Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Marnat. Wetterphänomene. Ankunft in der Hauptstadt des Sudan

Beni-Naga ist gleich Schendy ein sehr großer, aber fast gänzlich zerstörter Ort, den nur noch zwei bis drei Familien bewohnen. Unfern der Stadt steht das Grab eines berühmten muhamedanischen Heiligen in Form einer hohen, scharf zugespitzten Pyramide, die hier noch immer für dergleichen Zwecke übliche Bauart. Wir fanden zuweilen diese Denkmäler auch gleich den alten stufenweise emporsteigend, so daß man ihren Gipfel bequem erklettern konnte. Doch sind die muhamedanischen Pyramiden nie viereckig, sondern immer rund. Zuweilen sind Bruchsteine bei ihnen angewandt, meistens werden sie aber nur aus in der Sonne getrockneten Backsteinen oder mit Stroh vermischter Erde aufgeführt, selten aus gebrannten Ziegeln. Gleich bei unsrer Ankunft erzählte man uns eine traurige Begebenheit, die sich vorgestern neben unsrem Lagerplatze zugetragen. Zwei Löwen hatten sich in die Nähe eines der Saki geschlichen, wo mehrere Stücke Vieh eingepfercht standen, von denen das größte der Raubtiere sich eine Kuh zur Beute auserwählte. Im Begriff, sie fortzuschleppen, ward es von dem Besitzer, den das Angstgebrüll der Kuh herbeigerufen hatte, kühn angegriffen. In Verzweiflung über den Verlust dessen, was vielleicht den größten Teil seines Vermögens ausmachte, stürzte sich der arme Schwarze auf den Löwen und bohrte ihm seinen Wurfspieß tief in die Brust. Leider war jedoch die Wunde nicht sogleich tödlich; das gereizte Untier ließ augenblicklich seinen Raub los und, mit einem einzigen Satze seinen Feind erreichend, riß es ihm mit der Klaue das Gesicht ab, worauf es ihm noch den rechten Arm fürchterlich mit den Zähnen zerfleischte. Während dies geschah, waren indes sämtliche zum Saki gehörende Leute herbeigekommen und erlegten leicht mit ihren langen Spießen den schon erschöpften Löwen; der andere, jüngere, entsprang. Mit der diesen Menschen eignen Apathie ward noch in derselben Nacht das erlegte Tier gebraten, gierig ausgefressen und am andern Morgen die Haut an einen zufällig durchreisenden Dschellab verkauft. Der Verwundete hatte unter den gräßlichsten Schmerzen noch einen Tag gelebt und war eben begraben worden, als wir anlangten.

Wir hatten Gelegenheit während unsres Aufenthalts in diesem Biwak, einige den hiesigen Klimaten eigentümliche Phänomene zu beobachten, denen beizuwohnen zwar merkwürdig, aber keineswegs angenehm ist. Nach vielem, stets wechselndem Winde und einer schwülen Gewitterhitze bei sehr bedecktem Himmel schien es uns plötzlich, als komme aus Süden ein dunkler Sandberg auf uns zugewandert. Ich befahl, sogleich mein Zelt, in welchem ich mich kurz vorher zu Bett gelegt hatte, nach Möglichkeit schließen und durch einige Hilfsstricke noch besser an die umstehenden Bäume befestigen zu lassen; auch erhielt es sich glücklich, als die Winds- und Sandesbraut nun heulend über uns herflog, aber vor der Erde, die sie mit sich führte, war keine Rettung. In weniger als einer Minute war durch die nicht ganz zu schließenden Fugen des Zeltes so viel von diesem Elemente eingedrungen, daß alles darin, wie ich selbst, zolldick mit schwarzem Schmutze aller Art bedeckt war, und ohne das seidne Tuch, welches ich dicht um mein Gesicht geschlagen hatte, glaube ich, daß ich davon hätte erstickt werden können. Alle Araber hatten sich unter ähnlicher Einwicklung mit dem Antlitz auf die Erde geworfen, wo sie bewegungslos liegenblieben, bis das Wetter ausgetobt hatte, welches ungefähr nach zehn Minuten der Fall war.

