Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Achtes Kapitel

Am nächsten Nachmittag lag für Baron Durazzi eine Karte aus Sulden auf dem Tisch. Meinhardt schrieb einiges, das ihm kaum ähnlich sah: er unterhalte sich köstlich, er habe »reizende« Gesellschaft gefunden. Darunter stand: »Bitte grüße Tante Angiolina, das Henrietterl und Ossana.« Margret war nicht erwähnt.

»Er ist bös'!« sagte traurig der alte Baron. Doch sofort hellten sich seine Züge auf. Die drei Mädchen wie Graf Bernburg, der gekommen war, seine Braut zu besuchen, ließ er allein und führte Tante Angiolina am Arme auf sein Zimmer. Sie nahm die ungewohnte Artigkeit gern an: glückliche Ehejahre, die sie, seitdem sie verrauscht, versucht hatte durch den Himmel zu ersetzen, schienen wieder erwacht. Es war, als schritte sie leichtfüßiger, als leuchte ihr Gesicht, ihrer Rasse gemäß frühzeitig gealtert, in neuer Frische. Der alte Baron teilte ihr sein Gespräch mit Margret mit. Er meinte, man müsse ihr nur Zeit lassen, es könne vielleicht alles noch werden, so ein Mädchenherz sei wunderlich. Dabei lächelte er vor sich hin. Tante Angiolinas Gesicht legte sich wieder in ernstere Falten: »Was verstehst denn du davon?«

Er strich sich den Bart, und die grauen Augen blitzten: »Vielleicht mehr als du meinst. I könnt' dir G'schichten erzählen, daß es schon besser ist, ich erzähl' sie nit. Aber Papperlapapp! Jetzt sag' i dir eins: ich hab' wollen heut hinaufgehen zum Meinhardt, nachdem i aber erscht nachmittags aufg'standen bin – still, bitte, i weiß schon, was du sagen willst – reden wir nit davon – also nachdem i erscht heut nachmittag auf'gstanden bin, hab' ich morgen gehen wollen. Jetzt hab' i aber einen viel besseren Gedanken. Der Meinhardt ist in Sulden, also fahren wir nach Sulden!«

Tante Angiolina hätte sonst gewiß die Fahrkarte gespart, doch nun war sie nicht nur dabei, sondern erklärte gar noch, wenn sie drei führen, könnten Ossana und das Henrietterl doch nicht daheim bleiben! Sie hatte aber einen Hintergedanken: Wurden Margret und Meinhardt doch nicht eins, so redete sie wenigstens mit ihm wegen des Geldes.

Der alte Herr, glückselig über solch ungekannte Lebensleichtigkeit, umarmte plötzlich seine Frau: »Schau, wärst doch immer so g'wesen!« »Dann könnten wir seit zehn Jahren betteln gehn!« »Papperlapapp! Mußt ei'm glei eins drauf geb'n?« Tante Angiolina schossen die Tränen aus den Augen: »Ich hab's gut gemeint, solang' wir verheiratet sind!«

Er fühlte sein Unrecht und verabreichte ihr einen feierlichen Kuß. Da leuchteten die großen schwarzen Augen der dicken Frau. Er preßte sie abermals an sich: »Zum zweiten –– ––«. Sie senkte die Lider und ließ schlaff die Arme fallen. »Und zum dritten ––«

Wie sie seine ungewohnten Lippen auf dem Munde fühlte, lehnte sie sich an seine Schulter. Da klopfte er ihr auf den molleten Arm: »Meine alte, liebe Angiolina, Gott geb' dir ein fröhliches Herz zurück. Wenn du's immer g'habt hätt'st, hätt'st täglich deinen Kuß bekommen. Dreimal. Früh, mittag, abend.«

Dann nahm er sie in wiedererwachendem Scherz beim Ohrläppchen, und während sie selig schmerzlich die Augen schloß, flüsterte er listig: »Das heißt, abends zwei. Dulje!«

