Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Zwölftes Kapitel

Und sie fuhren durch den lachenden Sonnentag das Etschland hinab. Es war, als habe die Natur für sie geflaggt: die reine Fahne südlichen Himmels bauschte dort oben breit gewölbt in einer einzigen strahlenden Bläue. Gen Trient zu hörte die Bewaldung, die im Burggrafenamte noch die nackten Glieder der Berge bedeckt, allmählich auf.

Die gewaltigen Kalkwände brachen jäher zum Tale ab.

Die Einzelhöfe schlossen sich zu Ortschaften zusammen und nahmen ein anderes Gepräge an: zerfallen, verwahrlost, als übe die Sonne ihren die Tatkraft lähmenden Einfluß brennender und brennender aus. Bald kannte nur noch Meinhardt die Gegend. Margret hatte zwar als Kind am Gardasee, ihrem Ziel für heute, geweilt, doch über dunkle Erinnerungen kam es nicht hinaus. Gestern abend in Bozen war sie noch ängstlich und verstört gewesen, und als ihr Mann ihr gute Nacht gesagt, sie mit der Jungfer allein lassend, hatten ihre Augen feucht geglänzt.

Heute war sie ruhig, ja heiter fast, als ob ein anderer Geist über sie gekommen wäre, seitdem die Heimat hinter ihnen lag. Im Abteil des Zuges saßen sie nebeneinander, und sie erzählte ihm, wie sie vom Gardasee nichts weiter wisse, als daß er damals im Sonnenglanze so geblendet, daß sie die Augen nicht hätte auftun können; und dunkel war ihr die Erinnerung geblieben an eine Bootsfahrt, bei der Ossana fürchterliche Angst gehabt.

Er erzählte vom Schlosse Calliano, dessen Ruinen eben drüben auf einem Bergkegel thronend, erschienen. Dort hatte Dante einst geweilt: hier lag noch der Bergsturz, den er in einem Gesange der Hölle beschrieben. Sie fuhren durch die Trümmer, und so eifrig blickten sie hinaus, daß sie fast das Umsteigen zum Gardasee im nahen Mori verpaßt hatten.

Die Jungfer, ein nettes, bescheidenes Mädchen, das nebenan gesessen, nahm Margret die Reisetasche ab. Doch Meinhardt griff danach: er wollte für seine junge Frau allein sorgen. Er umgab sie mit aller Rücksicht und Zartheit. Er war darauf bedacht, daß sie einen guten Platz bekam und bequem saß, auf der Seite, wo die schönere Aussicht war. Er erklärte ihr veränderte Bauart, Bebauungsweise und Besitzverhältnisse: wie hier zum Unterschiede gegen den stolzen, deutschen Bauer, der auf eigenem Hofe saß, die Kolonen, Hörige fast, eine misera plebs, sich auf den Gründen der Signori plagten, ohne Liebe zum Boden, ohne Möglichkeit, vorwärts zu kommen, ja ohne Ehrgeiz, da alles, was sie arbeiteten, nicht ihnen zugute kam, sondern dem Herrn. Und der Deutschtiroler betonte Wesensunterschiede und seine Abstammung mit einem gewissen Stolz. Doch er ließ auch den Welschen Gerechtigkeit widerfahren, als dachte er an das halb italienische Blut seiner jungen Frau: »Der Deutsche ist ruhiger, kräftiger, zuverlässiger, ein Mann, ein Wort. Aber ist dem Italiener dafür nicht größere Beweglichkeit des Geistes eigen?«

Der Zug keuchte durch den Einschnitt, der das Etschtal von dem breit eingefressenen Fjord des Gardasees trennt. In Kehren erstieg die kleine Bahn einen Paß, mit Trümmern übersät, die von den Ausläufern des Monte Baldo dort oben heruntergestürzt waren. Im gleichen Abteil, wie das junge Ehepaar, saßen zwei Herren von unverkennbar welschem Typus: kleiner, dunkler die Gesichter, feiner geschnitten, anders gekleidet, auch auf der Reise mit schwarzem steifen Hut. Der eine hatte eine lederne Aktenmappe auf den Knien und besprach mit seinem Gegenüber einen Brief. Sie waren so beschäftigt, daß sie auf Graf und Gräfin Aich nicht achteten.

