Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Zehntes Kapitel

Es war still geworden in Göllan. Das frohe Lachen, das sonst auf Treppen und Flur, in den Stuben, der Küche, der Torggel klang, das Haus zu umflattern schien, aus dem hintersten Winkel des Gartens tönte, war verhallt. Des Henrietterls Zimmer ward jetzt gescheuert und geputzt, um vielleicht einmal, wenn das jungvermählte Paar zu Besuch kam, als eheliches Gemach zu dienen. Die Tür geöffnet, damit all das Wasser trocknen sollte, das da geflossen war, gähnte es den Hausbewohnern entgegen, und der alte Baron sagte, es sei, als ob jemand gestorben wäre. Leben ward erst wieder zur Abendstunde, wenn Meinhardt kam. Dann setzte sich der Papa mit dem Brautpaar in eine Ecke und ließ Meinhardt erzählen. Jetzt sprach er anders von seinen Besitzungen, seiner Arbeit als früher, nun wo es Margret anging und er auf Teilnahme bei den Schwiegereltern zählen konnte.

Tante Angiolina sagte ihrem Manne, wenn auch schmeichelnd und vorsichtig, denn sie wollte das bessere Verhältnis, das sich angebahnt, nicht aufs Spiel setzen, er möchte doch die beiden einmal allein lassen; ein Paar, das der Ehe entgegenginge, hätte sich auch Dinge unter vier Augen mitzuteilen. Er sah es ein, aber fünf Minuten darauf sah er wieder neben seinem jungen Freunde.

Ossanas dunkle Augen ruhten immer auf Meinhardt, doch es blieb dabei, daß sie Margret kaum mehr zu kennen schien. Wenn Meinhardt abends ging, gab ihm seine Braut noch ein Stück den Weingarten hinunter das Geleit, kam sie dann auf der beiden Zimmer, das nun bald der Älteren allein gehören würde, war es, als erschiene eine Fremde, etwa wie im Abteil der Eisenbahn, wo Menschen in einem Raume die Nacht verbringen müssen, die tun, als lebten sie auf verschiedenen Sternen. Lautlos zog Ossana sich aus, lautlos legte sie sich zu Bett und wandte sich sofort auf die andere Seite, ohne gute Nacht zu sagen.

Aber stundenlang tat sie kein Auge zu. Sie bezwang sich und blieb unbeweglich, regelmäßig und tief atmend, daß Margret denken sollte, sie schliefe, denn irgendein dumpfes Mißtrauen lebte in Ossana. So heimlich, so für sich war die Schwester immer gewesen, daß die Ältere meinte, Margret müsse ihr etwas verbergen. Warum dies Zögern, dies seltsam scheue Wesen gegen den, der doch ihr Mann wurde? Verbarg sie ihm etwas? Lastete etwas auf ihrer Seele? Ossana konnte nicht begreifen, daß sie nicht zugegriffen, als der Mann sich ihr genähert. Der Gedanke, ein Dunkles möchte da verborgen sein, quälte sie, daß sie jetzt oft etwas fühlte gegen ihre Schwester, beinahe wie Abscheu.

Ein paarmal hatte Margret versucht, zu sprechen; sie erhielt keine Antwort. Als sie nun geradezu fragte, was Ossana habe, antwortete die nur: »Was soll ich haben? Nix, nix!« Dann lachte sie laut: »hahaha!« und lief hinaus.

Waren die Mädchen früher immer gemeinsam nach Meran gefahren, um Besorgungen zu machen, oder hatten sie mitsammen Papa begleitet, so sah man jetzt nie mehr ihre beinah gleichen Gestalten, ihr gleiches schwarzes Haar, die gleichen Kleider mit der Uhrkette um den Gürtel auf den Straßen und Promenaden, sondern Ossana ging nur mit ihren Eltern. Es fiel nicht auf: denn die Menschen fanden es selbstverständlich, daß man Braut und Bräutigam zusammen erblickte.

Wenn Meinhardt kam, zog er Margrets Arm durch den seinen, ging mit ihr die grasbewachsenen Wege hinauf, streichelte ihre Hand und redete mit jener einfachen Sicherheit, die ihr erregtes Mädchenherz noch jedesmal beruhigt hatte. Von Tag zu Tag ward das Gefühl stärker in ihr, geborgen zu sein an seiner Seite. Es duftete jetzt um Göllan: aus der Torggel zog der starke Geruch gepreßter Trauben, über dem ganzen Burggrafenamte schien Weindunst zu schweben. Wie immer noch seit Jugendzeiten war jetzt Margrets Seele leise erregt in gesteigertem Empfinden, in Lebensdrang, in einer stillen Seligkeit. Es schien, als öffne sich ein wenig ihr verschlossenes Herz, als belebe sich ihre Zunge. Und eines Tages, als sie dem Hause wieder zuschritten, sagte sie Meinhardt ein paar Worte davon, ihm dankend für seine Zartheit, mit der er ihr nie nahekam, ihrem Abkommen gemäß. Er trat leidenschaftlich auf sie zu: »Und muß es so bleiben?«

Sie nickte, wich aber aus und begann von Ossanas verändertem Wesen zu erzählen: »Was hab' ich ihr denn getan? Ist's nit ein Jammer, daß zwei, die immer gut miteinander g'wesen sind, Schwestern, die von klein auf eine auf die andere angewiesen waren, plötzlich sich so fremd sein sollen?«

Er sagte: »Ich werd' sie dir ersetzen.«

»Ich beklag' mich nit. Mir kommt's nur bitter vor, daß, was früher war, ausg'löscht sein soll. Ist's nit immer traurig, einen Menschen zu verlieren? Ich möcht' gut sein mit allen Menschen!«

»Soll ich mit ihr sprechen, Margret?«

»Nein, nein...« rief sie angstvoll.

