Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Fünfzehntes Kapitel

Da leuchtete sie wieder, die Rochusburg, dort oben vom Mittelgebirge herab, wie sie einst mit ihrem Fensterblinken Graf Meinhardt Aich gegrüßt, da er nach sieben Jahren zum erstenmal sein Vaterland wiedergesehen. Nun fuhr er durch den lachenden Herbsttag mit seiner jungen Frau und zeigte ihr das Schloß dort oben, seine, ihre Heimat, denn Margret war sein.

Am Bahnhof: lauter bekannte Gesichter. Gepäckträger grüßten, und wie sie heraustraten, stand der Wagen da, auf dem Bock die graue Livree mit grünem Kragen und Hornknöpfen, den breiten, grünen Doppelstreifen am Beinkleid und dem Steirerhut. Der Diener stand am Wagenschlag.

Graf Aich gab seinen Leuten die Hand und fragte fröhlich:

»Alles g'sund?« Meinhardt und Margret blickten sich um, als wären sie Jahre nicht dagewesen. Sie schauten zur gezackten Bergkette, von der Mutspitze bis zum Tschigat, darunter die Schlösser Tirol, Brunnenburg und Thurnstein. Dann ließen sie ihre Augen über den Küchelberg schweifen, wo einst im Jahre Neun die letzte Schlacht getobt gegen die Franzosen.

Bei einer Biegung des Weges umgriff er mit breiter Gebärde das Etschland, das nun schon in beträchtlicher Tiefe unter ihnen lag, in herbstlichem Farbenspiel von Grün zu Braun und Rot und Gelb, darin nur die immergrünen Pflanzen der Gärten jahrüber gleiche Flecken bildeten: »Unser liab's Landl!«

Margret deutete hin: »Göllan!«

Einen Augenblick sahen sie es, dann ward es vom Dach einer Villa verschluckt.

Und nun ging es den altbekannten, lieben Weg hinauf, über die Naif, am Schloß Rametz vorüber. Das Weinlaub war hier zum Teil schon zur Winterruhe beseitigt. Meinhardt sah es von weitem mit dem kundigen Auge dessen, der selbst Besitzer ist.

Als sie die Höhe erreichten und der Blick sich auftat weit über das Burggrafenamt hin, raschelte unter den Hufen der Pferde das zusammengewehte Kastanienlaub. Ein wenig früher kam hier doch der Winter als unten. Sie richteten sich auf im Wagen, jede Kleinigkeit zeigte er ihr. Die Worte jagten einander: »Da – schau das Bildstöckl! Ich hab's erst heraufgebracht! Sind die Wege nit gut gehalten? Da drüben – wir gehen morgen hinüber – liegt das neue Gewächshaus, da... da... nun ist's schon weg –«

Die Hufe der Pferde klapperten unter der Tordurchfahrt des Bergfrieds und gellten auf den Steinplatten des Hofes. An einem Fenster erschien ein schnell zurückgezogener Kopf, dann drängte sich im Haupteingange das ganze Personal. Vor dem alten Wappen über der Tür hingen im Bogen Blumengewinde, darunter ein großes Papier, auf dem gedruckt stand: »Grüß Gott!«

Margret war im ersten Augenblick ein wenig befangen. Sie streckte allen die Hand entgegen, und Meinhardt erklärte jedesmal, wer es sei. Ein Haus-, ein Küchenmädchen, der Gärtnergehilfe, der Gärtner, der Stallbursche, die Köchin. Des Dieners Frau hielt sich bescheiden zurück. Sie traten in die weite Halle, wo die Rüstungen standen, dann stiegen sie die breite Wendeltreppe hinauf in das Zimmer, in dem einst die Stiefmutter Meinhardt empfangen.

Er schloß die Tür. Nun waren sie allein, und er umarmte selig seine junge Frau. Dann sagte er: »Nun paß auf!« Dann betraten sie den Flügel, den er erst angebaut hatte.

Schlug Margret da die Hände zusammen! Solches hatte sie noch nicht gesehen. Sie blieb wie gebannt. Da standen zierliche, goldene Stühle mit geraden Beinen und geschnitzten Lehnen, drollige Widderköpfe darauf, Sofas mit vergoldeten Blumengewinden, Lehnsessel, in deren Sitztiefe bauschige, hellseidene Daunenkissen schwellten. Spiegel blitzten an den Wänden, von der Decke hing ein Kristallüster, dessen dicke Glaskugeln und Tropfen in allen Farben flimmerten. Aber dem Boden lag ein riesiger Teppich gebreitet, und an den weißen, goldabgesetzten Wänden waren Wandteppiche gespannt. Meinhardt blieb ein Stück hinter seiner Frau stehen und weidete sich an ihrer kindlichen Freude. Sie fragte: »Ist das das Wohnzimmer?« »Nein, deines! Siehst du nicht das Nähtischchen und dort den Flügel?«

Er klappte ihn auf: »Er ist freilich neu, wenn auch im Stil der Zeit, um so schöner soll er klingen.«

Glückselig schlug sie ein paar Töne an: »Woher weißt du, daß i Klavier spiele?«

»Von Tante Angiolina!«

»Und du hast mich nie darum gebeten?«

»Weil es von dir kommen mußte und du mir nie ein Wort davon gesagt hast!«

Sie ließ sich langsam nieder auf den kleinen Seidenstuhl am Flügel, der an der Lehne eine Leier trug. Während ihre linke Hand auf den Elfenbeintafeln ruhte, hing sie sich mit der rechten in seinen Arm:

»Ich hass' das Sichzeigen. I hab' mich immer für die Ossana geschämt, wenn sie hat auf Mamas Befehl vorspielen müssen beim Tee, denn sie spielt doch nit sehr gut.«

»Und du kannst auch singen!«

»Hat der Papa geplauscht?«

»Nein!«

»Also wer denn? Geh, sag'!«

»Nun der Siebenlehn hat mir's gesagt!«

Ihre Glieder ließen mit einemmal nach, wie eine Lähmung kam es über sie. Erbleichend, blickte sie ihn mit großen, starren Augen an. Aber er bemerkte es nicht, sondern sah sich im Zimmer um, selbst begeistert von dem Heim, das er seiner Frau geschaffen. Sie nahm alle Kraft zusammen, ruhig zu fragen:

»Wie ist denn das gekommen?«

»Ich weiß's wirklich nicht mehr; ich hab' mit dem Menschen kaum ein Wort gesprochen. Er g'fallt mir nit. I bin kein Heiliger g'wesen, aber i mag die Schürzenjäger nicht. Jetzt ist er ja, wie man hört, ganz verduftet. Jetzt fallt mir's übrigens auch ein: es hat irgend jemand gesagt: du wie die Ossana hättet eine so schöne Stimme. Der hat aber das Sprechorgan gemeint, und da sagte der Siebenlehn, du sängst so schön! Aber nun komm weiter, komm, komm!«

Und er öffnete die Tür, damit sie auch die anderen Zimmer sähe. Doch die junge Frau blieb am Klavier. Erst als er noch einmal rief, raffte sie sich auf. Wie sie dann Meinhardts Arm um ihre Schultern gelegt fühlte, schmiegte sie sich an ihn, und in seinem Schutz war alles vergessen. Nun wurden die anderen Räume besehen. Die Dämmerung ließ ihre Schatten niedersinken.

Als sie zum Essen gingen, schien erst recht jede Mißstimmung geschwunden. Wie war das gemütlich, zum erstenmal am eigenen Tisch zu sitzen! Sie mochte gar nicht mehr aufstehen. Meinhardt bat um die Erlaubnis, sich eine Zigarre anzünden zu dürfen, dann schob er den Teller zurück, und sie, ihm gegenüber, hing an seinem Munde, der so viel Schönes sprach, ihr wohl noch fern, das sie aber aufnahm mit jedem ihrer Gedanken. Sie wollte sich alles merken, des Mannes würdig zu sein, der, wie ihrem kleinen Frauenhirn vorkam, mehr wußte als irgend jemand auf der Welt.

Allmählich verschwammen Margrets Augen, ihr Gesicht wurde lang.

Nach alter Gewohnheit zog er die Uhren auf, von denen mehrere bei ihm tickten.

Während er nun Margret den Rüchen wandte, die Federn spannend, fragte sie unvermittelt:

»Meinhardt, wenn jemand keck wär' gegen mich, was tät'st du?«

Sie hockte auf einem kleinen lehnenlosen Sessel am Tisch, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Kinn in den Händen. Er wandte sich um: »Wie kommst du darauf?«

»Nur so!«

Er stand breitbeinig da, schob beide Ärmel hinauf, daß die Manschetten mitgingen und man seinen kräftigen weißen Unterarm sah. Dann bewegte er die geballten Fäuste hin und her: »Wer dir zu nah' käm', den tät' ich.., ach du mein Gott, ich nähm' ihn ganz einfach« – er trat zu seiner Frau – »wie du da sitzt, und...«

– Er hob Margret, die einen leisen Laut ausstieß, mitsamt dem Sessel bis zur Hüfthöhe in die Luft –

»Und setzt' ihn, eh' er ein Wort könnt' sagen, vor die Tür. Aber ich machte sie von innen zu. Verstehst?«

Mit einem Ruck der linken Hand griff er unter den Stuhl, ließ die Rechte los, zog seine Frau an sich, küßte sie und trug sie hinüber in ihr Zimmer.

Er war wie ein Kind, glückselig, losgelassen vor Lebensfreude und Lust. Statt zu Bett zu gehen, wie sie sich vorgenommen, tanzte er mit ihr, trällerte ein Lied, setzte sich an den Flügel und begann zu spielen: rauschende Phantasien, Erinnerungen aus Wagnerschen Opern, bunt durcheinander gemischt.

»Das hab' i ja auch nit gewußt!«

»Siehst du, wir sind einer wie der andere. Getrennte Leben haben wir geführt und jetzt gehen wir einen Weg mitsammen, nit wahr, Margret?« Sie nickte. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, und sie konnte nicht erwarten, bis er aufhörte zu spielen. Dann huschte sie an seinen Platz: »Für dich sing i!« Eine samtweiche, dunkle Naturstimme, die nichts wußte von Atemtechnik und Registerübergang, strahlte warm ins Zimmer hinaus.

Nun war keine Rede davon, schlafen zu gehen: ein Fenster öffnete er, sie lehnten sich hinaus und konnten sich nicht sattsehen an der Pracht der nächtlichen Erde da unten mit den Lichtern im Tal und der Herrlichkeit der Leuchten dort oben am Sternenzelt. Aus Margrets Seele waren alle Schatten gewichen. Sie erzählte, wie sie walten wollte in den vier Pfählen hier, ein Heimchen am Herd, ein Hausmütterchen. Keine Geselligkeit mochte sie haben, sich ganz zurückziehen.

Er freute sich über ihre Träume. Im stillen dachte er: zur Welt kehrst du schon einmal wieder, meine liebe kleine Frau, doch aus dem Strom der Menschen, in den wir untertauchen wollen, retten wir uns jedesmal hinauf in unser stilles Heim.


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