Am Abend wollte ich, um mich vom Erdbade abzuwaschen, ein anderes Bad im Flusse nehmen, kam aber hier recht eigentlich aus dem Regen in die Traufe. Der einzige brauchbare Badeplatz war eine Viertelstunde von den Zelten entfernt, und schon während des Hingehens bemerkte ich, daß der nördliche Himmel sich seltsam gelbrot färbte, während aus seiner schwarzen Einfassung fernes Wetterleuchten hervorzuckte. Ich verlor daher keinen Augenblick, um ins Wasser zu kommen, hatte aber kaum einige Schwimmübungen versucht, als Tropfen so dick wie Haselnüsse langsam zu fallen anfingen, die Luft sich nächtlich verfinsterte und mitten in diesem Dunkel eine feuerrote Wolke sich uns mit unheimlichem Brausen näherte. Ich sprang jetzt ebenso schnell aus dem Fluß als früher hinein, um wenigstens vor Ausbruch des drohenden Ereignisses in meine Kleider zu kommen. Es war aber schon zu spät und ich nur erst mit einem Bademantel angetan, als unter unaufhörlichem Krachen des Donners und blendendem Flammen der Blitze ein Wolkenbruch auf uns herabstürzte, wie ich nie etwas Ähnliches erlebt. Hier mußte ich die Geistesgegenwart der drei Neger des Schech Bischir bewundern, die ich mit mir genommen hatte. Im Nu hatten sie mich nebst den Sachen in den großen Teppich gewickelt, der am Ufer ausgebreitet lag, ihn oben zusammengedreht und sich alle drei auf der Seite, von wo der Sturm und das Wetter herkam, gleich einem schützenden Gewölbe von Fleisch und Bein über mich hingelegt. So bildeten wir eine zu kompakte Masse, um von dem rasenden Sturm und der strömenden Flut weggeschwemmt werden zu können, und alles Übel, was mir widerfuhr, bestand in der Tat in nichts anderem, als eine Zeitlang in flutendem Wasser mit emporgestrecktem Kopfe zu liegen und mich später während eines etwas gelinderen Platzregens anziehen zu müssen, worauf ich nicht ermangelte, im schnellsten Laufe mein sichres Zelt wiederzugewinnen. Doch dauerte das Unwetter die ganze Nacht mit abwechselnder Stärke fort, so daß gegen Morgen selbst mein doppeltes Zeltdach das Eindringen des Wassers nicht mehr verhindern konnte. Ich mag immer von Glück sagen, daß dieses kleine Abenteuer mir kein Fieber zuzog, aber da sich die Hitze bei jeder Witterungsveränderung fast immer gleich bleibt, so ist man von der Nässe nicht so leicht einer Verkältung ausgesetzt als in unserem rauheren Norden. Ich verweilte jedoch bis ein Uhr Nachmittag am andern Tage, um der Sonne völlig Zeit zu lassen, uns und unsre Effekten zu trocknen, ehe wir von neuem aufbrachen.

Im Anfang blieb auch heute das Land noch fortwährend durch Gesträuch (wenngleich meistens blätterloses) belebt, und wir begegneten vielen Reisenden zu Kamel, zu Pferde, zu Esel und zu Fuß, alle stets mit Schild und Speer bewaffnet, größtenteils hochgewachsne schöne Leute aus dem Sudan, die besonders in der Form der Beine und Waden sehr die bisher gesehenen Araber übertrafen, welche bei aller ihrer Kräftigkeit doch meistens nur mit Spindelbeinen begabt sind. Sie erwiderten unsern Gruß mit vieler Freundlichkeit und hatten überhaupt ein freies, gutmütiges und im ganzen gefälligeres, obwohl weniger würdevolles und vornehmes Ansehen als die Schaki- und Dschahelin-Araber. Nach einigen Stunden verschwand alle Vegetation, und die ebne, leere Fläche bot seitwärts nur ein isoliertes, weitläufiges und niedriges Granitgebirge dar, das den Ruinen einer Stadt glich und von dem Blendwerk der Wüste mit einem See von täuschender Wahrheit umschlossen ward. Der Boden ist hier überall sehr salzhaltig.