Sie hatten Besuche gemacht mit den Schwiegereltern. Aber man nahm sich Zeit. Jene, die entfernter standen, oder bei denen man meinte, nur aus äußersten Rücksichten eine Karte abgeben zu müssen, suchte man erst jetzt auf, knapp vor der Hochzeit.

Ossana sollte bei diesen Gängen dabei sein, doch jedesmal fand sie eine Ausrede, und Tante Angiolina drängte nicht weiter. Frieden wollte sie, Frieden! Das Herbe, Verbitterte, das Margret gehabt, schien in diesen Tagen von ihr gewichen. Immer noch war die glückselige Zeit der Weinlese, der Obsternte. Von den Wagen, hoch mit Äpfeln und Birnen beladen, vorsichtig in Holzwolle verpackt, wehte der köstliche Duft edelsten Obstes. Auf den Straßen standen Ochsengefährte mit großen Bottichen, in die man aus Bütten die Trauben schüttete. Dem Kind des Landes, das immer selbst zugegriffen in Haus, Hof und Wirtschaft, galt diese Zeit des Erntesegens, der ihnen allen die Jahreseinnahme schuf, fast als etwas Heiliges, wo man versöhnt sein sollte mit allen Menschen. Als nun ihr Verlobter von einer Aussprache mit Ossana redete, sagte sie: »Du bist mein Frieden! Ich glaub', du erreichtest alles! Ja, red' mit ihr, Meinhardt. Ich kann das Nix-reden-im-Haus nit mehr ertragen! Mir ist's schrecklich, mich schlafen zu legen, und kein liebes Wort tönt einem entgegen.«

Er sagte: »Siehst du, daß du Liebe brauchst!«

»Nein, nein, ich brauch's nit. Ich bin hart, ach du weißt nit, wie ich bin.«

Er lächelte: »Ich weiß es, ich weiß, daß du mein Glück bist, und dein böses Gesicht macht mich nit irr'! Ich kann in deine Seele schauen, und ich werd' sie mir auch gewinnen, des bin ich sicher!«

Da kam Weichheit über sie:

»Meine Seele gehört schon dir!«

Meinhardt versuchte mit Ossana zu reden. Doch wie er einst Margret nicht hatte allein treffen können, so wich sie ihm jetzt aus, obwohl sie lebhaft auch mit ihm sprach, wenn die anderen dabei waren, förmlich als solle ihre Schwester nicht zu Worte kommen.

Da sie Margret absichtlich übersah, fiel es endlich dem alten Baron doch auf, und kurz vor der Hochzeit nahm er sie einmal ins Gebet: »Ossana, was hast denn mit der Margret? Habt ihr gerauft?«

Sie zuckle die Achseln: »Aber nein.«

»Es kommt mir aber doch so vor, als wenn ihr nit miteinander reden tätet!«

»Was soll ich denn sagen?«

»Na, was man so red't!«

Sie warf die Lippen auf: »Ah, das Leben ist so fad, so – – – –«

Das kränkte ihn, und er geriet in seine jähe Heftigkeit, die er Wochen nicht mehr gekannt, da ihm der Himmel voller Geigen hing: »Was sagst du da für an Unsinn? Rühr' mir nit das Leben an! Das Leben ist eine verflucht feine Einrichtung, und so a dummes Mädel wie du – was bild'st dir denn ein? Kennst du das Leben? Keine Ahnung hast! Friede! Friede! Einigkeit! Freu' dich, daß deine Schwester meinen besten Freund heiraten tut. Am liebsten hätt' ich ihn selbst g'nommen, wenn nur der Altersunterschied nit so groß war', und nachdem er leider ein Mann ist –. Oder kannst den vielleicht a nit leiden? Du, dann bekommst's mit mir zu tun! Magst ihn nit gern?«

Sie sah ihn mit der ganzen einstigen welschen Leidenschaft ihrer Mutter an, die nur unter Kummer, Sorgen und Fett von den Jahren erstickt worden.

»Also red', magst ihn nit?«

»Ich hab' ihn sehr gern.«

»Das wollt' ich mir auch ausbitten, wann's nit so war'. Aber nun heraus mit der Sprach', was hast gegen die Margret?«

Sie atmete kurz und heftig und nicht gewohnt sich zu beherrschen, bewegte sie die Finger hin und her und die Zehen im Schuh.

Plötzlich kam ihm, da er keine Antwort erhielt, ein Gedanke – er sah sie forschend an und machte ein listiges Gesicht: »Ah so! Ich kenn' die Weiber! Ich kenn' euch – eine seid's ihr wie die andere! Ich will dir's nur sagen: das Henrietterl ist jünger als du und geht weg, und jetzt geht die jüngere Schwester a vor dir weg! Nach der Anciennität soll's gehen, und dabei wollt's ihr doch nie eine älter sein als wie die andere! Ich kenn' euch! Ich kenn' euch!«

Ossana machte ein spöttisches Gesicht, als wollte sie sagen: Ja, ja, Papa, du kennst uns! Und sie ließ den alten Herrn bei seiner überlegenen Kenntnis der Frauenseele. – –


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