Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Aus Mehemed Alis Reich
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Die Stadt. Das Schloß

Von der Audienz ritt ich durch den andern Teil der schönen Promenaden – an deren Grenzen man da, wo sie noch nicht beendigt sind, auch jetzt noch zum Teil die chaotischen Trümmerhaufen sehen kann, derengleichen sonst den ganzen Raum dieser ausgedehnten Anlagen einnahmen – nach der Stadt. Kurz nachdem man die Chaussee erreicht hat, welche, mit einer Allee eingefaßt, von Bulak in gerader Linie nach Kahira fährt, passiert man das westliche Tor Bab-el-Guenéné und betritt den berühmten Platz Esbekieh, der seit kurzem nicht weniger Veränderungen als seine schon geschilderte Umgegend ausgesetzt gewesen ist. Einen Teil des Jahres überschwemmte ihn sonst der Nil, alle Passage zu Lande hindernd. Dies ist nun geregelt, das heißt, die weite Fläche des Platzes, welcher wohl über eine halbe Stunde im Umfang hat, wurde mit einem regelmäßigen Damme umschlossen, der nur in der Überschwemmungszeit einen weiten See, den übrigen Teil des Jahres aber eine grüne Kleeflur umschließt, und, mit Bäumen bepflanzt, eine schattige Promenade bildet. Außerhalb des Dammes geht noch ein zwanzig Fuß breiter Kanal rund umher, welcher durch Schleusen mit dem See in Verbindung steht, ihm sein Wasser zuführt und die Dämme von der um den Platz laufenden Straße trennt. Diese hat 100 Fuß Breite und wird auf der äußern Seite durch Häuser, auf der innern durch Akazienreihen begrenzt. Unter diesem kühlen Laubgewölbe kann man nun zu jeder Zeit einer anmutigen frischen Aussicht bald auf den Spiegel des Sees, bald, wenn dieser verschwunden, auf seinen grün gewordenen Feldgrund genießen. Auf drei Seiten umgeben schöne Paläste im orientalischen Stil, mehrere von historischem Interesse, den Esbekieh, den vierten Teil nimmt eine Reihe hoher und finstrer, aber dennoch pittoresker Holzhäuser der Kopten ein. Von den Palästen erwähne ich zuerst den, welchen Napoleon bewohnte und der noch gut erhalten ist; dann interessiert vorzüglich der, wo Kléber sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte und in dessen Garten der fanatische Soliman diesen tapfern Elsässer ermordete. Eine Frau aus dem Nebenhause verriet den suchenden Soldaten den Mörder, welcher dicht neben dem Schauplatz seiner Tat in einen Saki hinabgestiegen war, wo ihn die Franzosen wahrscheinlich ohne die erhaltne Anzeige nie gesucht haben würden. Soliman unternahm den Mord Klébers, um seinen gefangenen Vater auszulösen, dessen Freigebung der Pascha von Damaskus für diesen Preis versprochen hatte. Dieser Mensch war so exaltiert in seinem Fanatismus, daß er noch auf dem Spieße und kurz vor seinem Tode mit verächtlicher Pantomime ausspuckte, als sich ihm der jetzige preußische Konsul in Kahira, Herr Bokti, der mir selbst das Faktum erzählte, mit einem andern Franken näherte. Das Klébersche Palais ist jetzt das Ministerium des öffentlichen Unterrichts, der Garten aber gehört zu dem prächtigen Palast der Tochter Seiner Hoheit, Witwe des berüchtigten Defterdars, dessen unerhörte Grausamkeiten noch im frischesten Andenken Fremder und Einheimischer in Kahira geblieben sind. Vieles hielt ich anfänglich für Fabeln, von der Mißgunst erfunden, bis ich durch die achtungswertesten und unparteiischesten Augenzeugen selbst das Unglaublichste bestätigen hörte. Es muß wohl prädestinierte Tigernaturen, wie Lammsnaturen, geben, wenigstens kann man die seinige nicht mit mehr Naivität zur Schau tragen, als es der Defterdar tat. Einst beklagte er sich im Gespräch mit dem französischen Konsul über die unbezwingliche Hartnäckigkeit der Beduinen. «Denken Sie», sagte er, «was mir neulich begegnet. Zwei dieser Kerls rühmten sich ihres Vaters gegen mich und nannten ihn einen Stier. ‹Gut›, erwiderte ich, ‹wenn Euer Vater ein Stier war, so muß Eure Mutter eine Kuh gewesen sein.›» «Glauben Sie», fuhr er fort, «daß ich diese obstinaten Menschen dahin bringen konnte, diesem ganz einfachen Räsonnement beizupflichten? Nichts war fähig, ihren Trotz zu beugen. Um sie ein wenig nachgiebiger zu machen, befahl ich zuerst, ihnen die rechte Hand abzuhauen, und stellte dann die Frage von neuem an sie. Da dies nichts fruchtete, die linke, dann einen Fuß nach dem andern, und immer blieben die Hunde dabei, ihr Vater sei ein Stier gewesen, aber ihre Mutter dennoch keine Kuh. Endlich verlor ich die Geduld und ließ, was von ihnen noch übrig war, in den Nil werfen, wo sie bis zum Untersinken, noch mit dem letzten Atem, trotzend stammelten: Keine Kuh!»

