Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Achtzehntes Kapitel

Und wieder begann das langsame Sterben des Kurortes. Von Woche zu Woche nahm auf Straßen, Spazierwegen, Anlagen die Menschheit ab. Es gab Regentage, Blitze zuckten. Schwere Tropfen klatschten nieder, über die Wege begannen die Wasser zu strömen und zu rauschen. Müde Blüten wurden von den Zweigen geschlagen, daß in den Gärten der Rasen mit weißen und gelben, lila und blauen Tupfen besät war. Die Menschen flüchteten in die Häuser, die Straßen waren tot und leer. Alles blieb daheim: drüben in Göllan die Durazzi, oben auf der Rochusburg das selige junge Paar.

Meinhardt hatte seinem Schwiegervater ein Fernglas geschenkt, und nun war es des alten Herrn größte Freude, es von seinem Zimmer aus hinüberzurichten nach der Rochusburg. Wenn dann dort oben irgendwo am Fenster eine Gestalt erschien, war er glückselig. Bei der gewaltigen Vergrößerung des Zeißglases konnte er sogar unterscheiden, ob es die Theres war oder etwa ein Stubenmädchen, das Decken und Betten zum Fenster hinausschüttelte. Manchmal kam er aufgeregt zu Tante Angiolina gelaufen:

»Du, die Margret hat gewunken!«

Als es einmal zum Essen ging, rief er Ossana:

»Schnell, schnell!«

Sie mußte durch das Glas sehen. Er stand daneben, ein wenig gebeugt durch die Jahre, und mager, viel magerer, klopfte sich auf den Schenkel und sah seine Tochter mit den grauen, eine Spur weicher gewordenen Augen an:

»Na, wer steht da?«

»Meinhardt!«

»Ja, freili, der Meinhardt! Was macht er denn?«

»Er raucht!«

»Und jetzt?«

Sie erklärte, er sei verschwunden. Der alte Herr wollte es nicht wahrhaben und drehte an seinem Glase herum. Er war seiner Ansicht nach der einzige, der sich auf scharfe Einstellung verstand. Dann rief er, als ob in einem Alpenhotel ein Fernglasvermieter den Fremden äsende Gamsböcke zeigt, oder eine Partie, die sich ein steiles Eisfeld hinaufhackt: »Jetzt schau' hin, ich hab's eing'stöllt. – auf die Terrass'!«

Er duckte sich wieder: »Was siehst denn?«

»Die Margret. Und jetzt kommt der Meinhardt!«

»Na, und?«

»Sie stehen beieinand'!«

»Na, und –«

Ossana entfernte ihre Augen vom Okular:

»Aber Papa, das Essen wird kalt!«

Der schaute noch einmal hindurch:

»A Busserl! Jessas, tat das guat!«

Er schmatzte vor sich hin, nickte, während er mit dem Auge das Glas nicht verließ, und ab und zu verbeugte er sich:

»Prost! Prost!«

Dann ging es zum Essen. Nach Tisch legte sich der alte Herr ein wenig aufs Sofa. Er war häuslicher geworden. Währenddessen spielte Ossana Klavier. Sie hatte sich gewandelt. Die erste tiefe Verachtung der Anfängerin für jede leichte Musik war umgeschlagen. Frau Leitner meinte, man brauche doch nicht immer ernst zu sein, neben der großen Kunst gäbe es eben auch die kleine. So kam es, daß, wenn der alte Herr vom Schläfchen erwacht, er jetzt manchmal bei seiner Tochter saß und sich heitere Weisen vorspielen ließ. Dabei nahm er sich vor, nächsten Winter öfters in die Operette zu gehen, wozu er in den letzten Jahren kein Geld gehabt. Tante Angiolina lächelte nur. Sie sagte nicht mehr nein, und jetzt konnten sie es ja auch dank Meinhardts Großmut.

Als in den höheren Lagen schon das zweite Gras gedieh, sich die Trauben blau zu färben begannen, kamen die Rochusburger herüber, Abschied zu nehmen. Sie wollten eine kleine Reise machen. Sie blieben gleich über Nacht, denn am andern Morgen ging der Zug schon früh um sechs. Das hätte von der Rochusburg aus halb vier Uhr aufstehen bedeutet. In Göllan aber konnten sie bis Fünf schlafen.

Bei einbrechender Dämmerung saßen sie auf dem Säulengang vor der Tür. Der alte Herr rauchte, in seinen Lehnstuhl bequem zurückgelegt, eine Rolle unter dem Kopf, seine Zigarette und schwatzte mit seinem Schwiegersohn. Ein Windlicht war aufgestellt. Ossana stickte. Es war von der Sommerreise die Rede, die unternommen werden sollte. Diesmal nach Norden. An irgendeiner der Brennerstationen, vielleicht in Gossensaß, wollten sie ein paar Tage bleiben. Meinhardt sagte:

»Ich möchte Margret gern Innsbruck zeigen. Da hab' ich studiert und gedient! Dann geht's nach München. Aber nicht mit der Bahn, sondern über Zirl, dann mit dem Wagen nach Mittenwald. Partenkirchen muß sie sehen, vielleicht nehmen wir die Königsschlösser mit!«

Ossana wurde abgeschickt, von des Papas Schreibtisch den Baedeker zu holen. Meinhardt rief: »Laß mich gehn!«

Er folgte, und sie eilten die Treppe hinauf.

