Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Schule von Kasserleng. Die Insel Ruda

Obgleich man gewöhnlich den Fremden zu versichern pflegt, daß es in Kahira nie regne, so wurden wir doch auf dem Rückweg von einem gewaltigen Gewitter überrascht, dem ein zweistündiger Platzregen gleich einem Wolkenbruche folgte und uns bis auf die Haut durchnäßte. Doch ließ ich mich nicht abhalten, noch einen Besuch in der Schule von Kasserleng (Kasr-el-Ain) zu machen, die erste der vom Vizekönig geschaffenen Anstalten dieser Art, die ich sah und deren musterhafte Einrichtung jeden Unparteiischen mit Achtung für ihren Gründer erfüllen muß. Mehrere zusammenhängende zweistöckige und großartige Gebäude im europäischen Stil umschlossen einen Garten und einen großen, mit Baumalleen bepflanzten Hof, in dessen Mitte die Moschee steht. Die erwähnten Gebäude enthalten Wohnungs-, Schlaf-, Speise-, Kranken- und Unterrichtssäle für zweitausend Schüler, nebst den Wohnungen der Lehrer und Diener, einem großen Bade, den Küchen, Vorratskammern usw. Jeder Saal hat seine besonderen, anständig gekleideten Diener, welche auch bei Tafel servieren, und die strengste Ordnung und Reinlichkeit herrschte von der Schwelle bis zum Dache. Die Schüler sind sämtlich uniformiert und werden alle Jahre neu gekleidet. Jeder hat ein Bett mit eiserner Bettstelle, einen verschlossenen Schrank für seine Habseligkeiten, eine Matte mit Teppich und ein Kissen zum Sitzen. Der Gebrauch der Zeit ist militärisch geregelt, und um die jungen Leute nie aus der Ordnung zu lassen, müssen sie, selbst zum Unterricht wie zur Tafel, stets militärisch marschieren. Ich war bei ihrer Mahlzeit gegenwärtig, deren zwei des Tages stattfinden und die ich besser und reichhaltiger als in irgendeiner unsrer, mir wenigstens bekannten, deutschen Schulanstalten fand, besonders solchen, welche auf Kosten des Gouvernements bestehen. Die Eleven aßen in zwei Sälen, an runden, von Bänken umgebenen Tischen, je zehn zu zehn miteinander, höchst anständig in ihrem Benehmen, obgleich mit voller Freiheit der Unterhaltung, und auch durch keinen Besuch im mindesten gehindert, wäre es auch der des Vizekönigs selbst, da es eine sehr vernünftige und humane Bestimmung türkischer Sitte ist, daß beim Essen niemand aufsteht noch grüßt oder zu sonstigen Respektsbezeugungen verbunden ist, es mag kommen, wer da will. Dies gilt auch für alle Dienerschaft, und selbst Tiere werden nur im höchsten Notfall während ihrer Fütterung gestört.

Die Aussicht aus den hohen offenstehenden Fenstern dieser Säle auf die neuen Anlagen Ibrahims, die dahinter liegende, in Palmen eingehüllte Stadt, auf die Zitadelle und den weit hingestreckten dunklen Mokkatamm mit seinen verschiedenen kleineren Forts im vollen Glanz der jetzt wieder hervortretenden Sonne war bezaubernd schön – eine wahre Bildergalerie für die Speisenden –, und daß man auch hier nicht unempfindlich für diese Naturschönheiten blieb, bewies uns schon der arabische Lehrer, der mich sogleich darauf aufmerksam gemacht hatte. Der Unterricht, den die Knaben erhalten, ist der Tendenz der Schule angemessen, die den Übergang von der Primärschule zu den höheren zu machen bestimmt ist. Die militärische Bildung geht damit Hand in Hand, worüber ich nicht selten tadelnde Anmerkungen hörte. Meines Erachtens entspringt daraus nur ein doppelter Vorteil für die zu erziehende Jugend, wenn er auch zugleich den Privatzwecken des Vizekönigs dienen mag. Ein sehr intelligenter, vortrefflicher junger Mann, Mustapha Bey, ein Ägypter, der seine Bildung in Europa empfing, steht an der Spitze dieses Etablissements, und die Leidenschaft, die ihn selbst dafür beseelt, sprach ihm aus den Augen, gewiß der sicherste Bürge für eine gute Amtsführung in jedem Fach.