Andere, gleich starke und leider ebenso wahre Anekdoten über diesen Unmenschen findet man in mehreren Reisebeschreibungen. Dieser Defterdar war dabei, nach aller Aussage, ein Mann von höchst edlem Anstande und großer Würde in seinen Manieren, voll Tapferkeit und Klugheit und so unterrichtet für einen Türken, daß man ihm eine nicht ganz unrichtige Karte des Sennar verdankt, die er während seiner furchtbaren Rachekampagne zur Bestrafung der Mörder Ismaels in Schendy selbst aufgenommen und gezeichnet hatte. Man fand ihn gewöhnlich in der Gesellschaft eines gezähmten Löwen und dito Tigers, und die Furcht der Europäer bei einem so ungewohnten Anblick pflegte ihn sehr zu belustigen. Zuweilen hetzte er beide Tiere aufeinander, was einmal einem seiner Mamelucken, der sie wieder auseinanderbringen sollte, das Leben kostete. Der Vizekönig suchte diese wilde Natur so unschädlich als möglich zu machen, aber die Folgen der durch Mehemed Ali erst begonnenen Zivilisierung hatten damals noch wenig Fortschritte gemacht, es ging noch in den meisten Dingen wie vormals zu, und der Defterdar war zu mächtig und angesehen, der Vizekönig selbst dankte ihm zu viel, um streng mit ihm verfahren zu können. Jetzt würde sich die Sache bald anders gestaltet haben, und es kursierte sogar lange das Gerücht, daß der Defterdar auf Mehemed Alis Befehl, seiner intolerablen Grausamkeiten wegen, heimlich hingerichtet worden sei.

