Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Drittes Kapitel

Im Sonnenscheine lag das Etschland. Die Bäume waren schon begrünt, einzelne standen im Blätterschmuck. Alle Wege wimmelten von Fremden, um die Mittagsstunde konnte man gewiß sein, Bekannte zu treffen. Auf der einen Seite der mit großen Bäumen bestandenen Kurpromenade lag das Kurhaus, auf der anderen rauschte die Passer in ihrem breiten Schotterbett, jetzt zur Zeit der Schneeschmelze fast mit Wasser gefüllt. Die Musik spielte, die Menge ging auf und nieder, in dichten Reihen sonnten sich die Menschen oder betrachteten die Vorübergehenden.

Der Rittmeister saß neben seiner Schwester und dem allen Baron Durazzi auf einer Bank. Und immer lächelte das Henrietterl; es konnte ja gar kein anderes Gesicht machen. Bei jedem Vorüberschreitenden sagte es zum Bruder: »Schau, wie lieb'«, oder »schau, wie blöd«, oder »das G'sicht hab' ich noch nit gesehen.« Dann wurde der alte Baron zu Rate gezogen, wer die neue Erscheinung sei.

Der streckte die Beine von sich mit den gelbbraunen Reitgamaschen, die er immer trug, obwohl er seit dreißig Jahren auf keinem Pferde mehr gesessen, lugte hinüber aus seinen lebhaften grauen Augen und gab Auskunft. Was er aus alter Reiterzeit her »das Pedigree feststellen« nannte, war seine liebste Beschäftigung. Er war mit allerlei Kurgästen bekannt, wenn auch nur oberflächlich, denn die Durazzi machten kein Haus. Wußte er aber einmal nicht Bescheid, so horchte er jeden seiner vielen Bekannten aus, hielt Lohndiener an, die den Leuten etwas besorgt, sie im Rollstuhl gefahren hatten, oder befragte die Fiaker und Geschäftsleute.

Der Rittmeister dehnte sich behaglich in der Sonne. Er konnte sich von Meran nicht fortfinden, seinen Urlaub hatte er schon zweimal verlängern lassen. Das Henrietterl spähte die Promenade hinab: da erschienen in der Ferne Margret und Ossana. Bei gleicher Gestalt, gleichen Kleidern, die Uhrkette gleichmäßig um den Gürtel gelegt, hätte man die beiden von weitem schon am gleichen eigentümlich federnden, ja schwebenden Gang erkannt.

Das Henrietterl fragte: »Und die Tante?«

Margret wandte sich zu ihrem Vater: »Die Mama läßt sagen, sie sei noch einmal zum Pfarrer Loisinger gegangen wegen der Bonifazius-Sammlung.«

Ritterlich stand der alte Herr auf, daß seine Töchter auf der Bank neben dem Henrietterl Platz fänden. Es war aber auch ein Hintergedanke dabei, denn in dem Augenblick rauschte eine nach letzter Mode gekleidete Dame vorüber, die äußerst von oben herab dreinschaute, begleitet von einer bescheiden angezogenen Miettante. Ein paar Herren grüßten vertraulich mit halbem Lächeln, und die schöne Dame antwortete sehr ernst, sehr gnädig, eine Spur lächerlich.

Baron Durazzi hatte sich sofort nach der neuen Erscheinung erkundigt.

Als er wiederkam, fragte das Henrietterl: »Wer ist denn das, Onkel?«

Der sagte mit ernstem Gesicht: »Ganz eine ordinäre Person!«

Die ewig lächelnden Augen der jungen Gräfin lächelten weiter. Sie tuschelte mit Ossana, während Margrets Gesicht unbeweglich blieb. Der alte Baron zog den Rittmeister beiseite, und die beiden erzählten sich prustend etwas hinter dem Rücken der Mädchen.

Da kam abermals eine Dame vorüber, die man nicht kannte, äußerst einfach gekleidet. Neben ihr ein Herr, der einen unauffällig grauen Anzug trug. Wieder wurde gefragt, wer es sei. Baron Durazzi war sofort unterwegs. Als er zurückkam, brachte er die Mitteilung, es sei die Fürstin – und er nannte einen großen Namen.

