Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Nilfahrt bis zur Hauptstadt Oberägyptens

Die letzten Tage des Februars wurden um so mehr nur dem Innern und Häuslichen geweiht, als wir uns vorgenommen hatten, wegen der schon sehr vorgerückten Jahreszeit auf dem Hinwege uns so wenig wie möglich aufzuhalten und das Versäumte mit größerer Bequemlichkeit und Seelenruhe auf der Rückkehr nachzuholen, obgleich dies sonst gegen meinen Grundsatz streitet: «nie auf morgen aufzuschieben, was heute getan werden kann.» Aber jede Regel hat ihre Ausnahmen und nur Pedanten verkennen dies.

Ich studierte also jetzt statt der Altertümer den Charakter der jungen Ajïamé, welche mir täglich interessanter vorkam. Fürs erste fand ich mit Verwunderung, daß sie die ätherische Eigenschaft besitze, nie Fleisch zu essen. Eine Orange, etwas Milchreis und Brot früh und abends ist das einzige, was sie zu sich nehmen will, und demohngeachtet wird vor und nach dieser paradiesischen Mahlzeit das sorgsamste religiöse Abwaschen niemals versäumt und selbst – was ich hinter dem Vorhang belauschte und gar nicht erwartet hätte –, selbst die Perlenzähne wurden trotz einer Engländerin (obgleich nur mit einer Wurzel, deren sich die Abessinier zu diesem Zweck bedienen) mühsam geputzt und poliert. Wahrscheinlich sind diese vortrefflichen physischen Gewohnheiten, zu denen auch ein tägliches Früh- und Abendbad des ganzen Körpers gehört, nebst dem erwähnten frugalen Regime, die Ursache, daß ich noch nie eine so vollständige Abwesenheit menschlicher Unannehmlichkeiten an einem weiblichen Wesen gewahr wurde als an dieser appetitlichen Wilden, der ich erst Sitten lehren müssen glaubte und die ich zum Teil weiter darin vorgeschritten fand, als wir Europäer es meistenteils selbst sind. Dieselbe Delikatesse, mit der sie ihren Körper behandelte, dieselbe Dezenz und Anmut fand ich auch in ihrem übrigen Betragen. Doch verriet sich einige Wochen später – was ich hier gleich mit einschalten will – das sklavische (man könnte auch sagen das weibliche) Prinzip deutlich bei ihr, denn meine zu schmeichelnde Behandlung machte sie schnell übermütig und launisch. Überdem ennuyierte es das hübsche Kind nicht mit Unrecht, mit niemandem sprechen zu können, da weder ich noch ein andrer ihre Sprache verstand, wozu es auch nicht ergötzlich war, nach türkischer Manier stets eingesperrt zu bleiben, und nur täglich tief verschleiert am Abend eine Viertelstunde am Ufer spazierengehen zu dürfen. Alles dies war nicht meine Schuld, und auch mit dem besten Willen hier nicht abzuändern; demohngeachtet wollte sie es mir entgelten lassen und ward endlich bei aller ursprünglichen «gentleness» ihres Charakters gleich einem verzognen Hündchen oft ganz unleidlich mürrisch, gebieterisch und so wetterwendisch, daß ich viel Not mit ihr vorauszusehen anfing. Die Menschen haben aber alle gar viel von den Tieren an sich, und die Wilden stehen ihnen natürlich noch näher. Dies nahm ich in Betrachtung und beschloß nun, der wachsenden Koketterie, Unart und Rebellion meines kleinen Naturkindes auch naturgemäß entgegenzuarbeiten. Ich fing damit an, nach der ersten heftigen Szene dieser Art, wo sie zuletzt im Zorn ein kürzlich von mir erhaltenes Geschenk ohne weiteres über Bord geworfen hatte – stundenlang nicht die mindeste Notiz mehr von ihr zu nehmen, und als sie den Morgen darauf sich noch immer gleich trotzig in ein kleines mit Blei ausgeschlagenes Badekabinett (also eine wahre venetianische Bleikammer bei dem hiesigen Klima), worin sie zugleich ihre Effekten aufhob und ihre Toilette zu machen pflegte, zurückzog, schloß ich ganz kaltblütig die Türe desselben ab und ließ sie andere vierundzwanzig Stunden in diesem Gefängnis verbleiben, während man ihr die nötige Nahrung zum Fenster hineinreichte, aber immer unberührt wieder zurückerhielt. Diese Hartnäckigkeit, verbunden mit einem unverbrüchlichen Stillschweigen, würde mich vielleicht geängstigt haben, wenn ich das liebe, reizende, der Notwendigkeit immer zur rechten Zeit nachgebende, weibliche Geschlecht nicht besser kennte. Schon in der Nacht hörte ich sie mehrmals heftig schluchzen, bereits ein Zeichen der herannahenden Nachgiebigkeit, welches ich jedoch nicht zu bemerken schien – bis sie nach Sonnenaufgang ihr Silberstimmchen vernehmen ließ und auf das Rührendste in abessinischer Sprache um Erlösung bat, was ich dem Sinne nach sehr gut, wenn auch von den Worten nur die wenigen verstand, welche ich bereits nach und nach von ihr gelernt hatte. Noch eine Weile spielte ich den Fühllosen, dann ließ ich mich erbitten und schob den Riegel weg. Verweint und lieblich, so verführerisch drappiert als sie es nur verstand, setzte die Gefangene behutsam ihren schönen nackten Fuß auf den Teppich, folgte langsam mit dem andern nach und drückte, sich niederwerfend, ihre Stirn auf meine Füße. Ich hatte die größte Mühe, sie nicht gleich wieder von neuem zu verderben, aber ich blieb standhaft, spielte nur die Rolle des Mentors und von diesem Augenblicke an ist sie immer sanft, gut und folgsam geblieben, und seitdem wir uns auch eine Separatsprache gebildet haben, brauche ich einen Rückfall kaum mehr zu fürchten. Ja, ich darf sogar ohne Arroganz glauben, daß sie mir jetzt wirklich mit aufrichtiger und zärtlicher Neigung zugetan ist (immer in allen Ehren, versteht sich), worin sich auch wieder die ursprüngliche Natur dieser Menschenklasse zeigt, welche schnell und treu liebt, was ihr, mit einiger Festigkeit gepaart, als wohlwollend entgegentritt, aber tödlich haßt, was sie auf brutale Weise nur wie unvernünftiges Vieh behandelt. Sonderbar ist es nun, daß die hiesigen Türken für ihre männlichen schwarzen Sklaven in der Regel milde Herren sind, die weiblichen dagegen mit der größten Härte und Geringschätzung traktieren, wobei doch die armen Mädchen fortwährend zur Fröhnung ihrer Lüste dienen müssen – vielleicht die demütigendste und empörendste aller Lagen für ein weibliches Gemüt. Daher ist es auch in diesen Ländern nichts Seltenes, daß Türken, besonders aus den gemeinen Klassen, durch ihre Sklavinnen ermordet werden. Ich spreche von Sklavinnen, nicht von rechtmäßigen Weibern, die im Orient wie bei uns meistens selbst das Eheregiment zu Hause fuhren, wenngleich Sitte und Gesetz sie dazu einsperren.

