Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Fünftes Kapitel

Die Tage gingen hin in ewiger Himmelsbläue; wärmer wurde es und wärmer. Fort waren die Fremden, die Meran besuchten, um im Sonnenlande Gleichgewicht der Seele zu finden und Ruhe für die von Arbeit und Unrast der großen Stadt erregten und gepeinigten Nerven. Die Villen, die Pensionen, die Hotels, eines nach dem anderen schloß die wintermüden Fensterläden. Meran begann den Meranern wieder zu gehören. In St. Valentin, in Trauttmannstorff, in den Gilfanlagen saßen andere Menschen. Die Eingesessenen: Geschäftsleute, Beamte, Alternde im Ruhestand. Dazu Grundbesitzer und Bauern, von den Nachbarorten und Tälern hereingekommen zu Handel, Geschäft, Trunk und Rast.

Durazzis sah man kaum mehr auf der Kurpromenade. Höchstens kam die eine oder andere der Damen am Morgen herein, etwas zu besorgen. Nur der alte Baron erschien täglich, doch nicht um in den Kuranlagen Bekanntschaften zu machen, nein, jetzt stand er am Rennweg, blinzelte den Einheimischen zu und bummelte durch die Laubengasse, die sich im Mittelalterbilde ihrer Hunderte von Erkern zum Pfarrplatz schlängelte und mit ihren gewölbten Gängen bei Sonnenbrand Kühlung, bei schlechtem Wetter trockene Wege bot. Die Berglauben, dem Küchelberge zu gelegen, pflegte er hinaufzugehen, die Wasserlauben auf der Passerseite hinab. Bei jedem dritten Laden blieb er stehen. Mit dem Schlächter redete er über den Auftrieb an Vieh, eine dicke Frau im Tuchwarengeschäft begrüßte er so ritterlich, als sei sie noch das liebe Mädel mit den Guckerln, wie er es vor dreißig Jahren gekannt, da er mit ihr abends an der Wassermauer verstohlen spazierengegangen, und sie betreute doch schon ein Enkelkind. Wenn er einen Bekannten traf, pflegte er ihn ein Stück zu begleiten, um gewiß einen anderen zu finden, den er zurückbringen konnte.

Nie schien er so glücklich, als wenn ihm Meinhardt Aich begegnete. Schade nur, daß der so viel beschäftigt war. Einmal mußte er zum Dr. Kofler, dem Advokaten, oder er hatte mit dem Geometer wegen Grundvermessungen zu tun, im Obstgeschäft gab es Bescheid zu sagen, denn die verkauften die Rochusburger Erzeugnisse. Während Meinhardt verhandelte, redete der alte Baron mit den anderen Leuten der Familie, die – Zeit hatten alle hier, erstaunlich viel Zeit – immer neugierig dabei standen, in ruhiger Lässigkeit, zu schwatzen.

Wenn Meinhardt ihm das Geleit gab bis zur Tram, vielleicht mitfuhr nach Göllan, war der Baron glückselig, all die unbeträchtlichen Dinge durchzuhecheln. Das ging weiter auch zu Haus. Tante Angiolina redete mit, nicht in der liebenswürdigen Oberflächlichkeit ihres Mannes, sondern bös und scharf, Moral auftragend, indem sie alles Üble der zunehmenden Gottlosigkeit in die Schuhe schob.

Auch Meinhardt hörte zu. Er war wieder Burggräfler geworden und wollte sich einleben in seine Heimat. Wenn er hörte, wer verläßlich sei oder wer es faustdick hinter den Ohren habe, so half ihm das bei Geschäften, Käufen und Verkäufen.

Der alte Baron saß abends am Schreibtisch, Urkunden zu durchstöbern und zu entziffern. Glücklich war er, wenn er entdeckt, daß ein Katzenpecken von Pergamatsch vor siebenhundert Jahren einem Durazzi zwei Berner schuldig geblieben, so daß er nun im Grunde jeden Katzenpecken hätte pfänden lassen können. Dann quälte er sich, Zins und Zinseszins bis zum heutigen Tage auszurechnen und schrie jubelnd in die Unterhaltung der anderen hinein: Eigentlich hätten sie von den Katzenpecken jetzt noch drei und eine halbe Milliarde Gulden zu bekommen. Aber erstens war die Summe gewiß falsch, denn Rechnen schien des alten Herrn starke Seite nicht zu sein, und zweitens sagte wohl Margret: »Papa, die Katzenpecken sind längst ausgestorben.«

