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VII

Als Mads Vestrup auf dem Heimwege durch den Wald gelangt war und das Land unter einem fliegenden Wolkenhimmel wieder offen vor sich liegen hatte, blieb er einen Augenblick stehen, die Mütze in der Hand, um seinen glühenden Kopf zu kühlen.

Er sah sich um. Und als er keinen Menschen in der Nähe entdeckte, ging er schräg über das Stoppelfeld, indem er die Richtung nach einem Ausmärkergehöft einschlug, das einsam oben auf einem Hügel lag. Es war Jörgen Stauns Gehöft.

Sein Herz schlug schwer und unruhig. Indem er sich dem Hofe näherte, stieg ein Schwarm Tauben von dem Dach des Wohnhauses auf, machte in der Luft kehrt mit einem Aufleuchten, wie ein wehendes Tuch, und ließ sich dann auf einem Feld in einer Entfernung nieder. Der Anblick wirkte auf ihn wie eine Warnung und veranlaßt« ihn, einen Augenblick stehen zu bleiben.

Im Hoftor begegnete ihm der Knecht.

»Ist Jörgen Staun zu Hause?« fragte er.

Nein, er sei eben nach Randers gefahren, berichtete der Junge.

»So, ist er nach Randers gefahren!« sagte er nur, dachte aber bei sich, daß es doch höchst sonderbar sei.

Das Wohnhaus war ein niedriges Fachwerkgebäude mit zwei Eingängen. Er ging auf den zu, der in das Brauhaus und die Altenteilstube führte. Als er auf der östlichen Diele stand und ihm ein Duft von Haaröl entgegenschlug, dachte er, Oleane oder das Mädchen müsse kürzlich hier durchgegangen sein. Hinter der Tür des Brauhauses zur linken Hand vernahm er das Geräusch einer Wasserkelle.

Während er sich der entgegengesetzten Tür zuwandte, die zu der alten Frau hineinführte, tat sich die andere Tür ein wenig auf, und Oleane steckte den Kopf heraus. Sie war im Begriff, sich umzuziehen, und das Haar hing ihr über die Schultern herab.

»Ja, geh du man rein; ich komm' gleich.«

Mads Vestrup klopfte an die Tür und trat in eine lichtarme, scheinbar menschenleere Stube, die ihn mit einer ungleichmäßig tickenden Bornholmer Uhr willkommen hieß.

Der Vorhang eines Alkovens wurde zur Seite geschoben, und ein eingebünzelter Kopf kam zum Vorschein. Es war die Altenteilerin des Hofs, Jörgen Stauns Mutter. Die alte Frau war die letzten zehn Jahre ans Bett gefesselt gewesen. Sie litt an einem Magenübel, was man auch an der Luft in der Stube merken konnte.

»Ist das der Pfarrer?« fragte sie und legte ihre lange gelbe Knochenhand schützend über die Augen.

»Ja,« sagte er, stellte seinen Stock in die Ecke und hängte die Mütze darauf. Dann setzte er sich auf einen Stuhl an ihr Bett.

»Jörgen ist ja wohl nach der Stadt gefahren?«

»Ja, er mußte zum Doktor mit dem Mädchen, die hatt' einen schlimmen Finger, der geschnitten werden muß. Und dann wollt er auch gleich mit ihm über seine Brust sprechen. Er hat die letzte Zeit so viel ausgestanden.«

So war denn Oleane allein zu Hause – dachte Mads Vestrup voll neuer Unruhe und erinnerte sich der Warnung des Taubenschwarmes.

»Ja, dann wollen wir zusammen beten, Mette!«

Eine Viertelstunde später, als er die Andacht mit dem Absingen eines geistlichen Liedes beendet hatte, kam Oleane herein und begrüßte ihn mit einem kräftigen Händedruck. Sie war nicht nur groß von Gestalt wie ein Mann, es lag auch eine männliche Forschheit in allen ihren Bewegungen.

Sie kauerte vor dem Ofen nieder, um ein paar Stücke Torf auf das Feuer zu werfen. Wie ein junges Riesenweib saß sie da im Schein der zusammengescharrten Kohlen und stützte die Arme auf die Hüften, die unter dem Kleid schwellten. Hinterher schüttelte sie mit mächtigem Spektakel ihre Röcke, nahm ein Strickzeug und setzte sich auf die Bank unter dem Fenster, indem sie das eine Bein nachlässig über das andere schlug, so daß man einen dunkelroten Strumpf fast bis zum Knie hinauf sehen konnte.