Die weitere Tour blieb von hier an lange Zeit äußerst einförmig, bis wir am Abend die Region der letzten (sechsten) Katarakte des Nils erreichten, wo von neuem eine frischere Vegetation beginnt und Granitfelsen aller Formen sich wie bei Assuan, wiewohl mit einem weit anmutigeren Charakter der Landschaft bis mehrere Stunden vom Nil ab quer durch die Gegend ziehen. Der höchste dieser Felsen in der Nähe der Straße bezeichnet, nach der Einteilung der Araber, die Grenze zwischen Nubien und dem Sudan, ein schöner romantischer Fleck, dem nach dem Flusse zu ein dichter Wald zur Seite liegt, während sich vorn im Süden ein blaues Gebirge erhebt, welches sich dann, östlich wendend, in einer sonderbaren Berggruppe endigt. Diese gleicht einem Dutzend in irregulären Haufen nebeneinander aufgestellten, gigantischen Heuschobern oder Santongräbern, wenn man lieber will, alle von ganz gleicher Höhe und Gestalt und einzeln aus der Fläche emporsteigend, ohne daß man, wenigstens von hier aus, irgendeine Verbindung zwischen ihnen entdecken könnte. Ich erinnerte mich an dieser Stelle des Enthusiasmus, mit dem ich bei Assuan zuerst in Nubien eingeritten war und wie wenig ich damals träumte, auf der andern Seite wieder herauszureiten. Doktor Koch, dem ich diese Bemerkung mitteilte, erwiderte: «Ja, und wie viele dringen hier aus Nubien weiter, ohne je wieder den Rückweg zu finden.»Diese Worte sind seitdem für den armen Doktor an seiner zweiten Reise nach dem Sennar prophetisch geworden, denn er starb während dieses Jahres 1844 in Khartum. «Das freilich», sagte ich, «müssen wir dem Schicksal anheimstellen, und ich hoffe für die, welche uns lieben, daß der Himmel es für uns besser wenden wird. Was aber mich selbst betrifft, so kann es meiner durch das Weltall wandernden Seele ziemlich einerlei sein, wo sie ihren jetzigen Körper zu noch viel weiterer und interessanterer Wanderung in neuer Gestalt auf dieser Erde zurückläßt. Ich bin immer zu dieser kleinen Katastrophe fertig und bereit, wiewohl keineswegs pressiert, sie herbeizurufen, am wenigsten durch unnütze Besorgnis; ein so beruhigender Gemütszustand, daß ich ihn selbst allen meinen frommen Feinden wünsche, nach der schwierigsten Lehre unsrer Religion, die uns vorschreibt: ‹Segnet, die euch fluchen!› Übrigens aber», setzte ich hinzu, «haben ein Arzt und ein praktischer Philosoph, die zusammen reisen, gewiß weniger zu befürchten als andere. Sie werden meinen und Ihren Körper kurieren, wenn wir krank werden, und ich werde nie ermangeln, wenn Spleen oder das Heimweh uns übermannt oder die Hitze zu unerträglich wird, unsern Seelen mit den vortrefflichsten Maximen zu Hilfe zu kommen; es ist nur nötig, daß wir beide aneinander glauben, ich an Ihre Heilkunst und Sie an meine Philosophie, und da dies unser beiderseitiges Interesse ist, so müssen wir unsern Skeptizismus in dieser Hinsicht wenigstens gefangennehmen.» Der Doktor war es zufrieden, und so setzten wir mit verdoppelter Zuversicht unsern Weg, gleich dem Blinden und dem Lahmen, weiter fort.