Während dieses anmutigen Müßigganges trat der erste März, ewig ein drohender Unglücksbote zwischen unsre harmlosen Freuden. Es war gegen Mittag und ich eben mit Schreiben beschäftigt, als eine heftige Bouraske, welche die Wellen des Nils hoch wie Meereswellen emportrieb, der Barke eine so schaukelnde Bewegung gab, daß ich meine ausgebreiteten Papiere wieder im Portefeuille zusammenpacken mußte. Ich warf mich aufs Bett und verlangte meine Pfeife, den Trost des Morgenländers für alles Ungemach. Dies gehörte zum Departement meines griechischen Pagen, und da er sich in der andern Barke befand, rief ihm der Dragoman zu, sogleich den Tschibuk herüber zu bringen. Wenige Minuten darauf hörte ich Geschrei und Getümmel und sehe aus dem Fenster meiner Kajüte drei bis vier Araber sich Hals über Kopf in den Fluß stürzen, um einem roten Tarbusch nachzuschwimmen, der auf den Wellen vor ihnen hertanzte. Ich wunderte mich, daß sie bei diesem Wetter sich um eine Kleinigkeit so viele Mühe gäben, und sah ihren Anstrengungen, ihn zu ergreifen, noch sorglos zu, als Ackermann ganz blaß hereintritt, um mir zu melden, daß Jannis, der junge Page, kein Mensch begreife wie, vom Schiff verschwunden und nur sein Tarbusch über dem Wasser, er selbst aber nicht wieder zum Vorschein gekommen sei. Man kann sich meinen und unser aller Schreck über ein so erschütterndes Ereignis denken! Auf der Stelle vermochte ich durch das Versprechen einer reichen Belohnung noch mehrere Araber, den Vermißten in den Wellen zu suchen, ließ die Schiffe wenden und kreuzte mit ihnen stundenlang umher – doch alles blieb vergebens. Keiner hat je eine Spur von dem schönen Knaben wiedergesehen, nicht ein einziges Mal erschien er über dem Wasser, und selbst sein Tarbusch ward mit solcher Blitzesschnelle von Wind und Flut entführt, daß die geübtesten Schwimmer ihn nicht zu erreichen vermochten. Der Umstand, daß meine Pfeife und eine kostbare Bernsteinspitze, die der Verunglückte immer in einer blechernen Kapsel bei sich trug, wenn er mir die Pfeife brachte, mit ihm fehlten, überzeugte mich, daß er, wahrscheinlich im Begriff, dem erhaltenen Befehl Folge zu leisten, beim Übertreten aus einer Barke in die andere (denn beide waren des üblen Wetters wegen aneinandergekettet worden) ausgeglitscht sein mußte und so jählings in den Fluß herabfallend von den Wellen schon begraben war, ehe er nur um Hilfe rufen konnte. Welch schmerzliches Ereignis! und wie tief habe ich lange den armen Knaben bedauert, der so tragisch und nutzlos ein junges Leben hingeben mußte! Auffallend war dagegen die Gefühllosigkeit der Matrosen bei diesem herzzerreißenden Vorfall. Unser Rais (Schiffskapitän) schien sogar eine abergläubische Zufriedenheit darüber zu empfinden. «Jetzt wird die Reise glücklich sein», sagte er mit geheimnisvoller Miene zu meinem Dragoman, «denn der Nil hat sich sein Opfer im voraus geholt. Dies retten zu wollen – ist immer vergeblich!»

Erst gegen Abend, als alle Hoffnung des Wiederfindens verschwunden war, setzte ich mit schwerem Herzen meine Reise fort. Wir befanden uns vor Beni-Suef, wo ich beim Gouverneur meine Deposition zurückließ, mit allen nötigen Aufträgen zu weiterer Nachforschung wie zur Bestattung des Leichnams, sobald er ausgemittelt sein würde, nebst der Bitte, mich so schleunigst als möglich von dem Geschehenen in Kenntnis zu setzen. Doch habe ich bis heute, wo ich dieses Kapitel meiner Reise im Königreich Sennar ins reine schreibe, keine weitere Nachricht von dem armen Jungen erhalten können, dem ich sehr attachiert war und der es in jeder Hinsicht verdiente.

Beni-Suef ist wie fast alle ägyptischen Städte mit ihren Kothäusern ein Ort von höchst elendem Ansehn. Ich besuchte indes, da ich einmal hier war, in der Eile seine Merkwürdigkeiten. Zuerst die Primärschule mit 96 Kindern, die sehr gut gehalten werden. Ich sah sie essen, selbst in den Schulen am Ende das Notwendigste, und fand auch hier die irdische Kost untadelhaft, von der geistigen konnte ich um so weniger urteilen, da die Schüler heute Ferien hatten. Es bestehen in der Provinz El Fajum vier dergleichen von Mehemed Ali gestiftete Schulen. Eine große Wollspinnerei, die ich hernach besah, glich ganz der schon früher erwähnten und schien nicht weniger in guter Ordnung und regem Betrieb zu sein. Die große Kavalleriekaserne für zwei reguläre Regimenter traf ich ziemlich leer, da die Pferde sich sämtlich auf dem Bersim befanden; es wohnten jetzt größtenteils nur militärische Handwerker darin, denn für Offiziere und Gemeine sind daneben, einen großen Exerzierplatz einschließend, weitläufige Lehmbarracken neuerlich erbaut worden. Ich besuchte diese und fand selbst die Wohnungen der höheren Offiziere nur wenig von den so verschrienen Häusern der Fellahs verschieden, eben weil sie in dieser Art für das hiesige Klima am passendsten sind, da sie im Winter mehr Wärme und im Sommer mehr Kühle gewähren. Eine schöne Allee alter Mimosen zieht sich als schattige Promenade zwischen der Kaserne und dem Nile hin.

