Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Dem Gefolge des Kascheff hatte sich auch ein Ober-Kawaß Mehemed Alis angeschlossen, dem dieser großmütige Herr ein Kapital von 50 000 Piastern auf zwei Jahre ohne Zinsen dargeliehen, mit der einzigen Bedingung: für die ganze Summe hier und im Sennar Vieh aufzukaufen und dieses nach Ägypten zu bringen, wobei aller Vorteil beim Wiederverkauf des Entrepreneurs Eigentum bleibt. Da nun das Vieh hier so wohlfeil ist, daß ein Kamel nicht mehr als achtzig Franken, der schönste Zuchtstier bis dreißig und ein Schaf nur einen Franken kostet, in Ägypten aber die Preise sechs- und zehnfach höher stehen (bei Schafen oft zwanzigfach), so ist kein Zweifel, daß mit allen Kosten des Transports und trotz des großen Verlustes auf der Reise – den hauptsächlich die noch sehr schlechten Einrichtungen für diesen Zweck und der gänzliche Mangel an Tierärzten, worüber ich in der Folge ausführlichere Nachricht geben werde, herbeiführen – der Gewinn sehr bedeutend sein und das verwendete Kapital bei weitem übersteigen muß. Mehemed Alis Zweck dabei aber ist allein (wie man sich aus seinen eignen Äußerungen erinnern wird): den Ägyptern den großen Vorteil dieses Handels immer anschaulicher und denselben dadurch populär zu machen, was für beide Länder natürlich vom größten Nutzen sein muß, da es hier fast ganz an Kapital, dort noch im großen Maße an der gehörigen Menge Vieh sowohl zur Bearbeitung der Felder als zum Betriebe der Sakis fehlt, die so viel Tausende von Ochsen jährlich erfordern, welche bei dem schweren Dienst und den häufigen Seuchen nie lange ausdauern.

Da sich weit und breit kein einziger Baum in dieser Gegend befand, so hielt uns die gewaltige Hitze den ganzen Tag über im Zelte zurück, das wir erst nach Untergang der Sonne verlassen mochten. Die Nacht entschädigte uns. Der Mond war fast voll und der schwarzblaue Himmel mit tausend duftigen zarten Wölkchen gesprenkelt, die sich, wie einander jagend, lustig darauf umhertummelten. Unter dieser Beleuchtung nahmen wir unsre Mahlzeit dicht am Wasser im Freien ein und fanden es dabei so hell, daß wir nachher sogar unternahmen, beim Mondenschein ein Buch über den Mond selbst zu lesen, das ich zufällig mitgenommen hatte, während wir abwechselnd mit unsern Perspektiven das glänzende Gestirn betrachteten und den Mann im Monde mit der vor uns liegenden phantasiereichen Karte des Münchener Astronomen verglichen. Der Thermometer zeigte in dieser Nacht 28 Grad Reaumur. Aller Appetit zum Essen verliert sich bei dieser Temperatur; den größten gastronomischen Genuß gewährt nur das Nilwasser und besonders die unlimitierte Menge desselben, welchem die vortrefflichen getrockneten Datteln von Sokkot noch einen angenehmeren Geschmack beimischen. Wenn das Kamel das Schiff der Wüste ist, so kann man die Dattel füglich das Brot derselben nennen. Auch nimmt man gar bald die Gewohnheit an, immer eine Handvoll dieser Früchte in der Tasche mit sich zu führen. Die Dattel erfrischt, nährt und vertreibt auch die Zeit gleich der Pfeife auf den langen Ritten in der Wüste, weil man sie nur langsam im Munde zergehen läßt, während man seinen Gedanken Audienz gibt.

Wir fanden den Nil schon bedeutend angeschwollen, und jede Minute hörte man den losen, durch seine treibenden Wellen unterminierten Sand in kleinen Massen von den schroffen Ufern nachstürzen, wovon das Wasser oft so hoch aufspritzte, daß wir im Anfang einem großen Fisch oder einem Krokodil die Ursache davon beimaßen, bis wir den wahren Grund ausfindig gemacht hatten.

