Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Am anderen Morgen schämte sich Meinhardt seines Wesens gegen die junge Frau. Wie oft hatte er Margret erklärt, nichts käme wieder. Was einmal herrlich gewesen, kehre nie ebenso zurück. Das Dasein würde ja auch sonst unerträglich werden. Und jetzt war er versessen, neu zu erleben, was ewig versunken war?

Margret hatte ihn von sich gewiesen mit all ihrer Milde und Weichheit – Ossana war ihm ganz anders ergeben. Rührender, trotzdem sie nicht scheu blieb und sich zurückhielt, sondern die junge, verliebte Frau nicht verleugnete.

Sie gerieten in den leeren Musiksaal des Hotels. Ossana setzte sich an den Flügel und spielte; nicht träumerisch, aber auch nicht so unreif wie ihre Schwester. Die gute Schule, die sie genossen, zeigte sich. Beethoven, Schumann, Schubert erklangen. Meinhardt wendete die Seiten. Einer steckte den Kopf zur Tür herein; da er das Paar allein sah, verschwand er wieder. Aber eine neugierige Dame blieb und lockte nun durch ihr Beispiel andere herbei, so daß bald der Saal voll Menschen saß, die taten, als wollten sie lesen, im Grunde jedoch nur dem Spiele lauschten.

Da überkam Meinhardt leise Eitelkeit. Er freute sich über seine junge Frau. An dem Tage wählte er eine Flasche besonders guten Weines, sie trank und er auch, und wie das Rebenblut ihnen durch die Adern lief, erwachten sie ein wenig aus Traurigkeit und trüber Stimmung.

Aber Meinhardt wollte heim.

Er hatte nicht eine Hochzeitsreise machen wollen, auf der notwendigerweise Erinnerungen immerfort geweckt wurden. Ossana stimmte ihm bei, obwohl sie sich nach ihres Mannes Erzählungen brennend auf Italien gefreut.

Graf Aich hatte sich einen Empfang auf der Rochusburg verbeten. Nur ein paar grüne Reiser hingen über dem Eingang, und frische Blumen standen in Krügen und Gläsern. Meinhardt hatte die Schlafräume verlegt: Margrets Sterbezimmer blieb verschlossen, aber es war, als ginge der Geist der Verstorbenen im Hause um. Bei allen Anordnungen, die Ossana treffen wollte, hieß es wie in stillem Widerstand, das habe die Frau Gräfin selig so bestimmt. Nur die Bücher führte sie. An der Stelle, wo Margret den letzten Punkt gesetzt, begann Ossanas Schrift, sehr ähnlich, doch die Buchstaben größer, kräftiger, als drücke sich darin ihr Wesen aus.

Sie begleitete ihren Mann, wie Margret es getan, hinunter nach Meran, machte aber nicht Besorgungen, während er beim Advokaten war, sondern bat, mitgehen zu dürfen, und Doktor Kofler, der ihr auf Meinhardts Veranlassung in Göllan oft geraten und ihren gesunden Menschenverstand kannte, schien darüber sehr erfreut. Hatte Margret nur versucht, Meinhardts Gedanken zu folgen, so war Ossana mit ihrem Starrkopf, der ihr manche Unannehmlichkeit in Göllan eingetragen, oft anderer Meinung wie ihr Mann. Er wunderte sich zuerst darüber, und ein paarmal fielen vorwurfsvolle Worte oder gar Vergleiche.

Ossana duckte sich, als wolle sie einem Streich entgehen. Aber sie blieb bei ihrer Meinung und hatte die Genugtuung, daß ab und zu der Advokat oder ein Bauer, mit dem sie am Wege sprachen, der Gärtner oder der Verwalter, ihr zustimmten. Dann sah Meinhardt sie von der Seite an und sagte kein Wort.

So wurde es wieder Frühling. Von Tante Angiolina wußten sie durch Erkundigungen, die Pfarrer Niederwieser angestellt, nur, daß sie gesund sei. An einem der letzten Märztage fuhren sie nach Lana, wo Meinhardt mit einem Obsthändler sprechen wollte, der bereit schien, die Rochusburger Ernte, nach der Blüte geschätzt, im ganzen zu übernehmen. Ossana hatte sich sagen lassen, es sei vorteilhafter als Meinhardts Art, in der Obsthandlung in den Lauben und an der Promenade zu verkaufen.