Mit Einbruch der Nacht schiffte ich mich wieder ein . Am Morgen holten wir in einer reizenden Gegend die Barken eines französischen Reisenden ein, eines Grafen Mercy d'Argenteau, wie ich hörte, der eine liebenswürdige Landsmännin begleitete, die wir in elegantem Kostüm auf dem Verdeck eifrig lesen sahen. Sie mochte aber das Land nicht nach ihrem Geschmack gefunden haben, denn der Graf kehrte von hier wieder um. Man muß auch gestehen, daß die Reise auf dem Nil wegen ihrer großen Monotonie bald langweilig wird. Ich bin überzeugt, man wird kaum einen Fleck hier finden, der, wenn man plötzlich dahin aus Europa versetzt würde, nicht einen romantischen Eindruck durch seine Fremdartigkeit für uns zurückließe, aber toujours perdrix wird bekanntlich bald zum Ekel, und nach Monaten eines immer ähnlichen Schauspiels sehnt man sich oft recht herzlich nach etwas Vaterländischem, wäre es auch von der anspruchslosesten Gattung. Überdies fängt an vielen Stellen die brennende Sonne schon an, das bisherige schöne Grün der Fluren zu versengen, und in wenigen Wochen wird man, statt jener Smaragddecke, hier überall nur eine graues Staubgewand vor sich ausgebreitet sehen. Doch bis dahin hoffe ich schon weiter vorgedrungen zu sein, in einen Erdstrich, wo wieder andere Regeln herrschen. Im Ganzen erblickt man bei dem jetzigen niedrigen Stande des Nils überhaupt vom angrenzenden Land nur wenig, solange man in der Barke ist. Nur wenn wir ausstiegen, wurden wir immer von neuem durch die außerordentliche Fruchtbarkeit des Bodens, oft über unabsehbare Flächen tief ins Land hinein sich erstreckend, in Verwunderung gesetzt. Doch unterbrach auch an andern Orten die bis an den Fluß herantretende Wüste häufig diesen Segen, weil man seit Jahrhunderten die alten Kanäle vernachlässigt hat und Mehemed Ali nicht alles herstellen kann.

Den vierten, fünften und sechsten März hielt uns der erste Anfall des glühenden Khamsin, der in diesem Jahre ungewöhnlich früh eintritt, neben einem Tabaksfelde gefangen, wo weder Baum noch Strauch uns den geringsten Schutz gewährte. Obgleich der Wind während dieses Phänomens aus einem Backofen zu kommen scheint, das Blut sich davon erhitzt und von den fortwährenden Staubwolken, die überall eindringen, die Augen ein rotes und geschwollenes Aussehen bekommen, so kann ich doch nicht sagen, daß ich die Wirkung so unerträglich gefunden hätte, als man sie beschreibt. Ich fühlte mich ganz kräftig dabei und bemerkte sogar einen sehr vermehrten Appetit. Nur der Staub wird allerdings höchst beschwerlich. Die ganze Atmosphäre ist fortwährend so davon erfüllt, daß man nicht fünfzig, oft nicht zehn Schritte weit sehen kann; in jeden noch so gut verschlossenen Raum dringt dieser feine Staub ein, und trotz alles Reinigens liegt er nach einigen Stunden schon wieder Fingerdick auf allen Gegenständen. Mund, Nase und Augen hat man immer damit angefüllt, glücklicherweise war uns indes das Wasser diesmal, wenn auch nicht als Gegenmittel, doch als Palliativ immer bei der Hand.

Die Matrosen ließen sich den Khamsin noch weniger anfechten als wir. Sie dankten Gott, daß er sie der Arbeit enthob, und sangen, spielten und tanzten Tag und Nacht. Es ist ihnen ein Geringes, im Kreise umher auf ihren Beinen sitzend, mehrere Stunden lang immerfort dieselben drei oder vier Worte unisono zu singen, während nur einer unter ihnen, eine Art Vorsänger, zuweilen andere Strophen mit einer etwas verschiedenen Melodie dazwischen einschaltet, worauf aber die übrigen stets mit dem alten Refrain wieder einfallen.

Einmal in der Nacht versuchten sechs dieser Leute, von einem halb verrückten Heiligen unter ihnen, dem sie große Ehre erwiesen, angeführt, den Tanz der heulenden Derwische; und diese Szene hatte etwas so Grausendes, daß ich sie gewiß nie vergessen werde. Man denke sich eine glühende Atmosphäre mit hohlen Windstößen und sich kräuselnden Staubwirbeln, die in allen Richtungen wie Nebel aufsteigend nur selten dem matten Licht einiger Sterne den Zugang gestatten; mit Mühe unterscheidet man in der Einöde das abgerissene dunkle Nilufer, an welchem unsre Schiffe ankern. Oben darauf, dicht an dessen Rand erblickt man undeutlich in euer Dämmerung, gleich hin- und herschwankenden Schatten, sechs in Tücher gehüllte Gestalten, die einen Kreis um einen ganz Nackten (den Heiligen) geschlossen haben, welcher mit klagender Schmerzensstimme verschiedne, keineswegs unmelodische, aber höchst melancholische Tonweisen singt, während die ihn Umschließenden, taktmäßig in die Höhe springend und sich wieder zur Erde beugend, ohne Unterlaß in demselben tiefen, heisern, halb herausgestoßnen, halb wieder verschluckten, unbeschreiblichen Tone, der dem Bellen eines höllischen Untiers gleicht, mit immer wachsender Schnelligkeit so lange das Wort «Ajuhm» ausrufen, bis endlich einer nach dem andern erschöpft niedersinkt und der Laut in halber Ohnmacht verklingt, die auch häufig schon das Spiel für einen oder den andern der Teilnehmer mit einem Schlagfluß geendet haben soll. Es ist aber hohe Frömmigkeit in diesem Tanz, und wer darin sein Leben verliert, wird für einen glückseligen Märtyrer gehalten. Mir kam die Zeremonie eher vor wie eine verzweiflungsvolle Beschwörung böser Geister oder ein infernalischer Tanz dieser Dämonen selbst. Die schauerliche Unheimlichkeit des Schauspiels schien auch meinen Spartaner Susannis aus der Fassung zu bringen, denn selbst dieser Tapfere «sans peur et sans reproche» flüchtete sich gleich beim Anfang in eine Ecke des Schiffs, und hörte, die Augen starr auf die Tanzenden gerichtet, bis zum Ende nicht auf, das schreckliche Ajuhm mit einem fast ebenso furchtbaren Geheul in seiner Sprache zu begleiten.

