Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Audienz bei Mehemed Ali

Es ist ein so großes Ding um einen Herrscher über Millionen, die nur von seinem Winke abhängen, daß ich nie einem solchen ohne eine gewisse innere Bewegung nahe, um wieviel mehr dann, wenn er zugleich ein so außergewöhnlicher Mann ist wie Mehemed Ali.

Ich hoffe, man wird es mir daher Dank wissen und auch keine törichte Eitelkeit darin suchen, wenn ich diesen erste Besuch bei dem Vizekönig auf das ausführlichste beschreibe, wobei ich freilich gezwungen bin, neben dem Großen auch vom Kleinen zu sprechen, nämlich von mir selbst.

Mehemed Ali ist fast täglich (oder war es wenigstens damals) ein Gegenstand der Unterhaltung in Europa, und doch kennt man ihn im Grunde dort nur sehr wenig; denn was man über ihn so mannigfaltig publiziert hat, ist zu widersprechend, um ein sichres Resultat daraus ziehen zu können. Ich wenigstens muß aufrichtig gestehen, daß ich auch jetzt noch nichts der Art gelesen, was mich vollständig befriedigt hätte. Viele dieser Autoren, die Mehemed Ali nur oberflächlich gesehen, beurteilen ihn nach unzuverlässigen Anekdoten und bloßem Hörensagen, und die meisten derjenigen, welche ihn besser kennen, sind, wie ich schon früher angedeutet, zu oft von persönlichen Motiven bei ihrem Urteil geleitet, so daß sie ihn entweder zu hoch zu erheben oder zu tief zu erniedrigen suchen. Es gibt aber überhaupt nur sehr wenige Europäer, die Gelegenheit hatten, Mehemed Ali in einiger Intimität zu beobachten, was bei den gewöhnlichen Privataudienzen, wenn man dergleichen auch noch soviel erhält, durchaus nicht stattfindet, am wenigsten grade da, wo es sich nur um Geschäfte handelt. Noch wenigere Personen aber gibt es vielleicht, die, selbst wenn ihnen die Gelegenheit nicht fehlte, philosophischen Scharfblick und unbefangene Freiheit des Charakters genug besaßen, um einen Mann wie Mehemed Ali ganz richtig zu schildern. Weit entfernt, mich selbst für kompetent hierin zu halten, scheint es mir doch eine Art Pflicht, auch meinen Beitrag auf die vollständigste Weise zu der richtigeren Würdigung dieses Fürsten zu geben, dessen gewaltiger Einwirkung auf eine beginnende Regeneration des Orients, wohin ich die nördlichen Länder Afrikas mitrechne, die Zukunft erst volle Gerechtigkeit widerfahren lassen wird. Er teilt diesen glorreichen Einfluß, was den Orient betrifft, nur mit dem Sultan Mahmud, den man in vieler Hinsicht seinen gelehrigen Schüler nennen kann; in Europa aber hat nur Frankreich Anspruch auf solchen Ruhm durch die Eroberung Algiers, deren noch unberechenbare Folgen für die künftige Welt, selbst wenn Algiers jetzige Abhängigkeit von Frankreich im Laufe der Zeiten aufhören sollte, doch immer einen Glanzpunkt in der Geschichte der Franzosen begründen werden. Sie möchten sogar höher in manchem Bezuge anzuschlagen sein, als alle fruchtlos und ephemer gebliebenen, wenngleich des militärischen Ruhmes so vollen Überrennungen Napoleons.

Wenn ich also sagte, daß ich mich gewissermaßen verpflichtet fühle, Mehemed Ali als ein Hauptthema meines Werkes zu betrachten, so liegt doch der Grund davon keineswegs in irgendeiner Parteiabsicht, sondern nur darin, daß mich während eines Aufenthaltes von beinahe zwei Jahren in den Ländern, welche Mehemed Ali damals regierte und die ich von den Grenzen des Sennar bis Adana in einer ununterbrochenen Ausdehnung von mehr als fünfundzwanzig Breitengraden durchstrichen, die Umstände auf eine Art unterstützt haben und die Gelegenheit Mehemed Ali genauer kennenzulernen sich mir so oft und in so günstigen Verhältnissen dargeboten hat, als dies selten einem reisenden Privatmanne zuteil werden kann.

