Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Siebentes Kapitel

Das Henrietterl wollte »sofort« heiraten, als hätte sie nicht Zeit gehabt bei ihren neunzehn Jahren. Damit war das ganze Leben in Göllan verändert. Baron Durazzi, der mit dem kargen Taschengelde, das Tante Angiolina ihm zubilligte, nicht viel mehr konnte als nur die Kurpromenade besuchen, unternahm nun unter dem Vorwande des Geldaufnehmens Entdeckungsreisen und Lustfahrten in die Umgebung. Bald mußte er mit einem Geschäftsmann zusammentreffen, bald fand er abends bei »Marchetti« oder in der »Kurhausschwemme« einen Advokaten, der Rat schaffen sollte. Immer öfter gab es einen Grund, fortzubleiben.

Tante Angiolina zeterte: der alte Herr war mehr denn einmal mit einem tüchtigen Haarbeutel heimgekehrt. Beim Nachtessen saß er freilich da, als ob er kein Wässerchen trübte, und trennte sich die Familie zum Schlafengehen, so stieg er artig die Treppe hinauf, zum obersten Geschoß des alten Ansitzes, wo die Schlafzimmer lagen. Wenn dann aber eine halbe Stunde darauf Tante Angiolina an ihres Mannes Zimmer klinkte und hineinsah, war das Nest leer. Sie fühlte sich jetzt immer wie erschlagen abends: lange Wege hatte sie oft gemacht, das Geld aufzutreiben, denn auf ihren Mann verließ sie sich nicht, wie oft er sie auch von einemmal zum andern vertröstete. Ihr begann ängstlich zu werden: auch Pfarrer Niederwieser hatte keinen Rat gewußt. Als Ungerechtigkeit empfand sie es, daß für sie, die immer den Geboten der Kirche gefolgt, nichts geschah. In ihrer Verzweiflung hatte sie recht wenig ehrerbietig mit dem geistlichen Herrn gesprochen. Da gab es keine Demut mehr und kein Handküssen, – ja, zu einem kleinen Auftritt war es gekommen, denn die Urwüchsigkeit des Bauernsohnes ließ sich nicht auf Artigkeiten ein. Verzweifelt war sie davongerannt. Was sollte jetzt werden?

Da eines Tages, als die Sonne noch immer glühend über dem Etschlande stand, Obst und Trauben reifend, und die Mädchen ihr Nachmittagsschläfchen hielten, nahm Tante Angiolina aus dem eingelegten Kästchen, das ihr Mann ihr einst in Cortina geschenkt, damals als er noch im ersten Feuer der Ehe geglüht – es hatte bei ihm freilich nicht lange angehalten – Nadeln und steckte sich das Haar zurecht. Sie setzte den Hut auf, ein wenig bunt: Geschmack der Italienerin. Und wie ihr aus dem Spiegel ihre noch immer schönen großen schwarzen Augen entgegensahen, die sie den Töchtern vererbt, kam ihr wieder der Gedanke: Sollten diese Mädchen, diese schönen Mädchen, in Not geraten oder in kleine Verhältnisse, sie, die zu Gräfinnen geboren?

Auf den Zehen schleichend über den oberen Flur, wo die Diele immer knarrte, verschwand sie im dicht belaubten Weingarten. Eine Tram kam eben geglitten. Dann saß sie in der Backofenhitze des Glaskastens, daß auch ihr, der Sonnegewohnten, die Schweißtropfen auf der Nase standen und blickte über das Tal hinüber, wo immer ab und zu zwischen Häusern, zwischen Bäumen die Rochusburg auftauchte und wieder verschwand. Was galt es ihr, daß ihr Mann den Gang verboten! Wenn sie nur das Geld brachte, er schaffte es ja doch nicht. Sie überlegte, was sie Meinhardt sagen sollte. Sie wiederholte es sich, vom Ruffinplatz ab, die sonnenblendenden Straßen durch Obermais. Der sparsamen Frau, die keinen Wagen genommen, ward es sauer, ihrem umfangreichen Leibe den Weg abzuringen, auf den unerbittlich vom stahlblauen Himmel die Sonne glühte.