Wir wandten uns nun westlich in der Richtung des Waldes und Flusses und ritten, da wir durch die luxuriös wuchernden hohen Dornbüsche nicht mehr zu dringen vermochten, in einem jetzt trocknen und nur bei der Überschwemmung gefüllten Kanal des Nils in ganz mäandrischen Krümmungen einem kleinen Dorfe mit Namen Marnat zu, wo unsre Karawane haltgemacht hatte. Die Üppigkeit und der unnachahmliche Reiz dieser tropischen Gegend, eine wahrhaft ideale Wildnis, deuchte uns entzückend und hier wohl einzig in ihrer Art, um so mehr, da die Nähe des Wassers bereits die meisten der unzähligen Baum-, Strauch- und Pflanzensorten mit dem frischesten Grün und vielen Blüten überzogen hatte. Hundert Arten von Mimosen und Akazien, Sadebäumen, Tujas, vielen Weiden- und Pappelsorten und einer Menge mir ganz unbekannter Bäume und Sträucher, alle mit einem dichten Gewebe von Winden überdeckt und durchzogen, umschlossen die netten Strohhütten des Dorfes, die wie zu einem Lustlager in diesem Paradiese verteilt zu sein schienen. Unsere eigenen Zelte fanden wir dicht an einem breiten Arm des Nils, den wir nach beiden Seiten weit hinauf und hinab übersehen konnten, aufgeschlagen. Der Fluß war voll kleiner bebuschter Eilande und isolierter, barock geformter Granitfelsen; gegenüber lag eine dicht bewaldete große Insel, auf der sich ein anderes, weitläufiges Dorf befand, mit der ein Kahn, als Fähre dienend, fortwährend den lebhaftesten Verkehr zwischen den beiderseitigen Ufern unterhielt. Besagter Kahn bestand jedoch nur aus einem ausgehöhlten Baumstamm und stand, wenn er mit zehn bis zwölf Individuen angefüllt war, kaum noch einen halben Zoll aus dem Wasser hervor. Gerudert ward er mit kleinen zwei Fuß langen Schaufeln, geformt gleich Kochlöffeln. Einmal fuhren acht Damen zugleich hinüber, bei deren Einschiffung so viel Umstände und Aufenthalt stattfanden, als wären es europäische «Exclusives» gewesen. Das Geschlecht verleugnet sich nirgends, es trage wie hier die Ringe in der Nase und an den Knöcheln oder wie bei uns in den Ohren und an den Händen. Wir wurden sehr freundlich von diesen Naturkindern aufgenommen, reichlich mit vortrefflicher Kuhmilch versorgt und auch eine junge fette Ziege bereitwillig für uns geschlachtet. Dies war in jeder Hinsicht eine so liebliche Station, daß ich, weniger von der Zeit und der Neugierde gedrängt, als ich es bin, gerne monatelang hier verweilt haben würde. Alles erinnerte an unser nordisches Frühjahr, selbst keine zu große Hitze belästigte uns bei dem umwölkten Himmel und der frischen Ausdünstung des Wassers, und eine Menge bunter Vögel sang und schwirrte um uns her im freudigsten Jubel. Nur die schwarzen Menschen und ein kleines Krokodil, das auf einem einzeln aus dem Fluß hervorragenden Felsen dicht vor uns Posto gefaßt hatte und dort stundenlang, als sei er gezähmt, mit offnem Rachen frische Luft schöpfte, erinnerte uns, daß wir in Afrika waren. Perlhühner, fast so groß wie Pfauen, leben hier wild in bedeutender Anzahl, und wir schossen einige derselben, deren Geschmack vortrefflich befunden ward, obgleich ich selbst nicht davon urteilen kann, da ich meiner Milchkur treu blieb.