Dann sprang er auf, der Kneifer sank nach vorn, und über die Gläser hinweg blitzte er die Tochter an: »Habt's denn ihr Weiber für kein' Kreuzer Phantasie?«

Margret hatte aber ihn zu unterbrechen just den Augenblick wahrgenommen, wo Meinhardt versucht, auf jenen Abend zurückzukommen, da er sie weinend im Garten getroffen. Sie mich ihm aus, nie war er mit ihr allein. Erwischte er sie einmal im Flur, so konnte man gewiß sein, daß eben Tante Angiolinas Stimme auf der Treppe erscholl. Unzertrennlich schien sie jetzt vom Henrietterl. Wo Margret weilte, blieb auch Ossana. Doch es bedrückte ihn nicht, daß sie ihm keine Gelegenheit bot, sich auszusprechen. Seine Tage gingen in ruhiger Seligkeit dahin. In dem sonst so tätigen Manne floß auch ein Tropfen des lässigen, alles auf den nächsten Tag verschiebenden Blutes, wie es den Leuten in den Adern rann, hier, wo die Natur fast zu leicht, zu reich schenkte, die Menschen der Tatkraft, des Kampfes enthebend. Das zögernde Hinziehen war ihm süß. Wenn er an Margret dachte, wurde seine Seele weich, still, ruhig; der hingebende, mit lieber, lautloser Gegenwart das Leben verschönende gute Geist des Hauses sollte sie sein, wie es einst seine Mutter gewesen. Er schien dessen so sicher, wie er fühlte: mein ist sie, mein wird sie einmal doch!

Seine Bücher, seine Möbel, seine Kunstsachen, die er, in Grenzen gehalten durch früher nicht allzu reichliche Mittel, in allen Weltteilen zusammengekauft, waren angekommen.

Ossana fragte immer wieder, wann er ihnen denn nun die Rochusburg zeigen würde. Er lächelte nur: Es hatte ja Zeit, bis eine hinaufkam, die dort Herrin wurde. Seit langem war an dem alten Schlosse nichts mehr geschehen, und er dankte es der Stiefmutter, daß sie ihre Tatkraft nicht darauf verwendet, in wenig Jahren, die sie da oben regiert, umzustürzen, was die erste Frau getan oder nicht getan. Nun ging Meinhardt daran, die Rochusburg herzurichten nach seinem Geschmack.

Und er malte sich aus, wie er Margret fragen würde: »Habe ich dir das Nest nicht schön gebaut?«

Auf den Straßen war alles zu Pulverstaub zerfallen. Wenn die Tram von Lana herüberbrauste oder von Meran, ließ sie, gleich einem Auto, wirbelnde Wolken hinter sich, daß die drei Mädchen in Göllan, ehe sie ein Geräusch hörten, schon das Nahen bemerkten, wie aus feuerndem Geschütz das Bild der Dampfwolke, schneller und erst später der Schall herübergetragen wird.

Margret, Ossana und das Henrietterl saßen auf der sonnenabgekehrten Seite unter dem Säulengang des Hofes. Der Schatten fiel knapp am Haus herab, so hoch stand der Feuerball. Als wieder eine Wolke emporwirbelte, rief das Henrietterl:

»Er kommt!«

Und Ossana: »Ja, der Meinhardt soll kommen.«

»Den mein' ich doch nit. Der war doch gestern erst hier!«

»Willst wetten, daß er kommt?«

»Um was?«

»Um – um einen Kuß!«

»Von wem?«

»Den darf jede sich aussuchen!«

Sie gaben sich lachend die Hand, huschten eilig die Treppe hinunter – nicht einmal die Sonnenschirme nahmen sie mit – und man sah ihre hellen Kleider im dichten Grün der Weingärten verschwinden.

Margret ließ ihre Arbeit sinken und stützte sich auf die alte Marmorbrüstung. Ihre großen dunklen Augen waren nicht zu Tal gerichtet, wo die Tram kam, auch nicht zur Rochusburg, von dort oben herübergleißend, sie schweiften nach Meran, die Pupillen in der Flut des Lichtes verengt. Das lockere schwarze Haar streifte die aufgestemmten Ellbogen. Des oft gewaschenen Kleides Ärmel waren ein wenig kurz geworden. Nun schaute über den kräftigen Händen, die den Eindruck machten, als verstünden sie zuzugreifen, die schneeweiße Haut des Armes hervor. Tiefer und tiefer versank Margret in Gedanken. Die Tram war längst vorüber, immer noch kamen die beiden Mädchen nicht wieder.