Ab und zu blieb sie stehen, ganz außer Atem. Sie wischte sich das Gesicht. Ihre Füße brannten. Rot waren ihre dicken Hände geworden, auf deren rechtem vierten Finger der Ehering so eingegraben saß, daß sie ihn auch zum Waschen nicht mehr abnehmen konnte. Die weißen gehäkelten Halbhandschuhe schützten nicht. Ihr war, als könne sie einfach nicht weiter. Und in dem Winkel, den die Straße den Berg hinan über St. Valentin machte, wuchs die Glut so unerträglich, daß ihr das Blut zu Kopf stieg und es ihr vor den Augen flimmerte. Sie hatte nicht mehr die Kraft, eine Bank oder auch nur einen Stein zu erreichen, sondern ließ sich einfach im Graben zu Boden gleiten. Die Hände nach hinten aufgestemmt, da sie keine Rückenlehne fand, hatte sie eine Weile so gesessen, als einer vorüberkam, der wie ein Herr aussah. Er schien die Dame erst zu mustern, und sie, die gewiß nie jemand angeredet hätte, sei es auch nur ein Bauernmädel, stöhnte verlegen lächelnd, sich vor dem Fremden so im Straßengraben zu finden:

»'s ist heiß!«

Der blieb stehen: »Jräßlich!«

Er war in Hemdärmeln. Durch den Aufhänger des Rockes hatte er seinen Stock gesteckt; das Kleidungsstück baumelte gleich einer Fahne auf dem Rücken. Er nahm seinen Strohhut ab, sich die Stirn zu tupfen: »Und janz umsonst da rufpinschern!«

Sie ließ schlaff die Knie auseinanderfallen, nickte keuchend, und der Herr sah ihr glühend rotes Gesicht und hörte ihren Atem gehen. Da zog er ein Päckchen Pfefferminz aus der Tasche und bot es ihr an. Einen Augenblick zauderte sie: eine Dame hier am Wege mit einem fremden Herrn schwatzen und noch dazu sich freihalten lassen? Was hätte sie wohl von einer anderen gesagt! Doch als sie das erfrischende weiße Plätzchen sah, lief ihr das Wasser im Munde zusammen, sie konnte nicht widerstehen, und mit leiser Anstrengung griff sie zu.

»O bitte, nehmen Sie nur noch mehr!«

Er schüttete ihr den halben Inhalt in die offene Hand. Sie dankte nur mit einem Schließen der roten Augendeckel, über den schwarzen runden Feuerrädern, auf deren Wimpern kleine Tröpfchen standen. Und während sie lutschte, lächelte sie ihn blöde an. Der Herr ließ sich, indem ihm stöhnend die Luft entfuhr, dicht an ihrer Seite gleichfalls in den Straßengraben fallen. Ein wenig verlegen rückte sie fort. Er schien nichts zu merken, sprach von der Schönheit der Gegend, und indem er sie aus seinen wasserblauen Augen ansah, meinte er in norddeutschem Ton:

»Hören Sie mal, kalt ist's bei Ihnen nich, jute Frau!«

Gute Frau? Tante Angiolina tat die Anrede weh. Sie betrachtete ihn scheu von der Seite. Nun erst sah sie, welch hübscher Mensch er war. Am guten Schneider, der feinen Wäsche, der Krawattennadel, den dünnen gelben Halbschuhen erkannte sie den Herrn und wurde etwas befangen. Er deutete in die Tiefe, fragte, wie dieses und jenes heiße, – sehr unbefangen, wie man mit jemand spricht, dem man begegnet und den man nie in seinem Leben wiedersehen wird. Er erzählte, er sei hier fremd; eben käme er von der Rochusburg herab:

»Graf Aich hatte mir jeschrieben, er sei immer zu Hause. Na, da habe ich mich vorher nich anjemeldet. Es ist zu dumm! Ich Ochse habe ooch noch auf halber Höhe den Gaul wieder runterjeschickt. Ich kann die Pferdeschinderei nich mit ansehen – wissen Sie, wenn man selber Gäule hat!«

Tante Angiolina kam sich ein wenig gedemütigt vor. Für was hielt er sie wohl, sie, die in der Glut hier zu Fuß hinaufgelaufen war, und nun einfach im Straßengraben liegenblieb. Und um sich ins rechte Licht zu rücken, sagte sie, auch sie wolle zur Rochusburg, ihren Verwandten zu besuchen.

»Graf Aich?«

»Ja, meinen Neffen.«

Sie freute sich, das Wort klingen zu lassen. Es kam etwas von oben herab von der dicken Frau, die doch schwitzend auf der Erde saß.