Und er jodelte, daß sie sich die Ohren zuhielt. –

Unten wurde dann das große Ereignis verkündet. Wie von ungefähr lenkte Tante Angiolina das Gespräch auf Meinhardt Aich, ein wenig ungeschickt, aber sie machte ein Gesicht dazu wie ein Diplomat, der die schwierigsten Sachen löst. Der Reihe nach fragte sie die Mädel und Graf Beinburg, ob Meinhardt nicht der beste Mensch sei im Burggrafenamt. So nebenbei wurde auch die Rochusburg erwähnt, als eines der wenigen wohlerhaltenen Schlösser des Landes noch in ursprünglichem Besitz. Dann schweifte die Rede auf Nonsberg, Überetsch und Terlan, wo überall die Aich Besitzungen hatten. Am Schluß gab Tante Angiolina zum besten, Pfarrer Niederwieser habe ihr erzählt, der Meinhardt hätte als Bub eine so herrlich goldige Haarfarbe gehabt, nicht anders als das Christkindlein in der Krippe.

Nun gab es zu tun. Baron Durazzi holte einen uralten Baedeker hervor, in dem es noch keine Vinschgaubahn gab, und begann den Mädeln, die so gut wie nie aus dem Burggrafenamt hinausgekommen waren, auf der Karte die Berge der Ortlergruppe zu zeigen, als sollte eine Entdeckungsfahrt in die Gletscherreviere gemacht, unter einem Felsüberhang oder in einer Eisspalte übernachtet werden. Am andern Morgen brachen sie zeitig auf, in Marling den Vinschgauer Zug zu erreichen. Ossana und Margret gingen voraus, dann kamen Baron Durazzi und hinterdrein Sepp, der Knecht, der immer Zeit hatte, nie aus seiner Ruhe zu bringen war, es sei denn, ein Viertele Roter winke in der Eile. Er trug die Reisetasche, ein langgestrecktes Hausstück, von den Dienstboten »der Kindersarg« geheißen. Wenn's eine Tanzunterhaltung in Meran gab, und die Mädel konnten bei Verwandten oder Bekannten übernachten, wurden darin die Ballkleider mitgenommen.

Die Sonne brannte schon auf dem Tal. Aber köstlich war es noch unter den gefiederten Zweigen der Edelkastanien, an denen in Büscheln die grünen, stacheligen Kugeln saßen. Schon sah man bei Schloß Vorst die Dampfwolke des keuchenden Zuges. Während Margret mit gesenktem Haupte weiterschritt zur Station, kam Ossana zurückgelaufen: »Papa, wenn ihr jetzt nit kommt, bleiben wir da sitzen!«

Er trabte voraus, um die Fahrkarten zu lösen. Graf Bernburg winkte schon von weitem, aber sie blieben vor dem Abteil stehen, denn sie wagten ohne Geld nicht einzusteigen. Der Stationschef hatte die Abfahrt nach Möglichkeit verzögert, endlich mußte aber doch das Signal gegeben werden. Jetzt sprangen die Mädel hinein, und der Papa folgte. Aber das Henrietterl schrie: »Die Tasche, die Tasche!«

Nun sahen sie erst den Knecht, der kaum merklich schneller ging, mit dem Kindersarge auf der Schulter. Die Mädchenstimmen tönten durcheinander dem Stationschef wie dem Sepp entgegen:

»Warten! Warten! Die Tasche! Die Tasche!« Im letzten Augenblick, als der Zug sich schon in Bewegung gesetzt, schob der Sepp noch gemütlich den Kindersarg wie eine Wärmflasche auf den Boden des Abteils. Während die Tür zuklappte und der Zug davonfuhr, blieb er breitbeinig stehen, grinste ihnen nach und sagte, indem er sich die Stirn wischte: »'s ischt Zeit!«

In Neusponding stiegen sie aus. Dann klingelten sie mit dem Viergespann der Post über das sonnenbestrahlte breite Vinschgau zum Trafoier Taleinschnitt hinüber. In der Ferne sah man Mais und weiter drüben Schluderns, von der mächtigen alten Churburg überragt. Der Baron kannte all das aus seiner Jugendzeit und zeigte es den anderen. Das Brautpaar saß mit Ossana auf dem Bankett, Margret bei den Eltern im Wagen. Der Rudi, wie Graf Bernburg jetzt nur noch genannt wurde, und das Henrietterl kicherten und lachten wie die Kinder. Jeden Menschen fanden sie fürchterlich komisch. Über jedes Auto, das vorüberglitt, schlugen sie die Hände zusammen.

