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III

Jytte saß bei ihrem Vetter auf dem Kutscherbock. Frau Berta und Fräulein Söholm hatten den Rücksitz eingenommen, den Rücken ihnen zugewandt. Frau Wilhelmine und Herr Frandsen begleiteten den Wagen zu Pferd, jeder auf einer Seite.

Herr Frandsen ritt eine glasäugige Stute mit Schwanenhals und einem kleinen beweglichen Schwanzstummel. Er hatte sie mehrmals zurückgehalten in der Hoffnung, daß auch Frau Wilhelmine sich vom Wagen entfernen würde, so daß sie allein bleiben könnten. Aber er wurde immer enttäuscht. Frau Wilhelmine hütete sich wohl. Die Drohung ihres Mannes hatte doch ihre Wirkung ausgeübt.

Ihr Gehorsam rührte den Jägermeister, der sich leicht bewegen ließ. Sein ganzer Zorn wandte sich nun gegen den verräterischen Freund. Von der Chaussee waren sie auf einen schmalen Landweg abgebogen, und hier fuhr er in seiner Rachsucht den Wagen immer weiter nach der Seite, wo Herr Frandsen ritt, und drängte ihn auf diese Weise an den Wegrand. Um nicht in den Graben hinein zu geraten, mußte der Freund schließlich hinter dem Wagen herreiten. Hier ritt er niedergeschlagen ganz allein in dem aufwirbelnden Staub.

Dieser Triumph versetzte den Jägermeister in gute Laune. Er knallte mit der Peitsche und ließ die Pferde ausholen.

Nach kaum einstündiger Fahrt erreichte man die Stelle mit den ausgegrabenen Überresten eines alten Klosters. Sie lagen auf der Höhe eines kahlen Hügelrückens außerhalb eines Waldes. Nur ein Fußpfad führte hinauf, so daß die Damen aus dem Wagen steigen mußten. Im übrigen war da fast nichts zu sehen. Ein Mauerüberrest von ungefähr zehn Ellen war aufgedeckt worden – sonst war da nichts.

Dafür war die Aussicht von da oben wunderbar. Das halbe fünensche Land lag ausgestreckt innerhalb des Gesichtskreises wie ein ungeheurer Garten, die Kreuz und Quer durchschnitten von eingefriedigten Wegen, zwischen denen die Felder wie grüne Rasenflächen und die Wälder wie Bosketts lagen. Frau Berta, die hauptsächlich um dieser Aussicht willen an der Fahrt teilgenommen hatte, zog sich ein wenig von den andern zurück, um allein mit ihren Erinnerungen zu sein. Hier hatte sie einstmals in den Tagen ihrer Jugend mit ihrem Freund gestanden und über die Gegend ihrer Kindheit hinübergeschaut nach dem Lande ihrer Träume, so voll frischen Glaubens an die Barmherzigkeit des Lebens. – »Ach, Hjalmar! Nun bin ich doch geworden, was du glaubtest, daß ich niemals werden könnte – eine alte Frau, die über sich selbst weint!«

Der Jägermeister, der auf dem Wagen sitzen geblieben war, machte allmählich seiner Ungeduld mir der Peitsche Luft. Nach einer Weile kamen sie alle wieder herab – die beiden Reitenden voran.

Es erforderte Zeit, bis die drei Damen wieder auf dem Wagen Platz genommen hatten, und diese Gelegenheit benutzten Frau Wilhelmine und Herr Frandsen, um ein wenig voraus zu reiten – anfänglich im Schritt, dann, als sich der Wagen in Bewegung setzte, im Trab. Der Jägermeister ließ die Zügel schießen, um sie einzuholen. Da aber beschleunigten auch sie ihr Tempo, und der Abstand wurde innegehalten.

