Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Besuch auf der Flotte

In einem Gig, ein langes, schmales, höchst zierliches Boot gleich denen der Exklusives von Cowes, schifften wir aus dem Arsenal nach der Flotte über, die, jetzt vollständig versammelt, einen imposanten Anblick gewährte. Wir steuerten sogleich nach dem Admiralschiff, wo ich dem Prinzen Said Bey, zweiten Sohne des Vizekönigs, meine Aufwartung zu machen beabsichtigte.

Obgleich noch voll des Eindrucks, den die englische Flotte in Malta und Zante auf mich gemacht, fand ich, das Materielle betreffend, kaum einen (wenigstens dem Nicht-Seemann bemerklichen) wesentlichen Unterschied zwischen den Schiffen beider Nationen, die ich mir in Gedanken immer zusammenstellte; ja in einigen, wenn auch nicht sehr bedeutenden Einzelheiten fand ich hier sogar Vorzüge, zum Beispiel im Bezug auf die äußerste Reinlichkeit und Ordnung bis in die entferntesten Winkel und die tiefsten Räume hinab sowie hinsichtlich der Aufbewahrung und Aufstellung der Waffen, die hier mit zweckmäßigerer Anordnung, wie mir scheint, in mehrere kleine Magazine durch den ganzen Schiffsraum hin verteilt sind, statt in einem großen Lokal vereinigt zu sein, weil man auf diese Weise leichter und schneller zu ihnen gelangen kann; endlich eine sehr praktische neue, von den Franzosen entlehnte Disposition schützender Schießscharten auf dem obern Verdeck, die ohne Zweifel bei neuen Schiffen allgemein berücksichtigt werden wird. Bei den Manövers, denen ich beiwohnte, war dagegen der Unterschied noch gewaltig zum Nachteil der Ägypter, da einesteils weit weniger sichere Haltung dabei herrschte, andernteils mindestens die doppelte, ja dreifache Zeit zu den meisten dieser Evolutionen gebraucht wurde. Dies liegt jedoch weit weniger in der Unfähigkeit der arabischen Matrosen, die mir im Gegenteil alle Eigenschaften zu besitzen schienen, die besten der Welt werden zu können, als in der großen Mangelhaftigkeit der Offiziere, aus denen Mehemed Ali vielleicht zu früh die meisten Europäer infolge verschiedner Mißverständnisse ausgemerzt hat. Ohne die wenigen, welche noch davon da sind und unter denen den Talenten und dem Eifer des Herrn Touset, Adjutanten des Generals Besson, eine besondere Anerkennung gebührt, würde diese schöne und kolossale Schöpfung vielleicht Gefahr laufen, ebenso schnell zu verfallen, als sie wie durch Zauber emporgestiegen ist. Wahre Freunde des Vizekönigs können ihn dabei nur warnen, nicht zu früh seinen Landsleuten Dinge zu überlassen, denen sie noch nicht gewachsen sind.Man kann sich hier der Betrachtung nicht erwehren, was wohl geschehen sein würde, wenn beim Beginn des letzten Krieges gegen Mehemed Ali, wo die Engländer nicht mehr als acht oder neun Linienschiffe, die Franzosen aber beträchtlich mehr im mittelländischen Meere stationiert hatten, was, sage ich, geschehen sein würde, wenn Frankreich mit größerer Entschlossenheit die ganze Flotte des Vizekönigs, zu der damals noch die übergegangene türkische kam, durch französische Offiziere befehligt, mit in den Kampf gezogen und so, die Initiative ergreifend, mit fast vierfacher Überlegenheit die englische Flotte angegriffen hätte! Schon oft hat eine gänzliche Niederlage den Nimbus, der die größten Seemächte umgab, so erschüttert, daß sie von da an nur eines langsamen Todes starben. So viel ist gewiß: eine gleiche Gelegenheit für die Franzosen wird schwerlich jemals wiederkehren. – Gut für den Weltfrieden, daß sie nicht benutzt wurde.

