Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Kahira (Masr el Káhira)

Installation in Baki Beys Palast. Ibrahims Anlagen

Ich landete an der erwähnten Insel mit der Absicht, hier in dem leerstehenden Gartenpalais Ismael Paschas, eines Enkels des Vizekönigs, der in Schendy verbrannte, vermöge eines Trinkgeldes an den Aufseher die Nacht zuzubringen, wie es die orientalischen Sitten verstatten. Erst am andern Morgen, nach gehöriger Ruhe, gedachte ich, meine offizielle Entrée in Kahira zu bewerkstelligen. Alles Nötige ward demgemäß von meinem Dragoman besorgt, und während man in der Eil einige Stuben für mich herrichtete, benutzte ich diese Zeit, um zuerst in den mehr als gewöhnlich zierlichen Parterres des ehemaligen Serails mich umzusehen, nachher aber einen Spaziergang in jener wohl eine halbe Stunde langen Allee von Trauerweiden zu machen, die ich schon vom Wasser aus so sehr bewundert hatte. Sie führt immer dicht am Nilufer hin, wo sie zwischen ihren hängenden Zweigen Bilder auf Bilder jenseits des Flusses entfaltet, indes sich ihr auf der andern Seite, nach dem Innern der Insel zu, eine weitläufige Pflanzung junger Ölbäume auf dem Untergrund hellgrünen Klees anschließt. Ich und mein griechischer Page bildeten die einzige Staffage dieser Allee, mit Ausnahme eines athletisch gebauten, ganz nackten Ägypters, der wahrscheinlich aus dem Flußbade kam, denn er hielt ein Bündel Schilf in der Hand, das er als Feigenblatt benutzte.

Ich war eben stehengeblieben, um die sich mir gegenüber stattlich ausbreitende Residenz Ibrahim Paschas genauer zu betrachten, als mehrere Leute, schon von weitem mir zuwinkend und rufend, uns nachgelaufen kamen. Um mein projektiertes Inkognito war es geschehen. Der Vizekönig, welcher in der Absicht, seinen Sohn daselbst zu empfangen, den man täglich von Syrien erwartet, Ibrahims Palast jetzt provisorisch bewohnt, hatte meine Ankunft schon erfahren, und auf seinen Befehl war mir eine Gondel entgegengeschickt worden, mich in Baki Beys Palast zu bringen, der, wie ich vernahm, ganz neu möbliert und mit aller nötigen Dienerschaft und Zubehör versehen, zu meiner Disposition gestellt worden war. Ich fand, als ich daselbst ankam, schon eine Ehrenwache auf ihrem Posten und mehrere reich angeschirrte Pferde vor der Tür stehen; ein Oberkawaß Seiner Hoheit mit einem langen Stabe, dessen silberner Oberteil mit vielen rasselnden Ketten geziert war, schritt von sechs Untergebnen gefolgt und unter dem Wirbeln des Tambours der Wache gravitätisch vor mir her. Im Vorsaal empfing mich das für die Dauer meines Hierseins zu meinem Dienst bestimmte Personal von Mamelucken, Dienern und Sklaven und geleitete mich nach dem Diwan (Salon), wo mir sogleich eine reich mit Brillanten besetzte lange Pfeife und nach Ambra duftender Mokkakaffee in gleichfalls von Diamanten schimmernder Tasse aus Email respektvoll überreicht wurden. Mit der taktvollen Delikatesse und Höflichkeit, welche die Orientalen auszeichnet, überließ man mich hierauf eine Stunde lang ungenierter Erholung. Dann erst erschien der Hausherr, welcher Chef eines Conseils und General ist, ein in Griechenland geborner Türke von einer vornehmen Familie aus der Morea, um mich als Wirt willkommen zu heißen; als Dolmetscher begleitete ihn der Schwager unsres Konsuls in Alexandria, Herr Bonfort, das Faktotum Ibrahim Paschas und einer der achtungswertesten Männer, die ich in Kahira kennengelernt habe. Kurz nach ihnen kam Artim Bey, der Dragoman Seiner Hoheit, der mir die freundlichsten Begrüßungsworte des Vizekönigs überbrachte. Er wiederholte, daß ich Palast und Dienerschaft als mein Eigentum anzusehen habe, und setzte sogar hinzu, daß Seine Hoheit bedaure, nicht imstande gewesen zu sein, mich bei einem Pascha zu logieren, da eben alle sich hierzu qualifizierenden Personen dieses Ranges in Aufträgen abwesend wären. Zugleich kündigte er mir an, daß der Vizekönig Herrn Lubbert, Historiographen Ägyptens und Rat im Ministerium des öffentlichen Unterrichts, beauftragt habe, mich als Cicerone überall hinzubegleiten und mir jede Merkwürdigkeit der Stadt und Umgegend zu zeigen. Ich hatte wirklich Mühe, meine Dankbarkeit für so viel ganz unerwartete und unverdiente Ehrenbezeugungen wie für eine so grandiose Gastfreundschaft genügend auszudrücken, fand aber an Artim Bey, der einen Teil seiner Erziehung in Paris erhielt und französisch wie seine Muttersprache spricht, einen ebenso feinen als nachsichtigen Entschuldiger meiner Unbeholfenheit. Viele andere Visiten folgten sich jetzt, unter denen mich vorzüglich die Sami Beys interessierte, des ersten Adjutanten und Lieblings Seiner Hoheit, welcher nicht bloß als Staatsmann, sondern auch als orientalischer Sprachgelehrter und erotischer Dichter eines großen Rufes hier genießt. Ihm folgte Muktar Bey, Generalleutnant und Chef des Ministeriums des öffentlichen Unterrichts, welcher ebenfalls sieben Jahre in Europa verweilte und mit vornehmen Anstand eine angenehme Konversation verbindet, als Minister aber nicht beliebt sein soll.