Die Straße stieg höher, Schneekuppen erschienen in der Ferne, näher und näher kamen sie den Gipfeln, die im schmalen Talausschnitte aufragten. Nun sperrten düstere Festungsmauern die Straße: das Fort Gomagoi. Die Post hielt, den Gäulen wurden die Trensen abgenommen und den müden Tieren zu saufen gegeben. Währenddessen war Baron Durazzi ausgestiegen. Er mußte alles sehen und begutachten. Die anderen blieben sitzen, und die drei betrachteten vom hohen Bankett aus, was da um sie herumwimmelte, die Menschen, die durcheinanderquirlten, das Gewirr ankommender Wagen von Trafoi, von Sulden oder aus dem Vinschgau, ganz weiß, wie mit Mehl bestäubt.

Da sah der alte Herr einen Offizier stehen: Oberleutnant König, der für die Sommermonate Kommandant des Forts Gomagoi war. Der junge Offizier begrüßte die Damen. Als er die Verlobung hörte, legte er nur die Hand an die Kopfbedeckung und verneigte sich. Dann warf er einen Asrablick zum Henrietterl und begann sich angelegentlich mit Tanke Angiolina und Margret zu unterhalten:

»Wo fahren's denn hin, Baronin?«

»Nach Sulden.«

»Ah, Graf Aich ist ja auch in Sulden.«

Margret ließ ihren Sonnenschirm vornübersinken, daß er ihr Gesicht verbarg. Der Oberleutnant aus Kremsmünster stand in der Sonne da, eng in seine Uniform geschnürt, ein Strich fast, mit dem hübschen, hageren, braunen, klugen Gesicht, doppelt so groß, so gescheit, so ernst wie der kleine Graf da oben, in seinem neuen Reiseanzug, den man noch nicht kannte. Der Kaiserjäger stemmte beide Hände in die Hüften, daß die Manschetten aus der Uniform lugten, und sandte einen Blick zum Henrietterl, der zu sagen schien: »Na ja, da hast ja deinen Grafen, den du brauchst, nachdem in Kremsmünster nur der Oberleutnant König gewachsen ist.«

Dann fuhr die Post davon. Der Offizier grüßte, Ossana und ihr Vater winkten ihm zu, und auch das Henrietterl lachte ihm nach, als sei nichts geschehen. Margret blieb regungslos. Sie dachte: In kurzer Zeit sehen wir Meinhardt Aich.

Durch den Wald ging es in Kehren hinan. An der Ecke, wo man den König der Ostalpen zum erstenmal erblickte, war große Aufregung: »Der Ortler! Der Ortler!«

Die Mädchen winkten mit den Schirmen und das Henrietterl verkündete in die Post zurück: »Es steht gewiß einer oben!«

Und sie warf Kußhändchen hinauf. Dann machten sie sich auf eine Felsnase aufmerksam, die einem Gesicht gleichen sollte, lachten über eine Lodendame am Wege, und über Kindereien und Scherzen war die ganze Bergesherrlichkeit vergessen.

