Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Abu-Zabel

Ich wende mich jetzt zu einer andern Anstalt, die vielleicht von allen, die dem Vizekönig ihr Dasein verdanken, die außerordentlichste ist. Doch vorher muß ich des merkwürdigen Mannes ausführlich gedenken, ohne den sie nie so ins Leben hätte treten können.

Der würdige Veteran, Sir Sidney Smith und unser genialer Arzt und berühmter Operateur Tiefenbach hatten mir beide Empfehlungsbriefe an ihren gemeinschaftlichen Freund Clot Bey mitgegeben, ein günstiger Umstand, dem ich ohne Zweifel den größten Teil des ausgezeichnet gütigen Empfangs zu danken habe, der mir von dem Chef aller Medizinalanstalten, dem jetzigen General Clot Bey, in Ägypten zuteil ward.

Schon früher hatte sich Clot Bey gütig erboten, mir seine Schöpfung zu Abu-Zabel selbst im Detail zu zeigen, die tägliche Sorgfalt jedoch, welche er dem kranken Ibrahim Pascha gewähren mußte, hatte es bisher immer verhindert. Endlich ward der zehnte Februar dazu festgesetzt. Nur von meinem gefälligen Cicerone, Herrn Lubbert, und dem Generalstabsarzt der Flotte, Herrn Doktor Koch, begleitet, begab ich mich bei guter Zeit nach der Stadt in des Generals freundliche Behausung. Er führte uns in seine Bibliothek, die auch allerlei naturhistorische Gegenstände, zum Beispiel ein schönes Ibisexemplar, enthält, dessen Identität mit dem Ibis der Alten durch mehrere aufgefundne, sehr spezielle hieroglyphische Zeichnungen jetzt wohl außer Zweifel gesetzt ist. Im Hofe des Hauses, der an einen großen Garten stößt, ist zugleich eine sehr artige kleine Menagerie mit wunderhübschen Gazellen wie mehreren andern seltnen Tieren und Vögel eingerichtet, zu deren Anschaffung sich hier so vielfache Gelegenheit findet. Wir verplauderten angenehm eine halbe Stunde während der Besichtigung dieser Dinge, und als Clot Bey im Verlauf der wechselnden Unterhaltung zu seiner Verwunderung erfuhr, daß ich bisher nie eine Reiseapotheke mit mir geführt, so schenkte er mir mit großer Artigkeit eine solche, wohl furniert mit allem in Ägypten Notwendigen, die ich auch als ein sehr wertvolles Andenken seitdem stets bei mir geführt, glücklicherweise aber noch nicht viel gebraucht habe. Um 11 Uhr machten wir uns auf den Weg, Herr Lubbert und ich in einer vierspännigen Kutsche des Vizekönigs, Doktor Koch zu Pferde und Clot Bey, sich selbst in einem sehr gut in Kahira von einem deutschen Sattler gebauten kleinen Gig fahrend, um uns den Weg zu zeigen. Bald befanden wir uns in der Wüste und fuhren ohne Weg und Steg rasch über den festen Sand dahin. Rechts nahm ein Teil des Mokkatamm die Form eines Königl. Sarkophages an, links zogen sich die grünen Pflanzungen hin, welche Herr Bonfort der Wüste abzugewinnen gewußt hat. Schon in weiter Ferne dämmerten hinter uns die Minaretts der stolzen Hauptstadt, im Blau des reinsten Himmels verschwimmend, vor uns aber lag nichts als ein Meer von Sand, vom Winde zu weißen, ihre Formen stets wechselnden Hügeln zusammengeweht.