In der Nacht zum siebenten veränderte sich plötzlich der Khamsin in einen Sturm aus Norden, und obgleich diese Richtung unsrer Fahrt ganz günstig war, durften wir es doch nicht wagen, uns ihm in der Dunkelheit der Nacht und in der unmittelbaren Nähe des schroffen Felsen des Vogelgebirges (Dschebel-Itter) auszusetzen, das auf der arabischen Seite hier dicht an den Nil tritt. Erst am späten Morgen, als sich die Heftigkeit des Windes etwas gemäßigt hatte, konnten wir auf seinen Fittichen weiterfliegen.

Wir fanden von diesem Punkte aus die Ufer des Flusses weit unterhaltender als früher, weil sie endlich einmal verschiedner Natur waren. Auch die Vegetation hatte oft ein ganz abweichendes Ansehn von der bisherigen, und obgleich die nahe Bergkette nur aus gelbem Sand oder kahlem Sandstein bestand, erschien sie uns doch durch ihre originellen Formen sehr malerisch. Dazu kam, daß wir, aus den weiter oben angegebenen Gründen und um möglichst von dem guten Winde zu profitieren, alle Ruinen und sonstige Merkwürdigkeiten herzhaft hinter uns ließen und dieses schnelle Vorbeisegeln bei Städten, Dörfern, Felsen, Katakomben, alten Tempeln, Palmwäldern und Zuckerrohrplantagen, welche letzteren mit einem Apfelgrün schimmerten, wie es nur die Gouache-Bilder der alten Mönchsschriften in die Malerei aufzunehmen wagen, hatte seinen ganz eigentümlichen Reiz.

Am Ende dieses Vogelgebirges liegt ein koptisches Kloster. Mit Erstaunen sahen wir einen Trupp Mönche, zehn an der Zahl, daraus hervorbrechen, die Felsenabhänge sich mehr herabstürzen als klettern, dann in die vom Winde hoch erhobnen Fluten springen und gleich Fischen unsern Barken stromanwärts folgen, welche sie auch, da wir aus Mitleid mit ihnen anhielten, nach einer Viertelstunde ungeheurer Anstrengung glücklich erreichten – alles dies, um zusammen zwei Kärie (5 Franken) als Almosen zu erbeuten!

Minieh, mit einem Palast des Vizekönigs und einem noch mehr in die Augen fallenden des Gouverneurs, präsentiert sich stattlich am linken Ufer, und die Umgebungen des Flusses sind hier von allen Seiten frisch und lieblich. Wir sahen sie überdem im verklärenden, rosigen Schein der Sonne, nachdem den ganzen Tag über graue Nebel uns wie ein dichter Vorhang umschlossen hatten und immediat auf die Feuerhitze des Khamsin die Kälte so empfindlich geworden war, daß ich Tuchkleider und Oberrock hervorsuchen mußte.

Am achten März fiel der Wind, was uns bewog, bei Baramun auszusteigen, wo sich die bis jetzt einzige Zuckerfabrik im Lande befindet, deren Produkt man hier zum dreifachen Preis, welcher für fremden Zucker in Kahira bezahlt wird, verkauft. Die Gebäude dieser Anstalt sind ominös geworden, denn da der Platz unglücklicherweise zwischen den Ruinen von Hermopolis und Antinoe mitten inneliegt, so wurden die berühmten Portiken dieser beiden Städte, die sich noch ganz erhalten hatten und vor deren einem Denon in Ekstase auf die Knie fiel, seit kurzem mit Pulver gesprengt und die Steine zum Behuf dieser Zuckersiederei verwandt. Demohngeachtet hätte man die unerschöpflichsten Steinbrüche ebenso nahe gehabt, aber die Mühe wäre ein wenig größer gewesen. Diese Barbarei muß man der türkischen Erziehung und früheren Unwissenheit des Vizekönigs zugute halten, ja es werden wohl noch mehrere Generationen vergehen, ehe die Eingeborenen den Kunstwert ihrer Altertümer zu verstehen und zu schätzen fähig sein werden, trotz aller dienstwilliger Zeitungsartikel, die das Gegenteil versichern.

