Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Der Sklavenmarkt. Fostat. Thura

Die nächsten Tage absorbierte die Gesellschaft. Ich mußte den Herren Konsuln ein Diner geben, nachher einigen vornehmen Türken, welchen auch während dem Essen Pfeifen serviert wurden, dann auch noch versäumte Besuche nachholen und endlich verschiedene Einkäufe machen. Man trifft in Kahira viel Interessantes dieser Art an. Indische Waren verschiedener Natur, Stoffe, künstliche Arbeiten, von den Gourmands geschätzte seltene Früchte usw. sind hier verhältnismäßig wohlfeil, allerlei kostbare Steine, namentlich eine große Auswahl schöner Türkise und Smaragde, findet man ebenfalls zu billigen Preisen; die Produkte aus Jemen sind barock, und die Waren aus dem innern Afrika bieten zum Teil noch merkwürdige Kuriositäten dar wie zum Beispiel die wunderlichen Reitpeitschen aus Hippopotamushaut, im Arabischen Kurbatsch genannt, woher ohne Zweifel seit den Kreuzzügen das Wort «Karbatsche» nach Deutschland gekommen ist. Was türkischer und syrischer Gewerbefleiß liefert, ist dagegen hier teuer und die Auswahl nur gering. Bei dieser Gelegenheit besuchte ich auch den schwarzen Sklavenmarkt, der allerdings, so milde die Sklaven auch in der Regel hier behandelt werden, dem Europäer ganz andere Gefühle als dem Orientalen einflößt. Es ist niederschlagend, daß demohngeachtet die allgemeine Stimme der Europäer selbst sich in der Behauptung vereinigt, daß die Sklaven von diesen härter wie von den Muselmännern behandelt werden. Kann man sich überwinden, das Tragische, was in dem ganzen System liegt, einmal beiseite zu setzen, und was hülfe es auch, darüber als etwas hier vorderhand noch Unvermeidliches unnütz zu jammern, so muß man ohne Affektation gestehen, daß dieser Sklavenmarkt neben der menschlichen Herabwürdigung (der man aber in goldenen Sälen, unter Sternen und Orden, oft noch widriger begegnet, weil sie da freiwillig ist) auch viel Komisches darbietet. Die Sklaven selbst zeigen fürs erste gar keinen Ausdruck des Kummers oder der Schwermut in ihrem Benehmen, wohl aber die verschiedensten und originellsten Sitten. In den offenen Zimmern und dem Hofe eines großen Gebäudes verteilt, sitzen sie in Gruppen umher, meistens scherzend und lachend, oft auch mit einer stupiden Gleichgültigkeit und tierischem Ausdruck ihrer Mienen. Frisch angekommene Sklavinnen sieht man häufig noch im Kostüm ihres Landes, das heißt fast nackt; sind es aber solche, die schon aus zweiter Hand verkauft werden, so sind sie orientalisch angezogen, und diese zeichnen sich gewöhnlich durch üble Laune und ein ziemlich impertinentes Wesen aus, das dennoch nicht ohne eine gewisse Koketterie bleibt. Diese weigern sich auch oft, ihr Gesicht sehen zu lassen, und affektieren Zorn und Abneigung gegen den Käufer, während die noch im halben Naturstande Begriffenen mit eben der Gleichgültigkeit nicht nur ihr Antlitz, sondern alles, was man verlangt, entblößen, wie es ein Schaf ruhig duldet, daß man seine Wolle befühlt. Wir hatten einen im französischen Konsulat angestellten Levantiner mit uns, von dessen merkwürdiger Routine und grotesken Unbefangenheit im Sklavenuntersuchungsgeschäft, verbunden mit seinen dahin gehörigen Kunstausdrücken, man trotz allem Widerwillen unmöglich ohne Lachen Zeuge sein konnte. Ohne alle Umstände nahm er ein vierzehnjähriges Mädchen beim Arm und befühlte, ihr den Bernus abstreifend, in welchen sie sich gehüllt hatte, ihre jungen Brüste, wie man die Reife einer Frucht probiert. «Fort bien», rief er zu uns gewandt, «c'est frais, cela a poussé comme une orange.» Jetzt ergriff er unsanfter eine andere aus zweiter Hand und hob ihr, wenig auf ihr Sträuben achtend, den lang herabhängenden Oberwurf auf, ließ ihn aber bald mit den Worten wieder fallen: «Ce n'est rien ça, elle est faite.» Eine dritte, weit hübscher als die Vorhergehenden, aus Abessinien, wurde von der Schuhspitze bis zu ihren hundert Haarflechten untersucht, mußte dann noch die Zunge herausstrecken und die Zähne weisen, worauf ihr als Resultat der Visitation das Attestat gegeben ward: «Voilà une jolie fille, bien portante, d'une belle chute de reins, mais la gorge est applatie en diable!» Dies ist gemein, aber ein treues Bild des hiesigen Verkehrs, charakteristisch und folglich, glaube ich, an seinem Platze.