Demohngeachtet ist es weit weniger meine Intention, eine erschöpfende Charakteristik desselben zu liefern, noch, wenn ich mein persönliches Urteil über ihn ausspreche, dieses als Norm aufzustellen, als vielmehr nur durch die einfache, treue Erzählung dessen, was mir mit ihm begegnete, was ich von ihm sah und aus seinem Munde hörte und welche Betrachtungen dies in mir hervorrief – soweit die Diskretion dies gestattet –, den Leser zu befähigen, sich selbst aus allem diesen ein wahres ähnliches Bild des Individuums zu abstrahieren, von dem hier die Rede ist. Man wird die dahin gehörenden Züge daher auch nur zerstreut in dem vorliegenden Buche finden, was die allgemeine Disposition desselben unvermeidlich machte, aber die Zusammenstellung im Gedächtnis des Lesers ist nicht schwer und der Stoff so reich, daß eine ungetrennte Bearbeitung desselben leicht hätte ermüden können. Diese Prärogative haben aber nur klassische Schriftsteller, die ich aus der Ferne bewundern muß, ohne die Präsumtion hegen zu können, ihnen nachzuahmen. Aus diesem Gesichtspunkte also wünsche ich mein sehr anspruchsloses Bestreben, Mehemed Ali betreffend, in der Folge stets beurteilt zu sehen.

Seine Hoheit empfing mich in einem untern Saale des Palastes, der mit einer ehrerbietigen Menge seiner Hof- und Staatsdiener angefüllt war. Erst als ich durch diese hindurchgedrungen, sah ich den Vizekönig, von den übrigen getrennt, auf der Estrade vor seiner Ottomane stehen, nur Artim Bey, den Dragoman, an seiner Seite. Meine Überraschung war groß – denn nach der in Alexandrien befindlichen Büste und einigen Portraits, die man für ähnlich ausgab, hatte ich mir einen streng, ja hart aussehenden Mann im prunkvollen orientalischen Schmuck gedacht, mit Zügen, die, wie ich an der Büste bemerkt, auffallend an Cromwells Bilder erinnerten. Statt dessen stand in einen schlichten braunen Pelz gekleidet, mit dessen weißem Besatz der ehrwürdige Bart von gleicher Farbe seltsam zusammenfloß, den einfachen roten Tarbusch ohne Shawl und Edelsteine auf dem Haupte, keine Ringe an den Fingern, noch, wie im Orient gewöhnlich, einen kostbaren Rosenkranz in der Hand haltend (die übrigens so schön geformt ist, daß eine Dame sie beneiden könnte) – ein kleiner freundlicher Greis vor mir, dessen kräftige, wohlproportionierte Gestalt nur durch eine fast kokett zu nennende Frische und Reinlichkeit geschmückt war; dessen Gesichtszüge aber ebensoviel ruhige Würde als wohlwollende Gutmütigkeit aussprachen, und der, obgleich seine funkelnden Adleraugen mich durch und durch zu schauen schienen, doch durch die Grazie seines Lächelns wie die Leutseligkeit seines Benehmens nur unwillkürliche Zuneigung und nicht die mindeste Scheu einflößte. Auch entsprach diesem Eindruck, wie ich später zu beobachten Gelegenheit hatte, vollkommen das Benehmen seiner Hofleute, die, wenn auch voll Respekt, doch sehr zutraulich und unbefangen mit ihm verkehrten, während er selbst sie zwar mit einer Nuancierung gegen einzelne, aber im allgemeinen stets mit vieler Urbanität behandelte. Überdies ist nichts leichter, als vom Vizekönig Gehör zu erhalten. Kein Herrscher kann zugänglicher sein und weniger Maßregeln für seine persönliche Sicherheit nehmen als Mehemed Ali, der sich täglich jedem Versuche unbesorgt preisgibt, den ein Fanatiker auf sein Leben zu richten beabsichtigen könnte. Wie möchte er dies wagen, wenn er der Tyrann wäre, den alberne Unwissenheit und bösartige Absichtlichkeit in Europa so häufig aus ihm machen wollen! Indes ist doch nicht zu leugnen, daß ungeachtet des stets humanen Betragens Mehemed Alis und seines meist freundlich milden Blickes, der ihm das Ansehn eines der gutmütigsten unsrer christlichen Monarchen gibt, dieser Blick doch zuweilen, besonders in den Momenten, wo er sich unbemerkt glaubt, einen ganz eignen Ausdruck bittren Mißtrauens annimmt, bei dem dann das etwas unheimlichere türkische Element, von dem ohne Zweifel der Vizekönig auch einen guten Teil besitzt, voll hervortritt. Man kann vielerlei in diesem Blick lesen, was vielleicht die Schattenseite seines Charakters ausmacht, womit ich jedoch keinen besondern Tadel aussprechen will; denn zu einem großen Manne gehören ebenso notwendig dunkle und helle Seiten, als bei jedem andern Sterblichen.

