Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Das neue Arsenal

Wenn man das Arsenal zum erstenmal betritt und diese kolossale Anstalt mit solid und schön aufgeführten Gebäuden in ihrer ganzen unermeßlichen Ausdehnung überblickt, eine Anstalt, die den meisten ihrer Art in Europa in nichts nachsteht, ja sie in manchen Dingen noch übertrifft, wenn man die größten Schiffe dort im Bau begriffen und lange Magazinreihen mit allem Nötigen angefüllt vorfindet, um eine doppelte Anzahl derselben auf der Stelle vollständig equipieren zu können – wenn einem dann gesagt wird, daß auf dieser selben Stelle vor acht Jahren noch das Meer seine Wogen rollte und die ganze prachtvolle Flotte, die jetzt den Hafen füllt, aus eben diesem Arsenal erst hervorging, so glaubt man fast ein Märchen zu hören. Bedenkt man endlich noch, daß diese Wunder der Tätigkeit und Einsicht in einem Lande der vollendetsten Barbarei, in welchem damals kaum ein einziges der dazu erforderlichen Mittel, Arme und Hände ausgenommen, noch vorhanden waren, durch den unerschütterlichen Willen eines einzigen gegen die Meinung aller seiner Landsleute geschaffen worden sind, so muß sich das Staunen verdoppeln und man gestehen, daß seit den Zeiten Peters des Großen kaum irgendein europäischer Souverän ähnliches in gleicher Zeit zu bewerkstelligen imstande war. Demohngeachtet rastet Mehemed Alis kühner Geist auch jetzt noch nicht, und man ist eben mit einem fast gleichen Riesenwerke beschäftigt, nämlich dem Meer und einem 100 Fuß tiefen, sich darunter hinbreitenden Schlammboden ein beliebig trocken zu legendes Bassin für die ganze Flotte abzugewinnen. Die ungeheuren, mit Steinen angefüllten Kasten, die man zum Behuf der Versenkung auf den Chantiers konstruiert und deren schon viele eingesenkt sind, erreichen ziemlich die Größe der Linienschiffe. Man zweifelt fast allgemein an der Möglichkeit des Gelingens, nur Mehemed Ali zweifelt nicht, denn er kennt, wie Napoleon, das Wort «unmöglich» nicht. Einer der fremden Konsuln sagte ihm abratend: «Euer Hoheit werfen Ihr Geld ins Meer!» – «Allah kherim!» erwiderte der Vizekönig, «seit vielen Jahren tue ich nichts anderes!»

In der Tat mußte Mehemed Ali viel Lehrgeld geben, ehe er zum Zwecke kam, aber eben daß er dieses nie scheute und immer wieder von neuem begann, bis der Erfolg Beharrlichkeit krönte, macht ihn zu dem großen Manne, der er ist. Einem meiner Freunde, der ihm einst vorwarf, sich fortwährend von Abenteurern und unwissenden Projektmachern täuschen und betrügen zu lassen, gab er in dieser Hinsicht eine merkwürdige Antwort. «Ich weiß», sagte er, «daß unter fünfzig Menschen, die aus Europa kommen, mir ihre Dienste anzubieten, neunundvierzig nur unechten Edelsteinen gleichen. Ohne sie zu erproben, kann ich aber den einen echten Brillanten, der vielleicht darunter sein mag, nicht herausfinden. Ich kaufe sie also vorläufig alle, und habe ich dann den rechten entdeckt, so ersetzt er mir oft allein den erlittenen Verlust hundertfältig.» Ein solcher echter Brillant für den Vizekönig ist jetzt Besson, und früher war es Herr von Cerisy.