Eine Stunde nachher erreichten wir ein Kaffeehaus, von einem alten Araber gehalten, der zur Zeit der Schlacht von Heliopolis, die unfern von hier begann, das edle Räuberhandwerk trieb und in dieser Qualität auch seinen Teil am Gefechte nahm. Das heißt, er hielt mit seiner Schar am Mokkatamm, um nach Umständen Freund oder Feind zu plündern. Nichts geht über die poetischen Ausdrücke dieser Araber. «Unser Anführer, Hassan Abassah», sagte er, «war der Löwe der Wüste. Schon vor dem ersten Strahl der Sonne trug ihn jeden Tag sein edles Roß zu Kampf und Gefahr. Bark, vom reinsten Blut der Nedschdi, führte seinen Namen mit der Tat. (Bark heißt Blitz.) Wie er abritt, sah man kein Pferd mehr, man sah nur Sand, einen Augenblick – und man sah nichts!» – Ist das nicht ganz im Stil Lord Byrons?

Er erinnerte sich Murats an der Spitze der «französischen Mamlucken», sprach mit Ehrfurcht von Desaix «dem Gerechten», mit Bewunderung von Kléber, dem er noch heut die Beute dankte, welche er an jenem Tag gemacht; den Gipfel aber erreichte sein Enthusiasmus, wenn er von «Abu-Napartu» erzählte. «Sultan Kebir» (Bezeichnung Buonapartes in Ägypten), rief er, «liebte die Muselmänner, und mit der Spitze einer Stecknadel hätte er alle Moscheen umstoßen können. Man hat uns gesagt, daß er tot sei, gestorben mitten im Meere, und daß die Paschas, die ihn umgaben, gesehen, wie seine Seele gleich einem Feuerfunken auf der Schneide seines Säbels dahinfuhr.»

Ich übergehe den Rest der energischen Erzählung dieses poetischen Kaffeewirts, da jedermann den Verlauf der Schlacht von Heliopolis kennt, in welcher Kléber mit sechstausend Franzosen siebenzigtausend Türken schlug. Jedenfalls hatte sie uns des alten Räubers schlechten Kaffee viel annehmlicher gemacht, und wir begaben uns, nun hinlänglich erfrischt, zu Fuß nach einem nur wenige tausend Schritte entfernten und am Rande der Wüste gelegenen Dorfe, hinter welchem sich ein Hain von Zitronenbäumen ausdehnt. Er wird mit Recht ein heiliger genannt, denn in seiner Mitte befinden sich neben einer erfrischenden Quelle die Reste eines uralten Sykomore, unter dem, der Sage nach, die Jungfrau mit dem Jesuskinde auf ihrer Flucht in Ägypten ruhte. Der Baum ist teils vor Alter abgestorben, teils von dem jahrhundertelang andauernden Raube der Frommen zerstört. Auch wir sammelten hier Reliquien und schnitzten uns außerdem elegante Spazierstöcke aus den jungen Zitronenbäumchen, die den ehrwürdigen greisen Stamm in dichtester Nähe umgaben. Dann wanderten wir zur noch älteren Stadt Heliopolis. Hier steht innerhalb der sehr deutlich zu trassierenden Wälle, welche den weitläuftigen Sonnentempel umgaben, inmitten eines grünen Gerstenfeldes ein schöner Obelisk mit wohlerhaltenen Hieroglyphen und den Ringen des Orzotasen, der 2000 Jahre vor Christo regierte, das einzige Überbleibsel eines weltberühmten Heiligtums. Ein sehr anspruchsloser Pachthof des Ministers Bogos Bey liegt daneben, und der Anblick der Gegend, deren Einförmigkeit nur wenige Palmen unterbrechen, ist öde und traurig. Wir hatten die Wagen hierher bestellt, fanden sie aber nicht und mußten sie auf sehr ermüdende Weise lange im Sande der Wüste aufsuchen. Während dieser Zeit sammelten wir viele schön gezeichnete Kiesel, welche einst eine große Flut in außerordentlicher Menge hergeschwemmt haben muß, und trafen dort auf das Lager einer tunesischen Karawane, die nach Mekka wallfahrtete. Es freute mich, die reiche Tracht der Mogrebiner, wie man sie hier nennt, wiederzusehen, und der Zufall wollte sogar, daß ich einen Mauren meiner Bekanntschaft unter ihnen fand, denn wie das Sprichwort sagt: Berge und Täler bleiben stehen, aber Menschen begegnen sich, und solche Begegnung im fernen Land führt immer eine Art Freude mit sich, war uns der Gegenstand sonst auch noch so gleichgültig.