Um indes den Gegenstand, der in mehr als einer Hinsicht seine schwarze Seite hat, schnell zu wechseln, führe ich den Leser jetzt durch Alt-Kahira nach der Artillerieschule von Thura, ein Ort, der wahrscheinlich auf der Stelle des alten Troja erbaut ist, so wie man auf den Bergen hinter Fostat das ägyptische Babylon sucht. Ich glaube jedoch, daß dies letztere da stand, wo sich jetzt Mehemed Alis Zitadelle befindet.

Wir begannen in Fostat (Alt-Kahira) mit Besichtigung der koptischen Kapelle, unter der ein kellerartiges Gemach für die Grotte ausgegeben wird, in welcher die Jungfrau mit Vater Joseph und dem Jesuskinde auf ihrer Flucht nach Ägypten eine Ruhestation machte. Wir mußten, wie billig, dem führenden Mönche für das christliche Spektakel einen arabischen Bakschis verehren, obgleich der gemauerte Keller in keiner Art einer Felsengrotte ähnlich sah. In der Kapelle selbst befanden sich aber einige ebenso kostbare als geschmackvolle, mit Holz und Elfenbein eingelegte maurische Arbeiten. Von hier begaben wir uns nach der verfallenen und nur von öden Trümmerhaufen umgebenen, aber prachtvollen und im edlen Stil gebauten Moschee Amrus des Eroberers Ägyptens. Ein weiter Hof, von drei- und vierfachen Säulenhallen umgeben, würde auch eine antike Akademie Griechenlands nicht verunziert haben. In der Mitte dieses Hofes steht ein kleines, gleichfalls artig verziertes Gebäude, ein bleibendes Zeichen der Gerechtigkeit Amrus, gleich der Mühle von Potsdam; denn es gehörte einer armen Jüdin, die es dem Sultan nicht verkaufen wollte, weshalb er es nur rings umbaute, statt es abzureißen. Man sieht einige Wunderdinge in dieser Moschee, welche sich auch noch dadurch auszeichnet, daß alle Jahre am letzten Freitage des Ramadan der Vizekönig mit allen seinen Großen und Beamten sie in Zermonie besucht.

Die wunderbaren Gegenstände bestehen: erstens in einer Säule, welche der große Amru, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, voneinander hauen wollte, ihr aber nur einen tiefen Einschnitt mit seinem Damaszenersäbel beibrachte, ein Effekt, der durch eine Ader des Marmors artig dargestellt wird; zweitens in einem Doppelpaare anderer Säulen, die eine ähnliche Eigenschaft haben sollen als die berühmten zwei in der heiligen Moschee zu Kéruan, nämlich daß nur der Gerechte sich gefahrlos durch sie hindurchdrängt, der Sünder aber darin stecken bleibt. Sie gaben heute zu einem lustigen Intermezzo Anlaß. Der Kawaß Seiner Hoheit, der mich, ich mag wollen oder nicht, überall hinbegleitet, ein langer dürrer Alter mit einer sehr langen Nase und breitem Munde, trägt, wie bereits gemeldet, als Zeichen seiner Würde einen ebenso langen Stab als er selbst ist, von einer silbernen Maschine mit mehreren Schellen gekrönt, die ganz unsern Kinderklappern gleicht, weswegen ich ihm den Namen meiner obligaten Klapperschlange gegeben habe, mit welchem er jetzt auch allgemein von meiner europäischen Umgebung bezeichnet wird. Besagte Klapperschlange ließ sich also nach langem Sträuben von mir überreden, sein Glück zwischen den verhängnisvollen Säulen zu versuchen, und siehe – so stark ist die Macht der Einbildung! – er blieb stecken trotz seiner Magerkeit, ward erst kirschrot, dann leichenblaß und wäre am Ende vielleicht vom Schlage gerührt worden, wenn ihn nicht der starke Ackermann gepackt und gewaltsam durchgeschoben hätte. Dieser beeilte sich, ihm hierauf selbst wohlgemut zu folgen, obgleich um die Hälfte dicker und auch in der Moralität ihm wahrscheinlich nicht sehr überlegen, freilich aber ein rechtgläubig katholischer Christ und der andere nur ein muhamedanisches Teufelskind, was keinen kleinen Unterschied hervorbringt. Die übrigen Muselmänner meiner Begleitung wollten nach dieser unglücklichen Probe keine zweite Darstellung derselben liefern, und so setzte ich lachend meinen Weg nach Thura fort.