Nachdem wir den folgenden Tag hier noch verweilt und einige höchst anmutige Spaziergänge in der Gegend gemacht hatten, die jedoch wegen der uns überall umgebenden Dickichte und der Ermangelung aller für Bekleidete gangbaren Wege (denn die Haut der Schwarzen scheint für Dornen weit unempfindlicher zu sein als unsere Gewänder) nicht ohne alle Beschwerlichkeit waren, setzten wir am 29. April um ein Uhr nachmittags unsere Reise weiter fort, mit schwerem Herzen das reizende Marnat verlassend, dessen heitres Andenken nie meiner Erinnerung entschwinden wird. Der Weg führte längs dem Gebirge hin, das wir in den vorigen Tagen gesehen, und zum Teil mitten hindurch, beschwerliche sieben Stunden Reitens bei jetzt wieder sengend gewordner Temperatur. Es stieß uns nichts Merkwürdiges während dieses Tages auf als ein ungewöhnlich zierlicher Kirchhof in der Nähe eines ansehnlichen Dorfes, auf dem fast jedes Grab mit sorgfältig gebrannten, puzzuolanartigen und braunrot glasierten Ziegeln eingefaßt und der innere Raum mit farbigen Kieseln in verschiedenen Dessins ausgelegt war.

Herr Cadalvene erwähnt irgendwo ähnlicher Gräber und behauptet, man lege die Kiesel bloß in der Absicht darauf, damit der Tote, wenn er sein Grab besuche, gleich das Material finde, um einen Rosenkranz daran abbeten zu können. Hier wußte niemand etwas von diesem Raffinement, und wo ich frug, beschied man mich immer, daß kein anderer Zweck als Zierde mit diesem schon von Ouadi-Halfa aus üblichen Gebrauch verbunden sei, den ich jedoch noch nirgends so kunstreich angewandt sah als in diesem Dorfe. Unser Nachtlager war wieder unter hohen Akazien am Nil, unfern eines isolierten spitzen Berges mit den Spuren eines eingestürzten Kraters, also offenbar ein ausgebrannter Vulkan. Ich fand auf dieser Station einen in Blau und Weiß schön gekleideten Abgesandten Korschud Paschas, des Gouverneurs vom Sudan, dem ich meine Ankunft schon vor einer Woche schriftlich gemeldet und der, besorgt über mein langes Ausbleiben, diesen Diener auf schnellfüßigem Dromedare ausgesandt hatte, um sich zu erkundigen, was aus mir geworden sei. Sobald er meine Antwort erhalten, beurlaubte er sich schnell und flog in einem so gestreckten Trabe davon, daß ich nicht mehr an seiner schon vorher gegebenen Versicherung zweifelte, er werde die vierzehn Stunden starke Tagereise bis Khartum noch vor Mitternacht zurückgelegt haben. Wir reisen mit unsern diesmal sehr schlechten Tieren leider viel langsamer. Die Dämmerung war schon nahe, als ich, um meine von dem langen Ritt ganz steif gewordenen Glieder wieder etwas geschmeidiger zu machen, noch einen einsamen Spaziergang längs dem Flusse unternahm. Bei einer jähen Wendung des Nils befand ich mich plötzlich vor einem von Felsen rings umschlossenen kleinen Grasplatz, der sozusagen halb dem Flusse und halb dem Lande angehörte, und erblickte hier mit freudigem Erstaunen ein ungeheures Nilpferd, das ganz friedlich und von der Nähe der weithin leuchtenden Feuer und dem Lärm unsres Biwaks nicht im mindesten gestört, emsig daselbst graste. Ich rief sogleich den Doktor mit meinen Leuten herbei, und über eine halbe Stunde lang konnten wir nun das Tier in einer Entfernung von kaum hundert Schritten mit größter Muße und Genauigkeit beobachten. Sehr unrichtig ist die deutsche Bezeichnung «Nilpferd»; die Araber nennen es richtiger «Wasserochse», obgleich es ebensogut auch Wasserschwein heißen könnte, denn zwischen diesen beiden Tieren hält es eigentlich die Mitte, und in seinen Manieren ähnelt es fast mehr dem letzten als dem ersten. Doch der unförmliche, außer allem Verhältnisse mit dem übrigen Körper stehende Kopf wie die kolossalen, gleich Teleskopen in der Größe von Kanonenkugeln greulich hervorstehenden Augen sind nur ihm selbst eigentümlich. Es ist ein harmloses Tier, dem Landmann