Auf dem Rückwege hielten sie in Göllan. Mit geschlossenen Läden träumte der alte Ansitz. Ossana war Meinhardt dankbar, daß er ihr die Möglichkeit gegeben, ihr väterliches Besitztum für sich weiterzuführen und zu verbessern. Die Stunden, wo er wirklich allein zu tun hatte, pflegte sie zu benutzen, um hier nach dem Rechten zu sehen. Meinhardt begleitete sie heute zum erstenmal. Sie gingen durch die Weingärten, wo die Lauben durch Einzelstöcke ersetzt worden; Ossana zeigte, daß die zerfallenen Mauern aufgebaut waren, mit neuen Hohlziegeln abgedeckt, der Pfeiler am Tor frisch aufgemauert worden, und Stacheldrahtzäune an den Grenzen der Kalvillenanlage liefen. Die Wege waren sauber gehalten, und nur an diesem oder jenem für seine ganze Lebenszeit verkrüppelten Busch erkannte man noch des armen Papas greisenhafte Verschönerungswut.

Der Verwalter, ein rechter Burggräfler Bauer, küßte der Gräfin die Hand. Mit seinem schwerfälligen Gang in derben Nagelschuhen, weißen Hemdsärmeln, die Daumen in die grünen Hosenträger gehakt, auf dem Kopf den Spitzhut mit der grünen Schnur, unter dem die schwarzen, geölten Haarsträhnen hervorlugten, schritt er neben den beiden her. Er schmunzelte, als ihm Meinhardt ein paar anerkennende Worte sagte.

Von der Obsternte wurde gesprochen, jeder Baum einzeln beurteilt. Im Weingarten musterten sie die neuen Stöcke. Bei der Kalvillenanlage verweilten sie am längsten. Der Bauer hatte jahrelang bei einem großen Kalvillenzüchter gearbeitet und empfand nun beinah' mehr Liebe für den edlen Apfel als für die Reben, wenn er sich auch ihren roten Saft ganz gern durch die Kehle rinnen ließ.

Im Haus führte sie die junge Frau des Bauers, denn das war ihr Reich. Aus dem Unterinntal gebürtig, lag in ihr die mehr nach Bayern neigende Freude an gescheuerter Sauberkeit. Und sie zeigte mit Stolz die von ihrem Manne selbst frischgestrichenen Läden. Der alte Baron hätte gefunden, sie paßten nicht zum Stil, denn zu blitzblank und neu fast sahen sie aus. Die Treppe schimmerte, die Diele glänzte hellgrau und daß man sie nicht beschmutze, lagen Leinentücher gebreitet. Wieder sprach Meinhardt seine Anerkennung aus. Als Graf und Gräfin Aich in die Wohnstube traten, blieb die Bauersfrau bescheiden zurück. Meinhardt schloß die Tür.

Da stand der alte Schreibtisch. Aber der Wust von Papieren und Büchern war verschwunden, sei es durch Ossanas Hand, sei es, daß die Bäuerin Ordnung gemacht. Voll Tintenflecken war die Tischplatte wie immer, man hatte sie nicht abziehen können, aber das Tintenfaß blitzte nur so, und eine neue Feder steckte im Halter. Da träumte auch noch die Besuchskartenschale auf dem Tisch – leer.

Im Nebenzimmer, wo einst Tante Angiolinas Teeklatsche stattgefunden, erzählte Meinhardt, wie der Papa ihm einst voll geheimer Schadenfreude verraten, daß er mit Siebenlehn hier den Tratsch der Damen belauscht.

Ossanas Brauen schoben sich hinauf, genau wie einst bei ihrer Schwester.

»Was hast denn?« fragte er und strich ihr die Wange. Sie rief:

»Der Lump!«

»Ah, wegen Poldi – das hat Margret auch einmal gesagt!«

Ossanas große, schwarze Augen ruhten fast erschrocken auf ihm:

»Margret?«

Plötzlich kam ihm eine Erklärung: Wahrend seine Finger leise an ihrem Arm niederglitten, fragte er:

»Ärgert's dich?«

»Was meinst du?«

Da ließ er sie los und ging, die Hände in den Taschen, im Zimmer hin und her, als ob er sich selbst Rechenschaft gäbe:

»Es ist vielleicht nicht recht, ich red' dir zu viel von Margret.«

Plötzlich drehte er sich um:

»Ossana, kannst's nicht verstehen? Soll ich sie ganz vergessen? Hast du sie nit auch liebgehabt?« Er bekam keine Antwort. Da umgriff er wieder, vor ihr stehenbleibend, ihre Arme. Und immer noch ganz im Banne seiner Gedanken, obwohl er sich eben noch den Vorwurf gemacht, daß er durch die ständige Erinnerung an Margret vielleicht Ossana kränke, sagte er:

»Du bist viel schlanker!«

Sie trat zurück:

»Als Margret willst du sagen!«

»Darf ich das nicht?«

»Margret, Margret, überall Margret! Ich hab' sie liebgehabt, und ich hab' sie noch lieb, und du hast sie lieb, – und hast sie noch lieb!«