Große Erinnerungen knüpfen sich auch an zwei andere Paläste, wovon den ersten Khosref Pascha, der Todfeind Mehemed Alis, und den andern, welcher jetzt in ein Lazarett umgeschaffen worden ist, dieser selbst bewohnte, als er noch weit entfernt von seiner jetzigen Macht war. Hier war es, wo Mehemed Ali, der damals nur eine Oberbefehlshaberstelle in der Armee einnahm, überdrüssig seiner ruhelosen Lage, um die sich immer neue Gefahren gleich drohenden Gewittern herreihten, oder diesen Überdruß vielleicht auch nur mit schlauer Verstellung vorgebend, seinen Getreuen erklärte, daß er sich entschlossen habe, Khosref Pascha die Beherrschung Ägyptens friedlich zu überlassen, und sich, von allem politischen Einfluß entfernt, in den Privatstand zurückzuziehen. Viele Tage lang drangen seine Freunde, vorzüglich die Albanesen und Arnauten stürmisch in ihn, dieses Vorhaben aufzugeben, doppelt aufgebracht auf Khosref Pascha, da dieser ihnen höchst ungeschickterweise den Sold vorenthielt, während er die Nachricht unter ihnen verbreiten ließ, Mehemed Ali habe ihn bereits bezogen und wolle ihn für sich behalten, wovon dieser jedoch, indem er den Defterdar (Zahlmeister) holen ließ, den Truppen leicht den Gegenbeweis lieferte. Nachdem er sich lange hatte bitten lassen, energischer zu verfahren, rief er endlich, aufspringend und seinen Säbel ziehend: «Wohlan, ich will euren Wunsch gewähren, aber schwört mir hier auf diese Waffe, daß ihr blindlings zu tun versprecht, was ich befehlen werde, und keiner von euch mich lebendig verlassen will, es geschehe, was da möge.» Alle schworen mit Enthusiasmus den verlangten Eid, und in derselben Nacht überfiel Mehemed Ali tollkühn mit wenigen Hunderten Khosref Pascha in seinem eignen Palast, der, von einem panischen Schrecken ergriffen, sich durch seinen Garten rettete, und nach Damiette zu Churschid Pascha floh, um dessen Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Bei diesem Gefecht setzte sich Mehemed Ali persönlich der größten Gefahr aus; zwei Kugeln durchlöcherten seine Kleider und mehrere Feinde fielen von seiner eigenen Hand.

Da ich diese und die folgenden Details aus des Vizekönigs eignem Munde im Beisein vieler Zeugen vernahm, so erlangen sie vielleicht dadurch für das Publikum ein größeres Interesse, obgleich ich hier nur sozusagen das Gerippe dessen wiedergeben kann, was in der langen und durch viele Details bereicherten Erzählung Mehemed Alis den Reiz vollen Lebens gewann.

Ein gewisser Tahir Pascha, der in der Stadt und auf der Zitadelle kommandierte, schloß sich zwar dem Sieger an, ward aber zwei Tage darauf bei einem Aufstand seiner anders gesinnten Truppen deshalb ermordet, eine Nachricht, die unter Mehemed Alis Anhang eine solche Konsternation verbreitete, daß ihn viele verließen, und selbst sein treuester Anhänger und Landsmann Soliman Aga ihm erklärte, daß er keine Hoffnung mehr vor sich sähe und ihm daher zur gemeinschaftlichen Flucht nach Albanien rate. «Ich weiche nicht von hier», sagte Mehemed Ali, «doch will ich dich nicht halten. Fliehe, doch bedenke, daß es dir, in unsrem Vaterlande angekommen, vielleicht nicht zur Ehre gereichen wird, deinen Freund und Landsmann in der Stunde der Gefahr verlassen zu haben.» Soliman Aga küßte ihm beschämt die Hand und blieb. Mehemed Ali versammelte jetzt die ihm noch treu gebliebenen Truppen. «Wer von euch», rief er, «in seinem Vertrauen zu mir schwankt, der gehe jetzt! Ihr irrt euch aber gröblich, wenn ihr durch Tahir Paschas Tod euch entmutigen laßt. An ihm ist wenig gelegen, er hatte nur den Namen, euer wahrer Chef bin ich, und solange ich euch nicht fehle, habt ihr auch nichts zu befürchten.» Als diese kräftigen Worte den Mut der Verzagten wieder etwas aufgerichtet hatten, teilte er sie in zwei Haufen unter seiner und Soliman Agas Anführung, überließ diesem die Hälfte der wenigen, ihm noch übrigen Munition und marschierte gegen die Rebellen. Teils sie schlagend, teils durch Überredung gewinnend, ward er nach einem harten Kampfe Meister der Stadt und Zitadelle. Kaum aber war dieser Sturm glücklich vorübergegangen, als ein Gesandter Churschid Paschas von Damiette erschien, um Mehemed Ali zur Rechenschaft über das Vergangene dorthin vorzuladen. Dieser erwiderte: er werde sogleich erscheinen und wolle alle seine Mitschuldigen mitbringen. Der Gesandte wagte nur den ersten Teil der Antwort auszurichten, da aber der Pascha, den diese Bereitwilligkeit in Erstaunen setzte, auf die genaueste Wahrheit drang und hierauf den gemachten Zusatz erfuhr, flößte ihm dieser eine so große Furcht ein – um so mehr, als die Mamlucken, mit denen Mehemed Ali damals noch in freundschaftlicher Verbindung stand, eben einen großen Sieg über die Türken erfochten hatten –, daß er den Gesandten sogleich wieder mit reichen Geschenken umkehren ließ, um Mehemed Ali zu versichern, daß derselbe ihn gänzlich mißverstanden habe, er solle sich von nun an als seinen Sohn ansehen und könne stets auf seinen Schutz und seine treuste Freundschaft zählen. Er, der Pascha selbst, werde schleunigst nach Kahira kommen und dort alles nach Mehemed Alis Wünschen mit ihm vereint in Ordnung bringen.