Das lange Suchen unserer Leute hatte uns verspätet, und es war schon Abend geworden, mit einem wolkigen europäischen Sonnenuntergang, als wir in Abu-Zabel anlangten. Für heute konnte man daher nur noch an Erfrischung und Ruhe denken, die uns Clot Bey mit Profusion bereitet hatte, alles übrige ward auf den nächsten Tag verschoben.

Nachdem mir am Morgen der General die Lehrer der Anstalt, von denen ein großer Teil schon der Schule selbst entnommen wurden, vorgestellt hatte und die Eleven der nahen Musikschule zu Kauka mir eine sehr anmutige Morgenmusik gebracht, begann ich meine Tournee. Man kann nichts Grandioseres und Zweckmäßigeres sehen als diese Anstalt, von der es nur zu bedauern ist, daß sie, besonders als Heilanstalt, so weit von der Hauptstadt entfernt liegt. Dies war indes im Anfang nötig, da das ganze Unternehmen, vorzüglich aber die damit verbundenen Sektionen der Leichen, die öffentliche Behandlung der Geburtshilfe usw., den religiösen Vorurteilen der Muselmänner so schnurstracks entgegentrat, daß man ihnen ein solches Schauspiel nicht zu nahe unter die Augen bringen durfte, und es auch dann noch vielleicht nur dem eisernen Willen Mehemed Alis wie der unermüdlichen, rastlosen Sorge Clot Beys möglich war, nach und nach die Bevölkerung an das ihr Widerstrebendste zu gewöhnen. Bald, glaubt man indes, wird die Zeit reif sein, um noch dezidierter auftreten zu können, und dann ist zu vermuten, daß zwischen Abu-Zabel und Kasserleng ein Tausch stattfinden wird, eine Maßregel, die für beide Etablissements, deren respektive Lokale die neue Einrichtung auch sehr tunlich machen, in der Zukunft nur wohltätig sein kann, weil die medizinische Akademie mit dem Hospital natürlich schicklicher und erfolgreicher in der Hauptstadt plaziert sind, und der Schule dagegen die ländliche Einsamkeit und Entfernung von den Zerstreuungen Kahiras weit besser zusagt. Dennoch werden Jahre vergehen müssen, ehe das Lokal von Kasserleng die erschöpfende Vollendung zu den medizinischen Zwecken erreicht, welche jetzt das Etablissement von Abu-Zabel bereits so glänzend auszeichnet.

Abu-Zabel steht auf demselben Platz, wo während der Schlacht von Heliopolis des Großwesirs Hauptquartier war und wo sie nachher entschieden ward. Die Menge der reinlichen und netten Gebäude umschließt mehrere mit Bäumen bepflanzte schattige Höfe, die eigentlichen Universitätslokale aber bilden ein großes Karree, das reich an sprudelnden Wassern zu einem prächtigen botanischen Garten benutzt ist. In dessen Mitte steht ganz isoliert – die Küche. Ob dies nun den Zweck hat, den unangenehmen Speisegeruch aus den Wohnungen, Lehrsälen, Krankenstuben usw. zu entfernen, oder ob es das Animalische auf eine desto eindringlicher zu den Augen sprechende Weise vom Geistigen abzusondern bestimmt ist oder vielleicht gar in dem Sinne angeordnet wurde, der jenen französischen Arzt vermochte, in jedem großen Hause, wohin man ihn zum erstenmal rief, vor allen dem Koch als seinem besten Krankenlieferanten ein reiches Geschenk zu machen – ist mir nicht genau bekannt geworden. Wenn ich aber über die Küche zum Teil im dunkel blieb, so muß ich desto mehr die herrlich eingerichtete Apotheke rühmen, die eleganteste und angenehm duftendste, in die ich je eingetreten bin, mit einem großen Laboratorium daneben und voll Sammlungen, die selbst einem Laien höchst interessant vorkommen mußten, zum Beispiel in schön geschliffenen Kristallbüchsen aufgestellte Sammlungen aller bekannten Arten von Kaffee und Tee nebst einer Menge andrer so appetissanter Extrakte und kostbarer Essenzen, daß ein Konditorladen nicht anziehender sein könnte. Nur die vortrefflichste Qualität in allen Dingen wird hier geduldet, die strengste Ordnung herrscht ebenso wie in den Sälen des Hospitals, dessen allgemeine Zweckmäßigkeit und Reinlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. Wärter, die das geringste vernachlässigen, werden sogleich bestraft und bei der Rezidive an Ketten geschlossen, was Clot Bey, viel menschlicher und erfolgreicher, dem sonst hier üblichen Kurbatsch oder den Hieben auf die Fußsohlen substituiert hat.