Da klang eine Stimme hinter der Träumenden. Erschrocken fuhr sie auf. Meinhardt stand hinter ihr. Leicht röteten sich ihre Wangen. Sie schob ihre Arbeit zusammen, als wollte sie gehen. Er sagte:

»Ich bin von Lebenberg durch den Wald herübergekommen. Ich hab' drüben zu tun g'habt. Bist du allein?«

»Die Eltern sind einen Besuch machen gegangen. Der Papa hat mit müssen, die Mama hat's nit anders getan.« Im gleichen Augenblick fügte sie hastig hinzu:

»Aber Henrietterl und Ossana werden gleich kommen. Wollen wir ihnen nit entgegengehn?«

Die Mauer der Torggel blendete herüber. Wie immer stand die Tür offen. Brütende Sommerglut lag, ein dichter Schleier, über Hof und Weingärten. Die Luft schien zu schwingen, die Erlen in der Etschniederung drüben flirrten und flimmerten. Meinhardt nahm den Hut ab und tupfte sich die Stirn. Durch sein hellblondes Haar zogen dunkle Strähnen.

Er begann mit Ossanas liegengebliebener Arbeit zu spielen. Dann fragte er:

»Sag' einmal, Margret, denkst noch an den Abend?«

Sie senkte die Augen auf ihre Stickerei: »Das ist ja vorbei! Alles vorbei!«

»Du warst wohl sehr traurig?«

»Sonst weint man doch nit!« »Ach was, so ein junges Mädel lacht und weint und weint und lacht in einem!«

»Ich nit!«

»Bist du anders?«

»Meinhardt, gelacht hab' ich nie. Ich weiß auch nit, ob's so viel zum Lachen gibt.«

Er beugte sich nieder, ihr ins Gesicht zu blicken: »Aber, Margret, was hast denn für Gedanken? Jung wie du bist, fängst du dein Leben doch erst an, und hast noch nie einen Kummer gehabt.«

Heftig fuhr sie los: »Wer sagt das?«

»Nun, das Leben eines jungen Mädels hier verstreicht, wie es in der Bibel von den Lilien auf dem Felde heißt: sie säen nicht, sie ernten nicht, und der liebe Gott erhält sie doch.«

Sie blickte von der Arbeit auf: »Das ist grad' nit schmeichelhaft für mich!«

Er stach ungeduldig mit der Nadel in Ossanas Stickerei. Spielend machte er förmlich ein Muster in den vorgezeichneten Leinwandstreifen, ein Löchlein ans andere bohrend, während er antwortete: »Daß ich dir nichts Böses sagen will, Margret, weißt du doch. Aber ich hab' Augen und sehe so viel Komtesserln und solche, die sich gern so nennen möchten, mit gottergebenem Leichtsinn durchs Leben taumeln. Sie sind nix und können nix und wissen nix und lernen nix und tun nix, sind aber überzeugt von ihrer Bedeutung. Dagegen so ein arm's Bauernmädel, wie das rackern und sich den ganzen Tag schinden muß, daß es nur zu essen hat. Und unsere Leut' sitzen herum, stehlen dem lieben Herrgott den Tag ab und warten auf den Mann.«

Sie rief höhnisch: »Ah, auf den Mann warten, wer sagt denn das?« Er schlug die Hände zusammen: »O je, seid's ihr denn nicht alle dazu erzogen, auf den Mann zu warten?«

»Meinhardt, du bist sehr liebenswürdig heut!«

»Margret, verzeih! Laß mich doch weiter reden – ich sag', so sind sie meistens! Ausnahmen sind um so schöner! Schau, als Vetter kennt man sich aus! Aber ich weiß nicht, was ich hab' sagen wollen! Damals, wie du geweint hast, da hätt' ich dir's sagen können!«