Der gewandte Parteichef empfing den Pascha mit den höchsten Ehren, ließ ihn selbst als den, an Khosref Paschas Stelle getretenen Statthalter der Pforte ausrufen und räumte ihm Stadt und Zitadelle ein, ruhig in seinem Palaste von Esbekieh verbleibend, doch ohne einen Mann seiner Truppen zu entlassen. Churschid Pascha, dem alles daran lag, den gefährlichen Protektor zu entfernen, versprach seinen ganzen Einfluß für ihn in Konstantinopel zu verwenden und ließ ihm sozusagen die Wahl eines jeden Paschaliks im Reiche, das ihm konvenieren könne; doch fanden alle diese Verheißungen bei Mehemed Ali nur taube Ohren. Bald fingen auch die Verhältnisse sich zwischen beiden zu trüben an, was sich kurz darauf mit Churschid Paschas gewaltsamer Vertreibung endigte. Von Mehemed Ali verfolgt, ward er gezwungen, ihm endlich das Feld ganz zu räumen und sich mit Khosref Pascha nach Konstantinopel einzuschiffen. Die Pforte, wie immer gute Miene zum bösen Spiel machend, fand es nun am geratensten, Mehemed Ali durch ihren offiziellen Ferman definitiv das zu erteilen, was de facto bereits in seiner Gewalt war, und ernannte ihn zum Vizekönig von Ägypten. Von diesem Augenblicke an hatte er keinen weitem Nebenbuhler mehr als die Mamluckenbeys, die ihm später, wie wir wissen, in einer noch tragischeren Katastrophe gleichfalls unterliegen mußten.

Auch des in Konstantinopel allmächtigen Khosref Pascha langjährige Versuche, ihn zu verderben, hatten ihn seitdem nur immer größer gemacht, bis er sogar die Entfernung und die Ungnade seines alten Feindes am Hofe zu Konstantinopel noch erlebt hat, der dann freilich seine eigne Demütigung bald gefolgt ist. Dennoch ist er dabei guten Mutes geblieben, sich wie die Personen der Geschichte für einen der Männer haltend, die Allah beschütze. Oft äußerte er sich in diesem Sinne mit stolzer Sicherheit.

