Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Nilfahrt nach Meravi. Ambukol, Dschebel-Barkal

Nachdem ich also die wenigen Merkwürdigkeiten, welche Maraka oder Neu-Dongola aufzuweisen hat, welches erst seit Mehemed Alis Eroberung des Landes zur Hauptstadt desselben wurde, hinlänglich besichtigt, meine zahlreiche europäische Korrespondenz beschickt und meine Tagebücher in Ordnung gebracht, wobei ich dennoch keinen Abend versäumt hatte, des Tages Last und Hitze durch ein kühles Bad im Nil zu erfrischen, schiffte ich mich am 1. Mai mit gutem Wind nebst meinem kleinen Gefolge auf zwei Barken des Mudirs nach Meravi ein.

Die Menge der Sakis, welche von hier an fast ununterbrochen beide Ufer des Nils bekränzen und deren es im Bereich der Dongolaschen Statthalterschaft im ganzen zwischen 4-5000 gibt, entfalten einen Reichtum des Anbaus, wie man ihn in diesen entfernten Gegenden gewiß nicht erwarten würde. Auch prangten beide Seiten des Flusses fortwährend im schönsten Grün, häufig mit Baumgruppen untermischt, die jedoch immer von derselben Art bleiben und daher durch ihre Monotonie ermüden, ein Nachteil, der, wie ich schon früher beklagte, allen diesen Ländern von Alexandrien an gemein ist und mir wenigstens einen steten Aufenthalt darin sehr verleiden würde; denn es gibt vielleicht keinen Fluß in der Welt, der bei so langem Laufe im ganzen so wenig Abwechslung darböte als der Nil.

Die Abgaben der Bewohner im Königreich Dongola, nahe bis Schendy hinauf, werden fast durchgängig nur nach Sakis erhoben. Herr Cadalvene behauptet fälschlich, daß diese Abgaben sehr willkürlich von der Regierung (denn Betrügereien der einzelnen Beamten gehören nicht hierher) auferlegt würden und bis zu 22 spanische Taler für den Saki stiegen, außerdem aber noch eine unbestimmte Menge Naturalien extra geliefert werden müßten, die der Fellah nachher aus Not dem Gouvernement zu hohen Preisen wieder abzukaufen gezwungen sei. Der größte Saki, welcher vier Feddan (ungefähr einen Magedeburger Morgen) bewässern kann, die bei der ersten Ernte 40 Ardep Frucht geben mögen, zahlt nur 15 spanische Taler und die kleineren im Verhältnisse. Es existieren keine weitern Naturalleistungen, wohl aber bleibt es den Vorstehern der Distrikte überlassen, einen Teil (doch gesetzlich nie mehr als fünf Ardep) der obigen Summe in Naturalien zu verlangen nach einem vom Gouvernement jährlich festgesetzten Tarif, welche Naturalien aber immer vom Ganzen der Abgabe deduziert werden müssen. Diese Einrichtung mag zwar häufig zu Mißbräuchen Gelegenheit geben, dient aber auf der andern Seite bei rechtlichen Vorgesetzten auch oft dazu, dem Fellah die Entrichtung seiner Abgaben zu erleichtern, und ich habe davon selbst im Verlauf meiner Reise mehrere Beispiele gesehen, wo der Landbauer sehr froh war, in Naturalien bezahlen zu dürfen. Es ist unbegründet, was in mehreren Büchern behauptet wird, daß der Fellah alles von ihm erbaute Getreide dem Gouvernement zu einem niedrigen Preise abliefern und dann zu einem höheren wieder abkaufen müsse, ein Unsinn, der in die Augen springt, da keine Regierung eine solche gesetzliche Tyrannei auf die Länge durchführen könnte. Der erwähnte Fall kann höchstens nur für denjenigen Teil seiner Feldfrüchte vorkommen, den der Fellah in natura geliefert hat und der ihm von der Hauptsumme seiner Abgabe, wie schon gesagt, abgerechnet worden ist, wenn nämlich Mißwachs oder schlechte Wirtschaft oder sonstiges Unglück ihn zwingt, Getreide zur Saat vom Gouvernement einzukaufen, wo er es dann allerdings etwas teurer, aber nach festbestimmter Norm, wiederkaufen muß, als er es geliefert hat. In diesem Jahr waren die Preise dergestalt von der Regierung bestimmt, daß der Unterschied der Lieferungsvergütung und des der Regierung beim Rückkauf zu zahlenden Preises beim Ardep Durra nur zwei ägyptische Piaster (16 Groschen preußisch), bei der Gerste drei und beim Weizen zehn Piaster betrugen. Verfällt der Bauer nun in Schulden, es sei durch Betrügerei der Beamten, die gewiß oft stattfindet, oder durch eigne Faulheit und Saumseligkeit, welche nicht weniger häufig ist, so kann seine Lage freilich bald drückend werden. Diejenigen aber, welche der Regierung nichts schulden, behalten durchaus die freie Disposition über alle Produktionen, die ihnen nach Erlegung der Abgaben übrigbleiben. Die Appalte, welche nachher noch auf das Getreide gelegt sind, das in den Städten verkauft wird, treffen nicht mehr den Erbauer, sondern nur den Kaufmann, der damit Handel treibt. Ich habe mich auf das vollkommenste überzeugt, daß bei der außerordentlichen, zehnfachen Fruchtbarkeit des hiesigen Bodens, mit andern Ländern verglichen, die Abgaben, welche das Gouvernement von den Fellahs fordert, nicht im geringsten übertrieben sind, das heißt, jeder kann bei Entrichtung dieser Abgaben mit nur geringer Tüchtigkeit und einigem Fleiß den nötigen Lebensunterhalt für sich und seine Familie hinreichend gewinnen, ohne jedoch dabei viel zu erübrigen. Wer aber die Bewohner dieser Gegenden kennt und lange beobachtet hat, wird gestehen müssen, daß grade dies der angemessenste Zustand für sie ist und der einzige, der sie vom Nichtstun und Verderben abhalten kann, weil er sie zur Arbeit zwingt. Ginge die schlechte Administration, deren Kontrolle hier so schwierig ist, gleichen Schritt mit den Forderungen der Regierung, so würde kein Elend unter der Population stattfinden und man weder Auswanderer noch verlassne Fluren sehen. Es würde dann in den Staaten Mehemed Alis nur derjenige Zustand der arbeitenden Klassen eintreten, von dem schon der, jetzt zwar aus der Mode gekommene, deshalb aber nicht minder praktisch philosophische Voltaire in seinem Siècle de Louis XIV. sagt: «Le manœeuvre doit etre réduit au nécessaire pour travailler; telle est la nature de l'homme (und des Fellah mehr als jedes andern). Il faut que ce grand nombre soit pauvre, mais il ne faut pas qu'il soit misérable.» Dies ist auch die Ansicht Mehemed Alis, und gewiß ist es eine Narrheit, alle Leute in Überfluß und Luxus leben lassen zu wollen, weil es eben unmöglich ist.