Die Zuckerfabrik ward uns von einem sehr einsichtsvollen Franzosen gezeigt, der vor zwei Monaten herberufen worden ist, um sie besser einzurichten, als sie es bisher war, womit er in wenigen Wochen fertig zu sein hofft und für seine Bemühung, außer der freien Reise und Station, 30 000 Franken erhält. Bisher ließ man den Zucker in roher, brauner Masse durch die Fellahs in ihren eignen Hütten fabrizieren und ihn dann erst hier zwei-, drei- und viermal raffinieren. Von dem viermal raffinierten kostet der Zentner hier an Ort und Stelle 1050 Piaster, während die Fellahs für den Zentner des rohen Produkts nur 50 Piaster erhalten, was allerdings ein schöner Gewinn sein würde, wenn man Käufer fände. Der Franzose hat vorgeschlagen und zugleich den großen Vorteil davon bewiesen, künftig gar keinen Zucker mehr durch die Fellahs fabrizieren zu lassen, sondern ihn gleich hier aus dem Zuckerrohre zu ziehen und dann mit dem Apparat einer Dampfmaschine zu raffinieren, durch welche Behandlung, wie er behauptet, der Vizekönig bald den Zucker wohlfeiler werde liefern können, als man ihn von Europa herzuschaffen imstande sei. Dadurch würde ihm aber der ganze Debit im Lande und ein ungeheurer Gewinn gesichert werden. Der Direktor selbst hat sich erboten, das Geschäft in Entreprise zu nehmen und eine hohe Pacht zu zahlen, doch ward dies abgelehnt, so wie mehrere andere seiner Vorschläge, durch welche er der Ineptie seiner ägyptischen Gehilfen vorbeugen wollte, über die er sich mit vieler Bitterkeit beklagte und dabei äußerte, daß der Vizekönig seit einiger Zeit immer mehr Abneigung zeige, Europäer zu employieren, weil er glaube, er brauche sie nicht mehr, worin er sich jedoch sehr irre. Ich wiederhole diese Worte, weil sie dem ganz entsprechen, worauf ich schon früher hingedeutet. Die Eifersucht der Türken gegen die Europäer und ihr Bestreben, sie zu entfernen, indem sie vorspiegeln, sie hätten nun selbst schon alles erlernt, was vonnöten sei, gewinnen immer mehr Terrain am ägyptischen Hofe und mehr noch bei Ibrahim als bei Mehemed Ali, aber auch dieser, der so häufig und so unverantwortlich von Europäern betrogen wurde, fängt nachträglich an, eine Art Erbitterung gegen sie zu fühlen und läßt sich wohl hie und da mehr überreden, daß er sie entbehren könne, als ihm gut ist. Denn noch ist die Zeit hierzu nicht gekommen, und ein so großer und bewunderungswürdiger Mann Mehemed Ali auch ist, ohne Hilfe der Europäer hätte er seine Pläne doch nie ausführen können, und die Dauer des nun Geschehenen würde vielleicht ohne sie ebenfalls sehr gefährdet sein.

In dem Reisebericht des Herrn von Cadalve, worin jede Gelegenheit ergriffen wird, den Vizekönig herabzusetzen, findet sich auch über die hiesige Zuckerfabrik zu diesem Behuf eine ganz falsche Angabe. Der Verfasser behauptet nämlich, die geringe Qualität des hiesigen Zuckers (deren wahrer Grund in der Unwissenheit des vorigen Direktors und Erbauers der Fabrik zu suchen ist) sei nur der Inkonsequenz Mehemed Alis zuzuschreiben, der, obgleich er in so vielen andern Fällen die Vorurteile seiner Glaubensgenossen für nichts geachtet, hier unbegreiflicherweise die Anwendung des Blutes zum Raffinieren des Zuckers nicht habe gestatten wollen, ohne zu wissen, daß sie unerläßlich zur Gewinnung eines guten Produkts sei. In diesem Vorgeben ist alles Irrtum. Fürs erste hat der Vizekönig nie daran gedacht, sich um solche Details zu bekümmern, sondern nur die muhamedanischen Arbeiter haben einen großen Abscheu dagegen und einige Weigerung gezeigt, sich des Blutes zu bedienen, worin der neue Direktor ihnen um so lieber willfahrte, da (zweiter Irrtum des Herrn von Cadalve) Blut eben gar nicht zum Raffinieren des Zuckers unumgänglich nötig ist. Der hiesige Direktor selbst zum Beispiel zieht Eier zu demselben Zweck weit vor und würde sie auch, wie er sagt, in Europa vorziehen, wenn es dort möglich wäre, sie sich in solcher Menge und so wohlfeil als hier zu verschaffen, wo Blut weit höher zu stehen kommt und weniger leistet.

So unbedeutend diese Sache an sich ist, habe ich sie doch nicht übergehen wollen, da sie in ihrer auffallenden Oberflächlichkeit und feindlichen Intention ein gutes Specimen für die Menge ihr gleichender Ausfälle gibt, von denen das sonst nicht wertlose Buch wimmelt.

Am 9. März hatten wir einen halben Tag lang das malerisch geformte Gebirge Abulfeda östlich zur Seite, häufig durch schöne Katakomben und zuletzt mit einem wunderbaren Santons-Tempel geziert, der, die äußerste Spitze eines weißen Felsen krönend, ganz einem Konditoraufsatz auf einem Zuckerkuchen glich. Ihm gegenüber erhob sich mitten aus der Wüste ein ockergelber Sandhügel in Form der regelmäßigsten Pyramide. Seit Minieh sieht man nur noch selten die balancierenden Eimer der Sakis am Ufer durch Ochsen in Bewegung gesetzt, sondern nackte Fellahs nehmen ihre Stelle ein, und die Sakis sind für ihre Taille kleiner eingerichtet. Zahlreiche Büffelherden weideten am Flusse, und auf den vielen Sandinseln standen Dutzende von Pelikanen gravitätisch in Reih und Glied aufgestellt. Auch von andern Wasservögeln war der Nil hier vielfach belebt, und wir schossen einige wilde Gänse, die von gutem Geschmack, aber schwer zu erreichen sind.