Hinter Fostat wird der mehr als eine Viertelmeile breite Fluß durch eine Reihe uralter Sykomore begrenzt und bietet eine schöne Aussicht auf Dschiseh und die lange Pyramidenfolge am andern Ufer bis jenseits des Palmenwaldes von Memphis. Nachdem wir uns einige Minuten in dem Atelier aufgehalten hatten, wo die kostbaren Blöcke orientalischen Alabasters für die Moschee Mehemed Alis bearbeitet werden, setzten wir unsern Weg durch eine wüste Gegend längs des Mokkatamm fort, während uns Herr Lesseps, der einer der besten und elegantesten Reiter Frankreichs ist und sein schönes Berberpferd ritt, durch seine alle Spiele der Araber in größter Vollkommenheit nachahmende Geschicklichkeit ergötzte. Der besonnene Schimmel des Vizekönigs, den ich ritt, hätte auch bei dem besten Willen meinerseits nichts ähnliches vollführen können, so daß ich mich mit einem kurzen Galopp geradeaus begnügen mußte, der uns bald in die unermeßlichen Steinbrüche brachte, aus denen die Pyramiden erbaut wurden und wo auch noch mehrere Königsringe und Hieroglyphen nebst kunstvoll ausgehauenen Toren das einstige Walten der alten Ägypter verkünden. Ungeheure Gewölbe ziehen sich tief in die Felsen hinein, doch licht und frei, nicht in der Art der griechischen Steinbrüche durch lange, dunkle Galerien und Irrgänge miteinander verbunden. Der Sandstein bricht in Schichten, welche die Bearbeitung sehr erleichtern und im Steinbruch schon gewissermaßen das Format der kolossalen Steine anzeigen, welche man beim Bau der Pyramiden verwendet hat. Auch jetzt ward fleißig gearbeitet, um für ein gleich gigantisches Unternehmen das Material zu sammeln, welches dann durch eine Eisenbahn zum Wasser gebracht werden soll. Das Werk, von dem ich spreche, ist die von Herrn Linant projektierte und vom Vizekönig bereits genehmigte Sperrung (le barrage) des Nils beim Beginn des Delta, von dem ich noch ausführlichere Nachricht erteilen werde und dem, wenn es gelingt, wie man hofft, kaum ein Bau alter und neuer Zeit sowohl hinsichtlich seiner Folgen als der Kühnheit des Planes an die Seite zu stellen sein möchte. Es war dieses Umstandes halber doppelt angenehm für mich, daß Herr Linant selbst, dieser ebenso anspruchslose als durch seine geniale Tätigkeit ausgezeichnete Mann, sich ebenfalls unter meinen gütigen Begleitern fand. Herr Linant bewohnt Ägypten schon seit sieben Jahren, und die Lesewelt kennt seine Reisen in Arabien und nach Meroë, von dessen Ruinen er die ersten authentischen Zeichnungen lieferte. Er hat sich die Sprache und Sitten der Araber während dieser Zeit in solchem Grade zueigen zu machen gewußt, daß er, sich unter sie mischend, sooft er wollte, für einen der Ihrigen angesehen wurde, und er selbst fand so viel Geschmack an dem freien Naturleben dieser merkwürdigen Menschenrasse, daß er uns mehrmals versicherte, er habe die glücklichsten Tage, deren er sich erinnere, in seiner Besitzung am Berge Sinai zugebracht, und dort gedenke er auch einst sein Leben zu beschließen. Ein gewinnendes Äußeres, die sanftesten Formen, mannigfache wissenschaftliche Bildung, ein feuriger, unternehmender Geist, verbunden mit großer Ruhe und Beharrlichkeit, machen in der Tat Herrn Linant zu einem Manne, der jeder Nation, durch Geburt oder Wahl, zur Ehre gereichen muß.