Sie kamen Sulden näher. Neue Schneeberge erschienen, Höfe in dem Hochtal zerstreut, schüttere Wälder, Almen, dazwischen tobte der Bach, jetzt am Nachmittage durch die Schneeschmelze in den Gletscherbezirken reicher flutend. Bei Eller erkundigte sich Baron Durazzi, ob Graf Aich hier sei. Niemand wußte von ihm; so fuhren sie weiter zum Sulden-Hotel. Da kam die Königsspitze in Sicht, mit ihrer von hier aus scheinbar senkrechten Eis- und Schneewand, der Talschluß, und alle Blicke richteten sich zum Hotel, das endlich durch eine Kehre erreicht war. Doch von Graf Meinhardt Aich war nichts zu sehen. Tante Angiolina machte ein enttäuschtes Gesicht, als hätte er ihre Ankunft ahnen und bereitstehen müssen. Der Portier meinte, er sei wahrscheinlich ausgegangen. Die Durazzi kamen gerade noch unter, die drei Mädchen zusammen. Der Rudi mußte bei der Überfüllung des Hotels mit einem Badezimmer vorliebnehmen.

Sie gingen in die Halle, wo sie durch breite Glasfenster die Schneehäupter des Ortler und der Königsspitze vor sich sahen. Drüben in der Ecke saßen Bekannte aus Meran: Feldmarschall-Leutnant a. D. Raintaler Ritter von Raintal mit Frau, zwei Töchtern und dem Sohn, einem jungen Artillerieoffizier, der seinen Krankenurlaub nach einem Sturz mit dem Pferde bei den Eltern verbrachte. Als sie die Durazzi entdeckten, kam der Leutnant, noch ein wenig lachend, herüber. Der alte Herr, so rund und dick wie der Sohn hager, folgte ihm. Nun gab's ein großes Begrüßen und Fragen, wie man den Sommer verbracht. Da unterbrach ihn der Hausdiener – sie kannten ihn aus Meran – den Kindersarg in der Hand: »Herr Baron, noch großes Gepäck?«

»Nein, nur das!«

Mit starren Augen betrachteten die Raintaler das Ungetüm, das einer ganzen Familie Notdurft barg.

Jetzt erst bemerkten sie des Rudis Getue mit dem Henrietterl. Tante Angiolina verkündete die Verlobung.

Als Ossana noch einmal nach Graf Meinhardt Aich fragte, hieß es, er sei eben zurückgekehrt, und Frau von Raintaler freute sich, auf diese Weise die Bekanntschaft des Grafen Aich zu machen, denn das Getratsch über Meinhardt und Margret war längst bis zu ihr gedrungen.

Da stand er vor ihnen. Der alte Baron umarmte ihn wie einen Sohn. Das Henrietterl gab dem Bruder einen Kuß mit jener Mädchenart, dem anderen Geschlecht berechtigte Zärtlichkeit zu zeigen, gleichsam als wollten sie danach lüstern machen. Der Graf küßte der Exzellenz die Hand, dann erst wandte er sich zu Margret. Die streckte ihm, ohne ihn anzuschauen, ein paar Finger entgegen. Im gleichen Augenblick tauschten die beiden wohlerzogenen Raintalerschen Töchter jenen kurzen Blick des Einverständnisses, der nur wie ein Huschen ist. Als nun Meinhardt sie anredete, antworteten sie ganz knapp, als ob es der Gemeinsinn junger Damen verböte, im Revier einer anderen zu pirschen.

Nach der Jause brach man auf. Es sollte noch ein Spaziergang gemacht werden, um etwas von der Gegend zu sehen, denn morgen mittag schon ging es nach Göllan zurück. Tante Angiolina blieb bei den Raintalers. Sie war müde. Die anderen aber setzten sich unter Meinhardts Führung nach der Schaubachhütte in Bewegung. Doch das Brautpaar rannte so, daß es an einer Ecke außer Sicht kam. Baron Durazzi versuchte Meinhardt mit Margret zusammenzubringen, der aber nahm Ossana beim Arm, und auf einem Felsvorsprung begann er ihr allein, als sähe er die anderen nicht, das Hochtal zu zeigen. Sie schien das Gespräch in der Gaulschlucht vergessen zu haben, nur ein Gedanke war in ihr lebendig: Margret hatte ihm ja einen Korb gegeben. Wenn er eine Ansicht äußerte, stimmte sie bei, wenn sie etwas gesagt, das er nicht richtig zu finden schien, so behauptete sie sofort das Gegenteil, nur um ihm zu beweisen, wie sehr ihre Seelen eigentlich übereinstimmten.