Bei Gelegenheit des Gegenbesuches, den ich am 20. Mai dem Kascheff abstattete, hatten wir Muße, Metemma im Detail zu betrachten, das ziemlich so groß als Dongola und gleich ihm nur aus getrockneten Erdziegeln aufgebaut ist, aber im ganzen ein noch viel elenderes Ansehen hat. Das Wüten des Defterdar Beys, der hier an sechstausend Menschen, Schuldige wie Unschuldige, spießen und niedersäbeln oder in die Flammen der brennenden Häuser werfen ließ und dadurch Metemma wie Schendy fast entvölkerte, zeigt leider noch seine traurigen Folgen. Allen Weibern und Mädchen, die verschont wurden, ließ er das Sklavenzeichen aufbrennen und sandte sie nach Kahira. Doch befahl Mehemed Ali bei der ersten davon erhaltenen Nachricht, sie frei zurückkehren zu lassen, und verwies dem Defterdar seine Grausamkeit so streng, als es ihm damals möglich war. Der hiesige Kascheff konnte uns die beste Auskunft über diese Begebenheiten erteilen, da er als junger Mann mit dem Defterdar hierher kam und seit der Zeit seinen jetzigen Posten weit länger bekleidet hat, als es sonst unter dem ägyptischen Gouvernement üblich ist. Er schien uns ein ehrlicher und folglich auch ein armer Mann, der wenig Bequemlichkeiten des Lebens kannte und uns in seiner kümmerlichen Behausung nur mit Zuckerwasser zu regalieren imstande war. Er suchte den Defterdar, dessen Grausamkeit er nicht leugnen konnte, doch dadurch zu entschuldigen, daß er auch auf das heftigste von den Einwohnern dazu gereizt worden sei. Denn nachdem er Schendy, eine damals sehr blühende und viel Handel treibende Stadt, als Racheopfer für Ismael Paschas Tod verwüstet hatte, verkündete er dem übrigen Lande eine allgemeine Amnestie und begab sich zu dem Schech von Metemma als Gast. Nach einem großen Versöhnungsmahle, welches dort stattgefunden, näherte sich ihm einer der Eingebornen mit dem Ansehen, als wenn er ihn um etwas bitten wolle. Kaum hatte sich aber der Defterdar freundlich zu ihm gewandt, als der resolute Neger einem nebenstehenden Soldaten des Schechs die Lanze aus der Hand riß und den Defterdar damit so heftig unter der Schulter durchstieß, daß der Schaft abbrach und der Getroffene, noch mit dem Eisen in der Wunde, auf die Bodenmatte niederstürzte, wo er mehrere Minuten besinnungslos liegenblieb. Der Täter ward nicht gespießt und gemartert, wie gewöhnlich erzählt wird, sondern sogleich vom Gefolge des Defterdar in Stücke gehauen. Das folgende Trauerspiel aber war ebenso gräßlich als unsinnig, da es um eines Schuldigen willen alle Einwohner der Stadt vertilgte. Auch der Schech und alle in seinem Hause anwesenden Gäste wurden niedergemacht.

Es ist wahrlich zu verwundern, daß nach allen diesen Greueln die Gegend sich während der fünfzehn Jahre, die seitdem vergangen, noch insoweit wieder hat aufraffen und von neuem bevölkern können, als es wirklich der Fall ist, so daß man jetzt schon wieder viele tausend Einwohner hier zählt, welche mancherlei Gewerbe treiben. Unter andern verfertigt man in dieser Stadt ein schön hochrot gefärbtes Baumwollenzeug, eine grobe Art grauer Leinwand, und sehr zierliche Matten und andere Gegenstände aus Palmblättern. Straußenfedern wurden uns in großer Menge zu einem Spottgelde angeboten, und ich habe später sehr bedauert, aus Nachlässigkeit nicht mehr davon eingekauft zu haben.Das Pfund zu einem Franken, welches schon in Kahira 30 und mehr kostet.