Schon über eine Million Geld und ein Jahr Zeit hatte Mehemed Ali auf sein Arsenal verwandt, als dieser ausgezeichnete Franzose, nur mit geringen Empfehlungen versehen, in Alexandrien ankam. Er ward dem Vizekönig vorgestellt, der ihm gleich nach der ersten Unterhaltung auftrug, den neuen Bau zu untersuchen und ihm seine Meinung darüber mitzuteilen. Der sehr aufrichtige und etwas barsche Cerisy machte den kurzen, aber energischen Rapport, daß alles bisher Aufgeführte nicht nur nichts tauge, sondern selbst der Ort, den man dazu gewählt, ganz unpassend sei. Man kann sich denken, welche Interessen ein solcher Ausspruch beleidigen, welche Intrigen er hervorrufen mußte! Mehemed Ali, ohne sich irre machen zu lassen, befahl dem Herrn von Cerisy, ihm in einem detaillierten Mémoire die Sache genauer auseinanderzusetzen und zugleich einen neuen Bauplan, ganz nach seiner individuellen Ansicht, einzureichen. Nachdem er diesen sorgfältig geprüft und des Franzosen siegende Gründe ihn überzeugt hatten, ließ er auf der Stelle den alten Bau sistieren, vergaß die unnütz verwandten Summen, und der neue begann in demselben Moment. Hier war, sozusagen, Meer und Land erst zu schaffen, doch nichts hielt den Vizekönig auf. Das Wasserbassin ward ausgegraben, das fehlende Land aufgekarrt, und schon nach vier Jahren wurden mehrere der größten Linienschiffe aus dem fertigen Arsenal vom Stapel gelassen, das gleich ihnen aus dem Nichts hervorgerufen worden war. Dies sind Charakterzüge eines Reformators, eines Mannes, der einer Idee und nur ihr lebt und von keiner Schwierigkeit abgeschreckt wird – leider nur zu abstechend gegen die Unentschlossenheit, die kleinlichen, ärmlichen Rücksichten und Mittelchen, die wir so häufig im altersschwachen Europa angewendet sehen, ohne damit je aus den provisorischen Zuständen herauszukommen. Um jedoch auch die Schattenseite der hiesigen Unternehmung nicht zu übergehen, so kann allerdings nicht geleugnet werden, daß Mehemed Alis zu große Ungeduld im Verfolg seiner Pläne ihm vielen Nachteil gebracht und noch größeren bringen wird. Cerisy ward, trotz seiner wiederholten Gegenvorstellungen, gezwungen, seine Schiffe aus zu frischen Hölzern zu erbauen, infolgedessen die ganze Flotte den Keim ihres Verderbens vor der Zeit in sich trägt. Der Vizekönig war dafür nicht blind, aber er bewog Cerisy dadurch zum Gehorsam, daß er ihm sagte: «Ich brauche diese Schiffe, und ich brauche sie bald! Haben sie ihren Dienst erst getan, wie ich hoffe, so mögen sie nachher immerhin zwanzig Jahre früher verfaulen.» Das Schicksal hat diese Hoffnung nicht erfüllt, man kann jedoch nicht behaupten, allein durch Mehemed Alis eigne Schuld.

Es kann meine Absicht nicht sein, das hiesige Arsenal im Detail zu beschreiben, da dergleichen Etablissements hinlänglich bekannt sind und sich überall mehr oder weniger gleichen müssen. Ich hebe nur einiges hervor, was mir besonders auffiel. Dahin gehört die vortrefflich eingerichtete Seilerwerkstatt, welche der von Toulon an Größe gleicht und sie an Zweckmäßigkeit der Einrichtung übertrifft. Auch ist hier die ingeniöse, von einem Franzosen erfundene neue Maschine zur Drehung der Taue in Wirksamkeit, deren Arbeit mir an Schnelligkeit und Güte der besten englischen dieser Art nichts nachzugeben schien.

An Ordnung und skrupulöser Reinlichkeit, sowohl in den Magazinen als in den Arbeitslokalen, stehen die französischen Arsenäle, die ich gesehen, dezidiert dem hiesigen nach. Eine vortreffliche Einrichtung unter andern ist die, daß nach Feierabend alle über Tag gebrauchten Instrumente an den Wänden und Pfeilern in verschiednen, ein für allemal angeordneten, zierlichen Dessins, wie es zum Schmuck der Waffensäle üblich ist, von den Arbeitern aufgehangen werden müssen, bevor diese das Lokal verlassen dürfen. Dies gibt nicht nur eine elegante Dekoration, sondern hat auch den Vorteil, daß nie Instrumente verlegt oder verloren werden können, eine Entwendung aber auf der Stelle sichtbar wird. Diese wie so viele andere zweckmäßige Einrichtungen dankt das Arsenal hauptsächlich der nie rastenden Fürsorge des Generals Besson, der den genialen Gründer desselben, den für Ägypten unsterblichen Cerisy, so würdig ersetzt hat.

In den Magazinen erblickt man, die feinern nautischen und mathematischen Instrumente ausgenommen, jetzt nur noch wenig europäische Produkte. Waffen, Papier, Kleidung, Leinwand, Lederwerk, Tuch (das letztere zum Teil aus Baumwolle), alles ist schon aus ägyptischen, vom Vizekönig angelegten Fabriken bezogen.

