Pferde betreffend, selbst den Vorzug vor allen ähnlichen Darstellungen in Theben zu verdienen scheinen. Unter den Gefangnen, die auf beiden Seiten des Eingangstores der siegende Osiris (immer wieder in Ramses Gestalt) am Schopfe hält, scheinen sich Individuen aller Hauptnationen der Erde zu befinden, und die Charakteristik der Physiognomien ist so sprechend, daß man auch hier die Porträtierung nicht verkennen kann. Die Decke ist äußerst reich mit großen Geiern von dunkelblauer und gelber Farbe verziert. Viele Reisende meinen, dies sei Gold gewesen, ich habe aber nie irgendwo die mindeste Spur auffinden können, daß die alten Ägypter Gold- oder Silberfarben in ihrer Malerei angewendet hätten, sondern stets ist dergleichen durch Gelb oder Weiß angedeutet. Nur unter den Ptolemäern und Römern ward ohne Zweifel Gold angewandt. Früher muß man diese Metalle als Farben verschmäht oder ihre Bereitung nicht hinlänglich gekannt haben. Ich spreche hier nicht von Holzvergoldung, deren Herodot erwähnt, dennoch hat man bis jetzt auch diese, zum Beispiel vergoldete Köpfe an den Mumien, immer nur, so viel ich weiß, aus den Zeiten der Ptolemäer gefunden.

Eines sonderbaren Effekts optischer Täuschung in demselben Saale muß ich noch gedenken, ehe ich ihn verlasse. In der dunkelsten Ecke desselben, die in neuerer Zeit, Gott weiß zu welchem Zwecke, mit einer Mauer umzogen worden ist, sieht man die hohe Figur eines prachtvoll gekleideten königlichen Helden auf den obern Teil der Wand gemalt. Wir erstiegen die zerbröckelte Mauer, um das Bild mit der Fackel genauer zu betrachten, und so oft wir diese an einer gewissen Stelle festhielten, sahen wir alle zu mehrerenmalen das wilde Antlitz des Kriegers auf das täuschendste die Augen verdrehen und greulich rechts und links rollen. Der in hohem Grade gespenstische Effekt, den wir so ganz willkürlich hervorbringen und wiederholen konnten, schwebt mir noch immer lebendig vor und erinnert mich an jene Bilder, die auf eine Weise gemalt sind, daß, man mag sich hinstellen, wo man will, immer von ihnen starr fixiert wird. Wer weiß, ob hier nicht ein ähnliches Kunststück des ägyptischen Malers der unheimlichen Wirkung zum Grunde lag.

Es folgen nun noch zwei etwas kleinere Säle, und aus dem letzten führen drei Tore in ebenso viele Gemächer von weit geringerem Umfang als die Säle. Das mittelste derselben, genau dem Haupteingange gegenüber, enthielt, wie bei allen Felsentempeln, das Allerheiligste. Die darin sitzenden Statuen sind sehr verstümmelt, und ein Altar, welcher sich noch in der Mitte befindet, besteht nur aus einem einfachen Granitwürfel ohne Skulpturen. Außer diesen Gemächern enthält der Tempel noch mehrere andere, im ganzen vierzehn, in die man durch Seitentüren aus den großen Sälen gelangt; sie sind lang und schmal, einige mit 2½ Fuß hohen massiven Bänken ringsum an den Wänden versehen. Alle sind voll bemalter Skulpturen verschiedener Art, in einigen aber auch nur die Umrisse derselben mit großer Freiheit und Schärfe in schwarzen und roten Linien angegeben.

Ich hatte in allen Reisebeschreibungen gelesen, daß die Hitze im Innern des Tempels einem russischen Schwitzbade gleiche, und war daher sehr verwundert, davon nicht das mindeste zu bemerken, im Gegenteil fanden wir es weit kühler in diesen Räumen als in der Sonnenhitze im Freien. Absichtliche, fanatische Zerstörung scheint in Ypsambul nie stattgefunden zu haben. Nur durch neuere Kunstliebhaber und gelegentlich hier hausende oder ihr Vieh hier beherbergende Eingeborne, endlich und hauptsächlich aber, wie schon bemerkt, durch die Feuchtigkeit des Felsens selbst, in dem der Tempel ausgehauen wurde, hat dieses herrliche Werk bedeutend gelitten – ohne Schutz von seiten des Gouvernements aber und so leicht zugänglich, als es jetzt ist, darf man nicht hoffen, daß die sämtlich nur in Stuck vertieften Skulpturen des Innern, deren glänzende Farben schon größtenteils verblichen sind, der Zeit noch lange widerstehen werden.

Gleich verschont von prämediertem Vandalismus ist ein ähnlicher, jedoch um die Hälfte kleinerer, zweiter Felsentempel dicht neben dem großen geblieben, welcher von Sesostris' Gemahlin erbaut, und der Hathor (Venus) geweiht ist. Nur ein breiter Sandsturz, der an blendendem Glanze wie an glatter Oberfläche vollkommen einem Eisgletscher gleicht, trennt ihn von seinem Nachbarn. Ich versuchte, diesen Sand zu erklimmen, um den Fries des großen Tempels, der aus einundzwanzig 8 Fuß hohen, aufrecht stehenden Affen besteht, wo möglich näher zu betrachten, fand aber das Unternehmen über meine Kräfte, da man bei jedem Schritt fast ebenso tief wieder herabglitt, als man vorwärts gekommen war.