Meinhardt fragte leise:

»Nun, ist's nicht ein anderes Blut? Hab' ich nicht recht gehabt?«

»Ja! Und halb bin ich doch auch so.«

»Aber du hast von deiner Mutter nur Haar und Augen.«

»Ich bin Deutsch-Tirolerin wie der Papa!«

»Trotzdem, das Blut deines Vaters, das ›so lufti‹ geht, besitzest du nicht. Margret, auf dich kann man Häuser bauen!« Sie lehnte sich zurück. Zog schmerzlich die Augenbrauen in die Höhe und preßte die Finger fest um den Griff der kleinen Ledertasche, die sie auf dem Schoß trug. Er sah ihre Qual nicht, denn in dem Augenblick waren sie an einem Fort um die Biegung der Straße gekommen, und aus der Tiefe glänzte ihnen die weite Fläche des Gardasees entgegen, gleich einer Riesenspiegelscheibe, auf der die Sonne blendet. Nur ein einziger schwarzer Punkt war auf der polierten Tafel, als ob an einer Stelle der Quecksilberbelag gelitten hätte: ein Dampfer. Er schien still zu stehen, so verlor er sich in der weiten Flut. Auf der anderen Seeseite erhoben sich graurote, zerklüftete Felsberge, tief nach Italien hinunterziehend. In der Lücke zwischen ihnen und dem Monte Baldo erblickte man nichts als Wasser und Wasser, darauf ganz in der Ferne der blaue Himmel niederstieß, mit dem See verschwimmend, daß man nicht wußte, wo lag die Grenze zwischen beiden.

Im Hinausschauen hatten sie die Köpfe dicht aneinandergelehnt, und Margret sagte träumend, indem Kinderbilder in ihr erwachten:

»Ja so war's, so war's.«

Tief unten schlängelte sich das dünne Band der Sarca durch Obstpflanzungen und Weingärten, als Delta mündend, und man sah weit noch in den See hinaus die blauen Fluten des Benacus grau gefärbt vom einströmenden Bergwasser, das erst allmählich mit der ruhenden Masse sich mischte. Mitten im Taleinschnitt unter ihnen erhob sich ein einzelner Felsberg breit hingepflanzt, als ob ein Riese irgendwo eine gewaltige Kuppe etwa in der Brentagruppe abgehoben und hinuntergeschleudert hätte. Meinhardt erklärte, auf seiner andern Seite läge Riva. Und wie die beiden in der Fahrtrichtung hinausblickten, immer enger Kopf an Kopf, daß sich das schwarze Haar mit dem blonden mischte, sahen sie nun auch im sonnigen Halbrund des Talkessels die weißen Häuserwürfel von Arco leuchten.

Sie näherten sich Riva. Neben den schmalen Schienen der Sekundärbahn lief eine Straße. Darauf raste ein Dogcart. Ein Kerl in großkariertem italienischen Bauernanzug, einen breitrandigen schmutzigen Hut auf dem Kopf, lag hintenüber und bremste, dem Gaul die Lefzen zurückziehend, daß man des Tieres rotes Zahnfleisch sah. Die Räder des Karrens schnitten tief in den Staub des Weges, Dampfsäulen hinter sich, die sich auf das Grün der Bäume, der Wiesen neben der Straße niederließen, schon grau von dem ewigen Hinüberwehen des Kalkstaubes. Margret ereiferte sich: »Ob er mitkommt?«

Dabei faßte sie Meinhardts Arm und schmiegte sich dicht an ihn, daß ihre Wange an der seinen lag. Sie waren aber jetzt allein im Abteil: die beiden Herren hatten in Arco den Zug verlassen. Meinhardt lehnte seine Schulter an ihre Schulter und blickte auf seine Frau mit glückseligem Lächeln, während sie hinausspähte, wer wohl die Wettfahrt gewönne, der Wagen oder der Zug. Da machte die Straße einen Bogen: das Gefährt blieb zurück. Mit einem Laut der Enttäuschung sah Margret ihren Mann an, so dicht neben ihm, daß ihre blinzelnden Wimpern seinen Bart streiften. Plötzlich schien sie es zu bemerken, fuhr zurück, stand auf und zog sich ihr Kleid zurecht. Die Luft in Riva schlug ihnen kühl entgegen nach der Hitze im Eisenbahnabteil. Theres, die Jungfer, schickten sie im Fiaker mit dem Gepäck an den Landungsplatz voraus. Die beiden aber gingen zu Fuß. Auf gerader Straße, von Palmen, gleichsam als Chausseebäumen, begleitet, kamen sie in die alten Gassen der kleinen Hafenstadt. Meinhardt hatte seiner jungen Frau den Arm geboten, wie ein rechtes deutsches Hochzeitspaar droben aus dem Nebelnorden. Es schien, als nähere sie sich ihm von Stunde zu Stunde mehr als die Wochen in Göllan.