Inzwischen hatten Bekannte sich ihnen genähert. Die Gruppe wuchs bald und versperrte den Weg. Da war der alte baumlange westfälische Graf Lengerstorff mit dem schönen weißen Vollbart, der ihm bis auf die halbe Brust reichte, stets von seiner Tochter begleitet, die ihm bei jedem Straßenübergange den Arm bot. Da gab es den Herrn von Holleuffer, Offizier bei einem Berliner Garderegiment, der, um Haupteslänge alle überragend, den jungen Damen die törichtesten Dinge sagte, während er doch im Dienst ein tüchtiger Mensch sein sollte. Dann kam die Gräfin Helfenrieth mit ihren drei Dackeln, ohne deren still-freundliches Schwänzeln sie nicht zu denken war. Exzellenz Baron Bereny de Nagy-Beren, Wirklicher Geheimer Rat Sr. K. u. K. Apostolischen Majestät, der die Kunst besaß, jeder Dame etwas zu sagen, das sie tagelang nicht vergaß, drehte den schwarzen in nadelscharfe Spitzen zusammengezwirbelten Schnurrbart und sprach mit den Schwestern. Immer mehr Menschen sammelten sich, wie wenn ein Wespenschwarm sich ansetzt und eine Traube bildet. Sir Henry Wookleys glattrasiertes seines Gesicht tauchte auf und der Lady lang vorstehende Zähne. Das »Känguruh« wurde sie genannt, weil sie ihre hängenden Hände in Brusthöhe hielt gleich den kleinen Vorderpfötchen des australischen Tieres.

Der Rittmeister war sofort zu Mary und Mabel den beiden Töchtern getreten: strohblond, mit dem feinen Gesicht des Vaters, aber der Zahnstellung ihrer Mutter. Margret sagte zu Ossana:

»Wenn der Poldi Geld riecht, ist's aus.«

Der redete in der Tat nur noch mit den beiden, nicht gerade Geistesblitze um sich schleudernden plattbrüstigen Wesen, die im Geruche ungeheuren Reichtums standen, obgleich ihn niemand gesehen hatte.

Das Henrietterl schwatzte mit Oberleutnant König von den Kaiserjägern, der, schlank, schwarz, in die enge Uniform gebremst, wie ein Strich anzuschauen war. Sie wollte sich ausschütten vor Lachen, voll jener Heiterkeit, die ihr ernstere Leute ein wenig übelnahmen, in ihrem Gewande tiefer Trauer.

Ossana unterhielt sich mit einem hübschen Menschen mit leichter Stupsnase und kleinem blonden, bürstenartig geschnittenen Schnurrbärtchen. Was er trug, schien eben fertig geworden zu sein: die gelben Schuhe, mit Schleifen gebunden, die hellen Strümpfe, der faltenlose Sakkoanzug. Er sah Ossana Durazzi in die schwarzen Augen, die aber blickte die Promenade hinab.

»Sie hören ja gar nicht zu, Baronin!«

»Pardon, Graf Bernburg, ich hab' nämlich grad' meinen Vetter Aich g'sehen.«

»Der Poldi ist doch hier!«

»Nein, nein, der Meinhardt.«

Der Graf strich überlegen lächelnd die kleine Bürste über der Oberlippe: »Sie sind ja ganz portiert, Baronin!« Aber schon war sie davon. Der Graf rückte die Aufschläge seines Sakkos gerade, zog die Manschetten heraus und blickte der schlanken Gestalt nach, auf deren Gürtel die Uhrkette auf und nieder klappte, so schnell lief sie die Kurpromenade hinab.