Er begriff nicht:

»Wär' das schlimm?«

»Ja, denn sie hast du lieb und nit mich!«

Er rief heftig:

»Wär' ich sonst zu dir gekommen?«

»Hast du mir ein Wort gesagt, was ich hier getan hab'? Du hast es der Bäuerin gesagt, du hast es dem Bauer gesagt, aber mir nicht!«

Er fing an sich zu ärgern:

»Wie bist du denn nur? Ganz anders...«

»Als Margret? Nit wahr? Soll ihr Schatten mich immer verfolgen?«

Die Farbe wich ihm aus den Wangen:

»So bist du?«

»Wie soll ich sein?«

»Ich hab' gemeint, du wärst –«

»Wie Margret, willst du sagen? Margret? Nein, ich bin's nit, ich bin anders. Ich hab' die gleichen Augen und das gleiche Haar und die gleiche Gestalt und die gleiche Stimme, aber ich bin anders, ich bin ganz anders. Denn ich lieb' dich nit wie Margret, ich ...«

Fast kalt sagte er:

»Das zeigst du!«

Sie griff nach seiner Hand:

»Du zweifelst daran, daß ich dich lieb'? Ich möcht' dir alles an den Augen abschauen, ich möcht' von früh bis abends nur das tun, was dir gefällt. Ich hab' dich lieb, so lieb, anders wie Margret, ja, das sag' ich dir, weil ich mich nit zufrieden geben mag mit den Resten –«

Sie schwieg mit einemmal, ihre Unterlippe zitterte und sie grub ihre kleinen Nägel in seine Hand.

Etwas Peinliches wehte ihn an. Er begriff sie nicht:

»Mit den Resten?«

Ihre Brust ging auf und nieder, ihr Atem fuhr fauchend zum Munde heraus, aber sie sagte nichts mehr. In ihm war nur Staunen über die jähe Veränderung, daß er beinahe bestürzt sagte:

»Ossana, ich glaub', du weißt nit, was du redst!«

Sie senkte den Blick. Wie in Reue blieb sie vor ihm stehen, während sie die Hände gereizt öffnete und schloß. Er ließ die Schultern sinken, seine Arme hingen schlaff herab, sein Gesicht war traurig. Wie sie ihn sah, dem ihr Herz vom ersten Tage ab gehört, sie wußte nicht warum, fiel sie ihm um den Hals:

»Verzeih', Meinhardt, bitte, bitte, verzeih'.«

Er sagte tonlos: »Es ist ja nix. Es ist ja nix. Und wir wollen ja glücklich sein.«

Stumm gingen sie davon. Nicht er, nicht sie fanden im Sturm ihrer Seelen ein Wort für den Bauer und sein Weib. Der mit den grünen Hosenträgern blieb am Tor stehen, nahm seinen Hut ab und strich sich die ölige Haarsträhne aus der Stirn, während die Frau an ihrer sauberen, weißen Schürze zupfte. Als Graf und Gräfin Aich die Steinstufen schon weit hinuntergegangen waren, starrte das fleißige, treue Paar ihnen immer noch nach, bis die junge Frau sich zu ihrem Manne wendete:

»Ist's nit recht g'wesen?«

Er zuckte die Achseln und drehte sich herum. Aber als er sah, daß die Augen seiner Frau glänzten, schlug er mit derber Liebkosung klatschend auf ihren Rücken. Neben ihr schritt er in seinem wiegenden Bauerngang zurück in den Hof, wobei seine Schulter absichtlich an die ihre stieß:

»Mir tuascht's recht machen, Zenzi, dös ischt g'nuag.«

Ossana wollte, daß Meinhardt den Auftritt in Göllan vergäße, und wie einst Margret, versuchte sie allen Gedanken ihres Mannes entgegenzukommen. Aber immerfort wurde sie, sei es auch nur durch Kleinigkeiten, daran verhindert. Die Theres hing an ihrer ersten Herrin, deren Güte sie, trotz allen Scheines von Bescheidenheit, benutzt, um zu tun, was sie wollte. Das ging nun bei Ossana nicht, und es kam öfters zu Zusammenstößen. Ossana war tätiger im Haus als ihre Schwester, die zu viel Stunden träumerisch in Sinnen verbracht, als sei sie gelähmt durch die Vergangenheit. Eines Abends, nach allerlei kleinen Streitfällen der letzten Tage, saßen sie in der Loggia, wo er so oft mit Margret geweilt. Nach langer Gewitterstimmung hatte der Himmel sich gereinigt. Dort oben schaute er herab, klar, ohne eine Wolke, wie so oft im Burggrafenamt, eine riesige, dunkle Glocke, über der in dichter Saat Milchstraße und Sternenbilder flirrend funkelten.