Eine schöne Sammlung anatomischer Präparate, bis in das kleinste Detail die wunderbare Maschine des menschlichen Körpers treu darstellend, und ein erst begonnenes naturhistorisches Kabinett dienen der Anstalt zur Zierde; die Magazine für Vorräte aller Art sind auf das reichlichste versehen, und auch in manchem einzelnen fand ich Neues und Empfehlungswertes. So sind in verschiedenen Lehrsälen die Wände sorgfältig gemalt, aber statt eitler Zierden enthalten sie unser Planetensystem, andere Teile des Himmels, viele mathematische Figuren, eine kolossale Weltkarte usw., gewiß eine sehr gute Einrichtung, um fortwährend durch die Augen zu den Schülern zu sprechen. Unsern Augen begegnete indes in demselben Saal ein weniger anziehendes Schauspiel, nämlich die Sezierung eines bereits sehr übel riechenden Leichnams, dem man überdem die letzte Ehre des Waschens versagt hatte. Kein Muselmann kann sich mit mehr Abscheu von diesem nützlichen Gegenstande abgewendet haben als meine sehr aufgeklärte Wenigkeit. Der Anblick verfolgte mich die ganze Treppe hinauf, bis in die Schlafsäle, wo Clot Bey statt der Tische und Repositorien an den Betten, wie sie in Kasserleng stattfinden, sehr praktisch Wandnischen und Wandschränke hat einrichten lassen, die weniger platzraubend, gesicherter und dauerhafter sind. Die Betten waren regelmäßig, ein Saal mit dem andern abwechselnd, mit grauen und weißen Wolldecken belegt. Auf meine Frage, ob dies irgendeine Bedeutung habe, erwiderte Clot Bey lachend: «Nichts als meine Ordnungsliebe. Man hatte mir diese Decken in doppelter Farbe geliefert, und ich fand das daraus entstehende Quodlibet unangenehm, daher die jetzige Anordnung; aber», setzte er hinzu, «ich hatte viel Mühe, sie dem arabischen Inspektor begreiflich zu machen. Warum, wiederholte dieser fortwährend, sich die unnütze Mühe machen – werden die jungen Leute deshalb wärmer zugedeckt sein?» Ich finde diese Antwort sehr rationell.

Breite und platte Terrassendächer, die oben rund um das ganze Karree führen, bilden eine höchst anmutige Promenade im Kühlen, nach innen vom mannigfachsten Laub des botanischen Gartens, nach außen von den übrigen bebuschten Höfen und darüber von den mobilen, weißen Sandhügeln der Wüste begrenzt. Oft werden auf diesen Terrassen auch die Kollegien gelesen.