Herr Linant war wörtlich in den Steinbrüchen zu Hause, denn er, der so wenig Bedürfnisse kennt, verlebte hier mehrere Monate lang in einer Höhle, um die Arbeiter selbst zu leiten und durch seine stete Gegenwart zu ermuntern, konnte es aber, trotz aller angewandten Mühe, dennoch nicht dahin bringen, daß sie gleich ihren Vorbildern, den alten Ägyptern, tief in den Felsen hineinarbeiteten, statt nach ihrer jetzigen Weise sehr unzweckmäßig nur von außen abzuräumen. Die Furcht vor den unterirdischen Geistern ist so stark bei ihnen, daß sie erklärten, lieber sterben zu wollen, als sich der Gemeinschaft mit solchen Genossen in der Felsen Tiefe auszusetzen, für deren kabbalistische Zeichen sie die hie und da an den Steinwänden befindlichen Hieroglyphen noch immer ansehen. Wir selbst waren bei unsern Untersuchungen nicht so glücklich, von Geistern beunruhigt zu werden, es müßte denn in der Gestalt wilder Tauben und Fledermäuse gewesen sein, deren uns gar viele mit schwarzem Fittich umkreisten.

Die Artillerieschule zu Thura, auch eine der großartigen Schöpfungen des Vizekönigs, ist die einzige dieser Art, welche nicht durch einen Franzosen, sondern durch einen Spanier, General Seguerra, organisiert wurde, seit seinem Abgange jedoch mehrere nachteilige Veränderungen erlitten und sehr viel an ihm verloren zu haben scheint.