Abends brachen wir unsere Zelte ab und fuhren mit dem Kascheff den Nil nördlich hinab nach dem zwei Stunden entfernten, auf dem entgegengesetzten Ufer liegenden Schendy, das auf Rüppels wie anderer Karten als Metemma gerade gegenüber und noch südlicher als dieses liegend verzeichnet ist. Korschud Pascha, der Generalgouverneur vom ganzen Sudan, welcher in der Regenzeit hier einige Monate zuzubringen pflegt, hat sich zu diesem Behufe eine Viertelstunde von der Stadt und dicht am Flusse einen weitläufigen Palast aus Lehm erbauen lassen, der mir jetzt zur Wohnung angewiesen wurde. Weder die äußeren Mauern des Gebäudes, noch das Innere der Gemächer waren geweißt, alle Fußböden rohe Erde, welche man fünf- bis sechsmal des Tages begießt; die Diwans selbst nur aus Lehm errichtet, worauf Matten und Teppiche gelegt werden; die Zimmerdecken rohe Holzsparren und darüber ein dickes Geflecht aus Palmenrinde gelegt, auf welches der Estrich der obern Dachterrasse gepappt ist; die Fenster bloße Holzgitter mit Läden aus ungehobelten, lose aneinander gehefteten Brettstücken, die zwischen sich immer durch breite Spalten blicken lassen. Doch waren die Zimmer sämtlich von stattlichen Dimensionen, sehr hoch, luftig und daher verhältnismäßig kühl. Dies ist durchgängig des Landes Sitte, jeder wohnt so, und nur der Umfang und die Größe der Räume zeigt den Reicheren und Vornehmeren an. Die Nacht schläft man gewöhnlich außerhalb des Hauses im Freien auf einem Teppich, was wir nachahmten und sehr angenehm fanden. Das Geschrei der Pelikane und großen Frösche ertönte dabei die ganze Nacht hindurch wie aus einer Judenschule. Der Fluß ist überhaupt hier mit vielem Geflügel belebt, und namentlich sieht man wilde Gänse und Enten in großer Quantität.

Als ich früh noch vor Sonnenaufgang mich badete, während mehrere Weiber daneben ihre Wäsche klopften, machte man mir Zeichen, daß sich ein Krokodil nahe. Wirklich sah ich das Tier ungefähr in der Entfernung von zwanzig Schritten einigemal den Kopf aus dem Wasser heben. Es war aber nur ein kleines Exemplar, dem ich zu weichen nicht für nötig fand. Mein Dragoman holte einige Araber herbei, die sich im Kreise um mich her stellten und fortwährend mit Stöcken in das Wasser schlugen, was mir Zeit gab, mein Bad ruhig zu beenden, ohne daß sich das Krokodil wieder blicken ließ. Der Kascheff tadelte dennoch meine Sorglosigkeit und führte zur Bekräftigung die folgende, fast unglaubliche Anekdote an. Einige der Anwesenden von seinem Gefolge wollten zwar die Wahrheit derselben verbergen, indes, wahr oder unwahr, ist sie doch von der Art, daß sie in einer neuen Ausgabe von Münchhausens Werken sehr wohl mit aufgenommen werden könnte.

«Es ist noch nicht lange her», begann der Kascheff, «daß ein Mann aus Berber sich hier niederließ, den wir alle gekannt haben. Eines Morgens führte er sein Pferd zum Tränken an den Nil, band den Strick, an dem er es hielt, um seinen Arm und kniete, während das Tier seinen Durst löschte, zum Gebet nieder. In dem Augenblicke, wie er mit dem Gesicht auf dem Boden liegt, fegt ihn ein Krokodil nach der gewöhnlichen Art seines Angriffs mit seinem Schweif in das Wasser und verschlingt ihn. Das Pferd, entsetzt, wendet alle Kräfte an, um zu entfliehen, und da der im Bauch des Krokodils befindliche Arm seines toten Herrn, an welchem der Strick festgeknüpft war, diesen nicht mehr loslassen konnte und der Strick auch nicht zerriß, so zog das entsetzte Pferd an demselben das Krokodil selbst nicht nur aus dem Fluß heraus, sondern schleppte ihn auch über den Sand bis an die Türe seines eignen Stalles fort, wo er bald von der herbeikommenden Familie getötet und der entseelte Körper des Verunglückten noch in seinem Innern ganz unversehrt gefunden wurde.»