Baron Durazzi folgte ihnen langsam mit seiner jüngeren Tochter. Er sagte traurig: »Margret, er schaut dich nicht an! Er ist bös!«

»I kann's nit ändern.«

Da drohte er: »Was hast du mir denn versprochen?«

»Ich halt' mein Wort, Papa, ich halt' immer mein Wort, vielleicht ist das mein Unglück!«

Er blickte sie verständnislos an, da erklärte sie: »I mein' nur – i mein' nur – i bin zuverlässig!«

»Und du wirst gut mit ihm sein?«

»Ja.« »Sehr gut?«

»Sehr gut, denn i hab' ihn sehr gern. ja, sehr gern!«

Bis zur Schaubachhütte kamen sie nicht ganz, aber sie sahen doch die Gletscherpracht vor sich liegen und das Sonnengleißen auf den Eistürmen und Eisfeldern. Die Berge hatten sich verschoben, der hintere Grat des Ortlers war aufgetaucht, der Zebru erschienen, die Königsspitze hatte ihre mauerpralle Gestalt zur Pyramide gewandelt. Sie holten das Brautpaar ein. Die beiden saßen rot und erhitzt auf einer Steinplatte.

Meinhardt hatte den Weg allein fortgesetzt. Wenn sie noch ein Stück weitergingen, mußte man die Schaubachhütte sehen. Langsam, den Kopf mit der schweren Pracht ihres Haares gesenkt, schritt Margret ihm nach. Schon waren sie den anderen außer Gesichtsweite gekommen, als Meinhardt sich klar ward, wie es bis zu dem Punkte, den er hatte erreichen wollen, noch zu weit sei. Er machte ein erstauntes Gesicht, als er das Mädchen allein ihm folgen sah, und blieb stehen. Ein Stück von ihm entfernt verhielt nun auch sie, hinüberstarrend auf Schnee, Eis, Gletscher und nackte Felsgrate.

Meinhardt fragte: »Du bist da?«

»Sprichst du wieder mit mir?«

»Margret!«

»Ja, du hast uns doch gemieden!«

»Nach dem, was geschehen ist?«

»Was is denn g'schehen? Was hab' i denn getan? Ich hab' dir doch g'sagt, wie ich dich verehre, wie ich di gern hab', alles hab' ich dir g'sagt, und nur, daß i nit deine Frau werden kann.«

»Und warum nicht?« »Weil ich – ach – i kann's so schwer sagen –«

Sie schritten ein Stück vom Wege fort. Wo man noch freier sah auf die Bergesweiten, über Riesenmoränentrümmer hinweg, standen sie ganz allein.

»Ja, Margret, ich bin geflohen. Ich hielt's halt nicht mehr aus da oben auf der Rochusburg, wo ich Göllan immerfort liegen seh'. Ich glaub', ich nehm lieber einen Verwalter und geh' ganz fort. Ich tret' in den diplomatischen Dienst zurück.«

»Das darfst nit tun.«

»Warum nit?«

»I kann dir's nit sagen, i weiß nit – seitdem du da bist, ist mir's, als wär' i viel vernünftiger, viel besser, i hab' einen Rückhalt, Meinhardt, ich brauch' ihn. Grad' jetzt!«

»Weshalb grad' jetzt?«

Plötzlich schreckte sie zusammen, als er ihr forschend in die Augen sah: »Ach, i mein' halt nur so. Vielleicht weil das Henrietterl fortgeht...«

»Und was hilft mir das?«

Sie bat warm, als sei ihr eine Lösung eingefallen: »Ich will wie eine gute Freundin zu dir sein. Ich will alles mit dir besprechen. Du sollst dich nit einsam fühlen. Ich werd' dich besuchen, i bin ja doch noch nie oben gewesen!«