Als Meinhardt seine Frau so sitzen sah, im halben Dämmer mit den gleichen Umrissen wie die Verlorene, und durch das Dunkel der Nacht die Unähnlichkeiten sich verwischten, und nur ihre Stimme klang, als ob es Margrets Stimme gewesen, schienen alle Bitternisse vergessen darüber, daß er nicht ganz das Glück gefunden, von dem er geträumt. Auch Ossanas in der letzten Zeit härter gewordene Seele öffnete sich in der Stille des Abends, nur eines Wortes des Anstoßes bedürfend, um ihm entgegenzukommen.

Ihr war in letzter Zeit ein wenig bange geworden, ob sie ihn wirklich gewänne, denn sie empfand es täglich neu, daß seine Seele immer noch an der Verstorbenen hing. Wie er nun zärtlich die Hand nach ihr streckte, nahm sie sich vor unter seinen streichelnden Fingern: sie wollte ruhiger, hingebender sein, wie Margret, ja wirklich wie Margret!

Sie hatte der Mama in Wien ein paarmal geschrieben, andeutend, was sie bedrängte. Die antwortete nicht geradezu, sondern, wie es ihre Art war, erzählte sie von Dingen, die sie in Wien in der Nähe erblickt, so daß Ossana den Brief ruhig Meinhardt hätte zeigen können. Sie sagte, es sei seltsam, wie ein bestimmtes Frauenideal im Herzen eines jeden Mannes schliefe, und wiederkehrend sich verfolgen ließe durch sein ganzes Leben. Wie anderseits einer Frau meist das Bild einer Männerart vorschwebe, vom Mädchen bis zu den Greisenjahren.

Ossana verstand. Sie las daraus: ähnlich werden der Verstorbenen, sich fügen. Doch so oft sie mit sich gekämpft, so manche Träne geflossen, sie meinte, sie könnte es nicht. Sollte sie Lebhaftigkeit und jähes Aufflammen über Nacht verlieren? Als sie nun aber Meinhardts Hand fühlte, wurde sie weich. Minuten verstrichen auf Minuten, sie sprach nicht.

Er empfand es als Segen. Er dachte an die Abende, da er über sein Leben und sein Schicksal nachgesonnen, an die einsamen Berufsgänge, wenn Ossana ihn nicht begleiten konnte, wo immer wieder der Gedanke hämmernd in seinem Hirn sich wiederholt: Enttäuschung. Sie war nicht, wie er sie geträumt. Sie hatte fast Margrets Körper, doch nicht ihre Seele.

Und nun auch zu ihrem Glück sich wendend, fragte er sich: Geb' ich ihr, was ich ihr schuldig bin? Er hatte gleichfalls an die Mama in Wien geschrieben und unter den Zeilen sein Herz ausgeschüttet, ebenso hatte er eine Antwort bekommen, die er seiner Frau zeigen konnte. Sie schrieb, und er wußte noch Wort für Wort:

»Ich denke manchmal zurück, wie ganz anders ich war als Dein Vater, und wie glücklich wir doch gewesen sind. Und dabei – Meinhardt, ich darf es jetzt gestehen, wo Du älter bist und ich alt – unser erstes Zusammenleben unter dem Eindruck, daß ich ihm die Kinder nahm', war nicht, wie ich es geträumt. Mich hatte das Leben hart und scharf gemacht. Er war der weiche Idealist, von dem Du, lieber Meinhardt, vielleicht mehr abbekommen hast, als die Leute glauben können, die Dich wirtschaften und arbeiten sehen. Aber jeder von uns hat etwas in seinem Wesen aufgegeben. Er hat mich zurückgehalten, ich hab' ihm den Nacken gestärkt. Und das Ergebnis: Jahre des unerwartetsten – denn ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben – reinsten Glückes. Daß es dann enden mußte, ist der Lauf der Welt, denn nichts bleibt!«

Meinhardt fühlte Ossanas weiche Hand. Margrets Bild stand vor ihm, wie es über dem Schreibtisch hing, unter dem falschen Pinsel des Malers zu Ossana verwandelt. Er fühlte sich leicht abgestoßen von ihrer Leidenschaftlichkeit, und doch gab es Augenblicke, wo Margret zu weich ihm dünkte. Er sah den Reiz, der von dieser feurigen, jungen Frau ausging. – Wie sie letzthin den Bauer angeflammt! Das hätte Margret nicht getan. Ihm war es, als sei ihm Ossana ein getreuer Mitkämpfer. Einer Eingebung folgend, wandte er sich zu ihr:

»Ossana?«

»Meinhardt!«

»Ossana, sag', wenn mir's schlecht ging' –«

Sie richtete sich auf im Stuhl, als sei schon etwas geschehen.