Die innere Einrichtung dieses zweiten troglodytischen Monuments ist der des andern gleich, und die außerhalb an die Wand gelehnten Kolosse des Königs und der Königin schienen mir noch vollendeter gearbeitet als die des größern Tempels, besonders sind die üppigen und zarten Formen der weiblichen wie die Durchsichtigkeit und der schöne Faltenwurf der Gewänder merkwürdig gelungen bei so kolossalen Verhältnissen. Eine liebliche Wirkung macht es auch, daß an den Knien der Eltern Söhne und Töchter gruppiert sind. Diese Anordnung bereichert das Ganze und mildert den strengen Ernst der Riesenbilder durch gemütlichere Gefühle. Die Hieroglyphen, mit denen die Pfeiler bedeckt sind, stehen den besten dieser Art auf den Gebäuden Thebens nicht nach, obgleich der hiesige Sandstein, in den sie eingemeißelt sind, fast so hart als Granit ist. Auf den Bildern im Innern opfert den Göttern stets die Königin statt des Königs, und andere Skulpturen deuten auf die Mysterien der Einweihung eines Mädchens durch Priesterinnen der Isis hin. Wunderlich ist im Heiligtum eine Statue des Königs, über dessen Haupt die gehörnte Kuh der Hathor so hervorragt, daß die Hörner dem König selbst aufgesetzt zu sein scheinen, nach unsern Begriffen allerdings eine komische Zusammenstellung im Tempel der Königin. Empörend ist es aber zu sehen, wie schamlos neuere Besucher diese Bildwerke durch die obszönsten Zusätze, mit Kohle und selbst mit schwarzer Ölfarbe sorgsam gezeichnet, herabgewürdigt haben. Wahrlich, der niedrigste der Eingebornen würde sich keine solche Gemeinheit zuschulden kommen lassen, und es ist schmachvoll zu denken, daß Menschen, die so weit aus dem gebildeten Europa hierherkommen, solche Spuren ihrer Anwesenheit zurücklassen können!

Ungefähr hundert Schritte von den Tempeln sieht man noch einige kleine Nischen einzeln in den Felsen hoch über dem Wasser angebracht. Die letzte derselben, ganz abgesonderte, enthält eine wunderbar erhaltene, völlig unbeschädigte Figur, die mir zu den reizendsten Schöpfungen ägyptischer Kunst zu gehören scheint. Es ist ein junges aufrecht stehendes Mädchen von rührender Schönheit mit einem tief schwermütigen Ausdruck im Antlitz; die gefalteten Hände ruhen herabgesunken in ihrem Schoß und, wie über ihren eignen frühen Tod trauernd, schaut sie, ein Bild klagender, aber engelgleicher Unschuld, sinnend vor sich nieder in die rastlos vorüberströmende Flut.

Auch die Gegend um Abu-Simbel hat den eigentümlichen Charakter durch die besondere Form ihrer Felsen, deren mehrere, während man auf dem Flusse weiter fährt, regelmäßige Pyramidengestalten annehmen. Eine breite scharf abgekantete Wand erhebt sich dazwischen, deren schmaleres Ende den oberen Teil eines kolossalen Gesichtes so deutlich nachbildet, daß es scheint, als habe die Natur selbst hier den alten Ägyptern sowohl die erste Idee zu ihren Pyramiden als zu ihren Felsenkolossen geben wollen.

Wir hatten kaum mit ziemlich günstigem Winde am andern Morgen die Ebene von Ouadi-Halfa vor den großen zweiten Katarakten erreicht und unsere Barken, die wir hier definitiv zurücklassen müssen, zu entladen begonnen, als wir einen neuen Khamsin auszustehen hatten, der wie gewöhnlich seine vollen drei Tage anhielt. So peinigend diese Landplage ist, konnten wir uns doch sehr gratulieren, daß sie uns jetzt und nicht später in der Wüste überfiel, wo außer der gewöhnlichen Unannehmlichkeit oft auch die größte Gefahr damit verbunden ist. Der Wind war diesmal so stark, daß wir keines der Zelte zum Stehen bringen konnten und daher auf dem Wasser bleiben mußten. Aber trotz der schirmenden Bucht waren wir in der durch die schäumenden Wellen stets umhergeworfenen Tahabia genötigt, beim Essen den Tisch mit Steinen zu beschweren, um ihn vor dem Umfallen zu bewahren. Dies waren unangenehme Tage, und leider ward das verdrießliche Geschäft des Umpackens aller Effekten bei solchem Unwetter noch durch ein allgemeines Unwohlsein vermehrt, von dem bei diesem dritten Khamsinanfall fast keiner unsrer Gesellschaft ganz frei blieb.


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