Wir eilten mit dem frischen Winde, der uns oft in Staubwolken vom Lande her einhüllte und empfindlich kalt war, schnell bei dem großen Dorfe Hannak wie der alten Festung Handack vorüber und erreichten schon am ersten Tage Dongola-Aghuß, die ehemalige, jetzt fast ganz zerstörte Hauptstadt des Landes. Auch an den folgenden Tagen, wo die Fahrt weit langsamer vonstatten ging, blieb das Wetter trübe und kühl, was uns alle krank machte. Am 3ten Mai hatte ich zum erstenmal das Vergnügen, zwei lebende, große Krokodile, wenigstens 18-20 Fuß lang, mit Muße zu beobachten. Sie waren von graugelber Farbe und kaum vom Sande, auf dem sie lagen, zu unterscheiden. Später fand ich, daß die meisten Krokodile gelb und schwarz gefleckt sind, ganz verschieden von den ausgestopften, die wir in Europa sehen, da sie nach dem Tode eine allgemein schwärzliche Farbe annehmen. Das größte dieser Tiere lag, den gewaltigen Rachen weit aufgesperrt, lange ganz bewegungslos am Ufer, entweder irgendeinen Raub im Auge, oder um sich die Blutegel von dem bekannten kleinen Strandläufer aus dem Schlunde holen zu lassen, ein Umstand, den man solange für eine Fabel des Herodot hielt, bis neuere Naturforscher die Sache bestätigten, welche zugleich ein hübscher Witz der Natur ist – zu einem Gleichnis, das jeder selbst supplieren mag. Die Matrosen fingen noch an demselben Tage einen jungen Vogel dieser Art (er ist von grauer Farbe, mit kurzem Schnabel und langen Beinen), der nachher eine ganze Zeitlang unser possierlicher Schiffsgenosse blieb. Wir steuerten grade auf die Krokodile zu, und einige zwanzig Schwarze, die in langer Linie, ganz wie es auf den Bildern in den Königsgräbern dargestellt ist, unser Fahrzeug mitten im Strome am Stricke zogen, watend, wo er seicht war, oder auch gelegentlich schwimmend, wo er tiefer wurde – schienen sich wenig vor den Krokodilen zu fürchten und suchten sie nur durch eine Art von im Takt ausgestoßnem musikalischen Geschrei abzuhalten. Auch eilten die beiden Ungetüme, sobald wir uns ihnen näherten, sich schleunigst im Wasser zu verbergen. Ich bemerkte in dieser Gegend einen sonderbaren, andauernden Sandsturz, der ganz wie ein Wasserfall, nur in gelber Farbe, sich über ein steiles und schwarzes Stück Nilufer, vom Winde getrieben, aus der Wüste niedergoß und, solange wir ihn im Auge behalten konnten, in der Heftigkeit seines Sturzes nicht einen Augenblick nachließ.

Nachdem wir Debbeh, von wo die Karawanen nach Kordofan abgehen, passiert hatten, konnten wir nur äußerst langsam vorwärtsdringen, weil sich der Nil von Debbeh an beinah gegen Norden wendet und der Wind uns grade daher entgegenblies. Glücklicherweise ist die Einrichtung getroffen, daß bei solcher Gelegenheit die Einwohner allen Gouvernementsschiffen hilfreiche Hand leisten müssen, was ihnen auch wenig Beschwerde macht, da die Schiffahrt im ganzen sehr gering ist und sie sich überdem von Saki zu Saki ablösen, also kaum eine Viertel- oder halbe Stunde mit dem Schiffsziehen beschäftigt bleiben. Ein eigentümliches, gellendes und weithin schallendes Geschrei kündigt die Ankunft jeder Abteilung beim nächsten Saki an, worauf die Ablösung auch immer so schnell wie auf englischen Poststationen erfolgte. Da wir nur selten ausstiegen, so lasse ich jetzt die Orte, an denen wir vorbeifuhren, unberührt und werde deren, die irgendeiniges Interesse darbieten, auf meiner Rückkehr zu erwähnen Gelegenheit finden.

Am 5ten erreichten wir Ambukol, den Sitz eines Kascheffs, welches auf der Hälfte Weges zwischen Debbeh und Meravi liegt, auf den Karten aber ganz falsch plaziert ist. Es war eben Markt daselbst, der in einem Sandfelde neben den Lehmhütten des Dorfes abgehalten wurde. Nichts konnte ärmlicher sein, dennoch bestand die Hälfte der Waren aus europäischen Produkten, als: kleine Spiegel, Glasperlen, geringe Eisenwaren und einige grobe englische Kattune. Das übrige bot nur die ordinärsten Landesprodukte dar, meistens zur Konsumtion gehörig, und das einzige mir Neue, was ich antraf, waren ein Paar bunte Sandalen aus dem Hedschas, die ich ziemlich teuer erkaufte. Der Kascheff war ein hübscher, kriegerisch aussehender Mann, der mich in seinem Hause mit einer recht guten türkischen Mahlzeit bewirtete, während der Boden des Zimmers (um die Luft darin abzukühlen) außerhalb der Matte, auf der wir saßen, fortwährend mit Wasser begossen wurde. An den ungetünchten Erdwänden hingen schöne Waffen und mitten darunter eine altertümliche Zither von wunderlicher Form mit drei Saiten. Der Kascheff, welcher ein großer Liebhaber der Musik zu sein schien, spielte uns selbst nach Tisch ein ohrzerreißendes Stück darauf vor, welches jedoch bald nachher noch um viele Grade durch die Marktmusik überboten ward, die unser Amphytrion herbeordert hatte. Sie ward zum Überfluß noch durch den Tanz zweier junger Almehs begleitet, die auf einer Kunstreise aus Ägypten nach dem Sudan begriffen waren und unterwegs ihr Talent mit vielem Sukzeß leuchten ließen. Es gibt also auch hier reisende Künstlerinnen. Ungeachtet der lustigen Stimmung des Kascheffs konnte ich ihn doch weder zum Wein- noch Rumtrinken bewegen, wovon ich zu diesem Behuf einige Bouteillen vom Schiffe hatte holen lassen. Dagegen war ein Kurde aus seinem Gefolge, der eine auffallend deutsche Physiognomie hatte, weniger gewissenhaft und leerte die ihm dargebotne Rumflasche fast auf einen Zug aus. Nachdem wir des Tanzes und der Musik übergenug hatten, beurlaubte ich mich bei dem Kascheff, der mich mit allen seinen Leuten zu Pferde bis an die Barken begleitete. Voran ritten zwei Soldaten, mit ganz kleinen Trommeln in Form von Kürbisflaschen am Sattel gehangen, auf die sie statt der Klöppel mit dem dicken Ende des Zügels fortwährend losschlugen und damit einen Ton hervorbrachten, der dem Gehämmer einer entfernten Mühle glich. Sobald wir im Freien waren, begann der Kascheff uns zu Ehren mit seinen Leuten das Dscheridspiel, worin er selbst eine große Geschicklichkeit besaß. Er sagte, daß er sich sehr dabei in acht nehmen müsse, da die Stärke seines Arms so groß sei, daß er schon einmal bei diesem Spiel einen seiner Leute unwillkürlich mit dem kurzen Stock, den sie sich zuschleudern, getötet habe.