Gegen Mittag kamen hundert Negerrekruten, als Ergänzungsmannschaften für den Krieg im Hedschas bestimmt, zu Schiffe hier an. Sie waren alle in weiße Leinwandhemden gekleidet und wurden bis zum andern Morgen, um ihr Desertieren zu verhindern, in den Hof des Schlosses eingesperrt, wo sie biwakierten. Ich besuchte sie des Nachts mit dem Doktor kurz nach ihrer Mahlzeit. Alle lagen in tiefem Schlaf, aber zugleich in so grotesken, wunderlichen Stellungen, wie ich nie von Europäern gesehen, wozu sie sämtlich ihre Leinwandhemden über den Kopf gezogen hatten; denn nur diesen Teil ihres Körpers bedecken die Einwohner immer sorgfältig während des Schlafes. Die Sterblichkeit unter diesen, so robust und stark aussehenden Leuten soll furchtbar sein, und viele Tausende von ihnen haben schon im Hedschas ihr Grab gefunden, wo sie meistenteils nicht durch die Waffen der Feinde, noch selbst am Klima, das, obgleich ungesund, doch von dem ihrigen nicht sehr verschieden ist, sondern – am Heimweh starben. Die alle Jahr regelmäßig vorgenommenen Sklavenjagden auf die wilden Neger im Innern liefern diese Unglücklichen dem Gouvernement, eine Grausamkeit, die nicht zu entschuldigen, leider aber bei allen Völkern im Innern Afrikas so allgemein ist und allen Gouverneuren dieser Provinzen, die zugleich ihren Privathandel mit den eingegangenen Sklaven treiben sowie ihren eignen Bedarf damit versorgen, so viel Vorteil bringt, daß es Mehemed Ali sehr schwer werden würde, sie radikal abzuschaffen.Den Zeitungen nach hat er sie jetzt verboten, ich zweifle aber an der Ausführung des Befehls durch die Untergebnen und selbst an der ganzen Aufrichtigkeit desselben von oben. – Je weiter man von hier aus vordringt, desto mehr bemerkt man allerdings, daß des Vizekönigs persönliche Autorität schwächer wird und bei aller Ehrfurcht für ihn als Herrn doch direkt mehr auf seine Stellvertreter übergeht, die mehr gefürchtet werden und von denen mehr gehofft wird, eben weil sie an Ort und Stelle sind und Mehemed Ali fern.

In Khartum und in Kordofan sind in dieser Hinsicht seine Gouverneure mächtiger als er, und er muß, solange sie diese Posten bekleiden, um so behutsamer mit ihnen umgehen, um sich vor ihrem Abfall zu sichern, besonders seit sein Stern durch europäische Einmischung so sehr erblichen ist. Hier müssen die Folgen davon doppelt bedauernswert werden, da so unendlich viel hier zu tun, so viel Elend und Barbarei hier zu mildern und so viel neues Glück, Wohlergehen, ja Reichtum geschaffen werden könnte, wenn Volk und Land nur einigermaßen zivilisiert würden. Die gebrochne Macht Mehemed Alis kann dies nicht mehr unternehmen.