Sie erhob sich: »Ich muß doch schauen, wo die zwei bleiben.«

Er nahm ihre Hand: »Jetzt weiß ich's, i weiß! Schau, das Henrietterl. Ist die nicht so: ›sie säen nicht, sie ernten nicht?‹ Lachen tut's immer, kann man mit der ernst reden? Wenn man einen großen Besitz übernimmt wie ich, gibt's da nicht tausend Dinge, die man besprechen möcht'? Mit wem? Doch nur mit einer, die gleiche Interessen hat, der man vertraut, die man liebhat. Margret – ich möcht' mich verheiraten!«

Röte stieg in ihre Wangen: »Es gibt Mädeln genug!«

»Gewiß, von der gewöhnlichen Sorte hunderttausend. Aber solche, die ein Mensch wie ich brauchen tät'...?«

Margret ließ die Arbeit sinken, die Blutwelle war aus ihrem Gesicht zurückgetreten: »So seid ihr. Ihr denkt nur an euch, was ihr braucht! Ihr! Ihr!«

»Margret – ich seh' schon – Liebeserklärungen kann ich nicht machen. Wenn ich sie so auf dem Theater gehört hab', sind mir die beiden Menschen immer vorgekommen wie zwei Verrückte –« »Ist's nicht auch verrückt, einem Mann allen Schwindel zu glauben, den er einem vorlügt? Einem Lumpen, einem – –«

Er sah sie erschrocken an. Sie erhob sich und spähte wieder in den Weingarten herunter: »I glaub', sie kommen.«

Mit einem letzten wütenden Stich durchbohrte er Ossanas Arbeit und warf sie auf das Tischchen, wo er sie gefunden: »Margret, kommst du zu mir auf die Rochusburg?«

Sie sah ihn nicht an: »Wenn du uns einladest.«

»Red' nit so. Du verstehst mich schon!«

Sie rollte die Arbeit zusammen und blickte den Säulengang hinunter: »Das Küchenfenster steht offen.«

»Das ist deine Antwort?«

Er stand verstört da. Sie ging ins Haus und sagte: »Komm!«

Sie traten ins Wohnzimmer, wo der Tisch träumte mit der offenen Visitenkartenschale, die sich immer mehr füllte, ohne doch überzulaufen; wo die alten, lieben Wappenscheiben bunt im Erker glänzten und so traulich die hochlehnigen alten Stühle standen. Margret umschloß Meinhardts Hand mit ihren beiden kleinen Händen: »Meinhardt! Alles muß ich allein durchkämpfen. Keinem Menschen kann ich's sagen, 's Henrietterl lacht, und Ossana – – nein! Der Mama? Sie ist fromm nach ihrer Art, die Mama, und auch gut, wenn sie auch oft Böses von den Menschen sagt, aber für mich hätt' sie keine Zeit und kein Verständnis. Und der Papa? Der gute, liebe Papa, der in seinem ruhigen Leben nit g'stört sein will?« Er war erstaunt: »Wie du sie kennst!«

»Ja, ich kenn' sie schon. Ich kenn' dich auch, und ich hab' dich sehr, sehr, sehr gern! Wenn ich amal einem Menschen in höchster Not was sagen müßt', vielleicht käm' ich zu dir. Besser aber ist's, man macht alles mit sich allein ab. Ich hab' nie jemand gebraucht, ich hab' alle meine Dummheiten selbst gemacht. Ich bin ein Kind g'wesen, wirklich ein Kind, das sich alles einreden läßt, alles glaubt und sich überrumpeln läßt... verstehst, Meinhardt?... nit aus Schlechtigkeit, nein, aus Dummheit und Vertrauen und Glauben. Ach, Meinhardt... wärst doch früher wiederkommen, du ... Was ei'm eing'red't wird, glaubt so ein dummes Mädel, 's kommt nur drauf an, wer's sagt und... und tut... ein Lump ... oder einer wie du... Warum bist nit früher wiederkommen!«

Sie verfiel in ein Stammeln und fuchtelte wie irrsinnig mit den Händen herum: »Was soll ich jetzt tun! Was soll ich tun? Was g'schehen is, is g'schehen! Schau, i bin ganz hin! Für dich verloren... I bin eine Verlorene...«

Sie sah ihn ängstlich an: »Es sind ja nur Stimmungen, – Meinhardt, nur Stimmungen. Aber schau, i kann nit, was du mich gebeten hast, i kann nit! I darf nit.«