In dem Distrikt von Ambukol, der nicht groß ist, zählt man demungeachtet 340 Sakis und rechnet in der Regel acht bis zehn Einwohner auf einen Saki.

Als ich auf der Barke ankam, meldete man mir, daß der Krokodilvogel, dem wir die Flügel verschnitten, ins Wasser gefallen und ertrunken sei. Der Name, den die Eingebornen diesem Vogel geben, bedeutet in unsrer Sprache «Leibwache des Krokodils»; denn sie schwören darauf, es oft gesehen zu haben, daß er das schlafende Krokodil wecke, um ihm die Nachricht von einer nahenden Gefahr mitzuteilen. Ich führe außerdem noch einige andre Tiere mit mir: eine kleine, noch ganz junge Gazelle aus dem Dorfe Solib, dessen Namen ich ihr gegeben und nur durch den Zusatz eines einzigen Buchstabens in unser deutsches «Solieb» umgewandelt habe, welche Benennung das graziöse Tierchen auch in jeder Hinsicht verdient. Sie ist so zahm, daß sie oft des Nachts, wenn es ihr zu kühl wird, in mein Bett kommt, um sich neben mir einen wärmern Fleck auszusuchen. Am Tage geht sie am Ufer spazieren und nimmt grünes Futter zu sich, wo sie Susannis tapfer gegen den Angriff fremder Hunde verteidigt, dennoch aber sehr eifersüchtig wird, wenn man ihr schöntut. Dies gibt der gutmütige Spartaner auf eine wahrhaft rührende Weise dadurch kund, daß er zuerst winselnd an mir heraufspringt und mir die Hand leckt, dann aber, traurig sich wieder abwendend, die Gazelle auf dieselbe Weise küßt, welche letztere sich ihrerseits alles dies mit größter Seelenruhe gefallen läßt. Ferner begleitet uns eine Ziege aus Kordofan von exotischer, abenteuerlicher Form und Farbe, welche die ganze Wüste mit uns durchreiste und täglich ihre Milch zum Tee lieferte. Den Beschluß macht eine Schildkröte von quecksilberartiger Beweglichkeit. Ihre Schale schillert wie Perlmutter in der Sonne; an den Füßen hat sie scharfe Klauen und Schwimmhäute, einen Rüssel wie ein Igel und sternklare Augen, die wie mit einem glänzenden Metallring umgeben sind.

Nachdem wir noch ein Begräbnis am Ufer mit angesehen hatten, wo zuerst der Tote von Weibern unter Klagetönen wild umtanzt und dann auf Charons Nachen zu seiner definitiven Ruhestätte nach jenseits eingeschifft wurde, fuhren auch wir ab und langten ohne weitere Begebenheiten am 7ten in Meravi an. Hier war abermals Markt, der nicht viel besser als der zu Ambukol furniert schien, uns aber zum erstenmal seit Dongola wieder Rindfleisch für unsre Tafel lieferte. Herr Cadalvene, der einen gleichen Markt in Meravi beschreibt, entsetzt sich über den Greuel, daß vor den Buden pêle-mêle Sklaven und Esel in der Sonne gelegen hätten. Ich sehe jedoch dabei nichts beklagenswerteres, als wenn bei den Bällen unsrer Hauptstädte Pferde und Kutscher eine ganze Nacht hindurch pêle-mêle in der Straße frieren oder wie in Rußland gar erfrieren müssen.

Der Kascheff von Meravi ward mir durchgängig als ein sehr rechtlicher Mann gerühmt, auch zeichnet sich seine Provinz, welche 1200 Sakis enthält, durch ein besonders blühendes Ansehen und eine sichtlich größere Wohlhabenheit der Einwohner aus. Die Dörfer waren besser gebaut als bisher, die Felder im schönsten Flor, und zahlreiche Herden belebten die Ufer. Meravi selbst besitzt einige recht stattliche Häuser, unter denen die neue Indigofabrik den ersten Platz einnimmt.

Unsre Hauptaufmerksamkeit blieb jedoch immer auf die isolierte, viereckige Gestalt des geheimnisvollen Dschebel-Barkal gerichtet, an dessen Fuß die reiche Stadt Napata stand, welche die Römer mit ihrem gewöhnlichen Vandalismus zerstörten, um sich an der Königin Candace zu rächen, weil sie die Bildsäulen des Kaisers an der Grenze Äthiopiens hatte umwerfen lassen. Dieser heilige Berg, wo sich seit den urältesten Zeiten der Sitz eines berühmten Orakels befand, war schon mehrere Stunden, bevor wir Meravi erreichten, scheinbar quer vor dem Nile liegend, der hier einem weiten See gleicht, am Horizonte sichtbar geworden. Unsre Neugierde war zu hoch gespannt, um uns länger, als wir zur Besorgung der nötigsten Provisionen bedurften, in Meravi aufzuhalten, und wir setzten daher zeitig genug unsern Weg fort, um noch an demselben Abend eine erste Ansicht der Tempelruinen Napatas wie seiner Pyramiden erlangen zu können.

Dschebel-Barkal ist ungefähr 1½ Stunden von Meravi entfernt und die Fahrt dahin weit pittoresker, als sie uns seit geraumer Zeit geboten worden war. Außer dem Dschebel-Barkal selbst erheben sich noch zwei andere spitze Berge von bedeutender Höhe aus der Wüste, und die häufigen Krümmungen des Flusses mit mehreren Dörfern an seinen Ufern, umschlossen von hellgrünen Hainen und den üppigsten Durrafeldern, deren hohe blätterreiche Stengel anmutig im Winde wogten, gewährten uns auch in unmittelbarer Nähe mehr als ein liebliches Landschaftsgemälde. Erst dicht vor dem Berge entdeckten wir zwischen den hohen Palmen des Dorfes, welches jetzt die Stelle des ehemaligen Napata einnimmt, in geringer Entfernung landeinwärts die Pyramidengräber seiner ehemaligen Beherrscher. Hier ist eine Stelle auf dem Nil, von wo die südliche Seite des Barkalfelsens einen jener täuschenden Effekte hervorbringt, mit denen uns Wolkenbilder und Bergformen zuweilen äffen. Der Felsen gibt nämlich die genaueste Darstellung eines riesenmäßigen weiblichen Brustbildes, wozu eine ovale Öffnung in demselben, durch welche der Himmel glänzt, auch das helle Auge liefert. Die alten äthiopischen Bildhauer der Königin Candace selbst hätten ein imposantes Götterantlitz nicht besser anfertigen können, als es von diesem Punkte aus gesehen durch ein bloßes Spiel der Natur erscheint, und ich ließ absichtlich meine Barke eine geraume Zeit im Strom sich um sich selbst drehen, um des auffallenden Schauspiels noch länger zu genießen.