Nach der ersten Begrüßung setzte sich der Vizekönig und winkte auch mir, mich neben ihm auf der Ottomane niederzulassen, worauf für ihn und mich Pfeifen und Kaffee gebracht wurden.

Ich muß hier eine kurze Notiz über die Höflichkeitsbezeugungen im Orient und namentlich in Ägypten einschalten, über die wenige meiner Leser unterrichtet sein möchten und deren Verständnis doch nicht ohne Interesse ist. Es herrscht hier in dieser Hinsicht weit mehr Etikette als bei uns, und die Abstufungen sind bestimmt. Zuerst das Grüßen betreffend, kann man schon aus diesem sogleich auf die verschiedne Stellung beider Teile schließen. Der Vornehmste grüßt stets zuerst. Der viel Höhere legt die Hand auf die Brust, während der ihm im Range Nachstehende die Hand gegen die Brust und dann gegen die Stirn emporhebt, dies auch wohl zweimal wiederholt. Gleiche oder im Range nur wenig Verschiedne grüßen sich entweder auf eben diese letztere Manier gegenseitig oder aber nur mit einer Bewegung der Hand nach dem Gesicht, fast so wie wir uns eine Kußhand zuwerfen. Ganz Niedrige machen als Zeichen der Unterwürfigkeit die Pantomime, als wenn sie Staub von der Erde aufheben und diesen sich auf die Brust und Stirn legen wollten. Gegen den Vizekönig trifft es sich indes wohl, daß gelegentlich auch Generale und Paschas dieses Zeichen machen. Der Vizekönig selbst grüßt seine Untergebnen, indem er die Hand auf den Leib legt; gegen Fremde, die er auszeichnen will, erhebt er die Hand nach dem Gesicht.

Man muß schon im Rang einem andern einigermaßen nahestehen, um sich bei ihm auf die Ottomane setzen zu dürfen, und die Arten selbst, wie man sich setzt, sind dreifach nach den verschiednen Graden der schuldigen Ehrerbietung: 1) mit einem untergeschlagnen Beine auf dem Rand der Ottomane, 2) auf beiden Knien, aber etwas entfernt, ganz darauf Platz nehmend, ohne sich anzulehnen, 3) endlich es sich nach Belieben bequem machend, wo man vertraut oder gleich und gleich ist. Kaffee und Pfeife reichen zu lassen ist eine Ehrenbezeigung, aber die Nuancen sind auch hierbei vielfach und werden zum Teil durch das mehr oder minder kostbare Material ausgedrückt. Wer das Recht zu sitzen hat, erhält in der Regel auch den Kaffee, die Pfeife aber ist eine größere Auszeichnung. Man darf weder Pfeife noch Kaffee noch irgend etwas, sei es auch nur ein Glas Wasser, empfangen (außer bei Tafel, wo alle Zeremonien wegfallen), ohne beim Nehmen und auch beim Wiederabgeben des leeren Geschirrs oder der Pfeife durch einen Gruß zu danken. Ja selbst der Wirt in seinem eignen Hause, sobald ein Vornehmerer als er bei ihm ist, grüßt diesen, dankend für alles, was ihm seine eigenen Diener servieren. So wird auch dem Vornehmsten immer zuerst präsentiert, er sei Wirt in seinem eignen Hause oder Gast in einem fremden.

