Georg Freiherr von Ompteda
Margret und Ossana
Georg Freiherr von Ompteda

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Siebzehntes Kapitel

Der kurze Winter des Burggrafenamtes war hereingebrochen. Die Laubbäume streckten ihre kahlen Arme flehend zum Himmel, daß es bald wieder Frühling werde. Unbeweglich standen die gewaltigen Kerzenpyramiden der Wellingtonien. Die dunklen Zedern ließen ihre befiederten Kronen schweigend hängen. In der Tiefe sah man in dem Häusermeere von Meran die hellen Würfel der Villen in ihren immer noch grünen Gärten, während rund um den Ort die Auen bereits das farblose Gewand der toten Jahreszeit trugen. Der Schnee hatte die Bergketten weiß überkleidet, fast bis Partschins reichte er hinab, und über dem Schloß Tirol leckte er bis zu den Muthöfen nieder.

Nun war auch auf der Rochusburg die selige Zeit des ersten Honigmondes vorüber. Das Leben forderte seine Rechte. Meinhardt mußte eines Wegestreites halber fast täglich zum Advokaten nach Meran. Da fand es sich ganz von selbst, daß Margret ihn begleitete. Sie tat es gern. Mit jedem Tag kam größere Sicherheit über sie, verschwanden mehr die einsiedlerischen Gedanken. An ihre Stelle trat die Freude, zu sehen, wie ihr Mann tätig war, und leiser Stolz, sich an seiner Seite zu zeigen. Wenn dann in Meran die Leute grüßten, so neigte sie freundlich den Kopf, und ihre Blicke strahlten das Glück wider, das sie gefunden. Während er beim Advokaten war, machte sie Besorgungen. Oft mit dem Papa, der sie irgendwo abgefangen hatte. Er lief mit ihr genau wie einst mit Meinhardt. Während sie etwas aussuchte oder in ihrem kleinen Notizbuch blätterte, was ihr noch fehle, schwatzte er mit der Ladnerin, mit dem Besitzer des Geschäftes, mit jung und alt, mit groß und klein. Er freute sich wie ein Kind, wenn die Menschen Gutes von Meinhardt sagten, ein wenig übertrieben wohl, weil sie merkten, daß es ihm glatt hinunterging. Margret hörte trotz ihrer Bestellungen mit halbem Ohre hin. Ihr schwoll das Herz, wenn die Leute meinten: »Ja, das ischt ein Herr!« Und es streichelte sanft ihr Bewußtsein, sobald jemand dem Papa erzählte, kein Bedürftiger brauche an der Rochusburg umzukehren. Der alte Baron ließ sich oft bis zum Obermaiser Postplatz hinauf mitnehmen, nur weil er etwas hören wollte von Meinhardt, seinem lieben Freund.

Dort stieg er aus, glücklich, mit der Tram wieder hinunterrutschen zu können, denn das tat er fürs Leben gern. Er stand hinten, rauchte, seine scharfen grauen Äuglein schweiften nach allen Seiten, er nickte und grüßte. Früher hatte es wohl manchen Ort gegeben, wo den alten Herrn von Göllan hinter Tante Angiolinas Rücken eine leichtsinnige Rechnung bedrohte, so daß er lieber einen Bogen machte: jetzt war alles bezahlt, und mit dem kleinen Taschengelde, das seine Frau ihm gern gab, hatte er nun, wo sie ihm nicht mehr auf die Finger sah, mit einemmal haushalten gelernt.

Meinhardts reicher Hochzeitsscheck hatte das Wunder bewirkt. Doch ewig konnte er nicht reichen, und Tante Angiolina bangte vor der Zukunft. Bald mußte sie ihren Herrn und Gebieter wieder kurz halten. Dann hätte aber das neue gute Einvernehmen der Gatten einen bedenklichen Riß bekommen. Sie zitterte davor und ließ noch immer die Zügel schleifen. Aber mit dem Jahreswechsel drohten neue Sorgen für das alte Göllan. In ihres Herzens Angst war auch über Tante Angiolina der Leichtsinn gekommen, daß sie dachte: Ach was! Nur einmal Weihnachten feiern! Für die Festtage waren sie als erste Gäste des jungen Haushaltes auf die Rochusburg geladen, über Nacht, denn am Heiligen Abend wäre die zweistündige Rückkehr nach Göllan zu unbequem gewesen.

Nach der Bescherung nahm Meinhardt seine Schwiegermutter beiseite:

»Macht euch keine Sorgen. Ich hab' die erste, zweite und dritte Hypothek auf Göllan, mehr gibt's ja nicht, erworben. Zinsen brauch' ich nit und nehm' sie nit. Nun sind die Wirtschaftseinkünfte wirklich euer und werden nit immer durch die verfluchten Zinsen aufgefressen. Daran habt ihr doch gekrankt! Jetzt seid ihr wieder gesund und du, Tante – so nannte er sie noch immer – wirst schon sorgen, daß ihr gesund bleibt!«

Tante Angiolina öffnete weit die Augen und ließ, stolz auf ihren Schwiegersohn und dankbar zugleich, ihre Feuerräder rollen. In der ersten Wallung der Freude wollte sie es ihrem Mann sagen, doch Meinhardt legte den Finger auf den Mund, und sie verstand.