Vor dem alten Kastell, jetzt Kaserne, das eine wehrhafte Mauer mit Schießscharten umgab, blieb Margret stehen: »Ja, das hab' ich schon gesehen!«

Als nun der Platz sich öffnete, der Spiegel des Sees dicht vor ihnen glänzte, im kleinen Hafen die Ruderboote schaukelten und die großen Fischerbarken mit den rostbraunen lateinischen Segeln, rief sie: »Jetzt weiß ich alles genau. Drüben, dort muß das Dampfschiff liegen!«

Eben kam es von der Landungsstelle am Hotel Lido. Die Schaufelräder gingen mächtig, Fahrt hemmend, daß in dem weißen Wellengischt die Sonne funkelte. Nun war es herumgeschwenkt, ruhig kam es an den Kai. Auf der Kommandobrücke vor dem Steuerhäuschen beugte sich der Kapitän zum Sprachruhr, beide Arme aufgestützt. Die Räder hielten inne, das Schiff glitt mit letztem Schwung genau an die Stelle, wohin es sollte, und legte bei.

Das Durcheinanderlaufen und Rufen am Zoll umbrauste die Hochzeitsreisenden. Margret fand es sehr unritterlich von dem Beamten, daß sie ihren Koffer öffnen mußte. Meinhardt lachte:

»Mich haben's nicht aufmachen lassen! Das ist das Mißtrauen gegen alle Weiblichkeit!«

Wieder machte sie das seltsam schmerzliche Gesicht. Er drückte ihre Hand: »Es ist ja nur ein Scherz. Deine Seele liegt klar und offen vor mir.«

Aber der Beamte hatte keinen Sinn für Seelenergründungen. Er versenkte tastend die nicht eben saubere Hand in Margrets neue Ausstattungswäsche.

Dann gab es auf der Landungsbrücke des Dampfers, der sofort die Rückreise antreten mußte, da er Verspätung gehabt, ein Schieben und Drängen. Immerfort klangen die Rufe der Träger. Sie stapelten vorn auf dem Schiff Koffer, Kisten, Säcke, Hühnersteigen, Bündel, Hölzer, Eisenschienen im bunten Durcheinander auf. Margret suchte Theres, ob sie auch nicht verlorengegangen sei. Nein, da stand sie mit verdutztem Gesicht wegen all des Lärmens und Hin und Her. Dann rutschte der Laufsteg zurück, Glockensignal, und der Dampfer begann zu zittern und zu schaufeln. Rückwärts strebte er in den See hinaus.

Ab und zu kamen Barken vorüber, mit großen dreieckigen Segeln. Jetzt erschienen die ersten Limonen, seltsam umstanden von hohen Mauern, durchwachsen von Pfeilern, zur Aufnahme der Läden, sie im Winter vor Nachtfrösten schützend.

Als nun der See breiter wurde und breiter und die schroffen Felswände zurücktretend einem Vorlande Raum gaben, begann ein wohlig-kühlender Hauch zu wehen. Das Wasser war dunkler, satter geworden, einzelne Wellen schäumten, immer mehr Wogenkämme blitzten auf, schließlich bedeckte sich die ganze Seefläche mit weißen Kuppen.

Endlich kamen die letzten Stationen vor Gardone-Riviera: dort wollte das junge Paar aussteigen. Wo bisher in geschützten Buchten nur eben Limonenpflanzungen oder schmale Fischerdörfer Platz gefunden, tat sich mit einemmal ein weites Land auf, im Hintergrund von sanft sich hebenden Bergen abgeschlossen. Hier lag Ort an Ort, Villa an Villa. Graugrüne Olivenwälder bedeckten die Hügel. Jedes Kirchlein war von schwarzen, ernsten Zypressen umstanden. Um Ufer dehnten sich Kaimauern, kleine Häfen, Bootshäuser, Villen. An dem dahinter aufsteigenden Staube ahnte man die Straße. Weiter landeinwärts aber leuchtete aus Weingärten und Olivenhainen Landhaus an Landhaus: die Riviera des Gardasees.

Ein langgestrecktes, turmgekröntes Gebäude tauchte auf, mit einem Palmengarten dicht davor. Der Dampfer verlangsamte die Fahrt, gewaltig arbeiteten die Schaufelräder rückwärts, daß die Wellen in hohen Bergen schäumten und das Schiff leise bebte. Es hatte sich nach rechts geneigt, denn alles stand auf der Uferseite.

»Gardone!«

Der Landungssteg schob sich vor, und die Menge strömte hinaus auf den Platz. Die Zimmer waren längst bestellt. Drei nebeneinander. Das größte, schönste für die junge Frau, auf der einen Seite das der Jungfer, auf der anderen das Meinhardts.