Viele Stunden irrte ich in den Straßen der endlosen Stadt umher, und ich kann meine Empfindungen dabei nicht besser schildern, als wenn ich sage: Es kam mir fortwährend vor, als wenn ich in der Tausendundeinennacht läse oder vielmehr als wenn ihre bunten Szenen in lebenden Bildern jetzt vor mir aufgeführt würden. Kein Reisender hat meines Erachtens ein treueres Gemälde von Kahira auf wenig Seiten entworfen, als Herr von Prokesch, welches ich als das wohlgetroffenste Porträt verbürgen kann, ihm aber wenig zuzusetzen vermag. Mit allen orientalischen Städten, die ich bis jetzt gesehen, ist Kahira durchaus nicht zu vergleichen, es trägt nur seinen eignen Stempel. Dieser aber ist im höchsten Grade großartig und für den, der irgendeine romantische Ader in sich hat, wahrhaft verführerisch und hinreißend, trotz aller einzelnen Mängel, Unordnungen und mancher Unbequemlichkeit. Vieles erinnert lebhaft an unser eignes Mittelalter. Schon die Menge halbbefestigter Schlösser, von schwerer und bunter Architektur, haben ein ganz feudalistisches Ansehn; ebenso vergegenwärtigen die kunstvollen reichen Fontänen, die engen, unregelmäßigen Straßen mit hohen überbauten Häusern voller Erker und Gitterfenster wie in den ältesten Städten Europas unsre alte Zeit; vor allen aber sind es die zahlreichen, unbeschreiblich herrlichen Moscheen altarabischen Baues, mit ihren himmelhohen Türmen, Spitz- und Rundbogenfenstern, ihren kolossalen Maßen und dem wundersamen Reichtum ihrer unzähligen Zierraten à jour ganz auffallend unsern gotischen Kirchen gleichend, welche uns Abendland und Morgenland zugleich repräsentieren, die Heldenzeiten des Kreuzes wie die des Halbmondes. Seit ich diese Architektur gesehen, bin ich auch immer mehr in meinem alten Glauben bestärkt worden, daß, wie gar manches in Europa, so auch jener sogenannte gotische Baustil sich nur aus dem Arabisch-Maurischen herschreibt oder wenigstens beide aus ein und derselben gleichartigen Quelle fließen, wenn sie sich auch in den verschiedenen Erdteilen verschieden organisch entwickelt haben.

So gestalteten sich also wunderlich genug meine ersten Eindrücke in dieser phantasieanregenden Umgebung derart, daß sie mir im Anfang nur Bilder des kämpfenden Rittertums, einer rohen, aber echten Frömmigkeit, einer phantastischen, aber genialen Kunstrichtung, einer gewaltsamen, aber inniger mit Gutem wie Bösem als unsre Zeit durchdrungenen Vergangenheit vorführten. Den reinorientalischen Beisatz zu solchen europäischen Anklängen gewährten indes bald hundert andere Gegenstände, zum Beispiel die schattigen, fünfzig Fuß in der Höhe mit einem bunten Holz- oder Leinwanddach, das am Turme einer Moschee oder an den Zinnen eines Palastes angehängt ist, überwölbten Bazare voll der glänzendsten Produkte Asiens und Afrikas, geschwängert mit dem Dufte aller Spezereien Arabiens; die Grandezza und Ruhe der Muselmänner mitten in einem Gewühl, dem auch der volkreichste Ort bei uns nicht gleichkommt. Und wie reich staffiert sind diese Szenen! Hier ein Haufe sich rücksichtslos zwischen Kaufbuden und auf der Straße arbeitenden Handwerkern hindurchdrängender Reiter mit ihrem goldgestickten Pferdezeug, in malerisch glänzender Kleidung; dort ein Harem, der sich ins Bad begibt, schwarz verhüllte Damen mit weißer Leinwandmaske, aus der nur die dunklen Augen herausblitzen, und die gleich Phantomen auf schnellfüßigen Eseln geräuschlos vorübergleiten; dann wieder lange Kamelzüge, die von Zeit zu Zeit allen Weg ganz zu sperren drohen, so daß in den engen Straßen auch nur zu Fuß sich Bahn zu machen oft nicht ohne Quetschung abgeht – ein nie endendes, stets wechselndes Getümmel von Menschen aller Trachten und Länder des Erdbodens, vom Verhülltesten bis zum völlig Nackten, vom wolligen Neger Afrikas, dem Feuer anbetenden Parsen und dem durch das Weltmeer von jenen getrennten modernen Amerikaner bis zum Londner Dandy hinab, dessen Spezies, wie ein uns heute begegnendes Exemplar mit roten Haaren und Backenbart bewies, von allen sich hier Umhertreibenden dem Affen am nächsten zu kommen schien. Eine Geistererscheinung aber glaubt man zu erblicken, wenn durch diese kaum torbreiten Gassen, durch dies wogende Gedränge plötzlich ein europäischer Wagen, den ein griechischer Kutscher sechsspännig vom Bocke fährt, sich wie eine Boaschlange im schnellsten Laufe entlangwindet und, nachdem die Massen wie durch Zauber Platz gemacht, hinter der nächsten Ecke wieder verschwindet. Es war die Tochter des Vizekönigs, die nach der Zitadelle fuhr.