Man hatte beschlossen, den Rückweg durch den Wald zu nehmen. Da die Bäume so dicht standen und der Weg beständig Biegungen machte, kam das reitende Paar jeden Augenblick außer Sicht. Der Jägermeister ließ die Zügel immer mehr schießen, und die Pferde holten aus. Namentlich die Stute, die gewohnt war, zusammen mit dem Fuchs, den Frau Wilhelmine ritt, vor dem Wagen zu gehen, ging mächtig vorwärts mit hochgehobenem Kopf. In seiner Unruhe begann das Tier schließlich mit einem Notschrei nach seinem Gatten zu rufen. Der antwortete vorne, und die Rufe hallten wider im Walde.

Bei jeder neuen Biegung des Weges, wo Wilhelmine und ihr Kavalier wieder einen Augenblick sichtbar wurden, zeigte es sich, daß sich die Entfernung eher vergrößert hatte. Jytte fühlte sich sehr ungemütlich bei der Sachlage. Sie sah das verbissene Gesicht des Vetters immer bleicher werden, während die Fahrt immer wilder wurde.

Jetzt wurde auch Frau Berta aufmerksam. Sie wandte sich um und sagte: »Wie du doch fährst, John!«

Er nahm die Zügel sofort strammer, besorgt, sich eine Blöße gegeben zu haben. Als aber das Pferd unter dem rechten Zaum den Kopf wieder mit einem schallenden Wiehern in die Höhe hob, richtete er sich wütend von seinem Sitz auf und ließ die Peitsche mit aller Macht ein paarmal auf seinen Rücken niedersausen, so daß sich das Tier zitternd aufbäumte.

»Willst du wohl das Gekräh nachlassen!« schrie er.

»Aber John! Was hast du nur einmal!«

Es war wieder Frau Berta. Ihr wurde allmählich klar, was hier vor sich ging. Diesem Herrn Frandsen also galt die Anspielung des Neffen am vorhergehenden Tage!

Fräulein Söholm sagte nichts. Der Respekt vor der Wut eines zornigen Mannes saß ihr aus dem Heim ihres Bruders im Blut. So bange sie auch war, wagte sie doch nicht zu mucksen. Die spionierenden Augen standen der alten Dame starr im Kopf; sie saß zusammengekauert da und glich einer großen Kröte in Mantille aus Seidenmoirée und mit »Esprit«.

Jetzt gewahrte man das Reiterpaar wieder vorn. Es hielt mitten auf dem Wege und wartete.

»Wo bleibt ihr nur einmal!« rief Wilhelmine, als sich der Wagen näherte.

Der Klang ihrer Stimme und namentlich die Ungeduld, die sie dahineinlegte, machten dem Jägermeister sofort weich ums Herz. Er hatte eben noch dagesessen und hoch und heilig geschworen, daß er, wenn er nach Hause kam, die Hundepeitsche nehmen und sie grün und gelb prügeln wolle wie eine Gründonnerstagssuppe. Jetzt wurden ihm die Augen feucht vor Dankbarkeit, daß sie ihn nicht zwang, Ernst daraus zu machen.

»Was habt ihr denn so zu jagen?« sagte er beinahe jammernd.

Bei der Einfahrt in die große Pappelallee, die nach Storeholt führte, verabschiedete sich Herr Frandsen, während er das Pferd Luftsprünge ausführen ließ, und tänzelte dann in einem englischen Galopp davon. Kurz darauf fuhr der Wagen an der Treppe vor, und die Mamsell und eins der Stubenmädchen kamen heraus, um die Herrschaften in Empfang zu nehmen.

Aus ihren angstvollen Mienen ersahen sie gleich alle, daß etwas sehr Ernsthaftes geschehen sein müsse.

»Was ist denn los?« fragte der Jägermeister.

Die Mamsell erzählte, daß das kranke Küchenmädchen plötzlich sehr elend geworden wäre und wohl kaum am Leben bleiben würde. Der Doktor sei dagewesen und habe gesagt, es sei eine schlimme Lungenentzündung. Das Mädchen habe dann gebeten, den Pfarrer zu holen, damit er ihr das Abendmahl reiche; Pastor Gaardbo sei eben gekommen und sitze bei ihr.