Wir begaben uns nun in das nette Amphitheater, welches dem von Montpellier nichts nachgibt, um dem Unterricht in der Experimentalphysik beizuwohnen. Alle Gradins waren vollständig von arabischen Schülern in Uniform besetzt, breite weiße Riemen mit großen Metallplatten als Schloß um den Leib tragend. Ich glaube, es muß diesen Platten wie der Feuchtigkeit der Atmosphäre am heutigen Tage zugeschrieben werden, daß von den Elektrizitäts-Experimenten nicht ein einziges vollständig gelingen wollte. Der Unterricht ward auf eine recht ingeniöse Weise folgendermaßen erteilt. Ein französischer Professor lehrte, und ein neben ihm sitzender arabischer, der seine Studien in Paris gemacht, übersetzte jeden Satz den Schülern in ihre Muttersprache; ein allerdings schwieriges Geschäft bei rein wissenschaftlichen Gegenständen, welches, da so viele Kunstausdrücke in einer weit weniger ausgebildeten Sprache treu wiederzugeben waren, dem jungen Manne auch manchen Schweißtropfen zu kosten schien. Einst rühmten sich die Araber der größten Ärzte in der bekannten Welt; Clot Bey werden sie es zu verdanken haben, wenn sie eine zweite Epoche gleichen Ruhmes zu erreichen bestimmt sind. Er selbst geht mit dem besten Beispiel voran und hat namentlich hier Operationen gemacht, wie sie niemandem vor ihm gelungen sind. Seinem Edelmute macht es dabei Ehre, daß Clot Bey, weit entfernt, einen pekuniären Vorteil von den meisten dieser merkwürdigen Operationen zu ziehen, mehreren der mittellosen Patienten noch Geld dafür zahlt. Einer, dem er eine ungeheure H... Geschwulst von 120 Pfund abgenommen, leitete sogar einen Prozeß gegen ihn ein. Der Mensch war nämlich eine Art Bouffon, der seine monströse Verunstaltung dazu benutzte, von den in den Kaffeehäusern ihr Leben zubringenden Nichtstuern reichliche Almosen zu erbetteln. Jetzt warf er Clot Bey vor, ihm diesen Erwerbszweig entzogen zu haben, und verlangte als Entschädigung eine Pension, die der großmütige Arzt ihm auch nicht hat verweigern wollen.

Dicht neben Abu-Zabel und mit ihm verbunden wiederholt sich fast die gleiche Disposition verschiedener Gebäude zum Behuf einer Veterinärschule. Ich hatte das Unglück, hier wieder auf die Sektion eines alten verfaulten Schimmels zu stoßen, der noch weit schrecklicher stank als sein menschlicher Kamerad. Statt daher die Toilette des in flagranti überraschten Direktors – der sich schnell in das Wasser einer Fontäne geworfen hatte, um fähig zu sein, mir die Honneurs der Anstalt zu machen – abzuwarten, rettete ich mich eiligst zu den Gebärkünstlerinnen in einer andern Abteilung des Etablissements. Diesem Institut arabischer Hebammen (unter denen es übrigens einige äußerst hübsche Mädchen gab) steht eine Pariser Demoiselle als Professorin vor, und es hatte für mich unwürdigen Laien allerdings seine burleske Seite, diese Jungfrau mit so viel Präzision und Sicherheit erklären zu hören, wie ein Kind zur Welt komme, fand aber nachher bei der Prüfung der arabischen Bauernmädchen bei diesen vollkommen ebensoviel Gelehrsamkeit in puncto puncti, mehr in der Tat, als ich mir je selbst anzueignen fähig gewesen war. Eine derselben, welche kaum 14 Jahre zählte, stellte sich auf ein Taburett vor ein großes Gerippe hin und erklärte erst jeden Knochen desselben, dann den Kreislauf des Blutes, endlich alle Gradationen, durch die menschliches semen geht, und dies mit einer Geläufigkeit, wie eine ihresgleichen in Europa kaum einen Wäschezettel ablesen würde. Auch war Clot Bey so entzückt von der Erudition des hübschen Kindes, daß er es mit einem Goldstück beschenkte. Nach vielfach fortgesetzten Examinierungen in der Theorie ward zum Schluß auch praktisch an einem ledernen Unterleibe operiert, in dem ein scheußlicher kleiner Magot aus demselben Stoffe stak, und dieses Embryo dann in allen verschiednen Lagen, die möglich sind, eine halbe Stunde lang immer von neuem zur Welt gebracht, wobei – ich muß es dem Institute zum Ruhme nachsagen – nur selten und nur in den verzweifeltsten Momenten die vollendete Erfahrung der Pariser Demoiselle selbst einzugreifen genötigt war.