Die erwähnten Burgen der alten Mamluckenhäuptlinge im Herzen der Stadt, mit deren Straßen sie aber nur durch eine breite, fast immer geschlossene «porte cochère» kommunizieren, haben in ihrem Innern gewöhnlich Gärten und Höfe und bergen auch zum Teil noch viel alte, wohlkonservierte Pracht. Demohngeachtet kenne ich einen Fremden, der einen solchen Palast im besten Zustande auf fünfundzwanzig Jahre gemietet hat und nicht mehr als monatlich 30 Piaster (9 Franken) dafür bezahlt. Dagegen wird man in den wenigen und schlechten Gasthöfen, die Europäer etabliert haben, sehr überteuert. Überhaupt hat man sich im Orient allerwärts vor europäischen und griechischen Christen in acht zu nehmen, weniger vor den Juden und am wenigsten vor den Muselmännern selbst, die unbestreitbar die ehrlichsten und solidesten unter der ganzen Bevölkerung sind.

Nachdem ich noch die Ställe des Vizekönigs besichtigt hatte, die sich ebenso unansehnlich zeigten, als ich früher die des sonst sehr luxusliebenden Gouverneurs von Kandia fand, und in denen die Pferde auch nicht besser gewartet werden, obgleich jedes Pferd seinen eigenen Reitknecht (Sais) hat, ritt ich nach dem Schloß, gewöhnlich die Zitadelle genannt, das am Ende der Stadt an die Felsen des Mokkatamm gelehnt steht. Den größten Teil dieser Festung nimmt der Palast des Herrschers ein, der sie gegen Kahira, in welcher Richtung sie allein wirksam sein kann, stark befestigt und die Wälle mit imposanten Kanonenreihen bepflanzt hat. An ihrem äußersten südlichen Ende baut der Vizekönig jetzt eine Moschee, der in Trümmer fallenden Saladins gegenüber, die in gewisser Hinsicht das kostbarste Gebäude in der Welt werden muß, da nicht nur alle ihre Säulen aus massivem poliertem orientalischen Alabaster angefertigt, sondern auch das Äußere und Innere der Mauern durchgängig mit dieser Steinart belegt werden soll welche man bisher nur zu Vasen, Uhrgehäusen und dergleichen kleineren Gegenständen anwandte, und deren ganzer Bruch bei Schech Abade auch wahrscheinlich in diesem Tempelbau aufgehen wird.Man hat, nach Lepsius, seitdem einen neuen Alabasterbruch bei Siut entdeckt. Der Effekt ist bewunderungswürdig, aber man fürchtet, daß der zarte Stein außerhalb den Einflüssen der Witterung nicht zu widerstehen fähig sein möchte. Ihn dort durch Granit zu ersetzen wäre daher besser, aber man müßte für eine gute Ausführung dieses Planes alte Ägypter zu Arbeitern haben, die neuern sind unfähig dazu.