Die Einrichtung war neu, Möbel, die Margret noch kaum gesehen, an Holz, Formen und Beschlägen. So etwas gab es nicht im alten Göllan, und dort – nebenan sogar ein Bad. Die junge Frau wollte in Jubel und Mitteilungsbedürfnis ihren Mann rufen und ging zur Tür: sie war verschlossen.

»Meinhardt!«

Keine Antwort. Da ward sie traurig. Ihre Seele gehörte ihm, und sie mußte ihm doch danken, daß er sie hinausgeführt aus Enge und Bangen daheim. Sinnend blieb sie an der offenen Tür zum Balkone stehen.

Rundum Wasser, Wasser, nur Wasser in endloser Weite. So dachte sie sich das Meer. Schon neigte sich die Sonne auf ihrer Bahn in blaßblauen, in violetten Tinten, darunter Rot, darüber Gelb. Zum erstenmal fand Margret mit bewußten Augen keine Berge. Und bei dem Blick in die Weite schien ihr, als weiteten sich auch ihre Gedanken, Göllan sah sie liegen, dann saß sie auf dem Säulengange, von wo sie so oft sehnsüchtig hinuntergeschaut, ob er nicht die Stufen durch den Weingarten heraufkäme, sein dunkler Kopf erschiene und das liebe Angesicht, aus dem die weißen Zähne blendeten. Dieses Menschenangesicht, heiß angebetet einst in dummer, erster, irrender, ungewisser Mädchensehnsucht. Dieses Angesicht, das sie dann vergebens gesucht, immer wieder vergebens, als es nicht mehr kam. Dieses Menschenangesicht, zum letztenmal wiedergesehen an jenem Abend am Weiher, gleichmütig, abweisend, höhnisch fast. Sie wollte ein Recht sich anmaßen, ihn zu binden, ihn, der nicht zu binden war? Wie sie hinüberstarrte über die spiegelnde Fläche des Sees, ward er ihr zum Weiher, an dem sie einst flehend ihm die Arme um den Nacken geschlagen, demütig bittend! Sie fühlte auf der Brust den Stoß dieser Männerhand, die sie, das irrsinnige dumme Mädel, einst geküßt. Sie sah zwischen den dunkeln Schatten der Zypressen seine Gestalt verschwinden. Vor ihr standen all die schwarzen steilen Südlandsbäume, die sie heute erblickt am Schloßberge von Arco, und dann das ganze Ufer entlang. Ihre Wipfel bogen sich auseinander, schlugen zusammen und pendelten, pendelten ewig hin und her. Mit aller Anstrengung riß sie sich los aus ihren Gedanken. Wo war Göllan? Wo die Vergangenheit? Fort, längst verschwunden! Vor ihr lag der Gardasee, still, alle Unruhe lösend, mit seiner breiten, unendlichen Fläche. Warm und süß spiegelte ihr aus seinem Glitzern die Sonne entgegen. Weiche, zärtliche Farben zitterten drüben am Horizont. Die junge Frau schlug beide Hände vor das Gesicht und wischte sich über die Augen. Dann trat sie vor bis an das Geländer. Ein schmaler Garten lag unter ihr, bis hinauf reichten die langen Spitzen des Phönix, die Wedel der Hanfpalmen. Aber die Seemauer gebeugt lehnten Menschen und sahen unbeweglich hinab, wo die Fische spielten.

Margret war es, als sei sie erlöst, aufgewacht nach beängstigendem, quälendem Traum. Und plötzlich empfand sie brennende Sehnsucht nach ihrem Mann, der den anderen hätte mit seinen starken Armen zermalmen können, wenn er nur gewollt. Ihr war, als sähe sie einen Schalten zur Linken. Sie wandte sich hemm und rief: »Meinhardt!«

Er trat an das Gitter seines Balkons, dicht neben dem ihren: »Nun, ist das nicht schön hier?«

»Ja, hier ist's schön.«

Der Austritt vor seinem einfenstrigen Zimmer war nur klein, während auf ihrem großen zwei Korbsessel standen. So bat sie: »Kommst du nicht zu mir?«

»Darf ich?«

Er sperrte die Tür auf von seinem Zimmer, und als er eintrat, fiel sie ihm um den Hals: »Meinhardt, ich dank dir, daß du mich g'nommen hast.«

Seine Seele war nicht hoch gestimmt: er hatte eben dem Kellner den Namen aufgeschrieben. So antwortete er erstaunt: »Aber ich hab' doch dir zu danken.«

»Nein, nein!«

Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Er streichelte ihren Rücken, und der Gedanke wehte ihn an, in ruhiger Freude: Ich gewinne sie doch.


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