Wir wurden am Ufer beim Dorfe Barkal von dessen Schech empfangen, einem jungen Manne von großer Schönheit, der kaum 18 Jahre zählen konnte und den mehrere tiefe Schnitte in die Backen, die hier üblich zu werden anfangen und als Zierde dienen sollen, nur wenig entstellten. Er war vom Stamme der Schaki-Araber, von rotbrauner Farbe und verband mit dem fast allen Arabern natürlichen Anstande eine Grazie der Manieren, die in jedem europäischen Salon Beifall erlangt haben würde. Nachdem man die nötige Anzahl Esel (denn wer nicht muß, geht hier nie zu Fuße) herbeigeschafft hatte, setzten wir uns unter der Leitung des jungen Schechs sogleich in Marsch nach den Ruinen. So interessant und merkwürdig diese nun auch in vieler Hinsicht sind, so haben doch nicht nur Cadalvene, sondern auch Herr Rüppel, der eine ausführliche Beschreibung davon gibt, ihre Schilderung derselben ein wenig zu poetisch eingerichtet, so wie ich denn überhaupt von allen mir bekannten Reisebeschreibungen über diese Länder hauptsächlich nur Burkhardts, Linants und Cailliauds Nachrichten als stets vollkommen genau und wahr erfunden habe.

Die ganze Masse der Tempelruinen liegt dicht vor der dem Flusse zugewandten breiten Seite des Berges, so daß man sie mit einem Blick übersehen kann. Dennoch ist ihr Totaleindruck nichts weniger als imposant, nur die hinter ihnen über 400 Fuß senkrecht emporsteigende, rotgefärbte Felsenmasse des Barkal ist es, und diese Nachbarschaft verkleinert noch die Ruinen. Auch als wir in die unmittelbare Nähe derselben kamen und die Überreste des größten, am weitesten südöstlich zur rechten Seite gelegenen Palasttempels betraten, fanden wir, obgleich er einen großen Raum einnahm und seine Längenachse einst über 400 Fuß betrug, doch die Proportionen sowohl der Pylonen als der Säulen nur von sehr mäßiger Größe. Die Pylonen, welche Herr Rüppel «ungeheuer»nennt, können, nach dem zu urteilen, was noch davon übrig ist, kaum 50 Fuß hoch gewesen sein, und die größten Säulen, welche derselbe Reisende als «Kolossal-Säulen» aufführt, haben nicht viel über drei Fuß im Durchmesser bei einigen und zwanzig Fuß Höhe. Nur eine davon ist noch ganz stehen geblieben. Auch sind Architektur und Skulptur den ägyptischen Meisterwerken dieser Art sehr untergeordnet. Was aber sehr merkwürdig daran erscheint, ist die bedeutende Verschiedenheit des Stils und vieler Eigentümlichkeiten im Vergleich mit rein ägyptischen Bauten, obgleich dennoch der charakteristische Typus des ganzen derselbe bleibt. Wiewohl nun die hiesigen Tempel gewiß nicht so alt sind als die Bauwerke in Theben, ja weit entfernt davon, so will ich doch, nachdem ich diese Ruinen und hierauf die des alten Meroë gesehen, nicht gänzlich bestreiten, daß die ägyptische Baukunst in ihrem ursprünglichsten Beginne vielleicht aus den äthiopischen Ländern herstammen könne, wohin sie wiederum noch früher, wahrscheinlich auf der durch Heeren so scharfsinnig nachgewiesenen uralten Handelsstraße aus Indien gekommen ist – aber gewiß gewann diese Architektur erst später in Ägypten jene hohe Ausbildung, die sie zu einem fast unerreichbaren Muster für alle Nachwelt erhoben hat. Ohne Zweifel hat eine solche Veredlung oder vielmehr neue Schöpfung dann auch in der Folge der Zeit wieder auf Äthiopien, wäre auch der rohere Anfang von da ausgegangen, zurückgewirkt, ohne doch je hier etwas den großen ägyptischen Monumenten Gleichzustellendes mehr hervorbringen zu können.

Dabei scheint sich aber zu allen Perioden zugleich eine eigentümliche Nuance des Stils hier erhalten zu haben, die den Ägyptern fremd blieb – und für solche Werke aus einer viel späteren Epoche, die mit schlechter Nachahmung ägyptischer Kunst immer noch einen eigentümlichen Typus aus vielleicht noch älterer Zeit beibehielten, halte ich den größten Teil der Überreste, sowohl von Dschebel-Barkal als Meroë und andere mehr, deren ich in der Folge noch zu gedenken habe. Wenn es gegründet ist, was Herr Cadalvene anführt, daß er an den Pylonen des hiesigen großen Tempels die Basis einer Statue mit dem Ringe des Königs Maraka, ersten Monarchen der äthiopisch-ägyptischen Dynastie, gesehen hat (welche Statue wir nicht auffinden konnten), so würde dies meiner Ansicht von der Epoche der Erbauung dieses Tempels nicht widersprechen. Ich gestehe aber, daß da, wo sich weder Champollion noch ein anderer früherer Reisender zur Orientierung für Herrn Cadalvene vorfand, ich seinen antiquarischen Notizen nicht viel mehr Glauben als seinen politischen beizumessen wage und meinerseits die hiesigen Bauwerke für noch jüngeren Ursprungs halten würde.