Ich erstieg die noch unvollendeten Mauern der Moschee, um von dem vorteilhaftesten Punkte die berühmte Aussicht zu überschauen, die sich hier über «das Meer der Welt», seine Hunderte von Türmen und Domen, seine Moscheen und Paläste ohne Zahl, wie die hinter ihm sich erhebenden Pyramidenreihen von Dschisch, Daschur und Sakkara ausbreitet. In der Mitte dieses erhabnen Bildes strömt majestätisch der Nil, vom üppigsten Grün eingefaßt, das sich im Norden im Dreieck des Delta ins Unendliche zu verlieren scheint, während in der Nähe auf beiden Seiten der gelbe Sand der noch unermeßlicheren Wüste den grünen Streifen in scharfe Grenzen einschließt. Dicht unter sich hat man, als den prächtigsten Vordergrund, die Krone aller Bauwerke Kahiras, die Moschee Sultan Hassans, welche kaum von irgendeinem gotischen Tempel Europas. übertroffen wird. Neben ihr füllt stets ein buntes Gewühl den Platz von Rumeli, wo auch die öffentlichen Hinrichtungen stattfinden, und unzählige Details verfolgt man darüber hin rechts und links durch den ganzen Bereich der Stadt in fortwährender Abwechslung. An der äußersten Linken dieser wogenden Häusermasse gewahrt man im Süden den Aquädukt Saladins, der zwischen Alt- und Neu-Kahira vom Nile ausgeht und sein Wasser dem Josephsbrunnen zuführt, worauf man zuletzt, fast müde von dem Reichtum des Schauspiels, rechts am entgegengesetzten Ende mit dem letzten Blick auf den, eine eigne Stadt für sich bildenden Gräbern der Kalifen ausruht. Ich habe später die höchsten Spitzen des Mokkatamm erklettert, wo man freilich noch mehr Terrain überblickt, aber da von dort die Zitadelle überall einen großen Teil des so interessanten Stadtgewirres verdeckt, so verliert die Aussicht ihren höchsten und eigentümlichsten Reiz. Der beste Augenblick, sie in der ganzen Fülle ihrer Schönheit zu genießen, ist kurz nach dem Aufgang der Sonne, wenn ihre Strahlen die Pyramiden wie mit einer goldnen Glorie umglänzen und trotz ihrer bedeutenden Entfernung diese Kolosse so nahe zu rücken scheinen, daß man mit einem bloßen Opernglase den vor ihnen stehenden Sphinx erkennen kann.

Auch Sal Eddins (Saladins) Moschee war ein prächtiges Gebäude, in schweren Massen aufgeführt, von einem jetzt eingestürzten Dom gekrönt (denn die Türken reparieren nichts) und durch ein hohes Minarett geziert, der mit bunten glasierten Ziegeln eingelegt war, von denen sich noch viele erhalten haben. Das Innere mit seinen abfallenden Malereien und Vergoldungen dient jetzt zu einem schmutzigen Magazine. Vor der Moschee, nach der Stadt zu, stand Saladins Palast. Nach den Resten zu urteilen, muß er von grandioser Bauart gewesen sein, und es waren auch altägyptische Granitsäulen dazu verwandt, die jetzt meistens umgestürzt und zerbrochen im Staube liegen. Auf der Unterseite eines der abgelösten antiken Kapitäle bemerkte ich Hieroglyphen im ältesten Stile, die also beweisen, daß man schon damals, als die spätern Pharaonen jene Säulen in Memphis aufrichten ließen, Steine noch älterer eingerissener Gebäude dazu verbraucht hatte. Unmittelbar hinter der Moschee auf dem Abhang des Mokkatamm befindet sich der sogenannte Josephsbrunnen, dessen Ursprung unbekannt ist. Die Araber behaupten, Saladin habe ihn erbaut, der auch Jussuf hieß. Daneben, dicht vor der alten Moschee, ist jetzt auf einem der Türme des Palastes Saladins von Mehemed Ali ein Telegraph errichtet, der mir an diesem Orte wunderbar aus der alten in die neue Zeit herüberzuschauen schien. Wie ein Gespenst wäre er mir vorgekommen, hätte er in diesem Moment zu manövrieren angefangen. Der Brunnen, 42 Fuß im Umfang haltend und 280 Fuß tief, ist ein gewaltiges Werk und wird besonders eigentümlich durch eine ihn auf allen Seiten umgebende, ebenfalls in den Felsen gehauene Galerie, die in bequemer Senkung bis hinabführt und deren Wände zwischen dem lebendigen Felsen und Brunnen kaum anderthalb Zoll dick sind, so daß sie wirklich aussehen, als seien sie von Pappe.