Die Damen stiegen still vom Wagen. Jytte, die das unheimliche Gefühl von der wilden Jagd durch den Wald noch nicht verwunden hatte, wurde stark erschüttert durch die Mitteilung. Sie legte sich keine Rechenschaft von dem Grunde ab, aber bei dem Gedanken an den Tod empfand sie Pastor Gaardbos Nähe als eine Beruhigung.

Frau Wilhelmine, die beim Stall abgestiegen war, kam erst jetzt herzu und hörte, was geschehen war.

»Ist der Pfarrer bei Oline?« fragte sie.

Die Mamsell wiederholte ihren Bericht.

»Was für eine Oline ist das?« fragte Jytte. »Doch nicht das nette Mädchen, das auch letzten Sommer hier war?... Ach ... wirklich!«

Frau Berta war gleich in ihr Zimmer hinaufgegangen. Nach der Entdeckung, die sie auf der Fahrt gemacht hatte, konnte sie es in diesem Augenblick nicht ertragen, mit Frau Wilhelmine zusammen zu sein. Sie war nicht sicher, daß sie sich bezwingen könne, ihr nicht gerade ins Gesicht zu sagen, wie schändlich ihr Benehmen sei.

Nachdem die andern Damen abgelegt hatten, gingen sie in den Gartensaal hinab. Jytte setzte sich an eins der Fenster. Unwillkürlich dämpften alle drei ihre Stimmen unter dem Eindruck der feierlichen Handlung, die am andern Ende des Hauses stattfand. Obwohl Jytte selbst nie zum Abendmahl gegangen war und kaum recht wußte, was bei einer solchen Gelegenheit vor sich ging, war sie von einer erhobenen Stimmung ergriffen bei dem Gedanken an diesen Pfarrer, der seinen Tag damit begonnen hatte, Blumen für das Stübchen der alten Bodil zu pflücken, und der nun da drinnen an dem Bett des kranken Mädchens stand und ihr Trost durch eine Beschwörung brachte. Und sie dachte, daß er sich wohl so für andere opferte, um den Kummer über den Tod der Braut zu vergessen.

Jetzt hörte sie seine Stimme. Er kehrte in Begleitung der Mamsell durch die lange Reihe der Zimmer zurück. Gleich darauf stand er in seinem Ornat in der Tür.

Frau Wilhelmine erhob sich und ging ihm mit einer ihrer gewöhnlichen gesellschaftlichen Redensarten entgegen. Eine Weile standen sie dort und sprachen über die Kranke, und des Pfarrers ruhige, jütisch gefärbte Sprache wirkte eigentümlich in diesen Räumen, wo man gewohnt war, die Knabenstimme des Jägermeisters zetern zu hören. Einen noch fremdartigeren Eindruck machte jedoch seine ernste Gestalt selbst in dem langen, schwarzen Gewand und dem großen Tollenkragen. Jytte störte es nur, daß er in der Hand eine häßliche kleine Hebammentasche trug, die wahrscheinlich die sakramentalen Erfordernisse enthielt.

»Oline hat mich gebeten, morgen wieder zu kommen,« hörte sie ihn sagen. »Das hängt natürlich davon ab, ob sie imstande ist, Besuch zu haben.«

Frau Wilhelmine bat ihn, Platz zu nehmen, aber er entschuldigte sich und sagte Lebewohl.

»Was für ein alberner Mensch er doch ist!« sagte Frau Wilhelmine, als er gegangen war. Sie hatte gesehen, daß sein Blick während des Gesprächs ein paarmal nach dem Fenster hinübergeschweift war, an dem Jytte saß. – »Er soll sogar entschlossen sein, nie zu heiraten, weil seine Braut starb.«

»Wer sagt das?« fragte Fräulein Söholm.

»Es heißt so, und das sieht ihm auch ganz ähnlich. Er ist ja völlig verschroben. Er will seiner Malene bis in den Tod treu sein. Wie die Leute doch lächerlich sind!«


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