Man trifft noch zwischen den Trümmerhaufen des großen Tempels die von Herrn Rüppel detaillierten Gegenstände an als den Sockel von schwarzem Granit mit einer fußförmigen Erhöhung darüber, in der Herr Rüppel die Darstellung einer Sandale des Perseus erkennen will; den schönen kubischen Altar von grauem Granit, der fast ganz unbeschädigt geblieben ist und dessen Hieroglyphen und Bildhauerarbeit er mit Recht als vorzüglich schön schildert, den merkwürdigen Umstand aber nicht erwähnt, daß auf der einen Seite dieses Altars zwei geharnischte Weiber als einzige Darstellung auf dieser Seite des Würfels sich wie kampffertig gegenüberstehen; endlich die acht Fuß im Quadrat haltende Tafel von rötlichem Granit, die gleichfalls mit schön gearbeiteten Hieroglyphen verziert ist. Die kolossalen Widder aus grauem Granit vor dem Eingang, deren Herr Rüppel ebenfalls gedenkt, sind jetzt erst ganz freigegraben und außerhalb unter Reisighütten (zum Transport nach Kahira bestimmt) aufgestellt worden. Bei dieser Gelegenheit hat man entdeckt, daß noch eine ganze Reihe solcher Widder zum Tempel führen, von denen zwei schon etwas entblößt sind und die übrigen wahrscheinlich noch vom Sande verdeckt an Ort und Stelle liegen. Die Gestalt dieser Widder, deren wolliges Vlies im Stein sorgsam ausgearbeitet ist und die keine Hörner haben, weicht von der in Ägypten üblichen Behandlung ähnlicher Gegenstände ebensosehr ab als die noch zu unterscheiden möglichen Darstellungen auf den Pylonen, namentlich der Pferde und aller Tiere überhaupt. Nach dem, was ich in der Folge in den bis jetzt nur von Cailliaud und Linant besuchten Ruinen von Mesaurat und Naga gesehen, möchte ich diese angeblichen Widder, welche überdem eine kleine weibliche Figur zwischen den Vorderfüßen halten, von gleich weiblicher Natur, das heißt nicht für Widder, sondern für Schafe halten und diese Seltsamkeit mit dem jahrhundertelang dauernden weiblichen Regiment der immer denselben Namen führenden Königinnen von Meroë und Napata in Bezug bringen – wobei ich es jedoch den Archäologen gern freistelle, mich über diese Hypothese und die neue Art Heidschnucken, welche ich hier im Innern Afrikas aufgefunden zu haben glaube, nach Gefallen zu verspotten oder eines Bessern zu belehren. Denn es ist allerdings möglich, daß sie früher (ich meine die Schafe) Hörner von Metall gehabt, doch sind keine hinlänglichen Spuren davon im Stein aufzufinden.

Der offne Saal westlich vom Tempel, der früher mit ihm in Verbindung gestanden zu haben scheint, enthält gleichfalls noch den von Rüppel bezeichneten Altar von Sandstein, an dessen Fuß zusammengebundene männliche und weibliche Sklaven ausgehauen sind, woraus jener Reisende folgert, daß dies ohne Zweifel ein zu Menschenopfern bestimmter Altar gewesen sei; ein sehr gewagter Schluß, der sich durch nichts rechtfertigt, da die Abbildung zusammengebundener Sklaven sich unter verschiedenen Formen in den meisten Tempeln und Gräbern Ägyptens wie Nubiens so äußerst häufig vorfindet, daß, wenn man daraus immer auf Menschenopfer schließen wollte, die ehrwürdigen alten Ägypter als die größten Kannibalen der Erde erscheinen müßten.

Das (immer in der Richtung nach Westen) jetzt folgende Gebäude, welches Herr Rüppel für die Trümmer eines Palastes hält, hat die beiden Löwen aus rotem Granit, von denen er eine Abbildung liefert, verloren, Sie sind vom Vizekönig verschenkt worden und, wenn ich nicht irre, nach England gewandert. Den fünf Schuh hohen Granitobelisk mit Hieroglyphen, als hier in der Nähe angegeben, konnten wir ebenfalls nicht mehr ausmitteln, fanden aber dagegen die nicht übel gearbeiteten Torsen zweier weiblicher Figuren, die eine mit einem Löwenkopfe, die andere, welche aus ihrer Brust mit der Hand Milch drücken zu wollen scheint, ohne Kopf, ziemlich gut gearbeitet.

Die sich nun unmittelbar anreihenden Überreste sind nichts als unförmliche Trümmerhaufen, deren einstige Bestimmung zu erraten unnütze Mühe scheint; der wohlerhaltenste Tempel von allen aber ist das hierauf folgende Typhonium, welches zur Hälfte in den Felsen gehauen ist. Dieser Tempel allein ist im rein ägyptischen Stil, sehr verschieden von den andern, und ich vermute daher, daß er sein Dasein irgend noch einem äthiopischen Könige Ägyptens oder einem späteren ägyptischen Eroberer verdanke, vielleicht dem Ptolemäus Euergetes, der bis hierher und noch weiter gedrungen sein soll. Die Beschreibung dieses Tempels von Herrn Rüppel ist sehr anschaulich, nur daß er hier wie anderwärts stets Anaglyphen- wie Hieroglyphenschrift unter demselben generellen Namen «hieroglyphischer Bildhauerarbeit» auffährt, was zuweilen Verwirrung veranlaßt.Kleinere Irrtümer sind folgende: 1) der vorletzte Gott an der rechten Wand des Adytums vom Eingang aus hat nicht bloß eine Kugel, sondern eine solche mit hohen Federn auf dem Haupte; 2) der dritte Gott auf der gegenüberstehenden Seite ist kein Horus und hat auch keinen Finger nach dem Mund gerichtet, sondern trägt in beiden Händen verschiedenartige Embleme. Die Skulpturen, welche auf beiden Seiten im letzten Saale des Typhoniums (dem Adytum) eine Reihe ägyptischer Gottheiten darstellen, denen man Opfer bringt, sind ohne alle Beschädigung geblieben sowie auch mehrere Hieroglyphen noch gut unterscheidbar, wogegen die hintere Wand gänzlich zerstört ist, wie es scheint, um hier Nachgrabungen zu veranstalten. Dieselben Spuren gewaltsamer Eröffnung finden sich in einem Seitengemach ohne Verzierung. Ein Teil der bunten Farben in der Cella wie im Pronaos prangen noch jetzt in alter Frische, und von der Kolonnade des letzteren mit ausdrucksvollen Isisköpfen und Typhon-Karyatiden stehen noch die meisten Säulen. Nur im ersten Saal oder Sekos ist durch ein Erdbeben die Decke eingestürzt, über deren Trümmerhaufen man jetzt nur mit Mühe in die Cella und das Allerheiligste gelangt.

Oberhalb des Typhoniums befinden sich zuletzt noch die Rudera eines anderen weit kleineren Felsentempels, die den Charakter eines höheren Altertums als alle übrigen tragen, aber zu sehr zerstört sind, um viel daraus ermitteln zu können. Lebhaft zu bedauern bleibt es an allen diesen Orten, daß noch niemand herkam, welcher die ziemlich zahlreichen Hieroglyphen, die sich in den verschiedenen Ruinen befinden, zu entziffern imstande gewesen wäre, was allein über das wahre Alter, die Gründer und die Bestimmung der hiesigen Tempel ein größeres Licht zu verbreiten vermochte.Von Herrn Professor Lepsius dürfen wir es jetzt mit Zuversicht erwarten.