Da sich das Wetter aufgeklärt hatte, wollte ich es benutzen, um dem Vizekönig noch einen Besuch zu machen, hörte aber, daß er nach Alt-Kahira geritten sei. Ich wandte daher mein Pferd nach derselben Richtung, in der Hoffnung, ihm zu begegnen und bei dieser Gelegenheit auch zu sehen, in welcher Weise er sich dem Publiko zeige. Es dauerte nicht lange, als schon ein vorreitender Kawaß sein Kommen anzeigte. Ich rangierte mich mit den Umstehenden, um Seine Hoheit vorbeizulassen, sobald Mehemed Ali mich indes gewahr ward, winkte er mir, mich an seine Seite zu begeben, und ich begleitete ihn dann bis zum Palast zurück. Er war ohne allen Prunk, nur von einem sehr kleinen Gefolge umgeben, unter dem sich besonders Menich Pascha durch seine hohe Gestalt und kriegerische Haltung auszeichnete. Achmed Menich Pascha ist ein in Ägypten berühmter Kavalleriegeneral, der seit kurzem erst zum Kriegsminister ernannt wurde und durch seinen glänzenden Angriff mit dem Garderegiment, welches er damals kommandierte, viel zum glücklichen Ausgange der Schlacht von Konieh beitrug.

Der Vizekönig selbst zeichnete sich von den übrigen nur durch seine größere Einfachheit aus. Überall schienen aber des Volkes Blicke, das sich ehrerbietig bei seiner Erscheinung aufstellte, ihm mit Liebe und Bewunderung ohne alle Anzeichen sklavischer Furcht zu folgen; eine Behauptung, welche in Europa manchen überraschen wird; aber ich überzeugte mich hundertmal, daß Mehemed Ali in seinem Lande wirklich, trotz aller despotischen Maßregeln, populär bei großen wie kleinen ist: der beste Beweis, daß seine Regierung hier nicht so unpassend sein muß, als unsere Theoretiker sie beurteilen. Er grüßte fortwährend rechts und links mit vieler Grazie und Freundlichkeit, ohne seine lebhafte Unterhaltung mit mir einen Augenblick zu unterbrechen. So erreichten wir den Palast, wo ich mich beurlaubte, um den schönen, vom Regen köstlich erfrischten Abend auf der nahen Insel Ruda zuzubringen. Diese so reizende, baumreiche Insel ist leider durch den unglücklichen Gedanken sehr verdorben worden, auf derselben einen sogenannten englischen Garten oder Park anzulegen. ich habe schon früher bemerkt, daß Gärten in diesem Geschmack, dessen Hauptelemente Frische, Wald, Wiesen und Rasenplätze sind und der weniger einer erhabenen, als vielmehr freundlichen und ländlichen Natur zusagt, für das hiesige Klima und den imposanten Ernst Ägyptens durchaus unpassend sind. Diese bisher nur a priori gefaßte Idee fand ich nun hier auf das vollste durch den Augenschein bestätigt, und um so kläglicher war das Resultat, da ein höchst unwissendes Subjekt, ein wahrer John-Bull-Gärtner, wie es deren in England jetzt nur zu viele gibt, den geschmacklosesten Unsinn mit ungeheuren Kosten hier zusammengehäuft hat. Dahin gehört unter andern ein lächerliches Gebäude, im Stil echter englischer Nonsens-Architektur ausgeführt, wo alle Bauordnungen untereinander gemengt sind, die griechische aber vorherrschen soll, wozu es denn bewundernswürdig gut paßt, daß eine der Fassaden eine Muschelgrotte mit natürlichen Felsen darstellt, die überdies höchst ungeschickt nachgeahmt sind. Diesem ist noch die ganz zwecklose Unbequemlichkeit hinzugefügt, daß man sich durch den kaum fußbreiten, gewundenen und niedrigen Eingang nur tief gebückt hindurchwinden kann, um in den innern dunklen Raum der Grotte zu gelangen, den Kulminationspunkt des Ganzen, wo, auf vorhergegangene Bestellung, zwei Minuten lang eine kleine Kaskade herabfällt, zu der eine Zisterne auf dem Dache das Wasser liefert. Vor dem Eingang dieser absurden Spielerei sind außerhalb Stufensitze angebracht, von denen man die Aussicht auf einen in irregulären Schlangenlinien geformten See hat, dessen schroffe Grenzen, um sie noch unnatürlicher zu machen, durch wohlgeputzte Steinmauern mit einer runden Wulst darüber eingefaßt sind. Weiterhin läuft diese Wasserpartie in einen engen, oft zum Überspringen schmalen Kanal aus, der sich, fortwährend von gleichen Mauern eingefaßt, in den Windungen eines Korkziehers und voll von stinkendem Schlamm wie ein ekelhaftes Reptil durch den ganzen Park schlängelt, bis er an seinem Ende wieder ein kleines Becken bildet, das genau die Gestalt eines gewissen Meubles hat, welches reinliche Personen bei ihrer Morgen- und Abendtoilette gebrauchen. Das grüne Wasser dieses Kanals ist von kümmernden und vertrockneten Shrubs oder Kleefeldern eingefaßt, die der hier unentbehrlichen Bewässerung wegen statt einer glatten Pelouse, nur eine Menge kleiner, erhabener Karrees wie in einem Gemüsegarten zeigen. Selbst die hierauf verteilten losen Baumgruppen machen daher einen widerlichen Effekt, ungefähr so, als wenn man dergleichen bei uns statt auf einer Wiese oder einem Weideplatz mitten in ein Kartoffelfeld oder einen Gemüsegarten pflanzen wollte. Man sieht hier, was das apropos bei jeder Sache tut, da in den rechtwinkligen, von graden Alleen durchschnittenen Figuren der von mir gerühmten Promenaden um Kahira diese selben regelmäßigen, freien Kleekarrees, die dort, als bloße Füllungen benutzt, einem kolossalen Damenbrette gleichen und in Harmonie mit den ebenso regelmäßig sie umschließenden Gängen einen dem Auge wohlgefälligen und originellen Anblick gewähren, hier, wo sie der Natur nachgeahmte Waldplätze und Wiesengründe darstellen sollen, nur die ungeschickteste Wirkung hervorbringen.