Drei Linienschiffe befanden sich in diesem Augenblick im Bau, unter Chantiers, die das Klima hier erlaubt, unbedeckt zu lassen. In den aus großen Quadern bestehenden Untermauern derselben waren mehrere antike Granitsäulen und ägyptische Figuren nicht ohne Geschmack angebracht, was als ein Beweis der fortschreitenden muselmännischen Zivilisation auch in ästhetischer Hinsicht der Erwähnung wert ist.


Die Flotte

Die effektive Seemacht Ägyptens im Jahre 1837 bestand aus

Kanonen u. Coronn. Pfünder Schiffsmannsch.
Linienschiffen:
Acre 104 30 1200
Massr 104 1200
Mohallet el Kubra 100 1150
Skander 100 1150
Mansurah 100 1150
Iloms 100 1150
Beleng 96 30 1000
Abukir 82 950

Fregatten:
Avadalla 64 600
Raschid 60 24 580
Beherah 60 580
Mufta-dschehad 60 580
Dschir-dschehad 60 580
Kafferschåk 60 580
Damiat 54 500

Korvetten:
Tantah 24 30 200
Dschenah-Bacharih 24 190
Belenghi-dschehad 22 18 190
Dschehad-Beker 22 190

Briggs:
Schaika 18 16 120
Waschmyton 18 100
Semendi-dschehad 18 100
Bedi-dschehad 16 100
Scheinderi 16 16 90
Theinsach 16 12 90
Schabas-dschehad 14 16 90
Kutter 10 50
Dampfschiff «Nile» 4 30 150
2 Kan. à la Pexhans
1428 Feuerschlünde 14 610
Bewaffnete Transports, deren Equipage 1080
Arsenal, Zimmerleute, Kalfaterer, Tischler 4500
Schiffsmannschaften total 20 190

NB. Das ganze Personal des Arsenals ist als militärische Ouvriers organisiert und versteht im Notfall auch seinen Schuß zu tun.


Schiffe, die sich noch auf den Chantiers befinden:

Linienschiff Nr. 9. 100 Kanonen u. Coronn. zu 30

Linienschiff Nr. 10. 88 Kanonen u. Coronn. zu –

Linienschiff Nr. 11. 100 Kanonen u. Coronn. zu –

Linienschiff Nr. 12. Von diesem sind zwar alle Teile fertig, aber es befindet sich zur Zusammensetzung noch nicht auf den Chantiers.

Drei Fregatten ersten Ranges sind eben so weit gediehen, jede zu 64 Coronnaden, 30 PfünderZwei Jahre später alle vollendet. .

Die mit dem Arsenal verbundene Seeschule von Rassetin enthält 1200 Eleven, welche auf Kosten des Gouvernements unterrichtet, uniformiert und gänzlich unterhalten werden, außerdem aber noch jeder monatlich von 20 bis 100 Piaster Gehalt bezieht!

Diese Eleven liefern die nötigen Subjekte für die Marine und zum Teil auch für die Bedürfnisse der Administration.

Außerdem befinden sich zwei rein nautische Schulen, deren Elevenzahl nicht fixiert ist, an Bord der Linienschiffe «Acre» und «Mansurah». Die Bedingungen sind die nämlichen, jeder Eleve erhält aber hier 100 Piaster monatlichen Gehalts. Unter diesen befindet sich auch des Vizekönigs Sohn Said Bey, der dieselbe Summe bezieht, auf ähnliche Art wie einst der König von Frankreich einen Gehalt als Domherr zu Auch empfing.

Die Seeleute sind folgendermaßen gestellt. Jedem Seemann bewilligt das Gouvernement jährlich:

3 komplette baumwollene Anzüge, nämlich
1 von Zeuch zur Arbeit,
1 feinen Anzug für die festlichen Tage,
1 Capotte für den Winter,
2 Tarbusch (Fes),
4 Hemden,
4 Paar Schuhe,
hinlängliche Seife zum Waschen seiner Effekten.

Die Matrosen zerfallen in vier Klassen.
Die erste Klasse erhält monatlich 30 Piaster,
die zweite Klasse erhält monatlich 25 Piaster,
die dritte Klasse erhält monatlich 20 Piaster,
die vierte Klasse erhält monatlich 15 Piaster.
(Diese letztere besteht aus den Rekruten.)

Die Mestrance wird in derselben Proportion bezahlt.

Die Ration besteht aus den zweckmäßigsten und gesündesten Nahrungsmitteln und ist völlig hinlänglich, zwei Personen zu nähren. Seine Hoheit erhält überdem alle männlichen Kinder der Seeleute und gewährt ihnen vom Augenblick der Geburt an eine volle Ration, dieselbe wie dem Vater, nebst fünf Piaster monatlich an Geld.