Mein Dragoman war am Abend bedeutend krank an einem entzündlichen Fieber geworden, was mich nötigte, einige Tage hier zu verweilen, doch haben ihn einige Aderlässe und Senfpflaster schon wieder auf den Weg der Besserung geführt. Während dieser Zeit langte ein Boot unter englischer Flagge hier an, auf dem sich Herr Doktor Holroy befand, ein junger Mann, der seit einem Jahre diese Gegenden bereist und jetzt aus Kordofan zurückkehrte. Dies war eine angenehme Diversion, und mehrere Stunden vergingen mir sehr angenehm in der Unterhaltung mit diesem unternehmenden und gebildeten jungen Mann. Er führte eine sehr vollständige Waffensammlung mit sich und erzählte viel Interessantes aus Kordofan. Unter andern von einem freien Stamme der Schallie-Araber zwischen Sennar und Kordofan, wo die Sitte herrsche, daß sich die meisten Weiber nur mit dem Beding verheiraten, den vierten Tag frei zu haben, das heißt an diesem Tage über ihre Person nach Gutdünken verfügen zu dürfen. Sie bekommen in diesem Fall bei der Hochzeit ein förmliches, schriftliches Attest ausgefertigt, das sie demjenigen, den sie an ihrem Frei-Tage zu begünstigen beschließen, für die Dauer des Tages einhändigen, wodurch er gesetzlich befugt wird, so lange in des Mannes Rechte zu treten. Bei der Hauptstadt Lobeid (nicht Obeid, wie auf den Karten steht) gibt es einen andern seltsamen Gebrauch. Viele Weiber und Mädchen vereinigen sich, um einzelnen Reisenden aufzupassen, und verlangen dann, sie mitten auf der Straße umringend, einen Bakschisch von ihnen, wogegen dem Reisenden das Recht gestattet wird, sich eine aus dem Trupp zum Ersatz seiner Spende auszulesen. Versagt jedoch der Reisende, den Handel einzugehen, so fallen die Damen gemeinschaftlich über ihn her und applizieren ihm statt ihrer süßen Gunst und nach dem Maßstab ihrer größeren oder geringeren Irritation 25 bis 50 sehr ernstliche Argumente a posteriori. Herr Holroy hielt dies anfänglich für eine bloße Fabel, als er aber eines Tages den Gouverneur auf seinem Landhause besucht hatte und erst spät abends mit einem jungen Führer, der zu Fuß neben ihm herlief, zurückritt, ward er selbst von diesen weiblichen Wegelagerern überfallen. Er für seine Person schützte sich leicht, da er zu Pferde war, aber der junge Führer ward gekapert, und da er sich durchschlagen wollte, niedergeworfen, festgehalten, umgedreht und wäre seinem traurigen Schicksale nicht entgangen, wenn nicht in dem Augenblick ein Trupp Soldaten von Lobeid des Weges angezogen gekommen wäre, bei welchem Anblick die Weiber ihren laut um Hilfe rufenden Gefangenen losließen und unter Lachen und Schreien in die Gebüsche entflohen.

In Lobeid wird nicht nur alles tote Vieh, sondern selbst die gestorbenen Sklaven zum ruhigen Verfaulen in der Luft auf die Straßen der Stadt geworfen. Der dadurch entstehende gräßliche Gestank scheint für die Eingeborenen weniger Unannehmlichkeiten zu haben als die Mühe, die Kadaver fortzuschaffen.

Lobeid ist der ansehnlichste und volkreichste Ort im Sudan unter ägyptischer Hoheit. Es zählte mehr als 20 000 Einwohner, die jedoch meistens nur in Toguls, zeltartigen Rohrhütten von eleganter Form, wohnen. Die Vornehmen allein haben Lehmhäuser wie hier.

Das ganze nördliche Kordofan ist eine unabsehbare Savanne, mit Akazien und Mimosen bedeckt, teils vereinzelt, teils zu Wäldern vereinigt, voll Giraffen, Herden von Straußen und einer Menge sehr verschiedener Antilopen. Alluvialsand mit ergiebigem Raseneisenstein, den die Einwohner schmelzen und sehr gute Waffen daraus fertigen, deckt überall das Land. Einzelnstehende Berge lagern sich um Lobeid, der Kurbatsch, el Kordofan, Abugher etc., sämtlich aus jüngerem Granit, dem herrschenden Gestein von Mittel-Kordofan, der Grauwacke parallel. Löwen, Panther und Leoparden sind häufig.

Den Viehreichtum im südlichen Sennar und Kordofan schilderte Herr Holroy als außerordentlich. Viele Einwohner besitzen Herden von mehr als 10 000 Stück, welche sich alle auf den Savannen nähren, was einen bedeutenden Wasseruntergrund beweist. Überhaupt meinte der Doktor, daß diese Länder zu den reichsten Afrikas gehören könnten, wenn nur ein Kanal von Dschebel-Moigl am Bahr-el-Asrak nach dem weißen Nil gegraben würde, was nicht die mindeste Schwierigkeit hätte. Es würde dann zwischen diesen beiden Flüssen bis Khartum hin ein Delta, noch üppiger als Unterägypten, gewonnen werden. Hier wäre in der Tat die wahre Goldgrube für Mehemed Ali zu finden, wo er durch den Anbau von Baumwolle, Zuckerrohr, Indigo, Senna (die schon jetzt dort überall wild wachse) und der meisten Zerealien ungeheure Revenuen für sich hervorrufen könne.