»Meinhardt! Meinhardt!« Ossana stand vor ihm, mit geröteten Wangen: »Meinhardt, laß dich doch einmal anschaun! Der Papa fragt immer nach dir.«

»Ich war drei Tage in Kaltern und Tramin. Dort hab' ich Gründe.«

»Aber zu uns kommst gar nie mehr. Geh wenigstens ein Stückl mit!«

Langsam näherten sie sich den anderen, und während des Schreitens berührte sie ihn fast mit dem Ärmel, so nahe ging sie neben ihm. Da fragte er: »Sind die anderen hier?«

»Ja, alle, das Henrietterl, der Poldi und der Papa.«

»Margret nicht?«

Ossana warf den Mund auf: »Schon! Die Margret ist auch da.«

Er entschloß sich schnell: »Gut, ich komm' mit!«

Während sie gingen, fragte Ossana, wie weit die Umbauten auf der Rochusburg wären, und machte dazu ein böses Gesicht:

»Und man bekommt nix davon zu sehen! Wann ist's denn fertig?«

»In ein paar Wochen.«

Enttäuscht ließ sie den Kopf sinken: »So spät!«

Inzwischen hatte sich der Wespenschwarm in Gruppen gelöst. Der Musiktempel war leer geworden, die Kurmusiker gingen davon. Laut tönte Baron Durazzis Stimme: »Bist denn ganz Einsiedler geworden, Meinhardt? Man sieht ja gar nix mehr von dir!«

»Ich bin doch erst am Sonntag in Göllan gewesen!«

Graf Bernburg sagte lächelnd in seinem Nasenton: »Geruhen Sie uns Weltmenschen der Promenad' auch einmal zu besuchen, Graf Aich?«

»Ich geruhe!«

Der Modenarr machte ein unsäglich törichtes Gesicht.

Ein gemeinsamer Ausflug ward geplant. Ossana und das Henrietterl redeten Graf Meinhardt zu, sich zu beteiligen. Er meinte, er hätte keine Zeit. Da rief der alte Baron auch seine andere Tochter zu Hilfe: »Margret, steh uns bei!«

Mit ihrer gleichmäßigen Liebenswürdigkeit bat sie: »Es wäre sehr nett, lieber Meinhardt, wenn du mitkommen tätest!«

Nun sagte er sofort zu. Tag und Stunde wurden bestimmt, dann begleiteten die Brüder Aich die Durazzis zur Tram. Am Ruffinplatz stiegen die Göllaner ein.

»Also morgen um drei!« rief das Henrietterl den Zurückbleibenden nach; und Ossana: »Am Pfarrplatz, Meinhardt, am Pfarrplatz!«

Die drei Mädchen saßen allein im Wagen. Der Papa stand hinten. Das Henrietterl öffnete eine Schachtel mit Pralinen, die der Bruder ihr noch zugesteckt, und sagte einmal über das andere: »Er hat so ein gutes Herz!«

Ossana warf einen Blick herüber: »Dafür hat Margret gar keins.«

Aus Margret Durazzis sonst so ruhigen Augen schoß ein Blitz zurück: »Was wißt denn ihr davon!« In diesem Augenblick steckte der alte Baron den Kopf herein und rief in den sonnendurchfluteten warmen Glaskasten, mit einer weiten Gebärde auf die noch schneebestäubte Bergkette und das lachende Etschland deutend: »Schön ist's hier, Kinder, schön! Da sagt vorhin der Esel, der Sektionschef, am Leben war' nix dran. Ich sag' euch, i leb' gern, aber schrecklich gern!«

Ossana rief: »Ich auch!«

Der alte Baron ging in dem bei der Biegung schwankenden Wagen auf seine Tochter zu: »Du bist mein recht's Kind!« Er legte den Arm um sie und wollte eben beginnen, sich im Walzertakt zu wiegen, als Margret ihn beim Ärmel faßte: »Gib Obacht, Papa!«

Da sahen sie des einzigen Fahrgastes, der außer ihnen die Tram benutzt und vorn gestanden, eines Bauern, eisgrauen Vollbart am Fenster. Er öffnete die Tür und rief herein:

»Dös geat schlecht beim Fahren, nit wohr?«

»Schon!« antwortete der Baron.

Der Alte grinste, während ihm die Pfeife aus dem Munde hing: »Sein dös Ihre Töchter, die Gitschen da?«

»Freilich.«

Der Bauer lachte noch mehr, daß man die gelben Zähne sah: »Dia g'falln mir ganz guat!«

Die drei Mädchen waren totenstill geworden, erst nachdem der Alte die Tür geschlossen, fanden sie ihr Lachen wieder. Baron Durazzi aber saß jetzt würdig da:

»Kinder, Kinder, wenn das die Mama wüßt'!«


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