Das Palais, welches ich bewohne, befindet sich in der Vorstadt und hat eine überaus reizende Lage, denn es steht unmittelbar am Nil, von dem es nur ein schmaler Blumengarten trennt, so daß ich aus meinem Schlafzimmer rechts meine Lieblingsinsel Garante und links die ewigen Pyramiden vor mir sehe, hinter denen jetzt eben, während ich schreibe, die Sonne rotglühend untergeht. Es hat dieses Haus aber auch eine historische Bedeutsamkeit. Der berühmte Mehemed Bey erbaute es, der vertrauteste Gefährte und Diener Mehemed Alis, der an jenem denkwürdigen Tage, welcher über des Vizekönigs Herrschaft und Leben entschied, zu dem Untergang der konspirierenden Mamluckenhäuptlinge den Plan entwarf und auch selbst die Ausführung übernahm. Man hatte durch einen glücklichen Verrat erfahren, daß in drei Tagen, bei Gelegenheit einer großen Revue, die Mehemed Ali angeordnet, die Mamlucken mit ihrer ganzen Macht dort über ihn herzufallen beabsichtigten, um ihn womöglich mit allen seinen Getreuen auf einen Schlag zu beseitigen. Es galt, ihnen zuvorzukommen, wozu man offen nicht die Macht besaß, und doch war kein Augenblick Zeit mehr zu verlieren. Jedermann kennt das verzweifelte Auskunftsmittel, dessen man sich bediente, doch herrschte über die Details in Europa viel Irrtum. So stellt zum Beispiel das durch Kupferstiche überall verbreitete Gemälde Forbins die Szene so dar, als habe ihr Mehemed Ali, seinen Nargileh gelassen rauchend, wie einem Theaterstück zugesehen. Die Wahrheit ist aber, daß er gar nicht dabei gegenwärtig war, noch, der Lokalität nach, füglich sein konnte. Sobald die Beys Abschied von ihm genommen hatten und sich im Hofe auf ihre Pferde schwangen, sagte Mehemed Bey zu ihm: «Nun ist deine Rolle vorüber und meine beginnt, ich beschwöre den Pascha, sich in sein Harem zurückzuziehen.» Dies geschah sogleich, und Augenzeugen, Eunuchen aus dem Serail, haben mich versichert, daß der Vizekönig, verstört und schweigend, in großer Gemütsbewegung den Ausgang abwartete, kein Wort sprach, nur mehrmals kaltes Wasser zu trinken begehrte, während der Lärm des Schießens und der Tumult der reiterlosen Pferde mit dem Angstgeschrei der Fallenden von fern zu seinen Ohren drang. Dies ist auch nur menschlich wahrscheinlich, und Mehemed Ali wahrlich so wenig blutdürstig, als es Napoleon war, aber er ist auch kein Ludwig der Sechzehnte und scheut daher selbst Blutvergießen nicht, wo es sein muß und wo es, zu rechter Zeit angewendet, durch wenige Opfer später das Leben Hunderttausender erspart, ja oft das künftige Heil ganzer Nationen begründet, während weichliche Unterlassung sie nicht selten zugrunde gerichtet hat. Und am Ende ist sich auch jeder selbst der nächste. Wer mich in eine Grube stürzen will, den werfe ich ringend selbst hinein, wenn ich kann, und bin nur ein Schwachkopf, wenn ich es nicht tue.

