Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Sechzehntes Kapitel

Seit einer Woche schon lebten sie versteckt dort oben. Er saß am Schreibtisch bei seinen Verwaltungssachen oder ging mit Margret durch Haus und Hof. Ein wenig ungewohnt schienen ihr zuerst die so sauber gehaltenen Wege im Park. Sie dachte an die grasbewachsenen in ihrem elterlichen Garten, von denen der Papa immer gesagt, nur so paßten sie im Stil zum alten verwitterten Ansitz. Meinhardt war anderen Sinnes: bei ihm mußte alles blitzblank sein, als hätte der Aufenthalt in nordischen Ländern ihm andere Gedanken beigebracht. Und sie glitt allmählich in seine Anschauungen über, sie lernte mit seinen Augen sehen.

Als sie schon die zweite Woche in ihrer Heimlichkeit auf der Rochusburg weilten, lag am Morgen eine Ansichtspostkarte mit dem Bilde von Göllan auf dem Tisch. Nichts stand darauf als die Anschrift von des alten Barons ein wenig zittriger Hand. Sie verstanden, sahen sich an, machten lange Gesichter und gingen mit den Postsachen in Meinhardts Zimmer. Auf dem Diwan nebeneinander überlegten sie, wie der Fehler wieder gutzumachen sei. In seinem Übermut begann Meinhardt zu wippen und sang nach einer erfundenen Melodie:

»Wir sind ungezogene Kinder, bös, bös, bös...« Dann rief er: »Pfui!« und sah der jungen Frau dicht in die Augen:

»Schamst di nit?«

Ganz ernsthaft gab sie zurück:

»Na, i scham mi nit.«

Dann wippten sie wieder, einander umschlungen haltend, bis die Federn klirrten, daß sie erschrocken innehielten und sich ansahen wie in dem Augenblick, da sie den Brief erhalten. Sie sagte: »Jetzt ist was kaputt!«

Behutsam standen sie auf. Er nahm vom Schreibtisch sein Zeißglas und spähte nach Göllan hinüber:

»Die Tante macht ein böses Gesicht!«

»Gib her!«

Sie ergriff es, suchte angestrengt, doch da sie niemand erkennen konnte, schlug sie ihn auf die Hand:

»Ist ja nit wahr!« Dann ließ er anspannen, und sie fuhren hinüber nach Göllan.

Da stand der alte Ansitz mit seinem morschen Tor, da hing die Treppe, da lief der Gang mit den zierlichen Marmorsäulchen, den schönen verschiedenen Kapitälen. Und der Riß in der Giebelwand war noch immer offen. Margret zog am Klingelzug, drückte am Knopf, daß es gellte und schallte, in Küche und Stall, im oberen wie unteren Flur. Erschrockene Gesichter erschienen. Neugierig kam die Magd mit bloßen Armen und offenem Maul aus der Torggel, dahinter glotzte des Sepp bärtiges, schwarzgrau umrahmtes Gesicht, denn es war Freitag und die Stoppeln standen schon die Woche. Die Köchin steckte den Kopf in den Gang hinaus. Der Diener öffnete die Tür. Da stand Papa, Tante Angiolina ein Stück dahinter im Dämmer des Flurs auf den Treppenstufen. Sie hatte die fleischige Hand auf den starken Busen gelegt, ganz matt vom Schreck wegen des fürchterlichen Getöses. Margret aber lag schon in ihres Vaters Armen, dann eilte sie von ihm fort, und lange hielten Mutter und Tochter sich umschlungen. Tante Angiolina weinte. Auch der jungen Frau Augen waren naß.

Der alte Baron aber küßte seinen Schwiegersohn und Freund einmal um das andere, dabei krähte er laut, wenn auch vielleicht ein klein wenig heiser. Margret, diese Jubelausbrüche lang erhaltener Jugendlichkeit nicht mehr so gewohnt, war es im ersten Augenblick, als sei er doch eigentlich sehr alt mit seinen eingefallenen, tiefliegenden Augenhöhlen, deren Vorhandensein sie zum erstenmal bemerkte. Meinhardt fragte: »Wo ist denn Ossana?« Man hörte jemand die Treppe herabkommen. Da war sie, noch schlanker, als sie gewesen. Sie küßte ihre Schwester herzlich.

»Margret, es war schwer ohne dich, aber jetzt geht's schon. Es geht alles!«

Die antwortete:

»Wir besuchen euch oft.«

Als Ossana ihrem Schwager entgegentrat und er sie gleich den anderen küßte, gab sie ihm ruhig die Umarmung zurück. Dann fragte sie: »Bleibt ihr zum Essen? Ich muß es wissen.«

Meinhardt machte ein erstauntes Gesicht, und sie fügte erklärend hinzu: »Ich führ' den Haushalt! Daß man doch zu etwas gut ist auf der Welt! Du hast mir's ja auch einmal g'sagt, Meinhardt, wie du zurückkommen bist, als dein Vater gestorben war!«

Er erinnerte sich nicht: »Was denn?«

Sie wiederholte die Worte, von ihm vergessen, ihr jedoch, wie es schien, im Gedächtnis haftengeblieben:

»Jeder Mensch soll tätig sein, das bringt ihn über alles hinweg. Und du hast recht, Meinhardt!« Dann verschwand sie in der Küche.


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