Diese ganz genau festgesetzten Sitten haben ihre große Bequemlichkeit, sobald man einmal bekannt mit ihnen ist, und scheinen mir deshalb den jetzigen europäischen vorzuziehen, wo man, außer England, in welchem die Etikette auch genau geregelt ist, nirgends mehr weiß, was andere zu prätendieren haben, noch was einem selbst zukommt, und immer in Verlegenheit ist, zuviel oder zu wenig zu tun. So finden wir zum Beispiel in einem der ersten Staaten Deutschlands, wo in größeren Dingen so viel Vortreffliches besteht und noch viel Größeres zu erwarten ist, in der erwähnten Hinsicht einen recht empfindlichen Mangel für gesellschaftliche Bequemlichkeit, indem das Rangverhältnis nur im Dienste fest normiert und dabei überhaupt das dienende Prinzip so sehr dem freien vorgezogen wird, daß eigentlich nur diejenigen der Auszeichnung eines bestimmten Ranges und Ansehens dort teilhaftig werden, die zur Hierarchie des Hof- oder Staatsdienstes gehören, jeder außerhalb dieser Kategorie Stehende aber hinsichtlich seiner Ansprüche, er sei nun dazu durch eminente Geburtstitel oder ständische oder Besitzeswürden berechtigt, in der Gesellschaft und selbst an den verschiednen Höfen niemals genau weiß, wo er hingehört, indem ihm nach Laune oder Gunst heute der, morgen jener Rang angewiesen wird. Es ist gar nicht nötig, rang- und titelsüchtig zu sein, um dies sehr unbequem zu finden, da man ebensowenig gedemütigt werden, als andere demütigen will, was bei dieser Unbestimmtheit ganz unvermeidlich, bei fester Rangordnung aber ganz unmöglich ist. Nur ein Narr kann sich darüber ärgern, wenn jemand das ausgesprochne, anerkannte Recht hat, sich in der gesellschaftlichen Stufenleiter als über ihm stehend anzusehen, er komme ursprünglich her, woher es sei; wenn dieser es sich aber nur anzumaßen scheint, so ist es eine halbe Beleidigung, und geht der unbegründet gegebne Vorzug von einem Höchstgestellten aus, eine Kränkung. England ist das freiste und gewiß liberalste Land in Europa, demohngeachtet ist bei diesem praktischen Volke durch alle Stände und Grade, was jedem zukommt, so fest geregelt, daß ein Präzedenzstreit dort ein Unding ist. In Rußland hat nur der Dienst Rang, und der Leibkutscher des Kaisers würde dem Abkömmling der ältesten Bojarenfamilie vorgehen, wenn dieser keinen Dienstrang hätte. Es mag uns dies etwas seltsam vorkommen, aber es ist doch bestimmt. Man weiß, woran man ist.

Als Ludwig der Vierzehnte in Frankreich eine Rangordung beliebt hatte, durch welche die Pairie sich verletzt fand, wagten einige dem König darüber Vorstellungen zu machen. Der König frug M. Legrand (wie der damalige «grand écuyer» abgekürzt genannt wurde): «Et vous, qu'en dites vous?» «Sire», antwortete dieser, «tout ce que je sais, c'est que le charbonnier est maître chez lui.»

So ist es ohne Zweifel, der absolute Herrscher kann die Sache ordnen, wie ihm beliebt, nur sie unbestimmt zu lassen, scheint mir eine Anomalie.

Daß aber solche ungewissen Verhältnisse zwischen Geburts-, Hof-, Dienst- und Verdienstrang nicht bloß die Gefühle der Eigenliebe auch bei dem Bescheidensten häufig verwunden müssen, sondern daß sie selbst in einzelnen Fällen dem oder jenem den reellsten Schaden zu bringen imstande sind – das könnte ich durch mehrere schlagende Beispiele ins hellste Licht setzen, wenn dabei nicht Persönlichkeiten bloßgestellt werden müßten, die mir die orientalische Lehre ins Gedächtnis rufen: «Wenn die Rede Silber ist, so ist das Schweigen Gold.» Vielleicht habe ich in den Augen der Sparsamen schon zuviel Silber ausgegeben.