Wir wandten uns jetzt nach den pyramidalischen Grabmonumenten, die sich kaum einige Minuten von dem letzterwähnten Tempel entfernt in zwei Gruppen darstellen, wovon die eine nur wenige, die andere mehr als doppelt so viele, meistens sehr wohl konservierte Pyramiden enthält. Unter den ersten befindet sich eine fast eingestürzte, die größer und in ihrer Form auch abweichend von den andern ist. Sie scheint aus entfernteren Zeiten als diese herzustammen, welche, siebzehn an der Zahl, sämtlich von der Bauart der ägyptischen ganz verschieden, aber gewiß nicht älter, noch überhaupt sehr alt sind, ja die letztere Gruppe möchte ich verhältnismäßig fast modern nennen. Sie sehen zum Teil so glatt und unversehrt aus, als wären sie eben erst fertig geworden, und in einer derselben, auf die ich hinaufstieg, was ohne Schwierigkeiten bewerkstelligt werden konnte, da jede Steinlage eine bequeme Stufe bildet und nur die vier Kanten der Pyramide von oben herab mit einem polierten, runden Steinwulst ohne Absatz überkleidet sind – fand ich auf der Höhe einen hölzernen Querbalken inwendig eingemauert, der durch das Herabfallen eines Steines sichtbar geworden war und, obgleich dadurch dem Wind und Wetter ausgesetzt, sich dennoch so frisch und intakt erhalten hatte, als sei er neu. Keine dieser Pyramiden ist über 80 Fuß hoch und ihre Form weit schmaler in der Basis und spitzer zulaufend als die der ägyptischen. Fast alle haben nach Süden zu einen niedrigen kastenartigen Vorbau mit einer Türöffnung, und es scheint, daß hier die Leichen versenkt wurden. Bis jetzt hat noch keine erschöpfende Untersuchung deshalb stattgefunden, wiewohl man sieht, daß öfters dergleichen begonnen wurde. Einige dieser Eingänge sind erst später angesetzt, einige mit den Pyramiden zugleich aufgeführt worden, was man stets sehr deutlich unterscheiden kann. Nur in wenigen fanden wir Skulpturen, deren Formen weicher und üppiger waren, als es der ägyptische Stil mit sich bringt. Eins dieser Hautrelief-Bilder stellte eine Königin auf ihrem Throne dar, dessen Fußgestell aus Löwen bestand, die mit einer reichen Decke behangen waren. Auch diese Tiere waren nicht im ägyptischen Stil, sondern eher persischen Darstellungen dieser Art ähnlich. Hieroglyphen fanden sich hier nicht vor. Auf einem andern Bilde opferte die Königin ägyptischen Gottheiten, unter deren Attributen sich auch der Nilschlüssel mehrmals zeigte, während wieder andere Figuren fremdartige Gegenstände trugen, deren Bedeutung mir nicht klar ward.

Wie es häufig hier der Fall ist, haben die Eingebornen den Platz um die alten Grabmäler auch zum eignen Kirchhof erwählt und eine Menge von alten Töpferscherben, die um den Berg her liegen, zur Ausschmückung ihrer modernen Ameisenhäufchen sorgsam benutzt.

Mit Sonnenuntergang erstiegen wir den Felsen und sein Plateau, was nur zu Fuß tunlich und ziemlich mühsam ist. Von den Geiern, die Herrn Cadalvene hier «abermals zu Tausenden gleich den früheren Skorpionen» umschwebten, kam uns keiner zu Gesicht, wohl aber zwei wilde Katzen, die vor uns die Felsen hinankletterten. Oben angelangt, hat man eine ausgedehnte Wüstenaussicht, und nahe jenseits des Flusses erblickten wir die große Pyramidengruppe von Nur oder El Belal in klarster Nähe. Herr Rüppel gibt die Entfernung dieser Pyramiden, die er nicht besucht hat und die man selbst zu Fuß bequem in drei Stunden erreicht, als sieben Stunden weit an, obgleich er versichert, den Dschebel-Barkal bestiegen zu haben, von welchem er sich doch sogleich durch den bloßen Augenschein hätte überzeugen müssen, daß die Entfernung in grader Richtung von hier kaum zwei Stunden beträgt. Eine so handgreifliche Unzuverlässigkeit kam mir auffallend bei einem Schriftsteller vor, der die Vorrede zu seinem Werke mit folgenden herausfordernden Worten beginnt: «In gegenwärtiger Zeit scheint eine wahre Schreibwut sehr viele Gelehrte und noch bei weitem mehr Ungelehrte befallen zu haben. Das Büchermachen ist zu einer Art Handwerk geworden, und man beabsichtigt dabei meistens mehr den Geldgewinn als den Drang, interessante wissenschaftliche Entdeckungen mitzuteilen. Noch eine andere Eigentümlichkeit ist eingewurzelt: die Mehrzahl der Leser beurteilt sehr oft die erscheinenden Werke nach ihrer Bogenzahl (!) und läßt sich von der Darstellung anziehen oder abstoßen, unbekümmert, ob der Inhalt gemeinnützig und die Mitteilungen original seien.

Unter diesen Umständen war es für mich kein geringer Entschluß, in den Reihen der Schriftsteller aufzutreten; ein natürlicher Widerwille beseelte mich von jeher gegen Bücher, in welchen mit einem nichtssagenden Qualm von Worten nur wenige Originalbeobachtungen eines Schriftstellers gegeben werden, die herauszufinden man eine Masse längst bekannter und zum Teil aus andern Werken kombinierter Nachrichten wieder durcharbeiten muß usw.»

Dies sind stolze Worte! und recht demütigend für uns andre arme Skribler, die wohl fühlen, auf so viel Gediegenheit keinen Anspruch machen zu dürfen. Wenn man indes den natürlichen Widerwillen Herrn Rüppels gegen schlechte Bücher auch leicht begreift, so ist doch zu berücksichtigen, daß bei den verlangten Originalbeobachtungen vor allem ihre Wahrheit erforderlich sei. Falsche Originalbeobachtungen fördern den Leser weniger als das Nachschreiben einer richtigen, selbst wenn das erhabne Genie ihres Verfassers keines geringen Entschlusses bedurfte, um sich zu ihrer Mitteilung herabzulassen. Der Ausdruck «Originalbeobachtungen» hat übrigens seine komische Seite und erinnert mich an den seligen Kramer, der keinen seiner vielfachen Romane anfertigte, ohne mit großen Buchstaben auf das Titelblatt zu setzen: «Deutscher Originalroman von Kramer.»

Aber auch die unnützen Worte, die in Herrn Rüppels Vorrede so verpönt werden, hat er selbst nicht immer zu vermeiden gewußt, wovon unter mehreren anzuführenden hier nur folgende Originalstelle als Beispiel!