»Wenn einer was Böses über mich sagen tät'–«

Sie lächelte ruhig: »Das tut niemand!«

»Wenn's aber doch so wäre... wenn einer mich angreifen tät'...«

Sie sprang auf: »Den tät' ich – –«

Ihre Augen flammten, ihre Sehnen strafften sich, sie riß die Schultern zurück, ihre Fäuste waren geballt. Dann aber löste sich ihre Leidenschaft, und sie warf ihm die Arme um den Hals:

»Ich glaub', Meinhardt, etwas weißt du gar nit, verstehst's gar nit, kannst's nit verstehen.«

Er sah sie fragend und lächelnd an:

»Nun?«

»Wie lieb ich dich hab'.«

Da bat er inbrünstig fast:

»Dann sei immer so, wie du jetzt bist!«

»Und du auch.«

»Ich will's versuchen.«

Ossana fragte Meinhardt, was er davon dächte: es böte sich möglicherweise die Gelegenheit, Göllan zu vermieten. Er riet dazu:

»Keine Gefühlsduselei, Ossana!«

»Nein! Die Andenken an die Eltern nehm' ich einfach fort und bring' sie herüber. Weißt: vom Papa die Bücher und von der Mama ein paar kleine Gegenstände, und dann, was im Wohnzimmer unten steht.«

Sie zählte alles auf und wurde doch etwas warm in der Erinnerung.

Meinhardt erklärte noch, es sei baulich nicht gut für ein Haus, wenn es so lange leer stünde, und so ward dann vermietet. Nun fuhr Ossana mit Theres hinüber und packte ein, was irgendwelchen Anhänglichkeitswert besaß. Beim Auspacken dann auf der Rochusburg stand Meinhardt dabei. Eine Menge Erinnerungen an alte Zeiten kamen zum Vorschein, darunter auch Gegenstände, die Margret gehört. Ossana legte sie zusammen und fragte Meinhardt, ohne ihn anzublicken: »Willst du das haben?« Er ließ sein Auge darüber gleiten:

»Man kann nit jedes Stück aufbewahren. Und, Ossana, das alles fängt schon an, in der Vergangenheit zu versinken. Es wird mir immer ferner, und du kommst mir immer näher. Ich darf das sagen, ohne das Andenken der Verstorbenen zu verletzen.«

»Ich danke dir!« antwortete Ossana, und sie gaben sich einen ruhigen, festen Kuß. Dann wurde Auslese gehalten und beinah alles zum Verschenken und Fortgeben bestimmt. Nur wenige Sachen blieben: Papas nun ganz veralteter Baedeker, Lineal, Feder und Tintenfaß, von der Mama aber das Marienbild, das auf ihrem Nachttisch gestanden.

Wenn Meinhardt in Lana oder Marling, zu tun hatte und sie am allen Göllan vorüberkamen, gingen sie nur noch selten hinauf, denn dort hatten sich die Läden wieder aufgetan, fremde Menschen wohnten da, man sah sie im Garten, Kinderlachen tönte unter den allen Bäumen.

Einmal blieben Meinhardt und Ossana unten an der Weingartenmauer stehen. Es war schon Winter geworden, und längst hatten die Reben ihre grünen Blätter verloren, daß ihr dichtes Gewirr den Blick nicht mehr hemmte.

Der alte Ansitz lag noch im Sonnenschein. Genau kannte Ossana die Stunden, wann während des Winters das Tagesgestirn verschwand. Sie sagte, die Hand in Meinhardts Arm gehängt:

»In zehn Minuten ist die Sonn' weg, denn es ist schon der...«

Sie hielt inne. Meinhardt gewahrte unter dem Säulengange die Gestalten der neuen Mieter. Eine junge Frau stützte beide Arme auf und beugte sich vor, in den Hof hinabzublicken. Ein Herr trat aus der Tür, schlang den Arm um ihre Schulter, und sie lehnten den Kopf aneinander. Dann kamen eine alte Dame und ein alter Herr, einer nach dem anderen langsam aus dem Haus und blieben neben dem Paar.

Meinhardt sagte leise vor sich hin:

»Alles anders.«

Ossana blickte ihn an:

»Das hab' i auch grad' gedacht!«

»Schau, wir haben uns g'funden!«

Er riet weiter:

»Deswegen hast du vorhin nicht weitergesprochen?«

»Woher weißt du das?«

»Ich hab's gefühlt.«

Plötzlich, in weicherer Stimmung, als ihrem Wesen sonst gegeben war, vielleicht, weil sie ihr Vaterhaus so verändert sah, fragte sie:

»Komm' ich dir näher?«

»Wie meinst du?«

»I mein', versteh' i dich jetzt?«

Er hob ihre Finger an die Lippen, nickte und lächelte ihr zu. Da wagte sie es zu sagen:

»Wenn i auch anders bin als wie die Margret?«

Er rief laut:

»Gut bist du so!« Und als sie zur Haltestelle der Bahn gingen, war er so herzlich, so guter Laune, wie sie ihn nicht gekannt.