Seine Hoheit der Vizekönig behandelte mich durch die Art seines Empfanges mit der größten Courtoisie, und der einzige markierte Unterschied bei der Bedienung bestand darin, daß, obgleich uns die Pfeifen zu gleicher Zeit von zwei Dienern gebracht wurden, doch ihm die seinige einige Sekunden früher als mir präsentiert wurde, ferner auch nur die Pfeife, nicht aber die Tasse für mich ganz so reich als die für ihn bestimmte mit Diamanten besetzt war. Die Auszeichnung war um so schmeichelhafter, da sie bisher nur wenig Personen zuteil ward, namentlich dem Marschall Marmont, dem rückkehrenden Gouverneur von Indien und einem außerordentlichen Gesandten Frankreichs während des Krieges mit der Pforte, der eigentlich diesen Charakter nicht vollständig hatte, von Mehemed Ali aber nicht ungern als solcher angesehn und behandelt wurde. Den Generalkonsuln, wenn sich deren gegenwärtig befanden, sah ich immer nur Kaffee in ordinären Tassen und keine Pfeifen, und von den anwesenden Muselmännern im Dienste des Vizekönigs keinem weder Kaffee noch Pfeife präsentieren, selbst dem Sheriff von Mekka, Ibn-el-Aun, nicht, den ich zweimal bei Seiner Hoheit antraf. Es war dies ein schöner, geistreich aussehender schwarzer Araber, in einen grasgrünen Talar und weißen Turban, als Anverwandter des Propheten, gekleidet; er betrug sich sehr unterwürfig gegen den Vizekönig und nahm seinen Platz zwar auf der Ottomane, aber nur weit ab, in der von mir angezeigten zweiten Stellung, das heißt auf den Knien, ein. Nur die Paschas ersten Ranges und besondre Lieblinge läßt der Vizekönig neben sich sitzen und ihnen Kaffee reichen. Einzelne Ausnahmen fallen indessen vor, da sein Wille immer Gesetz ist. Ein so Begünstigter war der bereits mehrmals erwähnte Mehemed Bey, und ich hörte hierüber eine artige Anekdote erzählen.

Mehemed Bey hatte eigenmächtig einem sehr tätigen Unterbeamten eine Gehaltszulage bewilligt, worüber der Vizekönig, dem man es sogleich hinterbrachte, ungehalten war. Als sich nun Mehemed Bey das nächstemal bei ihm einfand, gab er ihm nicht nur einen Verweis, sondern auch sein Mißfallen noch dadurch zu erkennen, daß er ihm keinen Kaffee reichen ließ. Der Gescholtene erwiderte kein Wort und ging. Sobald er aber nach Hause kam, stellte er eine Order aus, daß die Besoldung des in Rede steigenden Beamten noch um vier Beutel jährlich vermehrt werden solle, und genehmige es der Vizekönig nicht, er das Geld aus seiner Tasche bezahlen werde. Am andern Tage erschien er wie gewöhnlich bei Seiner Hoheit – und was tat der Tyrann Mehemed Ali? Kaum ward er den vielleicht doch etwas ob seiner Kühnheit besorgten alten Freund gewahr, als er lachend laut nach Kaffee rief. «Komm her», setzte er hinzu, «ich werde mich wohl hüten, Dir keinen Kaffee mehr zu geben, denn ich sehe, es kommt mir zu teuer zu stehen.»

Ich zweifle nicht, daß manche alle diese zeremoniellen Details sehr kleinlich finden werden, meines Erachtens gehören sie aber wesentlich zur Schilderung hiesiger Sitten und sind deshalb nicht überflüssig.

Ich begann das Gespräch mit den bei den Orientalen ebenfalls zur Etikette gehörenden Sanitätskomplimenten und eilte dann, meinen Dank für die Freundlichkeit und edle Gastfreiheit auszudrücken, deren Seine Hoheit mich würdige, was, glaube ich, nicht ganz der türkischen Sitte gemäß war. Denn Mehemed Ali schüttelte lächelnd den Kopf, erwiderte dann aber verbindlich: Wenn ein fremder Mann von Ansehn so weit herkäme, ihn zu besuchen, so wäre es wohl das wenigste, was er tun könne, ihm durch möglichste gute Aufnahme seine Freude darüber zu bezeigen. Er bedaure nur, setzte er mit großer Bonhomie hinzu, daß ich, gegen Europa gehalten, alles hier noch sehr unvollkommen finden müsse.

Dies gab mir die natürlichste Gelegenheit, mein Erstaunen über die Wunder auszudrücken, die ich bereits in Alexandrien und Kahira gesehen, und ich bat im voraus Seine Hoheit, mir zu verzeihen, wenn der Enthusiasmus, den so Außerordentliches in mir erwecke, meinen Worten das Ansehen der Schmeichelei gäbe, da sie doch nur der treue Ausdruck meiner Empfindungen und der hohen Verehrung für einen Fürsten wären, der dem Orient jetzt das sei, was einst Peter der Große für Rußland gewesen, zu dessen jetzt so furchtbar angewachsener Land- und Seemacht dieser doch allein den ersten Grund gelegt.