Ich selbst überzeugte mich später vielfach von der Wahrheit dieser Behauptung.

Üble Nachrichten brachte Herr Holroy von der abessinischen Grenze, wo die Truppen des Vizekönigs bei der jährlichen Sklavenjagd das fremde Territorium nicht respektiert und große Exzesse begangen hatten. Als nun die Beschwerden der Abessinier kein Gehör fanden und dieses Jahr von neuem 2000 Mann der Truppen des Gouverneurs von Khartum ihr gewöhnliches Geschäft begannen, kam ihnen eine Armee von 30 000 Abessiniern entgegen, massakrierte 1200 der ägyptischen Soldaten und nahm die übrigen nebst dem Kommandierenden und dem Rest der Offiziere gefangen. Sie haben jetzt eine Liste aller Gefangenen eingeschickt und den Auslösungspreis für jeden bestimmt, widrigenfalls sie drohen, in einer angegebenen Zeit die Unglücklichen sämtlich zu Eunuchen zu machen. Dies ist überhaupt hier sehr Mode. So befindet sich infolge einer früheren Revolution in Darfur ein Bruder des dortigen Kaisers als Flüchtling in Lobeid, wo er auf Kosten Mehemed Alis zu einer passenden Gelegenheit aufgehoben und so lange standesmäßig ernährt wird. Außerdem aber treibt dieser Prinz noch einen sehr einträglichen Handel mit – jungen Eunuchen. Seine Hoheit geruhen sogar, nebst seinem Herrn Sohne, zu ihrem besondern kaiserlichen Zeitvertreib den größten Teil der dazu nötigen Operationen selbst zu verrichten. Diese Operation findet folgendermaßen statt. Das beklagenswerte Opfer (meistens Kinder) wird in frischen Sand eingegraben. Bloß der Kopf und die zu operierenden Teile bleiben frei. Die letztern werden dann durch einen Messerschnitt vollständig vom Körper getrennt und die Verblutung durch schnell darüber gegossenes – siedendes Blei gestillt. Nach 40 Tagen ist alles wieder geheilt, und es muß uns fast unbegreiflich scheinen, ist aber vollkommen wahr, daß trotz dieser barbarischen Behandlungsweise in der Regel kaum zwei von zwölfen daran sterben. Noch schauderhafter als dies war es mir, von Herrn Holroy zu hören, daß kürzlich ein Europäer, der den Sklavenhandel dort als Spekulation treibt, dem Sultan fünfzehn von ihm erkaufte Kinder zur Operation mit dem Beding verhandelte, daß ihm, statt des Geldpreises, fünf davon als Eunuchen gesund und völlig hergestellt zurückgewährt werden müßten. Auch in Oberägypten gibt es zwei christliche (koptische) Klöster, deren Hauptrevenue aus dem Verfertigen von Eunuchen gezogen und dies so sehr ins Große betrieben wird, daß fast ganz Ägypten und ein Teil der Türkei von dort aus versorgt wird.

Im übrigen werden in Kordofan die Sklaven, wie überall im Orient, keineswegs grausam von den Eingebornen behandelt, doch sah Herr Holroy (aber wiederum bei einem Europäer) zwei Männer, denen wegen versuchter Flucht die Nasen abgeschnitten worden waren. Dergleichen ist schrecklich, dehnt sich aber nicht bloß auf Sklaven aus, da überhaupt in diesen noch ganz wilden Ländern jeder Besitzer mit seinen Untergebenen fast schalten kann, wie er will.