Der Herr erhob sich, sagte etwas von »Gnädige Frau, darf ich mich bekannt machen«, schloß die Absätze und nannte einen adeligen Namen. Dann meinte er: »Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich in Hemdärmeln bin. Der genius loci muß es erklären. übrigens, in London, als ich an der Botschaft war, war ich viel mit Graf Aich zusammen. Pardon, gnädige Frau, wohnen Sie denn da oben?«

»Nein, ich besuche ihn nur.«

»Aber er ist nicht da! Er ist seit ein paar Tagen schon verreist.«

Tante Angiolinas Mund blieb offen stehen: »Davon weiß ich ja gar nichts!«

»Er kommt auch, wie es scheint, so bald nich wieder. Der Diener hat nich mal 'ne Ahnung, wo er steckt. Briefe und Zeitungen werden nicht nachjeschickt. Das sieht ihm ähnlich, das machte er früher ooch schon so.«

Wieder fielen ihre Knie auseinander, die sie mit aller Willenskraft nur geschlossen, und der gewaltige Busen hob und senkte sich schwer. Sie meinte, eigentlich ein wenig froh, denn sie konnte wirklich nicht mehr von der Stelle: »Dann brauch' ich ja nit erst hinaufzugehn!«

Und doch durchzuckte sie ein Schreck: Was sollte dann werden? Denn nach der Hochzeit des Henrietterls gehörten die schönen Zinsen wieder dieser! Ihr flimmerte abermals vor den Augen, sie schwankte und lehnte sich zurück, beinah' wäre sie umgefallen. Doch der junge deutsche Herr stützte sie. Da nahm sie ihre letzte Willenskraft zusammen und erhob sich mit seiner Hilfe. Er sagte sehr entschlossen: »Gnädige Frau, ich lasse Sie nicht allein hinunter. Sie jestatten, daß ich Sie begleite.«

Nebeneinander schritten sie die Straße hinab. Als ein Stück Pflaster kam, rutschte Tante Angiolina aus. Da bot er ihr den Arm, nicht anders meinend, als ein Schlaganfall möchte die Dicke treffen, denn sie war rot wie ein Kardinal.

Just in diesem Augenblick kamen zwei Damen vorüber, Schwestern, wie es schien, ältlich, aber in weißen Kleidern mit blauen Sonnenschirmen. Sie grüßten, und hinter dem Rücken Tante Angiolinas steckten sie sofort die Köpfe zusammen, als würde beim nächsten Tee eine neue Fahrt zur Virglwarte besprochen werden.

Schon tief in Obermais, auf der Langegasse, blieb Baronin Durazzi an einer Villa stehen: »Ich dank' Ihnen schön, Sie sind wirklich sehr liebenswürdig gewesen.«

Und ihre Italieneraugen schlugen ein Feuerrad, mit Aufgebot letzter Anstrengung, denn sie fühlte, sie war mit ihrer Kraft zu Ende. Hier, wo Bekannte wohnten, konnte sie sich ein wenig verschnaufen. Der Herr war im Begriff zu gehen, als er noch einmal an sie herantrat:

»Gnädigste Frau, bei Vorstellungen mit Damen erfährt man nie den Namen. Ist's sehr unbescheiden, wenn ich frage, mit wem ich die Ehre jehabt habe?«

»Baronin Durazzi.«

Damit glaubte sie etwas gesagt zu haben, das ihre Stellung sofort blitzartig beleuchtete. Doch der Norddeutsche hatte offenbar von der Familie nie etwas gehört, denn mit einem etwas nichtssagenden »Ah, danke sehr!« verabschiedete er sich.

Vor Kummer und Erregung, vor Hitze und Anstrengung bekam sie bei ihren Bekannten, die glücklicherweise zu Hause waren, einen Weinkrampf. Man ließ sie nicht fort, wenn auch Baronin Durazzi noch so oft erklärte, sie müsse notwendig nach Hause. Ein unruhiges Gefühl lebte in ihr. Was würden die anderen denken? Vielleicht ängstigte man sich um sie, und bei aller Schwäche lächelte sie, denn ihr alterndes Herz sehnte sich, seitdem der Himmel sie in Stich gelassen, ein wenig nach irdischer Teilnahme. So blieb sie denn, bis über das sonnenbrütende, dunstige Land die Schatten niederzusinken begannen.