allein schädlich durch seinen unstillbaren Appetit und gefährlich nur dann, wenn man es zum Kampf herausfordert. Wahrscheinlich wäre das von uns beobachtete Individuum, da die Weide sehr reichlich schien, die ganze Nacht bei uns geblieben, wenn nicht auf dem Fluß ein Schiff mit vollen Segeln herangekommen wäre. Als dies in seine Nähe gelangte, ging das Tier, anscheinend sehr verdrießlich über die Störung – denn es schüttelte mehrmals den Kopf und sperrte drei- bis viermal seinen Rachen mit den großen Fangzähnen auf –, langsam und gravitätisch ins Wasser, tauchte dann noch einigemal spähend mit dem Kopfe daraus hervor und begab sich erst, als das Schiff beinah über dasselbe hinwegzufahren im Begriff war, zur Nachtruhe in die Tiefe. Dort mag es besser und wärmer geschlafen haben als wir, denn kaum im Bett mußten wir eine zweite Edition des Sandsturmes erleben, der, wenngleich mit nach und nach verminderter Heftigkeit, diesmal fünf Stunden lang anhielt, so daß während dieser Zeit an kein Reinigen der Zelte gedacht werden konnte und die vereinigten Kräfte aller unsrer schwarzen und weißen Leute fortwährend angewandt werden mußten, um die Zelte nur vor dem Umfallen zu schützen. Das Souper des Doktors entführte der Wind, ohne ihm irgend etwas davon übrigzulassen, blies die Feuer aus und füllte selbst alle geschlossnen Koffer und Kisten mit seiner Erde, so daß wir, als er endlich nachließ, nach einer schlaflosen Nacht noch den ganzen Morgen damit zubringen mußten, die Sachen wieder zu reinigen und in Ordnung zu bringen. Dazu war es so kalt geworden (ein höchst ungewöhnlicher Fall), daß ich, frostig wie ich nach und nach geworden, trotz zweier Mäntel mich kaum zu erwärmen vermochte. Alles dies verzögerte unsern Abmarsch bis um 2 Uhr Nachmittag.

Kurze Episode

Hier muß ich eine kleine Pause machen, um (drei Jahre später) meine Freude darüber auszudrücken, daß die soeben von mir erzählte Entrevue mit dem Hippopotamos durch kabbalistische Magie unsrem verehrten preußischen Regierungsrat, Herrn Carl Immermann, schon lange vor meiner Enthüllung dieser Begebenheit bekannt und dann von ihm in den Annalen seines Münchhausen so geistreich variiert wurde, als es mir selbst unmöglich hätte gelingen können. Nur dagegen muß ich protestieren, daß der Nilochse mich verschlungen und wieder ausgespien habe. Eine solche Ehre würde mir eine zu große Ähnlichkeit mit dem Propheten Jonas geben, was meine Bescheidenheit abweisen muß. Wahrscheinlich ist es auch, daß ich in einem solchen Falle nicht ausgerufen haben würde: «Monsieur, Monsieur, avec permission, je suis Son Altesse telle et telle.» Die Phrase ist zu schlecht französisch und überdem nicht charakteristisch. Ich würde vielmehr, um dem Hippopotamos, in den der Dämon Immermanns gefahren, meine Unverdaulichkeit für ihn auf der Stelle begreiflich zu machen, ausgerufen haben: «Mon cher animal, cheval, boeuf ou cochon, qui que vous soyez, laissez moi tranquille! Votre nature est de manger du foin: ne sutor ultra crepidam!» – zu deutsch: Beiße nicht über Vermögen, Hippopotamos! Und wenn das Untier diese Rede zu weitschweifig für einen in seinem Rachen Steckenden gefunden, hätte ich mich damit entschuldigt, einmal wenigstens dem Beispiel deutsch humoristischer Schriftsteller folgen zu dürfen, welche schon vor Immermann von jeher das Privilegium in Anspruch genommen haben, ihre Goldkörner ungewaschen und noch mit aller Vermischung ursprünglichen Muttersandes abzuliefern.Der arme Immermann ist zwar seitdem gestorben (in Düsseldorf am 25. August 1840; d. Vlg.), wie ich höre, weil aber die mich betreffende Stelle in seinem Münchhausen verblieben ist, so mag auch meine Antwort in dem vorliegenden Buche stehenbleiben, da sie noch bei seinem Leben geschrieben und damals auch schon in einem Tagesblatte publiziert wurde.