Said Bey, der streng zum Seemann gebildet wird, ist ein junger Prinz von freundlichem Charakter und vielversprechenden Eigenschaften, der unter der Leitung des Generals Besson und seines speziellen Hofmeisters, Herrn König, eines Mannes voller Kenntnisse und Erfahrung und des ehrenwertesten Charakters, schon ziemlich die Allüre eines europäischen Prinzen angenommen hat, sich auch nicht weniger als ein solcher zu fühlen und zu betragen anfängt. Demohngeachtet ist er noch etwas schüchtern, und man lernt seine liebenswürdigen Seiten erst ganz kennen, wenn er zutraulicher geworden ist. Er spricht bereits geläufig französisch und, mit nur wenig Akzent, auch etwas englisch. Gewiß würde er in Europa gefallen und zuvorkommend aufgenommen werden, auch wünscht er selbst sehnlich die Reise dahin zu machen, es steht dieser aber ein vorderhand unübersteigliches Hindernis ganz eigner Art entgegen. Der Prinz ist für einen so jungen Mann außerordentlich korpulent, und sein Vater will ihn nicht eher sich in Europa produzieren lassen, bis er magrer geworden ist. Ich selbst hatte später Gelegenheit, mit dem Vizekönig vertraulich über diesen Gegenstand zu sprechen, und tat mein Möglichstes, ihn auf andere Gedanken zu bringen, konnte aber nichts ausrichten. Mehemed Ali wiederholte mehrere Male, daß er seinen Sohn in so unförmlicher Gestalt nicht reisen lassen könne. Ich habe deshalb dem Prinzen ein Regime vorgeschrieben, setzte er hinzu, er befolge es und werde mager, dann mag er reisen, aber nimmer vorher. Mit diesem Regime quält man nun den armen Said Bey nicht wenig, ohne daß es bis jetzt sonderlich anschlagen will. Alle Wochen wird er gewogen, und in dem detaillierten Erziehungsbericht, der regelmäßig von hier nach Kahira gesandt werden muß, darf das Resultat dieses Wägens nie fehlen, wo dann ein Erguß übler Laune unvermeidlich ist, wenn die Pfunde sich nicht «decrescendo» erweisen.

Das sicherste Mittel, den Prinzen von seiner überflüssigen Korpulenz zu befreien (auf die übrigens in Europa natürlich gar nicht reflektiert werden würde), wäre, ihn nach England zu schicken und durch die Boxer «in training» setzen zu lassen. In vier Wochen würde er so schlank sein wie ein Aal und kräftiger, als er sich je gefühlt hat. Es kamen neulich zwei englische Mädchen nach Ägypten, die einen Prospektus austeilten, worin sie versprachen, gegen gute Bezahlung die Weiber in den Harems auf europäische Weise zu bilden, nach welcher Vervollkommnung die muselmännischen Ehemänner jedoch wenig Lust bezeugten. – Ein besseres Glück könnte, nach der eben gegebenen Notiz, ein Boxer machen, der den Prinzen Said Bey endlich in den Stand setzte, seine große Tour zu beginnen.Da Said Bey seitdem in Konstantinopel war, um eine türkische Prinzessin zu heiraten, muß die väterliche Kur endlich wohl gelungen sein, indes scheint die Heirat selbst nicht stattgefunden zu haben.

Meine erste Entrevue mit Said Bey blieb ziemlich im Bereich der «lieux communs», später ward ich jedoch bald mit ihm bekannter und fand ihn lustigen Temperaments und voll Scherz. Einmal kletterten wir sogar zusammen um die Wette auf den Strickleitern des Admiralschiffs nach dem großen Maste hinauf, wobei er mich trotz seiner Korpulenz sehr überflügelte. Demohngeachtet wunderte man sich (man verzeihe meiner Eitelkeit diese Bemerkung), daß ich, ohne ein Seemann zu sein, mich noch so gut aus der Affäre gezogen hatte, und die arabischen Matrosen nannten mich seit dieser Zeit nicht anders als den preußischen Admiral, ein Titel, um dessen Ratifizierung ich an den Ufern der Spree noch einmal einzukommen gedenke, wenn erst die deutsche Nationalflotte ins Leben getreten sein wird. Ich wünsche von Herzen, daß dies Letztere mit eben dem festen Willen, derselben Energie des Entschlusses und mit noch mehr Bedacht und Geschicklichkeit in der Ausführung als hier geschehen möge. Das erste preußische Kriegsschiff ist ja schon vorn Stapel gelassen. Warum hat man es aber «Amazone» genannt, da Amazonen keine Nachkommen haben!

Eine wahre Zierde der Flotte ist das in London gebaute Dampfschiff «The Nile», welches in allem ohne Ausnahme der «Medea» – dem anerkannt schönsten Dampfschiffe der englischen Marine – gleich ist, auch von einem englischen Maschinenmeister in dem vortrefflichsten Stande erhalten wird. Ebenso ausgezeichnet in ihrer Art sind einige in Frankreich gebaute Fregatten. Nur unter den kleineren Fahrzeugen bemerkte man mehr Vernachlässigung, gleich der Brigg, mit welcher ich von Kandien gekommen und von deren mangelhafter Befehligung ich bereits während der Überfahrt Zeuge gewesen war.


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