In Göllan horte sie schon von weitem Lärm und Lachen. Das Henrietterl hatte nicht widerstehen können, Meinhardts Geschenk, das Brautkleid, anzuprobieren. Die ungewohnte Schleppe hinter sich herrauschen lassend, schritt sie im Wohnzimmer auf und ab. Ossana lief hinterdrein und strich die Falten glatt. Margret saß auf dem Sofa, das Kinn in die Hand gestützt, so in Gedanken, daß sie nicht einmal der Mutter Eintreten bemerkte. Die schlug die Hände zusammen: »Aber, das zeigt man doch nicht vorher! Das bringt ja Unglück!«

Die drei starrten sie an wie eine Erscheinung. Es kam heraus, daß der Baron, nachdem er mehrmals nach seiner Frau gefragt, davongefahren war. Die Gatten mußten aneinander vorübergesaust sein. Ossana ging mit dem Henrietterl hinauf, das Brautkleid auszuziehen. Baronin Durazzi sank in einen Stuhl und sagte halb wütend, halb klagend zu Margret, die noch immer in der Sofaecke saß: »Ich quäl' mich und schind' mich, um Geld zu schaffen, und er fahrt in der Welt umanand. Mei Bluat geht so lufti, jawohl!«

Und mit einemmal begann die dicke Frau zu weinen. Margret stand auf, streichelte ihre Mutter. Der Eltern Geldnot ging ihr durch den Sinn: »Steht's denn wirklich so schlimm? Mama, geh, jetzt sag' amal!«

»Ja, ja, der Papa meint zwar, man soll's euch nicht sagen! Einem muß man's aber doch sagen, man kann nit alles in sich hineinfressen, und so sag ich dir's: du bist die Vernünftigere, die Ernstere, mein liebes, liebes Kind! Wenn du uns nur nit das getan hätt'st, daß du diesen lieben guten Menschen – ach Gott, ach Gott!«

Sie blieb nicht bei der weichen Stimmung: über den Gedanken an ihren Herrn und Gebieter hinweg, der gewiß wieder in der Weinstube saß und wer weiß um wieviel Uhr erst heimkehrte, wurde sie ärgerlich. Da sie immer eines Blitzableiters bedurfte, fuhr das Gewitter auf Margrets Haupt. Dunkel waren die Worte, doch der Untergrund klar: daß Margret mit dem Korb, den sie dem Vetter erteilt, alle Hoffnungen der Familie begraben und sie ins Unglück gestürzt hätte. Margret ließ das Unwetter sich austoben. Als das letzte Wetterleuchten zuckte und nur noch ein ferner Donner grollte, sagte sie gute Nacht.

Tante Angiolina ging die Treppe hinauf, daneben, durch die ewig knarrende Diele getrennt, lag des alten Barons Schlafzimmer. Sie öffnete – es war leer. Der Schlüssel steckte außen. Zweimal herum drehte sie ihn und nahm ihn mit. Dann ging sie quer herüber und verschwand in ihrer Tür.

Ruhig lag der große Flur im roten Licht der ewigen Lampe aus dem Herrgottswinkel, das die alte schwere Balkendecke, geschmacklos weiß übertüncht, zurückwarf. Durch die bleigefaßten Scheiben mit ihrem grauen, anstrichlosen Holz, von der Sonne ausgetrocknet, von den Jahren gebleicht, sah man draußen im Garten die Schatten dunkler Bäume.

Die Stunden gingen hin. Alles blieb still. Da tappte etwas die Treppe herauf. Auf der obersten Stufe bückte sich Baron Durazzi und zog, ehe er den Stein verließ, als müsse er vom Rande eines Gewässers zum anderen Ufer waten, die Schuhe aus. In Strümpfen schlich er zur Tür und klinkte. Klinkte wieder, setzte die Schuhe hin, drückte mit beiden Händen, geriet in Wut und mit einemmal rief er, alle Vorsicht vergessend: »Teifel, Dummheit verfluchte!«

Nun rüttelte er so, daß es durch Flur und Treppe im ganzen Hause widerhallte. Die Schwestern waren erwacht. In den Betten aufgerichtet, starrten sie sich mit schreckverstörten Gesichtern an. Als aber draußen neues Getöse klang, als sollten Türen eingetreten und Klinken abgebrochen werden, zogen sie sich die Laken, unter denen sie bei der Hitze nur geschlafen, bis zum Kinn hinauf.