Gegen Abend langten wir in Monfalut an, das vor kurzem der Fluß halb zerstörte, ein elender, aber noch immer weitläufiger Ort mit mehreren recht hübschen Moscheen. Die Umgegend ist reizend. Beide Bergketten von Arabien und Libyen scheinen, von der Stadt aus gesehen, einen ununterbrochenen Kreis blauer Gebirgsmauern um sie her zu ziehen, deren innerer Raum einen zusammenhängenden, vom Nil durchströmten üppig grünen Teppich bildet. Ich kletterte mit dem Doktor auf eine verfallne Hausruine, um die herrliche Aussicht in größerer Vollständigkeit zu genießen; wir wurden aber zu einem schleunigen Rückzug gezwungen, als die vom Wasser unterminierte Mauer von unserm Gewicht wie von einem Erdbeben zu schwanken anfing. Doch hatten wir schon im Fluge die Minaretts von Siut am rosenfarbnen Horizont des lachenden Panoramas erspäht, ein doppelt willkommener Anblick, da uns dort eine sehr erwünschte Ruhestation erwartete und wir zugleich den Vizekönig noch in Siut anzutreffen hofften. Zu Lande ist es nur einige Stunden von Monfalut entfernt, auf dem Wasser brauchten wir wegen der fortwährenden Krümmungen des Flusses und dazu kommenden konträren Windes den größten Teil des folgenden Tages, um die kurze Strecke zurückzulegen. Es mag bei diesem Anlaß berührt werden, was mir alle meine nachherigen Erfahrungen bestätigten, daß ein Reisender, der weder schwächlicher Konstitution ist, noch durch seine ökonomischen Verhältnisse geniert wird, sowohl für sein Vergnügen als zur Erlangung einer richtigeren Kenntnis des Landes weit besser tut, schon von Alexandrien aus und so weit er dann gehen will die Hinreise durchgängig zu Lande zu machen, auf dem Nile aber zurückzukehren. Nur in den Sommermonaten, wo der größte Teil Ägyptens als ein graues Sandfeld erscheint, leidet diese Vorschrift eine Ausnahme. Zu jeder andern Periode wird der Fremde auf diese Weise 1) weit schneller fortkommen, was etwas mehr Ermüdung schon reichlich aufwiegt, 2) unendlich mehr Abwechselung genießen, 3) viel weniger Krankheitsfälle zu fürchten haben und 4) zehnmal mehr nützlichen Gewinn aus seiner Reise ziehen, als beim allgemein rezipierten Schlendrian gewöhnlicher Touristen möglich ist.

Mein erstes Geschäft in Siut, das eine halbe Stunde vom jetzigen Wasserstande des Nils entfernt liegt, war, ehe ich noch die Barke verließ, Mehemed Ali meine Ankunft melden zu lassen. Kurze Zeit darauf erschien Artim Bey, gefolgt von Pferden und Dienern, um mich auf der Stelle zu Seiner Hoheit, dem Vizekönig, abzuholen, der die Gnade hatte, mir sagen zu lassen: seine Absicht sei gewesen, in wenig Stunden Siut zu verlassen, da ich aber endlich dort angelangt sei, so werde er meinetwillen noch heute und morgen hier verweilen. In der Tat hatte ich mich, gegen die früheren Bestimmungen, sehr verspätet, und die freundlichen Worte seiner Hoheit erschienen mir daher um desto großmütiger und graziöser.

Der Abend war prachtvoll und machte den kurzen Weg bis Siut zum glänzendsten Schauspiel; denn hier war noch alles Grün in höchster Frische, das in mannigfachen Schattierungen auf drei Seiten die Hauptstadt Oberägyptens umgab, während auf der vierten, dicht hinter ihren Türmen und Moscheen, die so heiter in den goldnen Strahlen der untergehenden Sonne schimmerten, sich die ernste, weißgebleichte libysche Bergkette hinzog, mysteriös gezeichnet durch die schwarzen Girlanden ihrer unermeßlichen Katakomben.

Der Vizekönig hatte seine Wohnung in einem ansehnlichen, weißgetünchten Palast am Saume der Stadt genommen, in dessen weitläufigem Hofe wir eine Kompanie grün uniformierter Soldaten aufgestellt fanden, die mir bei meinem Eintritt mit klingendem Spiel die Honneurs machten. Ich darf sagen, daß der Empfang Seiner Hoheit nicht nur wie immer äußerst artig, sondern wahrhaft herzlich war. Ich fand ihn überdies sehr guter Laune, und die fatigante Landreise von Kahira bis hierher, während welcher der fast siebenzigjährige Greis täglich 8-10 Stunden zu Pferde zurücklegte, schien ihn nicht im geringsten ermüdet zu haben, denn er sah fast noch wohler und kräftiger aus als früher.

Was ihn so heiter mache, sagte er, als ich das Obige gegen ihn ausgesprochen, sei der gute Zustand, in dem er die Provinz gefunden, in der er nun schon seit zwei Jahren 85 000 Menschen drei Monate lang jährlich an den vernachlässigten Dämmen und Kanälen arbeiten lasse, wozu überdies in jedem Jahre 32 Millionen an der Sonne getrocknete Ziegel angefertigt und verbraucht worden seien. Das Doppelte der fortgesetzten Arbeit, hoffe er, werde hinreichen, die Bewässerung in ganz Oberägypten dirigieren zu können, so daß kein Teil desselben unbebaut liegenbleiben dürfe, wie bisher leider an so vielen Stellen der Fall gewesen sei. Auch sei es ihm endlich gelungen, die Einwohner zu vermögen, große Einkäufe von Vieh aus dem Sennar zu machen, wozu sie sich trotz des damit verbundenen außerordentlichen Vorteils doch – wie es ja fast immer mit allem Neuen gehe – nur der Ungewohntheit wegen im Anfang durchaus nicht verstehen wollten. Er habe indes das Mittel ergriffen, zuerst mit gutem Beispiel voranzugehen und für sich selbst große Ankäufe zu machen, dann aber jedem irgend soliden Entrepreneur die Einkaufssumme ohne Prozente vorgeschossen, und so sei die Sache nun im besten Gange. «Im Sennar», setzte er hinzu, «ist das Vieh in solchem Überfluß, daß ein Kamel kaum vier spanische Kolonnaten, ein Ochse zwei und ein Schaf nur vier Piaster (1 Franken) kostet. Dort fehlt nur Kapital und in einem solchen Grade, daß ich erst die Einwohner an Geld zu gewöhnen angefangen habe, denn sie kannten bis dahin nur Tauschhandel. Hier im Gegenteil fehlt es an Viehzucht, da nur wenig Terrain zur Weide bleibt und das meiste zu weit reicherem Ertrage mit Feldfrüchten bestellt wird, die Betreibung der Sakis aber die Anwendung einer ungeheuren Menge Tiere unumgänglich nötig macht und bei ferneren Meliorationen immer noch nötiger machen wird. Durch den von mir eingeleiteten Handel wird also beiden Teilen geholfen werden, und wenn Gott uns günstig ist, ihre Prosperität mit Riesenschritten zunehmen müssen.»

Im Verfolg der Reise begegnete ich nachher häufig solchen Transporten großer Herden, die wegen des unterwegs anzuschaffenden Futters allerdings ihre Schwierigkeiten haben. Auch war alles dieses Vieh von einer schattenartigen Magerkeit, aber durchaus von schöner Rasse und kräftigem Bau.