In späterer Zeit zeichnete sich Mehemed Bey noch durch eine andere, nicht weniger kühne Tat aus, indem er einen Abgesandten des Sultans, der in Abwesenheit Mehemed Alis nach Kahira kam, um ihm die seidne Schnur zu überbringen, ohne langes Besinnen noch Einholen einer Instruktion, provisorisch den Kopf abschlagen ließ.

Ich widmete meinen ersten Tag in Kahira – ohne auszugehen – nur häuslichen Geschäften, der neuen Einrichtung, dem Bade und der wohltätigen Ruhe. Erst am andern Morgen begab ich mich in Ibrahims Palast zur Audienz bei dem Beherrscher des Landes.

Der eine starke Viertelstunde weite Weg führte mich durch einen Teil der neuen Promenaden, welche seit nicht länger als acht Jahren durch Herrn Bonfort auf Ibrahims Befehl und Kosten ausgeführt wurden. Sie sind bestimmt, den ganzen ungeheuren Raum zwischen dem Nil, Bulak, Kahira und Alt-Kahira einzunehmen, von welcher Riesenarbeit auch schon an zwei Dritteile beendigt sind. Eine wahrhaft königliche Anlage! Denn früher befanden sich an der Stelle dieses lachenden Grüns unter dem Schatten jetzt schon ansehnlicher Bäume nichts als unzählige Massen 50-100 Fuß hoher schwarzer Haufen oder vielmehr Berge Schuttes, die alle, der nötigen Bewässerung wegen, sorgfältig planiert und mit vielen Sakis (durch Ochsen getriebene Wasserleitungen) versehen werden mußten, ehe man zur Pflanzung und Bebauung schreiten konnte. Ibrahim Pascha, den wir in Europa nur als kühnen Soldaten kennen, den man hier aber als Pflanzer und Ackerbauer in so großem Maßstabe einer wohltuenden Bewunderung würdig findet, begnügte sich auch hiermit nicht, sondern dehnte seine Kulturen noch auf mehrere Teile der nahen östlichen Wüste jenseits Kahiras aus, die sämtlich unter des rastlosen Bonforts Leitung stehen. Dieser hat jetzt für die gesamten Anlagen Ibrahims in Ober- und Unterägypten über zehntausend Tagelöhner im Solde, die täglich von 1½ bis 3 Piaster Lohn erhalten und regelmäßig alle Freitage bar ausgezahlt werden! Wieviel europäische Prinzen tun ein Gleiches? Und wäre es nicht wahre Barbarei, so etwas nicht mit Achtung anerkennen zu wollen?

Ich weiß zwar recht wohl, daß Ibrahim Pascha nicht der Mann dazu ist, um aus bloßer Philanthropie so zu handeln, es ist eine Spekulation, gleich seinem Häuserbau in Alexandria, die ihm gut rentiert und zugleich seine künftigen Hauptstädte verschönert. Aber eben dadurch stiftet er hier den größten Nutzen, denn wenn die noch rohe Population, welche jetzt ihr überflüssiges Geld verbirgt oder doch tot liegen läßt, sieht, daß der älteste Sohn und Erbe des Herrschers, der überdem ein berühmter Krieger ist, mit gleichem Erfolge als Industrieller auftritt, so wird sie auf die sicherste Weise dadurch zur Nachahmung bewogen. Man muß nie zu genau den Motiven menschlicher Handlungen nachforschen, wenn nur ihre Resultate gemeinnützig sind. Im tiefsten Grunde wird man vielleicht bei allen den ersten Keim stets im Egoismus finden, der sich unter Millionen verschiedener Formen verbirgt. Keine Regel wird allgemeiner in der Welt befolgt als die: «Charité bien entendue commence par soi même». Aber viele sehen dies selbst nicht ein, und noch wenigere gestehen es.