Da huschte vom Nebenzimmer das Henrietterl herein, im Nachtgewand, mit bloßen Füßen, ein Tuch um den Kopf gewickelt, wie sie zu schlafen pflegte, daß ihr reiches Haar sich nicht verwirre: »Was is denn g'schehn? Was is denn g'schehn?«

Die Mädchen kamen überein, es müßten Einbrecher sein, und getrauten sich nicht hinaus. Doch bald faßte sich das Henrietterl ein Herz und lugte vorsichtig durch den Spalt. Sofort prallte sie zurück: »Jessas, der Onkel!«

Nun erschienen auch die Schwestern, in ihre Laken gehüllt. Das Henrietterl lief ins Zimmer zurück und schlüpfte in einen Schlafrock. Dann gingen sie alle drei auf den Flur. Fuchsteufelswild rannte der Papa auf und ab. Und nun erst sahen sie, daß er in Strümpfen war. Ossana lachte: »Papa, was hast denn?«

Er brummte: »Ich hab' euch nit weck'n woll'n.«

Das Henrietterl kicherte unverschämt: »Da schau einer, der Onkel!«

Jetzt kamen sie auf den Gedanken, die Mama zu rufen. Margret klopfte, es ward aufgetan, ein Nachtjackenarm reichte einen Schlüssel heraus: »Da ist er!«

Die Mädchen waren einen Augenblick starr, dann begriffen sie und fingen an zu lachen. Das Henrietterl bog sich nur so und mußte sich an die Wand lehnen, Ossana schutterte, daß sie nur schwer die Falten ihres Lakens zusammenhielt. Nur Margret bemeisterte sich. Der alte Baron aber stürzte auf die Hand mit dem Schlüssel zu. Sofort hatte er den Fuß zwischen die Tür geklemmt: »Jetzt sollst mi aber kennenlernen! Heruntergeputzt hast mi wegen der Hypothek, als ob ich mir nit eh genug die Füß' ablaufen tät'. Hätt'st doch du dich drum 'kümmert! Aber du gehst zum Rosenkranz und rennst auf deine Tees umanander. Spinnst wohl! Zittern sollst vor mir! I hab' die Hosen an! Ich verbitt' mir solch' Dummheiten –«

Er bebte vor Wut, aber man sah nichts mehr von Tante Angiolina: der Arm hatte sich zurückgezogen, die Tür wurde zugedrückt. Ein neuer Zornausbruch überkam ihn: »Überhaupt hier draußen vor der Tür red' i nit mit dir, mach' auf!«

Drohend pochte er mit dem Schlüssel an dem Holz, nichts rührte sich. Da wandte er sich um und sah die Mädel stehen. Das Henrietterl wie ein Taschenmesser zusammengeklappt, krank vor Lachen, an der Wand, die beiden anderen in ihren abenteuerlichen Notgewändern. Und plötzlich packte es ihn auch. Er lachte, lachte, daß ihm die Tränen herunterliefen. Und als das Henrietterl nun noch mehr sich zu winden begann, den Turban auf dem Kopf, deutete der alle Herr mit dem Schlüssel auf sie, die er noch nie im Nachtgewand erblickt: »Jessas, a Türk'!«

Nun brüllte er förmlich, fand Antwort bei den anderen, entzündete sich daran zu noch größerer Heiterkeit, und schließlich hallte der Flur wider von all den hohen, tiefen, grellen und erstickten Lauten.

Doch mit einemmal deutete Ossana starr zur Treppe, und mit einem Kreischen stoben die drei Mädel in ihre Zimmer davon. Über der obersten Stufe war das runde, glattrasierte, erstaunte Gesicht des Dieners aufgetaucht, der eine Kerze hoch über dem Kopf hielt. Baron Durazzi sah ihn an: »Geh, schon gut! Guten Morgen!«

»Sehr wohl, Herr Baron.«

Er verschwand, und der alte Herr wartete, bis man nichts mehr hörte. Dann versuchte er sein Zimmer aufzuschließen, doch er konnte das Schlüsselloch nicht finden. Er ließ sich herab, daß er beinah auf den Knien saß, zielte – die Tür ging auf. Er drehte das Licht an. Da es ihm dumpfig heiß schien, öffnete er das Fenster und lehnte sich hinaus. Tat das gut, die Kühle der Nacht! Da fuhr er zusammen: drüben an der Wand stand einer. Er duckte sich, der andere auch. Er richtete sich hoch auf – der freche Kerl da unten tat das gleiche. Endlich dämmerte es ihm, und er verbeugte sich spöttisch vor seinem Schatten: »Servus!«