Wir kamen von diesem administrativen Gegenstand auf Europa zu sprechen, seine sich immer steigernden Erfindungen und namentlich seine vielfachen, hier noch unbekannten Luxusartikel. «Ich kenne alles das», sagte der Vizekönig lächelnd, «und bekümmere mich nicht bloß um Maschinen, sondern auch um die guten Dinge, die zum Lebensgenuß gehören. Es erscheint nichts Neues dieser Art in London oder Paris, wovon mir nicht sogleich Proben zugeschickt würden.» Aber man sieht es leider nicht, erwiderte ich (denn diesmal waren wir allein), weil es in Euer Hoheit Harems vergraben bleibt. «Ja», erwiderte Mehemed Ali, «so weit zu gehen, wie Sie es möchten, erlaubt die Zeit freilich noch nicht. Nach mir wird aber noch manches Vorurteil fallen, obgleich es selbst dem Weisesten unendlich schwer wird, sich von ihnen loszumachen, und es vielleicht keinem Sterblichen je gelingen kann, hierin die Folgen seiner früheren Erziehung ganz abzuschütteln.»

Aus vollem Herzen machte ich ihm mein Kompliment darüber, wie viele solcher Vorurteile dennoch er selbst bereits besiegt und wie dankbar schon die jetzige Generation ihm für die daraus entsprungenen Wohltaten anhängen müsse. Seine Antwort war originell aufrichtig und die eines längst schon enttäuschten Menschenkenners: «Der Vater», sagte er, «liebt sein Kind – warum? – aus Eigennutz. Er sieht sich selbst darin fortgesetzt, es kommt von ihm; es gehört ihm, und er hofft, es werde einst eine Stütze seines schwachen Alters sein. Das Kind liebt den Vater, weil es von ihm seinen Unterhalt, alles Gute im Leben und nach dessen Tode noch sein Erbteil erwartet. Herr und Diener, Fürst und Untertan denken alle so, das eigne Interesse liegt allen Verhältnissen der Menschen zum Grunde, und wenn es geschickt gehandhabt wird, macht es gute Herren und gute Diener.»

«Es ist nur schlimm», fiel ich ein, «daß eben so wenige ihr wahres Interesse verstehen, und hier bewundere ich eben am meisten die Energie Eurer Hoheit, die sich weder durch Betrug noch Dummheit je in ihren wohltätigen Plänen irremachen ließ.»

«Es ist wahr», sagte er, «ich habe manchen schweren Kampf bestanden, mich aber eben deshalb an mein Adoptivland mit wahrer Leidenschaft gekettet. Ich hatte nimmer Ruhe noch Rast, stets kam es mir vor, wie ein seit Jahrhunderten betäubt im Schlafe liegendes, nacktes und hilfloses Kind, dem ich alles allein sein müßte, Vater und Mutter, Herr und Diener, Lehrer und Richter – und oft habe ich in schlaflosen Nächten zu mir gesagt: Kann es denn an einem Mehemed Ali genug sein, das Kind zu nähren, zu kleiden, verständig zu machen und großzuziehen? Noch jetzt bin ich darüber sehr ungewiß, doch vielleicht gewährt es mir, trotz aller Hindernisse, Gott, dem ich so viel verdanke und dem ich von jeher auch alles anheimgestellt.»

Man kennt Mehemed Ali so ganz und gar nicht in Europa und selbst hier nicht zum größten Teil, daß ich überzeugt bin, viele meiner Leser werden dies und das Folgende zur Hälfte für einen Roman meiner Erfindung halten. Ich bitte diese, nur zu bedenken, daß Artim Bey, ein Mann von so europäischer Bildung, daß man in zwanzig Jahren den Türken nicht in ihm erraten würde, da ist, um mir ein Dementi zu geben, wenn ich die Unwahrheit sage. Ich kann mich in unwesentlichen einzelnen Ausdrücken irren, aber nie in der Hauptsache, da ich stets den ersten freien Augenblick wahrnahm, um Mehemed Alis Worte niederzuschreiben, und ich tat dies, weil ich der Meinung bin, daß großer Männer Äußerungen, selbst geringfügige Dinge betreffend, für den Gebildeten immer ein hohes Interesse haben müssen. Inwiefern übrigens diese Äußerungen wirkliche Herzensergießungen oder absichtlich präparierte sind, mag der Scharfsinn des Lesers selbst entscheiden, Stoff zum Nachdenken gewähren sie immer.

Der Vizekönig schloß unsere heutige Unterredung mit der Bemerkung: daß alle Völker der Größe und alle Armeen des Sieges fähig wären, wenn sie nur einen Mann fänden, der sie den Weg dahin zu führen verstünde.

Am andern Morgen lud er mich ein, mit ihm ein «déjeuner à la fourchette» einzunehmen. Nach dem früher gesehenen und mit ihm geteilten türkischen Diner in Dschiseh war ich nicht wenig verwundert, jetzt bei Seiner Hoheit das Service ganz auf europäischem Fuß zu finden und Mehemed Ali selbst mit aller Eleganz eines englischen Dandys essen zu sehen. Ich erfuhr indessen, daß der Vizekönig in seinem Interieur schon seit mehreren Jahren in dieser Hinsicht die europäische Sitte angenommen habe und nur bei öffentlichen Gelegenheiten die nationelle noch beibehalte. Doch blieb die Szene insoweit noch türkisch, daß Seine Hoheit und ich allein essend am Tisch saßen und der Hof nüchtern umherstand. Der Vizekönig war so lustig, daß er mir selbst einige Worte in französischer Sprache adressierte, die er ganz richtig aussprach. Dann sagte er mit der ihm ganz eignen naiven Grazie: «Auf europäisch zu essen habe ich gelernt, aber das Vorlegen verstehe ich noch nicht recht, und darin sollen Sie mir jetzt eine Lektion geben, indem Sie sich dieses Geschäfts unterziehen.» Der Anfang mußte mit einem «Dindon aux truffes» gemacht werden, den ich mir schmeichle, kunstgerecht zerlegt zu haben. Auch fehlte es weder Seiner Hoheit noch mir während seiner Verzehrung an vortrefflichem «Chateau Margeaux», dem einzigen Wein, den der Vizekönig trinkt, und auch der einzige, der an seiner Tafel serviert wird.