Die Bestrebung, dem Terrain durch künstliche Erhöhungen mehr Bewegung zu geben und einzelne Hügel zu formieren, ist ebenso widersinnig ausgefallen, da die ersteren durch ihre unnatürliche Form nur Dämmen und die anderen Tumulis ähnlich sehen. Aber selbst in den Pflanzungen hat sich dieser insularische Künstler als der größte Stümper dargetan. Einige gigantische alte Sykomorebäume, die, mit Geschmack benutzt, zu den grandiosesten Partien Gelegenheit gegeben haben würden, sind durch die Vorpflanzung flattriger Pappeln und Weiden entweder ganz versteckt oder ihre imposante Wirkung doch gänzlich gestört worden. Die Shrubs sind meist so durchsichtig gepflanzt, daß mehr schwarze Erde als grünes Laub sichtbar wird, überall ist das Nadelholz dicht an die Wege gestellt, die es verwächst, und die Gruppen sind so schroff, steif und klecksartig über die Kleefelder verteilt, daß in der Tat die Ägypter, wenn sie das herrliche, von Griechen ausgeführte Schubra mit diesem Salmagundi vorgeblicher englischer Gartenkunst vergleichen, von dieser nur einen höchst betrübten Begriff erhalten können. Wahrscheinlich ist dies auch die Ursache, daß man bereits einen andern Teil der Insel einem zweiten (ich glaube französischen) Gärtner überlassen hat, der mehr den Stil von Schubra beibehalten und so einige weit hübschere, obgleich jenen vortrefflichen Gärten immer noch lange nicht gleichkommende Anlagen gemacht hat. Denn leider ließ er, trotz besserer Einsicht, sich von dem nahen schlechten Beispiel verführen, in seine regelmäßigen Zeichnungen dennoch hie und da einige der unglücklichen Verirrungen seines Kollegen mit zu verwenden, welche weder der Kunst noch der Natur angehören.

Ich glaube, daß man für die ägyptische Gartenkunst einen ganz neuen genre erfinden müßte, in welchem Regelmäßigkeit zwar Grundprinzip, aber höchste Mannigfaltigkeit dennoch nicht ausgeschlossen bleiben würde. Da die stete Bewässerung zugleich hier eine «conditio sine qua non» und auch nicht zu verbergen möglich ist, so müßte diese selbst zur Zeichnung der Formen dienen, was, wohl bedacht und geschickt ausgeführt, höchst originelle Effekte schaffen und im großen wie im kleinsten Detail die gefälligsten Bilder hervorbringen könnte, in seinem Ganzen gewissermaßen einem Arabeskenbild vergleichbar, in dem die Kontur von den unvermeidlichen Wasserkanälen, die Füllung und Schattierung aber durch Vegetation aller Art, wie sie dem Klima angemessen, vom riesigen Sykomore bis zur kleinsten Blume herab, gebildet würden. Wie die Natur in jedem Himmelsstriche verschieden ist und den unter diesem liegenden Ländern einen eigentümlichen Charakter aufdrückt, so muß auch die Gartenkunst überall verschiedenen Prinzipien folgen. Für das nördliche Europa paßt das Prinzip der englischen Landschaftsgärtnerei meiner Überzeugung nach besser als jedes andere, mit wenigen einzelnen Lokal-Ausnahmen. Italiens Villen verlangen schon eine andere Umgebung, und für Algier mit der Berberei, für Griechenland wie für Ägypten unterhielt es mich, mir ganz neue und für jedes dieser Länder voneinander abweichende Systeme auszudenken, welche ich später als Anhang meines kleinen Werkes über Landschaftsgärtnerei, das vom Publikum über Verdienst gütig aufgenommen worden ist, bekannt zu machen gedenke. Hier sei genug über diesen Gegenstand gesagt.


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