Aber er hatte Furcht vor seinem Bett, nahm seinen Hut vom Nagel und laut pfeifend, wenn auch in der Meinung, es sei ganz leise, ging er die Treppe hinab. Den Säulengang schlich er ein Stück hinunter, am verschlafenen Küchenfenster vorüber. Dort tickte einsam die Uhr. Durch das Hinterpförtchen erreichte er den Garten. Er krempelte sich die Ärmel auf, daß die kühle Luft seine heißen Gelenke umspüle und dehnte sich in unendlichem Wohlsein. Alle Zauber einer Sommernacht des Südens lagen über dem Garten. Schwarz stiegen die steilen Zypressen empor; eine riesige Säule: die gewaltige Wellingtonia; befiedert mit hängenden Gipfeln: die Zedern; der Lorbeer dicht, und rund die Büsche der Thujen. Die sonst bei jedem Winde leise zitternden Fingerspitzen der Palmenblätter streckten sich unbewegt in den Nachthimmel. Wie ein Gerippe stand die stachlige scharfe Araukaria dort an geschütztem Fleck. Die Rosen dufteten betäubend. Gewaltige Kugeln, hoben sich die Edelkastanien ab von dem schon matten Himmel, an dem die Sterne starben. Die hellen Stämme der Nußbäume leuchteten aus dem Morgendämmern. Irgend etwas huschte im Gebüsch, regte sich in den Zweigen. Es plätscherte im kleinen Weiher, Bambus und Pampasgras rauschten. Dann süße, selige Ruhe.

Der alte Baron strich, die Hände in den Taschen, durch die dichten Halme des Grasplatzes, ein wenig gelb, verbrannt von den Sonnengluten, denn niemand sorgte für das Spritzen. Nun kam er über die Wiese. Die Füße wurden ihm kalt. Ja ja, der Sepp wässerte gut! Das war Bauernarbeit, das verstand er schon, nur die Kalvillen mochte er nicht leiden. Aus dem Wal, der von Marling nach Lana hinüberführte, von dem Göllan die »Nachtroat« hatte, plätscherte es, und der alte Herr rettete sich eilig. Bald ging er wieder langsam, er war so faul, so lässig. Gerade vor dem Ansitz, dem Schlafzimmer seiner Töchter droben gegenüber, setzte er sich auf eine Steinbank. Die Kühle tat ihm wohl. Er lehnte sich zurück und summte nach alter Gewohnheit ein Lied.

Da öffnete sich ein Fenster. Eine Gestalt beugte sich vor, eine Stimme fragte: »Bist du's, Papa? Aber so komm doch herein! Komm! Du wirst dich verkühlen!«

»Ossana red' keine Dummheiten!«

»Die Ossana schläft. Ich bin's, die Margret. Wirklich, Papa, sei g'scheit, was wird denn die Mama sagen!«

Der alte Herr ward bös: »Die hat mich doch hinausg'sperrt!« Und mit dem Eigensinn, den der Weingeist ins Hirn treibt, brummte er:

»Jetzt bleib' i ganz draußen. Jetzt soll's einmal sehn!«

Das Fenster oben ging leise zu. Der Baron gähnte – ein wenig müde war er doch – und suchte sich eine bequemere Stellung. Eine Weile mochte er so gesessen haben, da hörte er eine Stimme. Und wie er die verschlafenen Augen öffnete, stand Margret angekleidet vor ihm. Sie nahm ihn bei der Hand: »Geh, Papa, komm herein, daß du dich nit verkühlst! Lieber, guter Papa, geh!«

Sie küßte ihn, wandte sich aber ab, denn der Weindunst war ihr entgegengeschlagen. Er drückte ihre Hand: »Schau, Margreterl, du bist gut, du hätt'st mi nit hinausg'sperrt.«

Er wurde immer trauriger: »Ja, ja, mir geht's nit mehr gut! Mi behandeln's schlecht! Na 's ist eh schon alles eins, – vielleicht müssen wir doch bald fort von da, denn mit dem Gelde geht's nun amal zu End'.«