Sie fiel am Tisch in die Knie und begann zu schluchzen, sie, die ihm immer so tapfer, so stark, so makellos erschienen. Er fragte verstört: »Margret, was ist denn? Warum bist denn verloren?«

»Weil... weil... weil ich dich nit lieb', weil du ein viel zu guter Mensch bist, ein viel zu guter, edler, anständiger Mann, als daß ich dich lieben dürft'! Ich hab' dich nit lieb, ich lieb' dich halt nicht!« Er stand wie vernichtet da: »Aber neulich am Abend, Margret? Hab' ich dich denn falsch verstanden? Wenn... wenn wir nun ein bissel warteten?«

Jetzt sah sie ihn ruhig an mit ihren großen klaren Augen: »Die Zeit nutzt da nix. Ein Jahr nit und zehn Jahr auch nit. Meinhardt, i hab' eine so ungeheure Achtung vor dir. Du bist nicht so leicht und so – – vielleicht haben wir ähnliches Blut. Ich bin zu schwer, wie du zu schwer bist. Aber schau, zwei solche Menschen – i darf auch nit, i kann dir's nit sagen... i darf nit. Wär's ein Lump, einer mit Lachen und blitzenden Zähnen und leicht daher reden und Wind vormachen –«

Sie straffte die Arme und hob stolz ihren Kopf: »Genau so tät' ich! A Bagag' seid's ihr! Du nicht. Meinhardt! Du nicht! Bei dir tät' ich's auch nit, und drum sag' ich dir: Dich lieb' i nit.«

Er packte ihre Hand: »Aber ich dich! Und ich – ich will dich.«

Sie stammelte: »Und... und wenn ich schon... verstehst du mich nicht?«

Er schien plötzlich etwas zu begreifen: »Sei still, Margret. Und wenn dein Herz gesprochen und sich geirrt hat... und wenn ein andrer dir die Lippen geboten und dich an sich gedrückt... was macht's mir? Ich will ja bloß deine Seele haben... Ich bin kein schwacher, trauriger Kerl... komm... komm. Jetzt küss' ich dich, und küss' dir's fort... Du arm's Ding, – wenn du betrogen worden bist, wenn du dich geirrt hast... ich küss' dich rein, mit den Rechten eines, der dich nicht verläßt, der dir bleibt, der warten will auf dich, so lang du willst.« Er riß sie an sich. Doch sie drängte ihn fort: »Still! Still!«

Sie lauschte. Man hörte jemand die Treppe heraufkommen, sah auch den Schatten eines Kopfes am Fenster, das nach der schiefen Hofstiege zu lag. Margret gab sich einen Ruck.

Das Henrietterl sprang herein: »Da bist du?«

Darauf Ossana: »Und wir haben immer geschaut!«

Margret erklärte: »Er ist über Lebenberg gekommen!«

Die Mädchen erzählten, wie ungeduldig sie gewartet und wie sie bestimmt geglaubt, daß er käme. Dann gingen sie hinaus, unter dem Säulengang im Schatten wieder Platz zu nehmen. Margret stickte, tief gebückt. Ossana starrte auf ihre Arbeit:

»Wer hat mir denn das zerstochen?« Meinhardt gestand zögernd: »Ich.«

Und Ossana entdeckte, als das Licht auf die weiße Leinwand fiel, aus engen Punkten gebildet die Form eines Herzens. Ein voller Strahl aus den schwarzen Augen brach zu ihm: »Schau, das ist lieb.«

Das Henrietterl aber schmiegte sich an ihren Bruder: »Willst mir einen Wunsch erfüllen?«

»Wenn ich kann.«

»Natürlich kannst du. Bitte, bitte, tu's.«

»Was denn?«

»Gib der Ossana einen Kuß.«

»Warum denn?«

»Ich hab' gewettet.«

Er rührte sich nicht. Ossanas glückselig lachendes Gesicht wurde finster, als er zögerte, da trat Margret leidenschaftlich dazwischen: »Macht's doch keine solchen Kindereien!« Ossana flammte sie an: »Was geht's denn dich an!«

Und die beiden Schwestern blickten sich in die schwarzen Augen. Meinhardt aber fing mit einemmal an, von anderen Dingen zu reden, lebhaft, als wolle er nicht unterbrochen sein, und es war ein wenig kraus und verwirrt, was er sagte.


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