Mads Vestrup wandte das Gesicht ab, aber er konnte die ganze Zeit die lockenden Blicke merken, die sie ihm über das Strickzeug zuwarf. Deswegen mußte er wieder und wieder sein Taschentuch herausziehen, um den Schweiß von der Stirn zu trocknen, diesen kalten Schweiß, der ihm bei der geringsten Gemütserregung aus dem Körper sprang.

Als er sich erhob, um zu gehen, war es draußen und drinnen dunkel geworden. Nur der Schein des Ofenfeuers schien hinaus in das Zimmer.

Oleane legte das Strickzeug hin, um ihn hinauszubegleiten.

»Das tut nicht nötig,« sagte er, »bleib du nur drinnen.«

Sie begleitete ihn trotzdem hinaus.

Draußen auf der Diele fand er die Hoftür abgeschlossen. Der Schlüssel war sogar abgezogen.

»Hier laufen in dieser Zeit so viele Strolche herum,« erklärte Oleane. »Du kannst ja ebensogut durch unsere Wohnung gehen.« Mads Vestrup begann Unrat zu ahnen.

»Ich pflege denselben Weg hinauszugehen, den ich hereingekommen bin,« sagte er befehlend. »Mach hier auf.«

»St! St!« flüsterte sie vertraulich. »Ich muß mit dir reden, Mads Vestrup! Komm zu mir herein!«

»Mach hier auf!« wiederholte er und rüttelte an dem Schloß. Jetzt begriff er, daß er in einen Hinterhalt gelockt und eingekreist war.

»Wenn du nich mit mir reden willst, tu ich mir ein Leid an. Jetzt weißt du es, Mads Vestrup.«

»Du redest mit deinem Pfarrer, Oleane ... Das solltest du bedenken!«

»Ach, den Pfarrer laß man aus dem Spiel! Du bist wohl nich so 'n heiliger Mann, wie die Leute glauben. Denn du warst doch nich mehr als zwölf Jahr' alt, als du unten im Schilf saßest und zugucktest, während die Mädchen vom Müller badeten. Weißt du das wohl noch?«

»Jetzt holst du den Schlüssel, sag ich dir.«

»Na ja. Zwingen kann ich dich nich, mit mir zu reden. Nu will ich den Schlüssel holen.«

Sie ging durch die Braustube in die Küche hinein, und er hörte sie auch die Tür zu der kleinen Stube öffnen, die dahinter lag. Aber dann wurde alles still. Mehrere Minuten stand er in der Dunkelheit da und wartete.

Es fing schließlich an, ihm unheimlich zu werden. Obwohl alle Türen offen standen, kam von da drinnen kein Laut. In seiner Angst ging er ihr nach durch die Braustube und blieb in der Tür zur Küche stehen.

»Oleane ... wo bleibst du nur einmal?« rief er, und der kalte Schweiß perlte ihm auf der Stirn, als er keine Antwort erhielt. Ein Paar grüne Katzenaugen funkelten im Dunkel unter der Abwasche, wo der Abfalleimer stand; sonst war da nichts zu sehen.

Er ging weiter und stand jetzt in der Tür zur Stube. Auch hier leuchteten die Kohlen im Ofen und breiteten einen feurigen Fächer auf dem Fußboden aus. Ein Kessel in der Ofenröhre klapperte unruhig mit seinem Deckel. Aber Oleane war nicht zu sehen.

Er rief wieder und wurde fast bange vor dem Schall seiner eigenen Stimme. Aber gerade die Angst trieb ihn jetzt vorwärts. Hinter der Stube war eine kleine Kammer, die als Schrankstube benutzt wurde. Die Tür stand offen, und hier gewahrte er ihre Gestalt im Dunkel. Sie saß auf einem der Kleiderkasten und hatte den Kopf in die Hände gelegt.

»Warum sitzt du da? ...«

Sie rührte sich nicht, antwortete auch nicht; aber nun sah er, daß sie weinte. Ihr ganzer großer Körper zitterte.

Er hatte lange begriffen, daß sie nicht glücklich in ihrer Ehe mit Jörgen Staun war, die ihr keine Kinder geschafft hatte, und es machte einen ergreifenden Eindruck auf ihn, sie so hilflos in ihrem Kummer dasitzen zu sehen.

»Was fehlt dir, Oleane?«

»Du weißt es ja recht gut, Mads Vestrup! Wir beide hätten zusammengehört!«

»So mußt du nicht reden. Halte dich an Gott, Oleane!«

Er legte seine Hand auf ihre Schulter, um ihr einige tröstende Worte zu sagen, aber sie mißverstand die Bewegung, und im selben Augenblick fühlte er ihre Arme erstickend um seinen Hals. »Ach! Ich wußte es ja, Mads, daß du mich doch ein wenig lieb hast!«


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