Und im heulenden Elend fuhr er fort: »Das ist der Lauf der Welt! Alles muß amal enden! Schön war's, aber jetzt ist alles pfutsch. Ja, ja, mei lieb's Kind, nur um di tut's mir halt leid... Du sagst ja nix? Red', red'! Oh, wie oft, mein Margreterl, hab' i mi g'freut, daß du so ein stiller Geist im Haus bist und mich nit auszankst wie die Mama. Ja, ja, deinem Vater geht's schlecht, sehr schlecht! Es wär' schon besser, ich wär' gestorben. Zum Fressen haben wir eh nix mehr, die Mama geht dann doch ins Kloster, und ihr – erben tut ihr nix. Du, mein liebes Kind, nimmst dann doch vielleicht meinen besten, meinen einzigen Freund, ich hab' ja kein' anderen auf der Welt als den Meinhardt.«

Margret sah, daß sie den Vater nicht zur Ruhe brachte, so führte sie ihn wenigstens ein Stück den Garten hinauf, sonst wachte die Mama noch auf, und dann gab's morgen wieder Lärm. Der alte Herr jammerte weiter von dem Elend, in das sie nun kämen. Er fand förmlich Freude daran, sich hinein zu verbeißen – schildernd, wie die Durazzi von Haus und Hof getrieben würden, die Durazzi, die Hunderte von Jahren in Göllan saßen. Am kleinen Weiher blieben sie stehen, Margret drückte ihres Vaters Arm: »Papa, sag' mir die Wahrheit. Steht's wirklich so schlecht mit uns?«

Ihr Ton war so ernst, daß er ein wenig aus der Weinstimmung erwachte und alle Einzelheiten zu erzählen begann. Zum ersten Male erfuhr sie – wobei ja der alte Herr in seinem Leichtsinn mindestens ein Auge zugedrückt –, wie und warum das Henrietterl damals von der Rochusburg zu ihnen gekommen war. Erfuhr, daß man sozusagen von ihren Zinsen sieben Jahre gelebt hatte. Des stolzen Mädchens Wangen röteten sich leise: also sie nahmen das Geld der Aich, deren Haupt sie einen Korb gegeben.

Der blonde große Mann stand vor ihr und neben ihm die Gestalt jenes anderen, der einst dort, ja genau da drüben in der Lücke zwischen den Zypressen verschwunden war; jenes einst geliebten Mannes mit dem lachenden, leichtfertigen Gesicht, den blendenden Zähnen, der zur Virglwarte fuhr, der mit dem blonden Weibsbild auf Reisen ging, dem sie den letzten scharfen Abschied gegeben, nachdem er ihr doch das Furchtbarste angetan in ihrer Unerfahrenheit und Schwäche. Und in doppelter Schmach trat doppelte Glut auf ihre Wangen: Wut, Scham, Empörung. Sie dachte an ihn, als müsse sie ihn anspeien, und konnte ihn doch nicht aus ihrem Leben löschen. Aber immer wieder vermengte sich sein Bild mit jenem ihres Vetters. Ihr kam zum Bewußtsein, daß diese Hand, die sich ihr entgegenstreckte, Ruhe und Gleichgewicht, Glück und Segen bedeutete. Und sie fühlte, sie durfte sie nicht nehmen. Dann wieder hörte sie neben sich die Stimme ihres Vaters, jammernd und klagend. Sie stand der Rettung der Eltern im Wege! Wie gern würde sie, wenn sie das Schreckgespenst aus ihrem Leben hätte streichen können, das eingegriffen in ihre Jugend, ohne daß ihre Unerfahrenheit recht erfaßt, wessen sie sich begab, die Hand genommen haben, die sich ihr bot. Aus Not? Aus Achtung? Aus Schwäche? Aus – Liebe? Sie wußte nur, sie wäre am liebsten in das Wasser gegangen, das da im ersten Morgenschein wie ein Bleispiegel ihr entgegenglänzte.