«In wieviel Zeit», fiel Mehemed Ali lebhaft ein, «hat Peter der Große seine Marine hergestellt, und aus was für Schiffen bestand sie?»

Ich muß gestehen, daß ich im Augenblick weder eins noch das andere wußte, aber wohlbekannt mit der Regel, daß man große Herren nicht ohne Antwort lassen darf, gab ich in Erwiderung der unerwartet praktischen Frage Zahlen an, die zu verifizieren glücklicherweise niemand gegenwärtig war, schnell hinzufügend, daß zu des Zars Zeiten diese Branche überhaupt viel unvollkommner als jetzt gewesen sei und daher die Resultate in jeder Hinsicht auch nur viel geringer ausfallen können als die Schöpfungen des Vizekönigs, die wahrscheinlich einzig in ihrer Art in der Geschichte des Orients dastanden. Und damit sagte ich nur die Wahrheit.

«Wohlan», fuhr Mehemed Ali fort, «ich will nicht leugnen, daß hier mehr als Alltägliches geschehen sei, und ich habe allerdings gestrebt, den Beispielen großer Männer zu folgen, soweit ich es vermochte. Es ist auch gewiß, daß ich jetzt mit mehr Beruhigung fortarbeiten kann. Ich stehe nicht mehr, wie früher, ganz allein. Man fängt wenigstens an, mich zu verstehen, und die Maschinerie ist im Gange. Doch nur meine Enkel können einst ernten, was ich gesät habe. Wo eine so grundlose Verwirrung herrschte als hier, wo eine so vollständige Auflösung aller gesunden Staatsverhältnisse stattfand, wo ein so ganz verwildertes, unwissendes, zu aller heilsamen Arbeit unfähiges Volk lebte – da kann die Zivilisation nur langsam wieder emporwachsen. Sie wissen, daß Ägypten einst das erste Land der Erde war, das allen übrigen vorleuchtete; jetzt ist es Europa. Mit der Zeit nimmt die Aufklärung vielleicht auch hier von neuem wieder ihren Sitz. Es schaukelt ja alles ewig in der Welt!» (Ein Lieblingsausdruck des Pascha.)

Er trug mich hierauf, wie ich Kandia gefunden, und ich konnte nur mit größter Gewissenhaftigkeit erwidern, daß ich nirgends die Griechen wahrhaft freier, wohlhabender und größtenteils selbstzufriedner angetroffen habe als dort, aber auch überzeugt sei, daß des Vizekönigs früher daselbst geübte Strenge während einer partiellen, durch auswärtigen Einfluß fomentierten Insurrektion, ebensoviel als seine unparteiische Gerechtigkeit und Milde seitdem dazu beigetragen hätten, einen solchen erfreulichen Zustand hervorzurufen. «Sie hatten mich bei meiner Herrscherehre angegriffen», rief der Vizekönig mit Feuer, «und das darf kein Fürst dulden, der seine Pflicht kennt und sich selbst achtet. Im übrigen bin ich immer bereit gewesen, alles für die von mir abhängigen Griechen zu tun, was in meinen Kräften stand, ja ich habe sogar, als die europäischen Mächte mir fortwährend Vorstellungen in dieser Hinsicht machten, mich erboten, Kandia ganz nach dem Muster zu regieren, das europäische Weisheit in Griechenland selbst aufstellen würde, und nur gebeten, mich so bald als möglich mit genauen Notizen über die Resultate zu versehen, doch ist mir nie dergleichen zugekommen.»

Die Ironie dieser Äußerung war nicht zu verkennen, ich eilte daher, das Gespräch auf Fabriken und neue Anlagen jeder Art, welche die höhere Kultur des Landes bezwecken, zu lenken, und damit traf ich auf des Vizekönigs Steckenpferd – wahrlich kein unwürdiges für einen Souverän!