Wenn man nun, die Zitadelle verlassend, nach dem Platz von Rumeli hinabsteigt, kommt man durch die berüchtigte Felsengasse, in der die Mamluckenbeys ihren zwar verdienten, aber allerdings schauderhaften Tod fanden. Man kann sich das Geschehene auf das Lebhafteste hier vergegenwärtigen. Der Leser denke sich nur einen langen gewundenen Gang, auf beiden Seiten von Felsen und hohen darauf errichteten Mauern und Häusern umgeben, in dem ein abschüssiges glattes Steinplattenpflaster den Berg hinunterführt. Die Tore vor und hinter den Beys sind schon geschlossen, den Opfern unbewußt, die man jetzt, im zurückgerufenen Bilde, über Hundert an der Zahl, auf wilden und mutigen Pferden in dem engen Raum dicht zusammengedrängt erblickt, alle strahlend in ihrem höchsten Kriegerschmuck, wohlgemut einherziehend, ohne eine Ahnung von dem, was ihnen bevorsteht, während schon alle Terrassen, alle Felsenvorsprünge, die Galerien der obern Häuser wie in schuldiger Ehrenbezeigung mit Soldatenreihen besetzt sind, bewaffnet zur Salve festlichen Grußes. Jeder von diesen stolzen Beys mochte vielleicht gerade jetzt Gedanken des nahen Verrats von seiner Seite mit Wohlgefallen Raum geben, sich im voraus an dem unvermeidlichen Fall des sichern Feindes weidend, aber für die eigne Sicherheit fürchtete, wie mit Blindheit geschlagen, keiner – da plötzlich richteten sich alle Gewehre auf die vergoldete, schimmernde Schar, und ein Kugelregen schmettert auf sie nieder, von dem schon der erste Schuß die Beys mit der Verzweiflung gänzlicher Hoffnungslosigkeit erfüllen mußte. Denn weder Rettung noch Verteidigung noch Rache war möglich! Das Getümmel der Stürzenden, das Rasen der verwundeten Pferde, das Geschrei und die Verwünschungen der Fallenden, das länger als eine Viertelstunde andauernde Schlachten aus gefahrloser Ferne, der erschütternde Anblick endlich so vieler Fürsten, übermächtiger Herren des Landes, vor deren zürnendem Blicke gestern noch jeder mit Zittern gewichen wäre, jetzt in der Mitte aller sie umgebenden Pracht in Staub und Blut sich wälzend, von ihren eignen Rossen zerstampft, unter dem Hohn gemeiner Albanesen ihren Geist aushauchend, und die im Tode noch umklammerte treue Waffe selbst, nur ein herber Spott in der verteidigungslosen Hand – gewiß, es muß eine Szene von furchtbarer Wirkung gewesen sein.

Dicht neben dem Schauplatz dieser kühnen Tat hat der Vizekönig sein Zeughaus, eine Kanonengießerei und eine Gewehrfabrik angelegt, wo jetzt schon zum Teil Maschinen arbeiten, die in Kahira selbst verfertigt worden sind. Die Anstalt liefert im Durchschnitt wöchentlich zwei bis drei Geschütze und zwanzigtausend Flinten jährlich, die sämtlich von sehr guter Qualität sind, nur fand ich die Gewehre etwas schwer und zu hart im Abdruck.


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