Der Salzgehalt der Wüste, durch die wir an diesem Tage zogen, ward immer reichlicher; die Eingebornen haben nichts zu tun, als kleine Gruben in den Boden zu machen – deren wir auch zu vielen tausenden sehr häufig rechts und links der Straße erblickten – und dann die so ausgeschaufelte Erde mit Wasser zu kochen, um eine sehr bedeutende Quantität Salz, zirka den sechsten Teil des Gewichts der Erde, daraus zu ziehen. Die Straße war heute noch belebter als gestern, und einmal begegneten wir sogar einem dem Anschein nach vornehmen Manne mit ansehnlichem Gefolge, der in seiner bunten Tracht nebst dem spitzen Sonnenhut, aus Papier angefertigt, auf dem Kopfe ganz einem chinesischen Mandarin glich. Nachdem wir ungefähr vier deutsche Meilen zurückgelegt hatten, hielt ich um sieben Uhr bei einer Herde Ziegen unter Mimosengebüsch an, um ein wenig auszuruhen und dort eine doppelte Portion meines Milchdeputats zu mir zu nehmen. Dann ward bei Sternenlicht weiter geritten, um womöglich Khartum schon am frühen Morgen zu erreichen. Der Weg ging jetzt meistens durch unebnes Terrain und dichtes Gebüsch, so daß wir gleich von Anfang an bei der ziemlich dunkeln Nacht Mühe hatten, zusammenzubleiben und oft an unbemerkten Dornenzweigen hängenblieben. Zuletzt verirrten sich der Doktor und mein Kammerdiener, da sie wegen zu großer Ermüdung ihrer Tiere uns nicht mehr schnell genug hatten folgen können. Ich schickte den Dragoman ab, um sie zu suchen, doch vergeblich, und nachdem wir noch eine geraume Zeit gewartet und nach allen Weltgegenden hin gerufen hatten, ohne Antwort zu erhalten, mußten wir sie sich selbst überlassen, was auch ohne große Bedenklichkeit geschehen konnte, da wir uns nur eine halbe Stunde von Halfaja, einem ansehnlichen Orte, befanden und der Morgen schon nahe war. Wie wir später erfuhren, hatten sich die Verlornen nach lang ausgestandner Angst im Walde endlich auch glücklich dort eingefunden, und nachdem sie den Schech geweckt und von ihm Esel nebst einem Führer requiriert, langten sie drei Stunden nach uns in Khartum an.