Da hörte man von weitem das leise Surren des elektrischen Wagens. Er bog um die Ecke, hielt, und sie stiegen ein. »Wollen wir draußen stehenbleiben?« fragte er. Die Tram halte sich wieder in Bewegung gesetzt. Im gleichen Augenblick fielen ihre vier Augen auf einen kleinen Herrn neben ihnen, in kurz gehaltenem, etwas dünnem Vollbart, die Lippen ein wenig zu eng geschnitten, daß man die Zähne auffallend weiß blinken sah. Der Fremde lüftete den Hut. Ossanas schwarze Augen öffneten sich weit, und sie zischte ihrem Manne zu:

»Grüß ihn nit!«

Der Fremde blickte sie an mit gerunzelter Stirn. Meinhardt sagte ruhig zu seiner Frau:

»Komm, wir gehen hinein, es zieht.«

Sie schritt voraus, und die Tür ratterte zu. Meinhardt ging durch den ganzen Wagen. An der anderen Seite setzte er sich neben seine Frau. Dann sagte er leise, ohne sich umzublicken:

»Nimm dich doch in acht, Ossana!«

Aber sie zeigte noch immer ihr finsteres Gesicht. Er meinte beruhigend mit dem Lächeln des überlegenen Mannes, dem der kleine Kerl dort draußen ganz gleichgültig war:

»Schau, ich versteh' ja deinen Ärger wegen des Poldi, aber wer war denn schuld? Eigentlich der Poldi, und dann, unser Gentlemen, wenn so was ausgetragen ist, grüßt man sich, wir brauchen ja deswegen nicht grad' frère et cochon zu sein.«

Sie wendete absichtlich den Kopf ab, um nicht hinüberzublicken. Da sie nichts sagte, meinte er mit einem billigenden stolzen Blick der Liebe auf seine leidenschaftliche Frau:

»Was du für ein Temperament hast!«

»Ja, das hab' i.« »Es gefallt mir grad'!«

Sofort nahmen ihre Augen einen anderen Ausdruck an:

»Wirklich?«

»Freut dich das?

Sie preßte verstohlen zwischen ihnen, wo es niemand sah, seine Hand.

Als sie am Ruffinplatz ankamen, war der Baron Siebenlehn verschwunden. Und es wurde auch nicht weiter von ihm gesprochen. – – –

Ossana hatte Bekannten, die in Meran im Hotel wohnten, die landesfürstliche Burg gezeigt. Sie kamen eben heraus und umschritten noch einmal das alte Bauwerk aus den Zeilen des Kaisers Max. Man besah die schweren eisernen Körbe vor den Fenstern. Dann verabschiedete man sich. Die Bekannten wollten in die Stadt zurückkehren, Ossana aber mußte sich mit Meinhardt treffen, denn in einer Villa oberhalb des Tappeiner Weges waren sie eingeladen. Die junge Frau schritt die bequemen Kehren hinan, die sich am Küchelberg emporwanden. Immer tiefer versanken die altersgrauen Dächer. Sie ging langsam in der Sonne ihren Weg, von fremdartigen Gewächsen begleitet. Kein Mensch war hier zu erblicken, zu dieser Stunde saß schon alles in den Hotels beim Essen.

Da lag die Pfarrkirche gerade in der Tiefe vor ihr, und Ossana blickte nach der Uhr: es war noch viel zu zeitig. Meinhardt konnte noch nicht da sein.

Wolken standen in langen Strichen über dem Marlinger Berg, ab und zu versteckten sie die Sonne, die dann wieder blitzend durchbrach. Ossana hielt den Schirm in der Hand und ließ sich wohlig bescheinen. Sie wartete an der breitesten Stelle des Weges, auf das Geländer gelehnt. Man konnte von hier das ganze Tal überblicken: die weißen Kasten der Hotels, weit unten den Bahnhof und die letzten Häuser, die sich in die Gratscher Wiesen verloren. Ganz in der Ferne meinte sie Göllan zu erkennen. Aber von einem Zuge der Vintschgaubahn kräuselte eben eine Rauchwolke darüber. Links lag, die Moränenhalde hinauf, das Villenmeer von Mais ausgeschüttet.