Die Invaliden der Marine werden in ihren respektiven Wohnort zurückgesandt. Sie erhalten dort monatlich 30 Piaster Pension und werden zugleich als Aufseher bei verschiedenen Gegenständen verwandt, so daß die, welche noch zu arbeiten fähig sind, außerdem die Bezahlung dafür mit ihrer Pension vereinigen können.


Offizierkorps der Marine

Mustapha Pascha, welcher die ganze Seemacht en chef kommandiert, hat solange den Rang als temporärer Admiral, ist aber effektiv nur Vizeadmiral oder Generalleutnant.

Der Vizeadmiral ist gleichfalls temporär und nur Miriliva (Maréchal de camp) und Chef des Generalstabs der Eskadre. Dies ist der Posten Besson Beys. Der Konteradmiral ist auch Miriliva oder Maréchal de camp und zugleich Präsident des Conseils der Marine, was ihm einen überwiegenden Einfluß gibt. Diese Stelle bekleidet Hassan Bey, ein europäisch gebildeter Türke, dessen ich später noch weiter erwähnen werde.

Schiffskapitäne gibt es erster und zweiter Klasse. Die der ersten sind Beys und haben den Rang als Obersten in der Armee; die zweiter Klasse den eines Oberstleutnants.

Die Fregattenkapitäne teilen sich gleichfalls in die erster und zweiter Klasse. Die ersten haben den Rang als chef de bataillon, die zweiten als Majore erster Klasse und werden zugleich als zweite Schiffskapitäne oder als kommandierende Korvettenkapitäne employiert.

Die Kapitäne der Briggs sind Majore zweiter Klasse und werden auch zu Seconds der Fregatten oder Korvetten ohne Unterschied verwandt.

Die SchiffsleutnantsUnter Schiff wird hier immer Linienschiff verstanden. sind ebenfalls erster und zweiter Klasse, haben Kapitänsrang und dienen als Seconds für Korvetten und Briggs.

Die Fregattenleutnants, auch von zwei Klassen, haben den Rang als Premierleutnants.

Die Aspirants von erster und zweiter Klasse haben den Rang als Secondeleutnants.

 

Diese kurzen, aber ganz zuverlässigen Nachrichten werden genügen, einen richtigen Begriff von dem Belang der Seemacht Mehemed Alis zu geben, und verbunden mit dem, was ich im Verlauf dieses Werks über die Landarmee, den Länderumfang, die Einkünfte und Ressourcen des ägyptisch-nubisch-syrischen Reiches (wie es damals war) noch zu berichten haben werde, berechtigten sie mich wohl zu dem Glauben, daß es nur eine allen Parteien nachteilige Anomalie herbeiführe, einem Manne, welcher de facto ein mächtiger selbständiger Monarch ist, fortdauernd in der offiziellen Stellung eines abhängigen Pascha erhalten zu wollen. Ich dachte mir beim Anblick dieser großen, reellen Macht, daß wir in Europa mehrere Könige haben, deren Königreich kaum einer Provinz des Pascha an Umfang gleich kommt, so wie ihre Einkünfte nicht den zehnten Teil der Mehemed Alis erreichen, und so viel andere Souveräne außerdem, die nicht einmal mit einem Statthalter Mehemed Alis, wie zum Beispiel denen von Kandia und Sudan, an Macht und Glanz wetteifern können, ja von denen einige in der Tat nur als umfassungsreichere Grundbesitzer, wie es zum Beispiel die Herzöge Englands sind, mit einer von Gottes Gnaden hinzugefügten Souveränität erscheinen. Es mußte daher fortwährend zu gewaltsamen Folgen führen, daß ein so unnatürliches Verhältnis wie das jetzige aufrechterhalten wurde, und eine gesunde Politik hätte vielleicht einen solchen Zustand wohl nicht einmal zu erhalten wünschen sollen, selbst die der Pforte nicht, der ein mächtiger, durch gleiche Religion und folglich in der Hauptsache (Erhaltung der muselmännischen Herrschaft überhaupt) auch durch gleiches Interesse verbundener, unabhängiger Freund nötiger tut als ein – solange er seine Selbständigkeit nicht erreicht hat – stets gefährlich ihr gegenüberstehender Vasall, der es nur dem Namen nach ist und der an reeller kompakter Gewalt sie schon einmal weit überragte.


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