Er hoffe, sagte er, ich würde mit dem, was er hierin bereits geleistet, zufrieden sein, obgleich man auch hier nie einen europäischen Maßstab anlegen müsse, wie er sich gern bescheide. «Bald», fügte er hinzu, «wird dieses Land wenigstens imstande sein, sich im Notfall, unabhängig von andern Ländern und ihren Produkten, eine Zeitlang selbst genügen zu können. Deshalb, und nicht bloß des Gewinnens wegen, obgleich auch dieser mir nicht entgeht, lege ich eine so große Anzahl neuer Manufakturen und Fabriken an. Überdies», fuhr Mehemed Ali fort,«sind diese Etablissements in mehr als einer Hinsicht eines der kräftigsten Zivilisationsmittel für das Volk und würden mir zugleich», setzte er mit einem glänzenden Aufblick der Augen hinzu, «im Nu 40 000 gute Soldaten mehr liefern, wenn ich sie brauchen sollte. Doch wünsche ich weit mehr, daß das Schicksal mir gestatten möge, alle meine Kräfte der Industrie und dem Ackerbau allein widmen zu dürfen. Krieg habe ich immer nur geführt, wo er nicht zu vermeiden war, und ich bin fern davon, ihn zu lieben.»

Es ist wahr, daß Napoleon immer dasselbe zu versichern pflegte – indessen benutzte ich die gute Gelegenheit, sofort auf die glorreichen Kampagnen Ibrahims überzugehen; aber obgleich ein Wink Mehemed Alis schon seit einiger Zeit den ganzen Hof entfernt hatte und wir allein waren, ließ sich doch der Vizekönig über diesen Gegenstand nur in Gemeinplätzen oder, wenn man lieber will, in diplomatischen Phrasen aus. Doch lächelte er, als ich ihm sagte, es sei Seiner Hoheit wahrscheinlich ergangen wie dem Feldmarschall Suwaroff, der oft versicherte, er liebe den Krieg nicht, aber der Krieg liebe ihn; und ich hätte zugleich, fuhr ich fort, auf den Werften von Alexandria wohl bemerkt, wie gut Seine Hoheit es verstanden habe, sich durch den Krieg Mittel zum Kriege zu erwerben, womit ich das Holz zu seinen Schiffen meinte, das ihm früher gänzlich fehlte, während Adana jetzt fast allen Bedarf zu diesem Zweck im vortrefflichsten Materiale liefert. Die nicht ganz heitre Miene Mehemed Alis verriet während dieser Rede, daß er über das angeregte Kapitel mehr dachte, als er sprach. Gewiß ist es, daß er jetzt vollkommen einsehen muß, wie seine Zögerung nach der Schlacht von Konieh, wo ein zu unerwartetes Glück ihn überraschte, der einzige große politische Fehler bleibt, den ihm die Geschichte bis jetzt vorwerfen kann. Sachkundige wissen sehr wohl, daß Ibrahim, wenn er die Erlaubnis seines Vaters gehabt hätte, Brussa zu besetzen und bis in die Nähe Konstantinopels vorzudringen, was nach jener Schlacht militärisch keine Schwierigkeit mehr hatte, er unter den damaligen Umständen dem Sultan den Frieden nach Belieben diktieren konnte, ehe Rußland dies mit gewaffneter Hand zu verhindern imstande war. Die europäischen Mächte aber fürchteten mit gutem Grunde seit Jahren insgesamt den Krieg zu sehr und bewachten sich selbst gegenseitig mit zu eifersüchtigem Auge, um einem einmal solid erlangten Status quo sich irgendwo ernstlich entgegenzusetzen, wie die Erfahrung seit Napoleons Tode überall zur Genüge bewiesen hat. In dem vorliegenden Falle würde die Diplomatie ohne Zweifel einige Millionen Federn mehr abgeschrieben und eine verhältnismäßige Anzahl Papierriese und Tintenfässer verbraucht haben, ja die Protokolle der Konferenzen wären vielleicht auch jetzt noch nicht geschlossen – aber «der große Pascha» (wie ihn hier die Fremden nennen) würde deshalb nicht minder seine Stellung befestigt und die letzte Katastrophe dadurch vielleicht vermieden haben und jetzt ein selbstgekrönter, wenigstens teilweise anerkannter unabhängiger Monarch geworden sein, gleich Louis Philippe in Frankreich, König Leopold in Belgien und Donna Maria da Glória in Portugal, ohne von St. Domingo, den spanischen Kolonien und Spanien selbst zu sprechen, in welchem letztern der endliche unzweifelhafte Sieger ebenfalls der Anerkennung nirgends ermangeln wird. Selbst die Polen würden sie erhalten haben, wenn sie nur zu siegen verstanden hätten.


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