Als einen Beweis der zarten Attention und von einem Türken und so großen Herren fast unglaublichen Galanterie muß ich hier eines Umstandes erwähnen, der mir vom Gouverneur Siuts mitgeteilt wurde. Als mich der Vizekönig zu dem Frühstück einlud, verlangte er, daß für mich ein Fauteuil gleich dem seinigen gebracht werden sollte. Es war aber in der ganzen Stadt keiner dergleichen, sondern nur einfache Strohstühle zu finden. Als man ihm dies meldete, befahl er, auch seinen Fauteuil wegzunehmen und zwei gleiche Strohstühle an den Eßtisch zu stellen.

So unbedeutend die Sache an sich ist, so gehört der Zug doch auch zur Charakteristik Mehemed Alis.

Ich benutzte die gute Disposition des hohen Wirtes, um mir die Erlaubnis zu erbitten, ihm nicht nur zu Schiffe folgen, sondern ihn auch einige Tage auf seiner Inspektionsreise im Innern des Landes begleiten zu dürfen, was mir sehr bereitwillig gewährt wurde. Die Unterhaltung verbreitete sich dann über sehr verschiedene Gegenstände, welche in so großer Gesellschaft jedoch nur alltäglichere Themen berühren konnten, aber nach Tisch, wo wir allein blieben, nahm sie nach und nach eine weit vertraulichere Natur an, und man kann denken, wie belehrend es für mich war, hier Mehemed Ali über seine politischen Verhältnisse, wie über die von ihm sehr scharfsinnig aufgefaßten Interessen und Gesinnungen der europäischen Kabinette, sich mit ebensoviel Aufrichtigkeit als Wärme auslassen zu hören. Es würde indiskret sein, in diesem Buche nähere Details hierüber mitzuteilen, nur so viel mag ich sagen, daß ich nicht genug die Einfachheit und Würde seiner Äußerungen wie die Richtigkeit seiner Ansichten bewundern konnte, insofern ich die letzteren selbst zu beurteilen irgend imstande war. Aus allem, was er sagte, ging deutlich hervor, wie durchdrungen er von der Überzeugung ist, daß alles, was er getan und geschaffen, keinen Bestand haben könne, solange der Schlußstein des Gebäudes fehle, solange die Tat nicht auch durch den Namen geheiligt werde, mit einem Wort, solange seine Souveränität de facto nicht auch de jure bestehe – wie sehr er aber auch unter dieser Bedingung nur Frieden, Sicherheit und Ruhe ohne übermäßige Vergrößerungspläne wünsche; wenn es jedoch sein müsse, den Krieg als letztes Mittel keineswegs scheue und von dem, was er einmal besitze, nie gutwillig ein Dorf aufgeben werde. Etwas andres sind Geldopfer, die er, glaube ich, ohne Anstand in größter Ausdehnung bringen würde, wenn dadurch eine Anomalie beseitigt werden könnte, deren Bestehen fortwährend den Frieden des Orients wie des Okzidents bedroht und auf der einen Seite ebenso allen wohltätigen Absichten des Vizekönigs für die von ihm beherrschten Länder hindernd im Wege steht, als sie den Sultan in seinen ähnlichen Bestrebungen paralysiert.

Nachdem ich hierauf noch die Gelegenheit gefunden, erfolgreich für einige Freunde zu sprechen, war ich auch so glücklich, für Clot Bey die bisher immer entschieden verweigerte Verlegung der «École de medicine» von Abu-Zabel nach Kahira (eine Unternehmung, deren Kostenanschlag viele Hunderttausende erreicht) zu erlangen, obgleich der Vizekönig meine Interzession anfänglich mit einiger Empfindlichkeit bestritt. Hierauf beurlaubte ich mich dankbar bei Seiner Hoheit, um die Stadt zu besehen und einen Spazierritt in der Umgegend zu machen. Siut bietet außer den recht gut furnierten Bazars und einer vom berüchtigten Defterdar erbauten Moschee nichts besonders Merkwürdiges dar. Mit der letztern ist ein schönes, öffentliches Marmorbad verbunden, dessen Revenuen zur Erhaltung der Moschee selbst dienen, eine allgemeine und schöne Sitte im Orient, mit einem religiösen Bau auch immer etwas Nützliches zu verbinden. Der Vizekönig hatte früher eine seiner größten und kostspieligsten Fabriken in Siut etabliert, welche durch die fanatischen Einwohner niedergebrannt wurde. Er hat die Stadt durch nichts anders dafür bestraft, als daß er die eingeäscherten Gebäude nicht wieder aufgebaut und die Fabrik nach einem andern Orte verlegt hat.

Bekanntlich hielten die aus Unterägypten vertriebenen Mamlucken noch lange in Siut stand, und der Kirchhof, wo sie begraben liegen, gleicht einer kleinen Stadt prunkender Monumente, dicht unter der Nekropolis der Ägypter, welche schon vor Jahrtausenden die Felsen darüber wie Bienenzellen ausgehöhlt haben. Diese Grabstätten der Mamlucken beginnen auch, gleich denen ihrer alten Vorgänger, am Saume grünender Felder und enden im Sande der endlosen Wüste. Den Besuch der Nekropolis verschob ich auf meine Rückkehr, ließ mich aber von der Hitze nicht abhalten, ein gutes Stück in die Wüste auf des Vizekönigs gutem Pferde hineinzugaloppieren und dann einen der kahlen Felsen der libyschen Bergkette zu erklettern, um eine umfassendere Aussicht des reizenden Niltals im Osten zu erlangen. Die unbequemen Tagesnebel erlaubten mir jedoch nur sehr unvollkommen, meinen Zweck zu erreichen. Dagegen zeigte mir der Rückweg ein echt nationales Schauspiel, nämlich acht gigantische, nackte Neger, die einen Büffel, welcher im Schlamme stecken geblieben und schon bis an den Kopf versunken war, wieder herausarbeiteten und wörtlich auf ihren Schultern auf das Trockne trugen.


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