Herr Holroy war noch entzückt von den gemachten Jagden, von denen er mehrere Trophäen mitbrachte. Außerdem führte er auch mehrere Sklaven, ein Mädchen und fünf Knaben, mit sich sowie sechs merkwürdige Ziegen aus Kordofan, den Steinböcken ähnlich und so bunt wie Ostereier, rot, schwarz, weiß und rehfarben gesprenkelt oder marmoriert, graziöse Tiere, viel hübscher in ihrer Art als ihre menschlichen Kameraden. Auch Herr Holroy beklagte sich über die Unzuverlässigkeit aller in Europa herausgekommener Karten des Nillandes. Er war selbst mit der Anfertigung einer neuen beschäftigt und hatte bereits auf der besten englischen von Arrowsmith über 300 falsche Namen und einige 20 falsche Nilbiegungen korrigiert.

Es war für meinen kranken Dragoman sehr ersprießlich, daß ihm hier ein europäischer Doktor wie ein deus ex machina zu Hilfe kam, sonst hätten wir vielleicht noch lange hier verweilen müssen. Bei dieser Gelegenheit erzählte Herr Holroy, daß er selbst am klimatischen Fieber tödlich krank gewesen, sich im Anfang selbst zu kurieren versucht, aber vergeblich, bis er sich endlich entschlossen, sich blindlings einem einheimischen Faki zu übergeben, der ihn auch mit einer «Höllenkur», wie er sich ausdrückte, binnen acht Tagen glücklich geheilt.

So verging mir die Zeit angenehmer, als ich hoffen durfte, durch die reichhaltige Unterhaltung des englischen Doktors, und obgleich ich mich selbst fast ebenso unwohl fühlte als mein Dragoman, besonders aber an einer höchst peinigenden Abgespanntheit des ganzen Nervensystems litt, so benutzte ich doch meine Muße noch anderweitig, namentlich um Schendy einigemal zu besuchen. Es ist ein trauriger Anblick, den diese Stadt, welche einst an 50 000 Einwohner zählte, in ihrem jetzigen Zustande gewährt. Noch dehnen sich ihre zerstörten und längst verlassenen Häuser auf allen Seiten gegen die umliegenden Felder aus, welche ebenfalls größtenteils zur Wüste geworden sind. Nur hie und da sieht man noch ein spitzes Strohdach sich erheben, das in der großen Totenstadt ein einzelnes bewohntes Haus verkündet, alle übrigen sind dachlos und leer, gleich dem fast in der Mitte des Ganzen stehenden kleinen Lehmpalaste, in welchem Ismael Pascha sein tragisches Ende fand und wo die verräterische Fackel, welche nur die darumher gehäufte Strohbündel zu ersehnter Rache anzünden sollte, vom Schicksal bestimmt war, in grauser Folge eine ganze große Provinz mit mehr als der Hälfte ihrer Bewohner zu vernichten. Eine eigne Schickung ist es, daß der Schech, welcher die Verschwörung anzettelte und ausführte, mit seinem Sohne aller Strafe und Rache gänzlich entging. Er lebt noch unter den Arabern der Wüste, und Mehemed Ali hat nie etwas getan, um seiner habhaft zu werden, ja man versicherte mir, daß sein Sohn schon längst wieder zurückgekehrt sei und seit Jahren auf einer Insel nicht fern von Meroë lebe, wo ihn alle seine noch übrigen Anverwandten häufig besuchen, ohne daß die Regierung die mindeste Notiz davon genommen hat. Mehemed Ali, der ein besserer Politiker ist, als der Defterdar war, mißbilligte überhaupt dessen Verfahren im höchsten Grade und hat seitdem alles getan, was in seinen Kräften stand, um es vergessen zu machen. Der größte Teil der Schechs in dieser Gegend, von denen mehrere zu mir kamen, erhält Jahrgehalte von ihm ausgezahlt, und der Schech Bischir bezieht monatlich 500 Piaster vom Gouvernement, hier eine bedeutende Summe. Daß ich über Ismael Paschas Katastrophe nichts weiter erwähne, wird mir hoffentlich niemand verdenken, da die genauesten Details darüber von jedem seitdem hier Reisenden schon zum Überdruß wiederholt worden sind.


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