Diese Stadt liegt am Beginn der Gabel, welche durch die Vereinigung des weißen und blauen Flusses, die beiden großen Arme des Nils, von denen es noch immer unbestimmt bleibt, welcher von beiden den Namen dieses Flusses zu tragen eigentlich berechtigt ist – gebildet wird.Nunmehr scheint es entschieden zu sein. Sie nimmt sich mit dem hohen Turme ihrer Moschee und den weithin sich erstreckenden krenelierten Befestigungsmauern in der Ferne recht stattlich aus, doch in der Nähe ist sie, da alle Gebäude darin nur aus Erde ohne Abputz aufgeführt sind, ebenso unscheinbar als alle übrigen Städte dieses Landes. Die Umgegend ist von dieser Seite größtenteils Wüste oder baumlose Feldflur, nur in der Nähe befinden sich einige Gärten, was auch kaum anders zu erwarten ist, da diese Hauptstadt des Sudans erst vor zehn Jahren auf Mehemed Alis Befehl aus der Einöde emporstieg.

Noch ehe ich den blauen Fluß passierte, der dicht vor der Stadt ihrer ganzen Ausdehnung entlang dahinfließt, fand ich am diesseitigen Ufer desselben den Schatzmeister Korschud Paschas schon postiert, um mich im Namen seines Herrn zu bekomplimentieren und mich in der eleganten Barke desselben hinüber in das mir bereitete Haus zu führen. Dies produzierte wie gewöhnlich ein Muster vom charakteristischen Geschmack der Türken und Orientalen – ich meine jene ihnen so eigentümliche Mischung von Pracht, Schmutz und Elend –, aber hier, nach den Sitten des Landes, in dreifach gesteigertem Maßstabe. Von außen rohe Lehmwände, durch die ein hohes und verziertes Tor, unter einer Veranda, in einen Saal von ansehnlichen Dimensionen führte, dessen Decke nur aus rohen Balken und der Boden aus festgestampfter Erde bestand, die alle zwei Stunden von einem Sklaven aus großen Ochsenhautschläuchen übergossen wurde, um den Staub zu löschen. Auch der an drei Seiten des Saales sich umherziehende, einen Fuß erhöhte Diwan war ebenfalls nichts als eine zweite Erdtenne mit einer hölzernen Einfassung, aber mit den schönsten Teppichen in Profusion und vielen weichen seidnen Kissen aller Farben belegt. Den Boden deckten bis auf eine gewisse Distanz vom Diwan kunstreich aus Palmenblättern gewobene Matten, die nirgends schöner als im Sudan verfertigt werden. Die Wände waren zwar als eine besondere Recherche für diesen Palast vor kurzem geweißt worden, hatten aber bereits die allgemeine Staubfarbe schon wieder angenommen, und alles Ameublement des Salons bestand aus zwei enormen Fässern aus gebranntem Ton, durch die fortwährend das öfters darin erneute Nilwasser in große darunterstehende Becken filtrierte, wo es sich klar wie Kristall und kühl wie Brunnenwasser erhielt; mehrere Bardaken (wie man sich wohl erinnert, irdene Krüge, die das Wasser durch das Ausschwitzen noch kälter machen) standen auf einem in der Wand befestigten Brette zum beliebigen Gebrauch daneben. Ein Dutzend reich gekleideter, aber barfuß gehender Diener füllten außerdem das Zimmer und beeiferten sich, mir prächtige Pfeifen nebst Kaffee und Scherbet in den kostbarsten Gefäßen zu präsentieren. Die Schlafstuben neben dieser Hauptpiece waren greulich für alle Sinne, schlechter als der ärmste Bauer in Europa sie würde bewohnen wollen. Ich beschloß daher, mich für meine Person Tag und Nacht auf dem Diwan einzurichten, und bedauerte aufrichtig meine Leute und Sklaven, welche in diesen dumpfigen, schmutzigen Löchern notgedrungen ihre Wohnung aufzuschlagen gezwungen waren. Denn nur dem Doktor hatte man noch außerdem ein eignes kleineres Haus bereitet, das in allem die Diminutivabbildung des meinigen repräsentierte und ihm an Schmutz und mit Pracht übertünchtem Elend nichts nachgab.


 << zurück weiter >>