Bei Gelegenheit einiger ganz unbedeutender Säulenstumpfe schreibt Herr Rüppel: «Burkhard sagt pag. 83, daß diese Säulen von Kalkstein sind, ich habe in meinen Notizen das Baumaterial als Sandstein aufgezeichnet: einer von beiden muß sich daher geirrt haben.» Welcher wichtige Umstand und welche scharfsinnige Folgerung! Inwiefern übrigens Herr Rüppel zu den gelehrten oder ungelehrten Schriftstellern gehöre, lasse ich billig dahingestellt, weil ich es nicht zu beurteilen verstehe. Daß er aber durch seine Darstellung das Publikum nicht (wie er es an andern rügt) ebenfalls zu bestechen gesucht hat, ist unleugbar; denn im Fall er zuweilen belehrend ist, so darf er unterhaltend geworden zu sein sich gewiß nur selten vorwerfen; ja man könnte sogar seinen originaldeutschen Stil, der einigermaßen seinem Namen entspricht, oft für eine holprige Übersetzung aus einer fremden Sprache halten und es zugleich etwas befremdend finden, daß ein so überaus streng gründlicher Mann stets Kapit al für Kapit äl und Kapit äler für Kapit äle, Tiphon für Typhon usw. schreibt, die hiesigen äthiopischen Fa ki in orientalische Fa kyrs, die Sch echs in Sch eiks umwandelt und eine Menge Landesnamen so unbegreiflich entstellt, daß man sie an Ort und Stelle nicht wieder zu erkennen vermag, da sie weder mit der arabischen Orthographie, noch mit dem Klang unsrer Aussprache übereinstimmen. So führt er das hiesige Meravi immer als das neue Meroë auf, eine Benennung, die weder einem Europäer noch einem Eingebornen von diesem Orte bekannt ist; schreibt Gekdud statt Jakdull, Bender statt Bint, Agusa statt Aguß etc. etc., was für Reisende, die nach einer so großen Autorität Erkundigungen einziehen wollen, sehr irreführend wird. Gleich unrichtig und trotz der schwerfälligen Grandezza des Autors in der Tat höchst oberflächlich sind seine Nachrichten über das wahre Meroë sowie die davon gegebene Abbildung, während die Beschreibung des von ihm getadelten Caillaud ein Muster der gewissenhaftesten Genauigkeit ist – wovon sowie über Herrn Rüppels gleich ungenaue Notizen, Mandera betreffend, später ein mehreres. Als ich in Khartum mit Herrn Russegger, einem wahren Gelehrten in seinem Fache, zusammentraf, äußerte dieser, daß er Herrn Rüppels lange Liste astronomischer Beobachtungen, seine Messungen und seine geographischen Bestimmungen sowie mehrere seiner Nachrichten über Kordofan und Nuba, ohne der höchst unzureichenden Karte zu gedenken, die sein Werk begleitet, nicht weniger mangelhaft und unrichtig gefunden habe, eine Ansicht, die Herr Russegger seitdem in mehreren deutschen Journalen wiederholt hat. Es möchte daher von dem Nimbus der Untrüglichkeit, den einige lobhudelnde Landsleute um Herrn Rüppels Leistungen zu ziehen versucht haben, nicht mit Unrecht ein guter Teil abzunehmen sein, wobei jedoch, wenn man die Menge seiner erfolgreichen Forschungen in Anschlag bringt, immer noch bedeutende wahre Verdienste für ihn übrigbleiben werden. Eins der unbestreitbarsten bestand in seinem unermüdlichen Sammeln seltner Tiere und in dem geschickten Ausstopfen derselben. In dieser Hinsicht schulden ihm alle Freunde der Naturwissenschaft und vor allem seine Vaterstadt Frankfurt, der er diese Sammlungen großmütig schenkte, gewiß den gerechtesten Dank, selbst wenn er sich nie hätte überwinden können, in die Reihen der deutschen Original-Reisebeschreiber einzutreten. Doch drängt sich mir hierbei die Schlußbemerkung auf, daß Leute, die von vornherein mit hochmütiger Geringschätzung anderer beginnen, um für kapabler als diese zu passieren, nicht die zuverlässigsten sind, so wie man in ähnlicher Hinsicht auch gut tut, jedem sorgsam aus dem Wege zu gehen, der fortwährend die deutsche Biederkeit auf den Lippen zu führen pflegt. Nur der gedankenlosen Menge imponiert man durch beides.

Unser galanter Schech hatte, auf großen Durst nach der ausgestandenen Fatigue rechnend, ein Lieblingsgetränk der hiesigen Einwohner: saure Milch mit zerquetschtem Knoblauch, auf das Plateau bringen lassen und war sehr verwundert, daß wir diesem Labetrunk so wenig Ehre zu erweisen vermochten. Wir begnügten uns mit einer halbstündigen Ruhe, worüber es völlig Nacht geworden war, ehe wir an den Fluß zurückkamen. So erhitzt ich mich fühlte, konnte ich doch der Versuchung nicht widerstehen, mich sogleich in den Nil zu tauchen, und bei der hiesigen Temperatur der Luft, die einem russischen Schwitzbad gleichkommt, mag man dieses auch ebenso ohne Gefahr wagen, als man sich in jenem unter die kalte Brause stellt oder wie die Russen in den Schnee wirft.