Ossana tat ihm leid, darum sagte er:

»Dich nehmen wir auch einmal mit!« Sie riß ihre schwarzen Augen auf, die aussahen bei dem dämmerig roten Licht aus dem Herrgottswinkel, als brennten zwei Kohlenstifte in der Pupille.

Er legte seine Finger auf den Handrücken der Schwägerin und sie blieben oben an der Treppe stehen:

»Schau, du wirst ja nit immer allein sein!«

Beinahe heftig kam es zurück:

»Doch, immer!«

Er streichelte sie lächelnd:

»Die Margret und ich haben oft über deine Zukunft geredet. Wir haben dich doch gern, Ossana! Wenn wir nur jemand wüßten, der uns g'fallt und, was die Hauptsach' is, dir gefallt. Freili, müßt er deiner auch wert sein.«

Da zuckten verächtlich ihre Mundwinkel:

»Ich bleib' lieber allein, immer allein, ich bin so viel glücklicher –«

In einer plötzlichen Regung von Güte schlug er ihr vor:

»Weißt was? Du kommst mit nach München. Wenn auch unsere Billetten schon b'stellt sind, ich werd' schon noch eins kriegen für dich.«

Wie auf ihrem leicht beweglichen Gesicht immer alles widerspiegelte, was in ihrer Seele kämpfte, las man zuerst Freude, Zweifel, dann den Kampf. Schließlich ließ sie die Arme sinken:

»Ich mag die Eltern nit allein lassen.«

Ihm fiel seiner Frau Bitte ein, sie wollten noch allein bleiben, ihre seltsame Bitte, die er nicht recht verstanden, die ihn aber gefreut, war sie doch der Ausdruck ihrer Liebe. So schien er nicht unzufrieden über die Ablehnung seiner unbedachten Einladung.

»Meinhardt!« klang unten Margrets Stimme.

»Ja, wir kommen!«

Sie stiegen die Stufen hinab.

Margret fragte: »Wo seid's denn so lang g'wesen?«

Nun wurde die Reise besprochen, aber von einer Einladung Ossanas war nicht die Rede.

Man hörte Schritte im Weingarten und fünf Köpfe hoben sich über das Geländer, zu sehen, wer da käme. Der Telegraphenbote brachte ein Telegramm an Baron Durazzi. Das war etwas so Seltenes, daß Tante Angiolina neugierige Augen machte. Doch der alte Herr redete ruhig, nachdem der Mann sich mit einem Sechser Trinkgeld entfernt, weiter von der Reise, das Telegramm, ohne es zu öffnen, in der Hand. Tante Angiolina rutschte hin und her, sie konnte es nicht mehr aushalten. Er merkte dergleichen, blinzelte Meinhardt zu, schmunzelte vor sich hin und fing nun an, eine lange Geschichte aus seiner Leutnantszeit zu erzählen.

Der alte Baron plauderte weiter, immer noch das verschlossene Telegramm in der Hand. Als es nun gar kein Ende nahm, rief Tante Angiolina:

»Leopold, mach' doch endlich auf! Ich kann's nimmer mit anschaun!«

Er sah das Papier an:

»Darauf hätt' i bald vergessen!«

Und nun kam eine große Vorstellung, halb Umständlichkeit des Alters, halb Absicht, die neugierige Lebensgefährtin »a bissel zu sekkieren«. Er behauptete, ohne Glas könne er nicht lesen, suchte es in allen Taschen, sann nach, wo es vielleicht sein könnte, und endlich mußte Ossana es holen. Dann wurde umständlich der Kneifer aufgesetzt, und während der alle Herr erst lange für sich las, blickte Tante Angiolina verzweifelt die anderen der Reihe nach an.

Als ihr Mann nun gar begann, vor sich hinzulachen, sich auf den Schenkel zu schlagen, verlor sie fast den Verstand. Er schielte über sein schief niedersinkendes Augenglas zu ihr, faßte aber endlich doch ihre Hand, die sie ihm nur widerwillig ließ:

»Also, letzt werd' ich dir's vorlesen. Paß auf! Es ist unglaublich! Es ist nicht zu begreifen! Es ist erstaunlich –!«

Sie schrie:

»So red' doch!«

Er begann wirklich:

»Melden Euch eben erfolgte Ankunft eines ganz kleinen Henrietterls. Fünf Kilo. Nicht geschrien. Gleich gelacht. Bitte Meinhardts, die wohl schon abgereist, da Adresse unbekannt, nachtelegraphieren. Rudi, Henrietterl.«

Jetzt war der Jubel groß. Der alte Baron zählte an den Fingern ab, dann sagte er mit Schmunzeln und Augenzwinkern:

»Prompte Erledigung!«

Als man sich endlich gute Nacht gewünscht und das junge Paar auf dem Zimmer war, das einst das Henrietterl bewohnt, zog Meinhardt seine junge Frau an sich.

»Wenn's uns doch auch beschieden wär'!«

Margret lehnte sich zärtlich an ihn, umklammerte seine Arme und sagte fast heftig: »Vielleicht is' gut so!«

»Warum?«

»Weil dann meine Lieb' nit geteilt ist. So g'hör' ich ganz dir! Und du?«

Im Nebenzimmer aber hielt Ossana, aufmerksam geworden durch die lauten Stimmen, das Ohr dicht an die verschlossene Verbindungstür gepreßt, und lauschte noch lange, bis drinnen alles schwieg.


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