Ossana ging weiter den Weg, Meinhardt entgegen. Aber es war immer noch eine Viertelstunde Zeit, so blieb sie beim Pulverturm, der aus Römerzeiten in die Gegenwart ragte, nochmals stehen. – Einen der Edelsitze nach dem anderen umfaßte ihr Auge: das gewaltige Viereck des alten Schlosses Planta, Goyen hoch oben schon über dem Naistal, und da unten Rosenstein und Rottenstein, Reichenbach und Knittenberg. Den Turm des Schlosses Winkel, dann wieder oben Labers, und immer weiter hinauf die Rochusburg, die von hier aus, nur wenig tiefer als die Fragsburg, etwas höher aber als Katzenstein, ihren scharfen Schattenriß in den Himmel schnitt.

Es war so warm geworden, daß Ossana nun doch den Sonnenschirm aufspannte. Sie lehnte sich über das Geländer und blickte hinunter, auf die efeuumsponnenen Reste der alten Stadtmauer, die zur Passer niederzog. Es machte ihr Spaß, über das Gewirr der Dächer blickend, die Lage der Straßenzüge dazwischen festzustellen, die sie als Kind schon gekannt. Aus allen Essen stieg jetzt um die Mittagsstunde der Rauch, zitternd und schwingend in den Strahlen der Sonne. Ein süßes Wohlgefühl war über die junge Frau gekommen. Sie, die einmal gefürchtet, sie möchte Meinhardt nie gewinnen, fühlte, daß sie ihm näher kam von Tag zu Tag. Wie das Zusammenleben zweier Menschen beide ändert, hatte auch sie sich immer mehr gewandelt. Sie hatte lernen müssen, sich anderen anzubequemen. Wie weit war jener Tag, da sie gejammert, daß ihretwegen in Göllan die Dienstboten verschwanden! Mit dem alten Aichschen Diener und seinen Eigenheiten war es nicht immer leicht. Und wieviel Zusammenstöße hatte es mit dem eigensinnigen kleinen Ding, der Theres, gegeben, die immer gemeint, ihr unter die Nase reiben zu müssen: so hatte es Margret gehalten, und so wünschte es der Herr Graf.

Längst gab es keine Auftritte mehr. Immer wieder fielen ihr Meinhardts Worte ein, die sie bei solcher Gelegenheit zu hören bekommen:

»Die Schuld liegt in der Mitte. Jeder von uns muß lernen, ein wenig nachgeben.«

Trotzdem schien es Ossana, als habe sie von ihrer Art nichts eingebüßt. Und doch: wäre sie nicht vor kurzem noch rasend geworden, so lange warten zu müssen? Aber sie war ja zu früh gekommen, nicht Meinhardt. Wie sie auf Meran, auf die Landschaft blickte, sah sie nichts davon, sondern immer nur stand das Bild des geliebten Mannes vor ihren Augen.

Da hörte sie jemand hinter sich gehen und, nicht anders meinend, als er müsse es sein, denn niemand war auf den verödeten Wegen zu erblicken, wandte sie sich um und eilte ihm ein paar Schritte entgegen. Aber im gleichen Augenblick hatte sie die kleinere Gestalt, das zähnezeigende Lächeln des Barons Siebenlehn erfaßt. Sofort ließ sie den Sonnenschirm gegen ihn sinken. Doch schon sagte er:

»Nun, gnädigste Gräfin?« Sie drehte sich um und sah ihm mit ihren großen Augen ins Gesicht:

»Bitte, Baron Siebenlehn, i hab' mit Ihnen nix zu tun.«

Er lächelte:

»Aber was ist denn nur geschehen?«

Plötzlich legte er die Hände zusammen, während der Stock ihm an der runden Krücke über dem Arm hing, und die gelben Handschuhe scheuerten bittend aneinander:

»Ich weiß ja, Gräfin, was es ist. Aber so müssen 's das net auffassen. Meine Auseinandersetzung mit Ihrem Herrn Schwager ist in anständigster Weise beigelegt worden. Ich will nicht untersuchen, wie es gekommen ist, die Sache ist eben vorbei. Und schauen's, verehrte Gräfin, mir ist das denkbar unangenehm gewesen, nachdem ich in Ihrem väterlichen Haus verkehrt hab'–«

Sie rief scharf:

»Also kurz: i wünsch' nit, daß Sie meinen Mann wieder grüßen und mich a nit.«

Baron Siebenlehn ließ die Hände sinken und vertrat ihr den Weg. Er zeigte lächelnd die Zähne:

»Nun, ich weiß nicht, wodurch ich Ihren allerhöchsten Zorn verdient hab', Sie sind doch früher immer sehr gnädig gegen mich gewesen, und nachdem ich wirklich bei Ihnen so oft –«

Bemüht, alles in andere Wege zu lenken, stemmte er sich jetzt auf seinen Krückstock, strich den Bart, und machte ein betrübtes Gesicht:

»Das ist nun alles vorbei. Wenn man denkt, wie schnell so etwas geht. Der Baron ist längst gestorben! Die Baronin, wie ich hörte, Klosterfrau geworden! Und die Gräfin Margret – –«

Ossana, etwas größer als er, zischte ihm von oben ins Gesicht:

»Nennen Sie den Namen meiner Schwester nicht!«

Er machte das unschuldigste Gesicht, doch beim Ausdruck von Ossanas Augen schwand sein Lächeln. Nur die zu kurzen Lippen konnte er nicht ganz schließen, und man sah jetzt die Schneidezähne ein Stück hervorragen wie bei einem Nagetier:

»Ich weiß nicht, Gräfin, was das – –«

»Und meine Schwester?«

Die gekünstelte, lächelnde Ruhe verließ ihn:

»Oh, bitte, ja, ja, ich weiß, ich hab' ihr schon ein wenig den Hof gemacht. Vielleicht auch zu viel, aber ich befand mich in sehr schwierigen Verhältnissen und – –«

Ossana trat so nah an ihn heran, daß die spitzen Stäbe ihres Sonnenschirms seinen Hut trafen, und er unwillkürlich einen halben Schritt zurückwich:

»Sie sind ein – ein –«

Er stotterte etwas, nahm plötzlich den Stock drohend in die Hand und machte achselzuckend eine spöttische Verbeugung:

»Was soll man gegen eine Dame tun?«

Sie sagte mit bebender Stimme:

»Ich weiß alles von meiner Schwester selbst! Sie Schuft!«

Seine Zähne blieben in Wut und Staunen von den Lippen entblößt.

Ossana aber wandte sich und eilte in ihrer Erregung blindlings davon, nicht der Gilfanlage zu, wo sie Meinhardt erwarten mußte, sondern auf den Schritten zurück, die sie gekommen.

Baron Siebenlehn sah der schlanken Gestalt nach.

Dann folgte er plötzlich eilig dem Wege nach Café Ortenstein, wo in der Tiefe die Hänge hinunter Häuser standen, die Straße hinaufführte zur Zenoburg, und unten die Wunderanlagen der Gilf mit ihren Zypressen, Palmen und Kakteen, mit Bambus und seltenen Stauden und Hölzern heraufragten. Da mit einemmal, als sei es wirklich ein Verhängnis, erblickte er die hohe Gestalt des Grafen Meinhardt Aich, den schweren Stock mit der Eisenzwinge in der Hand. Und der kleine Baron Siebenlehn wandte sich plötzlich zur Seite, wo eine Weingartentreppe hinabführte.

Meinhardt ging um den Pulverturm, er konnte Ossana nicht finden. Den Tappeiner Weg schritt er ein Stück hinunter, sie war nicht zu erblicken. Endlich kehrte er wieder an die weit ausgebaute Plattform am Turm zurück, sah nach der Uhr und wartete. Minuten verstrichen. Er begriff nicht, wo Ossana blieb. Langsam folgte er nochmals dem breiten Tappeiner Wege, betrachtete rechts und links die fremdländischen Pflanzen, die aus den Felsspalten wuchsen, musterte den Garten der Villa Helm, unwillkürlich, mit dem Auge des Kenners und Besitzers, vergleichend, wie dort wohl alles gediehe gegen seine eigenen Anlagen, dann schweifte sein Blick weit fort über die Dächer der Stadt, aus denen der Pfarrturm ragte, ganz nah unter ihm.

Wo blieb Ossana? Da meinte er, sie von weitem zu sehen. Er beschleunigte seine Schritte. Sie kam ihm entgegen. Ruhig sagte sie:

»Ich hab' mich verspätet, verzeih', Meinhardt!« Er begann zu erzählen, indem er mit ihr kehrtmachte, um zur Villa emporzusteigen, wo sie eingeladen waren:

»Denk' dir, wen ich getroffen hab', wie ich von Ortenstein herkomm': den Siebenlehn.«

Sie sah ihn ängstlich an. Aber er lachte über das ganze Gesicht:

»Und denk' dir, mit einemmal biegt er ab und klettert einen Weg hinunter, ich kenne ihn genau, der durch den Weingarten zu einem verschlossenen Tor führt. Der Esel kommt dort gar nicht auf die Straßen!«

»Hat er dich gesehen?«

»Sicher, sicher! Aber dem scheint's doch nicht geheuer zu sein! Der Poldi steckt ihm noch in den Knochen. Am End' grüßen wir uns nicht mehr. Vielleicht hast du recht, Ossana! Du ahnst alles im voraus. Aber nun schnell, wir kommen schon ein paar Minuten zu spät.«


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