Am nächsten Morgen besuchten wir, nachdem wir über den Fluß gefahren, auf sehr kräftigen Pferden, die uns der Schech geliefert, die Pyramiden von Nur. Diese halte ich, mindestens zum größten Teil, für die allerältesten noch vorhandenen äthiopischen Monumente. Ihre Konstruktion ist weniger spitz als bei den Pyramiden von Barkal und daher etwas mehr den ägyptischen ähnlich; auch hat keine derselben den eigentümlichen Vorbau jener am Barkal, noch ihren abgestuften Bau. Man kann die Reste von einigen vierzig im ganzen unterscheiden, sechzehn davon sind aber nur noch leidlich erhalten, obgleich auch diese schon sehr verwittert und verfallen. Sie sind durchgängig aus roh behauenem Sandstein und eine Art eisenhaltigem Puddingstein aufgeführt, durch Erde verbunden, und manche derselben scheinen sogar nur später übermauerte Tumuli von Erde gewesen zu sein. Die Beschaffenheit des umliegenden Terrains gibt der Vermutung Raum, daß nicht nur diese sämtlichen Pyramiden einstmals von einem mit dem Nil kommunizierenden Kanal umgeben waren, sondern selbst mehrere Kanäle den Platz, auf dem sie stehen, durchschnitten. Eins dieser Monumente übertrifft alle übrigen an Umfang, und seine Außenseiten haben sich so aufgelöst, daß man mit geringer Mühe bis zum Gipfel hinaufklettern kann. Die Form dieses sonderbaren Baues weicht von den übrigen um ihn her ganz ab und scheint aus mehreren Etagen von verschiedener Steile der Abdachung bestanden zu haben. Die Behauptung der Reisenden, daß eine kleinere Pyramide dem Ganzen als Kern dient und das Übrige nur darum her aufgeführt worden sei, wollte sich uns trotz der sorgfältigsten Untersuchung nicht bestätigen. Die ganze Höhe der Pyramide beträgt ungefähr, wie sie jetzt ist, wo sie einen bedeutenden Teil ihrer Spitze verloren hat, noch gegen 100 Fuß und ihr Umfang mehr als viermal so viel. Es ist kein Zweifel, daß man hier die älteste Nekropolis der Stadt Napata vor sich hat, die vielleicht später erst zu größerer Bequemlichkeit in die Nähe des Dschebel-Barkal verlegt wurde. Vielleicht stand auch die älteste Stadt ganz und gar auf demselben linken Ufer des Flusses, und es ist zu verwundern, daß gerade an dieser so merkwürdigen Stelle noch niemand Nachgrabungen veranlaßt hat, die freilich nur mit großem Zeitaufwand, der auch mit nicht geringen Unbequemlichkeiten in diesem Lande verbunden ist, zu bewerkstelligen sein würden. Nur die Bewohner selbst holen fleißig Steine von den Ruinen, teils um in der Nähe bei ihren Santongräbern die pyramidalische Form ungeschickt nachzuahmen, teils um ihre Felder damit vor dem Sande zu schützen oder ihre eignen Lehmwohnungen dauerhafter zu machen. Wir selbst fanden heute drei Leute auf der großen Pyramide kampiert, welche dem Geschäft ihrer Zerstörung mit ungewöhnlichem Fleiße oblagen.

Auf dieser Exkursion, die während einer fürchterlichen Hitze unternommen ward, zeigte mein armer Susannis die ersten Symptome der üblen Wirkung des hiesigen Klimas auf Hunde, welches, wie ich schon früher gelesen, für alle ausländische Tiere dieses Geschlechts in kurzer Zeit tödlich werden soll. Auch findet man nur sehr wenige einheimische Hunde in dieser Gegend. Mein sonst so rüstiger Spartaner warf sich wie verzweiflungsvoll unter jedem kleinen Strauche im Sande nieder, um dort einen Augenblick Schatten zu genießen, und nachdem wir ihn einigemal hinter uns kläglich hatten heulen hören, worauf wir nicht gehörig achteten, blieb er völlig erschöpft liegen, so daß ich ihn erst nach unsrer Rückkunft durch ausgeschickte Boten mit vieler Mühe wieder erhielt. Der Mensch kann mehr aushalten, und so besuchten wir an demselben Abend noch einmal heroisch alle Tempel zu Barkal, worauf wir erst in der Nachtkühle zu Wasser nach dem Flecken Meravi zurückkehrten.

Wir ruhten hier den 10ten gemächlich aus, an welchem Tage uns der Kascheff ein Gastmahl gab, wo lange debattiert wurde, ob wir unsre Reise noch weiter fortsetzen oder die schon hinlänglich ausgedehnte Expedition hier schließen sollten. Die Neugierde siegte über alle andern Rücksichten, und nachdem wir festgesetzt, daß die beiden Barken uns bis zu unsrer unbestimmten Rückkehr in Meravi erwarten sollten, ward auf den nächsten Abend der Beginn einer neuen Tour, diesmal mitten durch die Wüste, bis Schendy beschlossen, während der wir nun leider von dem wohltätigen Nil auf acht Tage gänzlichen Abschied nehmen mußten.

Auch Meravi hat einige Altertümer aufzuweisen. Im Diwan des Kascheff stand ein Altar von schwarzem Granit mit dem wohlerhaltenen Wappenschild eines alten Herrschers, das ich jedoch auf Champollions Tafel, meiner einzigen Zuflucht bei solchen Gelegenheiten, nicht verzeichnet fand und daher mit gutem Gewissen nicht namhaft machen kann, obgleich mir so leicht niemand das Gegenteil beweisen würde, wenn ich den ersten besten alten Pharao in Requisition setzte.

Auf einem Platze nahe beim letzten Dorfhause nach dem Flusse zu zeigte man uns die Reste zweier Statuen von mehr als Lebensgröße, aber nur mittelmäßiger Arbeit. Nach des Kascheffs Versicherung hatte sich vor zwei Jahren ein Engländer, der geläufig arabisch sprach und das Kostüm des Landes trug, vierzig Tage am Dschebel-Barkal aufgehalten, während welcher Zeit er im Typhonium wohnte und sich fortwährend mit Ausgrabungen beschäftigte. Hierzu wandte er täglich einige dreißig Araber an, schickte sie aber immer abends nach Hause und setzte die Arbeit nur mit seinen eignen Dienern nächtlich allein fort, wenn er auf etwas gestoßen zu sein glaubte. Man sah ihn jedoch nichts mit sich fortnehmen, als eine kleine Kiste von schwarzem Granit, die er auf dem obern Plateau des Barkalfelsens gefunden zu haben vorgab und von welcher der Kascheff behauptete, daß sie mit vielen Buchstaben (also Hieroglyphen) bedeckt gewesen sei, eine Art Schlüsselloch gehabt und oben mit Bändern von grünem Metall versehen gewesen. Dieselbe vor dem Kascheff zu öffnen hatte jedoch der Fremde verweigert und auch sonst nichts über ihren Inhalt laut werden lassen. Kurz darauf war er nach Khartum und Kordofan abgereist und nach späteren Nachrichten noch weiter gegangen, auf dem Nil aber nicht wieder zurückgekommen. Seinen Namen hatte er nie genannt. In Meroë fand ich die Spuren dieses unternehmenden Reisenden unter ähnlichen, noch remarkableren Umständen wieder, und wer die Geist und Kraft tötende Abspannung empfunden hat, die sich in diesem entnervenden Klima des Europäers bemächtigt, wird der seltnen Beharrlichkeit des Unbekannten seine Bewunderung nicht versagen können. Es scheint indes, daß er entweder noch jetzt in Dafur zurückgehalten wird oder umgekommen ist, da niemand in Ägypten von seiner Zurückkunft seitdem etwas vernommen hat, noch selbst sein Name mit Bestimmtheit daselbst auszumitteln war.

Man sagt, daß der Dschebel-Barkal seine Heiligkeit in alter Zeit vorzüglich der Eigenschaft zu verdanken gehabt habe, die Gewitter anzuziehen, was in heißen Ländern immer einen doppelten Wert haben muß. Am heutigen Abend erlebten wir ein solches sehr heftiges Gewitter mit einem schönen Regenbogen, es blieb aber nur in der Ferne und ward diesmal nicht vom Berge der Orakel angezogen.


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