Bei dem außerordentlich schnellen Wachstum der Bäume in dem hiesigen Klima (ich sah deren von fünfzehnjährigem Alter, die bei uns wenigstens fünfzig Jahre zu gleicher Entwicklung brauchen würden) und bei dem ungemein frischen Triebe aller Vegetation, die nur Bewässerung braucht, um alsogleich die Wüste in fruchtbares Land zu verwandeln, aber ohne Bewässerung auch sogleich aus fruchtbarem Lande wieder zur Wüste wird, müssen noch acht Jahre mehr hinlänglich sein, den Pflanzungen dieses Parks ihre vollkommene Ausbildung zu gewähren, und es wird dann wenige Hauptstädte in der Welt geben, die sich einer gleich reizenden Umgebung sowie schönerer und schattigerer Promenaden zu erfreuen haben. Alle diese Anlagen bilden durchgängig regelmäßige großartige Formen, der einzige Stil, der meines Erachtens für die Majestät der hiesigen Gegend paßt, wie ich mich hier sogleich überzeugte und später noch näher beleuchten werde. Die angewandten Bäume sind hauptsächlich: der Sykomor, ein herrlicher, Ägypten und Nubien eigentümlicher Baum, der die Höhe und Breite unsrer Eichen übertrifft, mit runden Blättern, die der Erle gleichen, aber größer und von schönerer, hellgrüner Farbe sind; ferner mehrere immergrüne Akazienarten, der Ölbaum, dessen Laub hier schwarzblauer als in Europa und äußerst dicht ist, der aber weniger gute Früchte trägt; endlich Zypressen, Mimosen, Pappeln und einige Obstbäume, alle reihenweis entweder um freie Plätze oder «en quinconce» oder in breiten und schmaleren Alleen gepflanzt, welche respektive für Equipagen, Reiter und Fußgänger bestimmt sind und hier, wo es so selten regnet, leicht hart und eben wie eine Tenne erhalten, auch täglich gegen den Staub begossen werden. Alle Flächen zwischen den Baumpflanzungen sind, da Rasen hier nicht gedeihen kann, größtenteils mit Futterkräutern von einem blendenden Hellgrün besät, worin die kleinen Quadrate, in welche das Terrain zum Behuf der Bewässerung abgeteilt ist, einen ganz originellen schachbrettartigen Effekt machen. Zuweilen wechseln die Futterkräuter auch mit kleinen Gemüse-, Orangen- und Obstgärten verschiedner Sorten ab. Hecken blühender Sträucher umgeben diese. Viele Paläste, Lusthäuser und andere Gebäude beleben die Promenaden mannigfaltig; unter andern befindet sich das Grab Mehemed Beys in ihrem Bereich, das er sich noch lebend baute. Es besteht aus zwei weißen Pavillons mit Eisengittern, hinter deren einem der Bey, hinter dem andern sein Busenfreund, ein Derwisch, in freistehenden Steinsärgen liegen. Beide Pavillons werden durch ein großes Wasserbassin, das zum Gebrauch des Publikums dient, verbunden. Denn die Orientalen haben die schöne Sitte, alle Monumente, die sie errichten, immer mit einem gemeinnützigen, wohltätigen Zweck zu verbinden. Die hier zu jeder Kultur so nötigen zahlreichen Sakis sind durch massive Ruhesitze verdeckt, deren Rückmauer die das Wasser heraufziehenden Tiere verbirgt, indes die davor angebrachten, mit blumenreichen Winden und Monatsrosen überhangenen Veranden die anmutigsten Erholungsplätze darbieten. Eine hundert Fuß breite Hauptavenue führt mitten durch die Anlagen von Kahira, und zwei andere halb so breite von Alt-Kahira und Bulak aus zu dem königlichen Palaste Ibrahims, vor dem jetzt die Menge der Wachen, das Gewühl wiehernder Pferde, die vielen ab- und zueilenden Großen in glänzender Kleidung, die Haufen von Tschausch und Kawaß sowie die zweihundert Dromedare, welche stets dem Vizekönig folgen, um seine Eilboten augenblicklich nach allen Teilen des Reichs tragen zu können, hinlänglich anzeigten, daß wir uns der momentanen Residenz des Mannes näherten, den die Vorsehung bestimmt zu haben schien, die Bahn zu einer innigeren Vereinigung des Orients und Okzidents und dadurch zu einer höhern Zivilisation beider mit starker Hand zu brechen. Die Großmächte Europas haben seitdem diesem Streben Einhalt getan mit überlegner Kraft – und was die Gewalt tut, ist, solange sie dauert, ja immer wohlgetan.


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