»Dann tratschen die Leut', und grad' über dich sollen sie nit reden! Über dich nit!«

Sie fuhr auf: »Ich? Ah, bei mir ist schon alles eins!«

Er nahm leidenschaftlich ihre Hand. Mit der anderen griff er an ihrem Arm empor und ließ die Finger immer auf und niedergleiten: »Red' nit so – schau, das geht nit! Aber was anderes geht: du kommst zu mir als meine Frau. Ja! Und wenn du mich nit magst, gut: du lebst hier und ich da. Und mit meiner Lieb' werd' ich dich nie quälen!«

»Ist das eine Ehe?«

Er umschlang ihre Schultern und dachte nicht daran, ob jemand sie sähe: »Ich will dich gewinnen – quälen nie! Wie soll ich dir's, einem jungen Mädel, sagen. Du hast gesagt, ich bin ehrlich und anständig. Wenn's so is, willst du nit einen Menschen, der's verdient, glücklich machen?«

Sie fand keine Antwort, unglücklich fühlte sie sich zum Weinen und glücklich doch zugleich. Unauslöschlich standen ihr ins Gehirn gehämmert die Worte des Vaters, die er ihr gesagt, des süßen Weines voll, ihr lieber, guter, alter Papa, der sich aufs Lumpen legte, weil es, wie es schien, zu Ende ging, und sie... sie... sie konnte ihm helfen. Sie fühlte, daß, wenn sie ein Unrecht beging, es auf allen Seiten lag. Sie durfte Meinhardt nicht nehmen, da sie doch einem anderen gehört, wenn auch nur wie in Betäubung, in beschämender Dummheit des unwissenden jungen Dinges, das dem Geliebten alles erfüllt, auch wenn er ein Verbrechen von ihr verlangte, nur weil er es ist, in dessen geliebtem Munde Fluch zum Segen wird. Könnte das aber ein anderer Mann begreifen? Auch dieser nicht, der, seitdem ihr über den Verführer die Augen aufgetan, ihr der wahrhaft Gute schien, den mit Recht sie hätte lieben dürfen wegen seiner Güte und entsagenden unselbstsüchtigen Liebe zu ihr. Ihm, gerade ihm, durfte sie es nicht sagen. Für ihn, eben für diesen, mußte sie rein sein. Einen Augenblick durchblitzte es sie. Konnte man etwas, das man getan, beseitigen, indem man es totschwieg vor anderen, wie es weggelöscht war vor einem selbst? Übertölpelt fühlte sie sich in blinder, schwacher Stunde, wie ein Kind im Wunderglauben lebhafter Phantasie sich fortführen läßt vom ersten, der verspricht, ihm Märchen zu erzählen, und noch nicht durch die harte Wirklichkeit des Lebens erfahren hat, daß es Märchen nicht gibt. War es ihr nicht, als wüßte sie jetzt erst bei Meinhardt, was Liebe ist? Wie nun sein Arm sie umschloß, kam über sie das Erwachen des Weibes, das sich anschmiegen will an den Stärkeren, das lieben und sich hingeben möchte, und in dem süßen Gefühl meinte sie: es muß gehen und es wird gehen. Da blickte sie ihn ängstlich an:

»Und – und wird das wirklich so sein?«

»Wenn ich dir's sage! – Margret, willst du?«

Sie gab ihm die Hand: »Ich will!«

Ihr kleines, bescheidenes Ledertäschchen sprang bei der Bewegung auf. Das Taschentuch leuchtete. Als wollte sie etwas fortwischen, betupfte sie damit ihre Lippen. Dann erst bot sie ihm den Mund.

Sie sprachen kein Wort mehr, nebeneinander gingen sie den Weg zurück. Gäste aus dem Hotel begegneten ihnen. Sie sahen die Menschen nicht. Des Mädchens Augen waren umflort den ganzen Weg, und des Mannes Gedanken nur bei ihr, die er dort oben auf der alten Burg, hoch über den lachenden Rebenhängen Merans, sich gewinnen mußte als sein wahres Weib.


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