Seguerra, der als Artillerieoberst im spanischen Kriege gegen Frankreich mit vieler Auszeichnung gedient hatte und, wie man versichert, sein Fach aus dem Fundamente verstand, ist als der Schöpfer des ganzen ägyptischen Artilleriewesens anzusehen, und sein Verlust ist unersetzt geblieben, die Artillerieschule selbst aber mit allen andern militärischen Etablissements dieser Art auch in die Hände Muktar Beys, gewiß des unwissendsten, anmaßendsten, mit einem Wort inkapabelsten Menschen gefallen, den der Vizekönig in seinem Dienste hat und dem dieser leider ein unerklärliches Vertrauen schenkt, weil er sein Landsmann ist, die Eigenschaften eines guten Hofmannes besitzt und sieben Jahre in Frankreich auf Kosten des Vizekönigs studiert hat, ohne aus diesem Lande, dessen Sprache allein ausgenommen, etwas anderes als eine zehnfach erhöhte Arroganz nebst dem Laster des Trunkes im unsinnigsten Maße mitzubringen. Seinen Intrigen ist hauptsächlich der Abgang Seguerras zu verdanken, eine der vielen Wunden, die er weniger vielleicht aus üblem Willen als aus kapriziöser Dummheit dem Interesse seines zu gütigen Herrn beigebracht hat. Seguerra war ein Mann de «l'ancienne roche», der seine Schuldigkeit auf das äußerste erfüllte, aber dies auch von allen andern mit großer Härte und ohne Nachsicht verlangte. Seine Formen mögen dabei allerdings etwas zu stolz und barsch gewesen sein, und da er keinen verschonte, er mochte sein, wer er wollte, so konnte es nicht fehlen, daß er sich viele geheime und offene Feinde zuzog. Er äußerte häufig, daß er in Ägypten von niemand als von Mehemed Ali selbst Befehle annehmen wolle, da niemand außer ihm hier sei, der von seinem Fache soviel verstehe als er selbst. In der Tat schickte er auch mehr als einmal dergleichen Befehle an den Minister zurück mit der Weisung, daß dieser erst lernen müsse, um was es sich handle, ehe er Befehle erteile, die unsinnig und unausführbar seien und folglich von ihm nicht beachtet werden könnten. Wolle man ihn aber mit Mehemed Alis souveräner Autorität drängen, so werde er die Schule verlassen und verlange seinen Abschied. Bei einem dieser Zwiste, die nicht selten vorfielen, erzwang er, nachdem er das ihm erteilte Oberstenpatent zurückgesandt hatte, als öffentliche Satisfaktion den feierlichen Besuch Mehemed Alis in der Artillerieschule und, nach abgehaltener Prüfung der Zöglinge, die sehr glänzend ausfiel, seine Ernennung zum ägyptischen General. Endlich wurden indes die stets wiederholten Schikanen dennoch zuviel für ihn, so daß er bestimmt und unwiderruflich erklärte, nicht länger in den hiesigen Diensten bleiben zu wollen, und trotz aller Bemühungen Mehemed Alis, der sein Verdienst wohl erkannte, kurz darauf nach Spanien zurückkehrte, wo er jetzt einen hohen Posten bekleidet und einer der einflußreichsten Anhänger der Königin ist. Bei aller Stärke seines Charakters scheint jedoch Seguerra eine Schwäche gehabt zu haben, die nicht wenig zu dem Abbrechen seiner hiesigen Karriere beigetragen haben mag, denn die Türken fürchteten ihn zu sehr, um ohne fremde Hilfe so konsequent in seiner Verfolgung geblieben zu sein. Diese Schwäche war ein ganz irrationeller Franzosenhaß, der bei jeder Gelegenheit ausbrach und ihn, der sich sonst voll Edelmut und Dienstfertigkeit für die Fremden aller anderen Nationen zeigte, zu offenbaren Ungerechtigkeiten verleitete, sobald ein Franzose im Spiele war. Dies verfeindete ihn auch mit Soliman Pascha, von dem er ebensowenig als von den Türken eine Abhängigkeit dulden wollte, indem er von ihm sagte: daß Soliman Pascha wohl einer der alten, aber deswegen noch keineswegs einer der guten Soldaten Napoleons sei, von der Artillerie aber jedenfalls nichts verstehe, wenn er auch ein Husarenmanöver kommandieren könne. Was würde der arme Seguerra sagen, wenn er hörte, daß jetzt die besten seiner Schüler zu Schreibern in Muktars Ministerio aus Thura entnommen werden, während man ganz unwissende Günstlinge des Ministers statt ihrer als Offiziere in der Artillerie plaziert, und daß zum Direktor des Examens in derselben Artillerieschule Herr Lubbert, der ägyptische Historiograph, ernannt worden ist, welcher in Paris als «gentilhomme ordinaire de la chambre» den königlichen Theatern vorstand, wo zwar jetzt auch viel Pulver verschossen wird, das Studium der Artillerie aber wahrscheinlich noch weniger zu erlangen ist als Taktik von den sieben Mädchen in Uniform. Dieser Art sind die neuen Einrichtungen Muktar Beys, und obgleich Seguerras Geist auch jetzt noch immer in der von ihm gestifteten und so lange vortrefflich geleiteten Anstalt weht, so ist doch abzusehen, daß unter den obwaltenden Umständen bald jede Spur desselben daraus verschwinden wird, wenn Mehemed Ali nicht bald andere Maßregeln zu ihrer Wiederherstellung ergreift.

Der jetzige Vorsteher in Thura, der diesen Posten nur in einem weit untergeordneteren Grade als früher Seguerra bekleidet und dem beim Empfang unzweckmäßiger Befehle nur Gehorchen und ein stillschweigendes Achselzucken übrigbleibt, ist der Kommandant Bruneau, ein Franzose von Verdienst, und ihm zur Seite steht der in Frankreich erzogene Nazir Mustapha Efendi. Die Gebäude sind einfach, geräumig, dem Zwecke angemessen, aber noch nicht ganz vollendet, das heißt, die Ställe sind noch im Bau begriffen, das Lokal für die Schule selbst aber nebst allen nötigen Wohnungen bereits fertig. Daß nicht weniger Ordnung, Reinlichkeit und Vollständigkeit hier herrscht als in Kasserleng, darf man nach dem, was ich früher gesagt, schon voraussetzen. Auch hier sind die Höfe anmutig mit schattigen Bäumen geziert, und ein herrlicher Exerzierplatz dehnt sich hinter der Anstalt bis an die Vorhügel des Mokkatamm aus. Nach einigem Fußexerzieren der Eleven in dem großen Hofe, das recht gut ausgeführt wurde, begaben wir uns auf den genannten Platz, um den Schießübungen mit Kanonen und Mörsern beizuwohnen. Hier zeigten sich noch die Folgen von dem hohen Grade der Einübung, zu dem es Seguerra bei seinen Eleven gebracht hatte. Ich habe selten besser schießen gesehen, denn bei einer Entfernung von 700 Schritt trafen von 48 mit freier Hand gerichteten Kanonenschüssen 28 die Scheibe, und mehrere der Bomben fielen gleichfalls (auf 1200 Schritt Distanz) sehr nahe dem Ziele nieder.