Aber es wäre gewiß sehr ungerecht, wenn man über diese komischen Szenen, deren drastische Wirkung die leise eingestreuten Bonmots des Herrn Lubbert fast zum Lachkrampf steigerten, die hohe Nützlichkeit der Sache und die wirklich segensreiche Einwirkung Clot Beys dabei verkennen wollte, dessen überlegnem Wissen selbst die Ulemas alle ihre eingewurzelten Vorurteile beifällig opferten. «Il n'y a que des mauvais sujets comme nous, qui rient de tout», zitierte ich Herrn Lubbert aus Voltaire und bat ihn um des Himmels willen, mich nicht zu kompromittieren, da Clot Bey, der hitzig wie ein Pulverfaß ist, und seine Pariser Gebärmamsell, die ebenfalls wenig Spaß zu verstehen schien, unser verrissenes Lachen bemerkend, ihre beiderseitigen Gesichter bereits in sehr ernste Falten zu legen anfingen.

Alles Leben endigt mit dem Tode, und jeder Tag mit einer Mahlzeit. Obgleich Clot Bey, der immer tätige, wenn er allein speist, nie länger als einige Minuten bei Tische sitzt, so weiß er doch ein überdies ebenso geduldig liebenswürdiger Wirt zu sein, wenn er Gourmands vor sich hat, als sein vortreffliches Mahl durch die reichhaltigste Unterhaltung zu würzen. Ein neuer, sehr interessanter Gast war eben angelangt, der hochwürdige Erzbischof und Patriarch der katholischen Griechen im Orient aus Damaskus, von drei priesterlichen Adjutanten begleitet, ein sehr rüstiger Greis von schönem Äußern, in der Form eines korpulenten Lebemannes und mit dem geistreichen Ausdruck eines gutmütig schlauen Italieners. Während er dem Champagner so angelegentlich wie ich die gebührende Ehre widerfahren ließ, erklärte er mir, worin die griechischen Schismatiker eigentlich von der rechtgläubigen griechischen Kirche abweichen. Es waren nur fünf Artikel, glaube ich, aber alle von gleicher Wichtigkeit. Zum Beispiel das wohltätige Fegefeuer, das die Schismatiker, wie der geehrte Patriarch sehr richtig bemerkte, nur in Worten leugnen und doch der Tat nach anerkennen, weil sie Messe lesen. Dann wollen sie keine Heiligen, weder männlichen noch weiblichen Geschlechts, passieren lassen, was selbst ich sehr gottlos finde, und ziehen dagegen drittens dem gesäuerten Brote ungesäuertes vor, was jedenfalls sehr fade schmecken muß. Der zwei letzten Kontroversen erinnre ich mich nicht mehr, aber man sieht schon aus den angeführten, wie unmöglich es ist, daß zwei sich in so wesentlichen Dingen diametral entgegenstehende Sekten je in Frieden nebeneinander leben können.

Im Verlauf der Unterhaltung widerfuhr mir eine große Ehre. Ich nämlich war es, der dem Patriarchen und seiner Suite die erste Kunde von dem heiligen Baume der Jungfrau erteilte, an dem jener Fürst der Kirche auf seinem weißen Zelter heute ganz unwissend vorbeigeritten war, sich jetzt aber, erstaunt über die aus so weltlichem Munde vernommene Kunde, ernstlich vornahm, das Versäumte mit verdoppelter Andacht morgen nachzuholen. Mit ähnlichen frommen Vorsätzen empfahlen auch wir uns unsrem freundlichen Wirt.


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