Da fragte unvermittelt ihr Vater: »Willst du uns zugrunde gehen lassen? Einen Finger brauchst nur auszustrecken!«

Er schien nüchterner, vernünftiger zu werden: »Ich will dir was erklären!«

Ernst, feierlich, führte er sie hinauf, dort, wo die letzte Bank unter den Kastanienbäumen stand. Da setzte er sie hin, nahm ihre beiden Hände, tätschelte und streichelte sie und begann gleichsam eine Eröffnung:

»Ich will dir was g'stehn! Schau, wie ich g'heiratet hab`, war ich nit mehr jung. Du bist ein kleines Mädel! Du denkst, die Liebe fällt vom Himmel herab und nix gibt's in der Eh' als nur die Liebe. Du kennst das Leben nit. Schau, meinst, ich hätt' g`heiratet aus Liebe? So wie mit zwanzig Jahren? Na, na. Ich hab' mir denkt: Du wirst älter und amal muß es sein, denn du mußt einen Sohn haben! Die Durazzi geh'n zu End', und um die wär's schad'! Schau, so sind wir z'sammenkommen, die Mama und ich. Und nun gehn sie doch zu End', die Durazzi. Aber ich hab' euch ja grad' so gern, wann ihr auch nur Mädeln seid! Also siehst: so kommen Ehen zustand'! Aber is' schlecht so vom Mann? Na! Die Weiber tun's akkurat so! Die Verhältnisse passen zueinand', die Familien! So g'schiehts bei... bei... ich mag keine Zahlen ... bei so und soviel Prozent! Meinst, die besten Ehen sind die, die in der heißen Leidenschaft g'schlossen werden? O je, wie lang' glüht das Feuer! Bald ist's hin, bei die Männer und bei die Weiber. Ja, ja, du bist ein Mädel und kennst solche G'schichten nit! Ich sag' dir, Margreterl, wann alles gut zuanander paßt und man Achtung haben kann...« Baron Durazzi reckte sich auf und nahm eine selbstbewußte Miene an, als müsse man ihm, dem armen, alten Hascherl, das ein wenig benebelt der Tochter Eröffnungen machte, die Achtung zollen, die er als Liebesersatz hinstellte:

»Schau, das gibt das wahre Glück! Ein ganzer Mann ist der Meinhardt schon! Achtung kannst vor ihm haben!«

Sie sagte leise: »Und er vor mir?«

Doch der alte Herr hörte es nicht, sondern fuhr fort zu predigen. Mit einem Male hielt er inne und blinzelte sie mit den müden Äuglein an: »Mir fallt was ein, – sag' amal, magst ihn denn wirklich nit? Ich mein' nit Liebe, ich mein' so – – gefallt er dir gar nit?« »Doch, Papa!«

»Nun und – dann könntest nit ihn und uns alle glücklich machen?«

Er streichelte ihre Wange, zog sie an sich, und sie schmiegte ihren Kopf an seine Brust, denn sie wollte ihn nicht anblicken, während sie leise sprach: »I kann nit, i hab' Angst!«

Er verstand anders als das Mädchen. Er versuchte ihre Stirn in die Höhe zu richten und ihr in die Augen zu sehen: »Ah, das ist's! O je! Ja, das muß doch eine jede einmal erleiden! So ein Mädel, Angst, ha! Laß dich auslachen! Schau, das hätt' i nit gedacht! Man kennt sich doch nie aus mit die Weiber! Und mei Tochter willst sein? Na, dann is ja alles gut, dann is alles gut!«

Er kicherte vor sich hin und gab ihr schmeichelnd einen zärtlichen, leisen Backenstreich. Ohne Verständnis sah sie ihn an. Sie erhob sich: »Papa, jetzt komm herein, du mußt schlafen!«

Er hielt ihr die Hand hin: »Schön, Margreterl, aber nur unter einer Bedingung. Du mußt wenigstens mit ihm reden! Du wirst wieder gut sein mit ihm! Du wirst ihm nit aus dem Weg gehn! Meinst, wir hätten das nit a bemerkt? Willst mir's versprechen?«

»Ja.«

Er nahm fröhlich ihre Hand: »Jetzt fahr' i morgen hinauf, i bring' ihn dir. Wenn's nur das ist! Ha, ha, ha! Seid ihr a G'sellschaft!«

Dann aber umfaßte er sie zärtlich, während die beiden dem Hause zuschritten: »Aber, Margreterl, es macht dir Ehr'!« Sie sah ihn mit flehenden Augen an: »Papa, geh, bitt' dich, sag' das nit!«

Doch er wußte es besser, lächelte vor sich hin, und den Arm um die Schulter seiner Tochter gelegt, stiegen sie langsam die schiefe Hoftreppe hinan.


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