Die Anstalt ist auf 330 Zöglinge berechnet, von denen jedoch in diesem Augenblick nur 180 vorhanden waren, da der Minister eine bedeutende Anzahl derselben vor dem Verlauf ihrer Studienzeit zu Anstellungen verschiedener Art abberufen hatte, wovon aber die wenigsten zur Artillerie! Die Zahl der Professoren und Lehrer beträgt sechs, und die Wissenschaften, worin sie hauptsächlich Unterricht erteilen, sind: militärisches Zeichnen, wovon ich ausgezeichnete Proben sah, Geometrie, einfache und angewandte Algebra, Mathematik, Mechanik, Fortifikationskunst und orientalische Sprachen. Hinsichtlich des Unterhalts der Eleven herrscht eine noch größere Munifizenz als in Kasserleng, denn sie sind reich und geschmackvoll gleich Linientruppen uniformiert und erhalten nach der neuesten Verordnung Mehemed Alis jeder in Zukunft einen monatlichen Gehalt von 100 bis 150 Piastern. Welche reellen Fortschritte die Zöglinge in den ihnen hier gelehrten Wissenschaften jetzt noch machen, könnte nur ein regelmäßiges Examen genügend dartun; auf gelegentliche Fragen erhielt ich passende und rasche Antworten, und was den guten Anstand wie die äußere militärische Haltung betrifft, so befriedigten die jungen Leute, wenn man billig sein will, gewiß jede verständige Erwartung. Ich sagte schon, daß Thura, wie man annimmt, auf der Stelle des alten Troja steht, welches wahrscheinlich seinen Namen von einer griechischen Soldatenkolonie erhielt.

Herr Linant hatte die Güte gehabt, zu unserer Rückkehr seine Gondel herkommen zu lassen, in der wir uns nach der Bewirtung mit einem guten Gabelfrühstück im Refektorium von Thura sämtlich einschifften. In einer so herrlich eingerichteten Kangsche wie die des Herrn Linant, der selbst eine ausgewählte kleine Bibliothek nicht fehlt, ist es ein himmlischer Genuß, an einem ägyptischen Winterabend den Nil hinabzufahren. Kein Lüftchen bewegte die goldreine Luft, und so schwammen wir, nur vom Stromlauf getrieben, sanft und langsam dahin, dem koptischen Kloster vorüber, wo angeblich Moses als Kind aus dem Wasser gezogen wurde; betrachteten dann das einem anderen Kultus geweihte Haus der Derwische, wo diese alle Freitage im betäubenden Drehtanz die Frommen ihres Glaubens entzücken, und schifften später einem kleinen Palaste vorbei, der dem letzten der Mamluckenhäuptlinge gehört, den Mehemed Ali begnadigte und in Ruhe sein Alter genießen läßt. Er rettete sich aus dem Gemetzel, indem er sich tot stellte und auch als tot forttragen ließ, dann aber die erste günstige Gelegenheit wahrnahm und, obgleich schwer verwundet, glücklich entfloh. Nur einer noch außer ihm entkam gleichfalls durch die Bravour seines Pferdes, das über eine 7 Fuß hohe Mauer sprang, und zwar auf der Seite, wo die Felswand wenigstens 80 Fuß hoch ist, unten den Hals brach, seinen Reiter aber so unverletzt herabbrachte, daß dieser sich, ehe die Verfolgung nahte, zu verbergen imstande war.

Reizend traten beim Schein der untergehenden Sonne die Baummassen der Insel Ruda hervor und warfen ihre Schatten bis auf den gegenüberliegenden Nilometer, über welchen Herr Linant jetzt auf Befehl des Vizekönigs einen leichten maurischen Schutztempel aufführen läßt; dann verschloß die schnell herandringende Nacht den Augen bald jede Aussicht, was für die letzten Minuten der Fahrt alle vielleicht in sich selbst zurückführen mochte, denn ein tiefes Schweigen herrschte, als wir bei Sternenlicht den kleinen Garten meiner Wohnung und die einsame Steintreppe erreichten, welche aus dem Flusse zu ihm hinanführt.


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