Damit war der böse Jahresanfang, der erste Januar, der zinsenschwer bei den Durazzi zu Buch stand, glücklich überwunden, und der alte Baron lief jetzt noch einmal so stolz auf der Promenade umher, in der neuen, kurzen Pelzjacke, nur bis zum halben Oberschenkel reichend, die er zu Weihnachten bekommen, den Stock armlängs, die Hände rechts und links in den Taschen. Den staunenden Fremden erzählte er Mordsgeschichten: Schnee gäbe es nie in Meran – und er fiel doch fast jedes Jahr, wenn ihn auch die nächsten dauernden Sonnenstrahlen wieder schmolzen – Wind sei ausgeschlossen – und im gleichen Augenblick fegte der erste Frühjahrssturm über Straßen und Gärten, wie im ganzen warmen Süden. Der alte Baron nannte ihn »ein Lüfterl«. Er behauptete, das Thermometer sei die Nacht nur auf sieben Grad gesunken, jetzt in der Sonne stünde es auf achtundzwanzig, »Reaumur« fragten die Leute, und wenn es auch Celsius gewesen, Baron Durazzi bestätigte es begeistert. Er freute sich über den Aufschwung des Kurortes. Um Tausende von Fremden wuchs die Kurliste jedes Jahr, da gab's immer mehr zu tun, die neuen Bekannten aufzusuchen.

Tante Angiolina war jetzt meist mit ihm. Sie hatte herausgefunden, daß, je heiterer ihr Gesicht war, desto besser auch seine Laune. Nur nachmittags mußte sie ihre Tees pflegen. Aber dann blieb er jetzt meistens in Göllan. Zweimal täglich die Fahrt nach Meran war ihm zu viel, als ob die alte Spannkraft nicht mehr ganz in ihm wohne. Im letzten Jahr war er merklich älter geworden. Öfters sagte er zu Meinhardt, seinem Freund:

»Weißt, es ist doch ein großer Abschnitt, wann die Töchter hinauskommen, Gott sei Dank, daß ich Ossana noch hab'.«

Dabei sah er sie eigentlich nicht gar viel, denn hatte sie bisher immer mit ihrer Schwester die Mutter begleiten müssen, so ließ man ihr jetzt mehr freie Hand. Tante Angiolinas Verbindung mit dem Himmel schien bei dem wiedererwachenden häuslichen Glück ein wenig gelockert: Rosenkranz wie täglicher Kirchgang in der Früh gehörten nicht mehr zu den Notwendigkeiten. Da nun die häuslichen Verhältnisse geordnet waren, so wurden auch jene Gänge zu Geistlichkeit oder Weltlichkeit, die sie im stillen getan, um Geld zu schaffen oder Stundung der Zinsen zu erlangen, wesenlos.

Ossana hatte Margrets Pflichten im Haus übernommen. Sie suchte sich auf jede Weise zu beschäftigen. Zweimal die Woche spielte sie vierhändig mit der jungen Frau des Hauptmanns Leitner, von der ein dunkles Gerücht ging, sie hätte sich eigentlich zur Klaviervirtuosin ausbilden wollen. Sicher schien, daß sie das Konservatorium besucht. Das Spielen wurde mehr und mehr zum freundschaftlichen Unterricht. Dann saß Ossana stundenlang zu Haus und übte auf dem alten Flügel, der nun endlich gründlich ausgebessert worden war. Und sie, die sonst das Herz auf der Zunge getragen und in ihrer Leidenschaft mit allem herausgeplatzt war, übte heimlich und redete nie davon, als ahme sie Margret nach, in dem Gefühl: deren Zurückhaltung hatte Meinhardt gewonnen.

Doch was Tante Angiolina gewünscht und im stillen immer noch erwartete, einer, der einen Schnurrbart trug, dazu zwei klingende Dinge, nämlich Namen wie Geld, möchte sich ihr nähern – geschah nicht. Freilich hatte die um die Zukunft der Tochter besorgte Mutter damit keine Eile mehr, nun, wo Margret verheiratet war und es daher ein Haus gab, in dem Ossana bald Menschen genug kennenlernen würde. Denn immer mehr war es klar, daß die Zurückgezogenheit, in der das junge Paar gelebt, bald regerem Verkehr weichen mußte.

An einem Abend, auf der Rochusburg, lehnte Margret an Meinhardts Schulter und schloß die Augen. Müde vom Tage schlief sie in stillem Glücke ein. Wenn auch sein Arm wie abgestorben war, so wagte er doch nicht, sich zu rühren. Er blickte nieder auf den dunklen Kopf Margrets, deren Atemzüge regelmäßig gingen, und dachte zurück an die Jahre seines Junggesellentums. Manch liebes Mädel fiel ihm ein, das ihm an der Brust gelegen. Ein paar lustige, braune Augen lachten ihn aus der Erinnerung an. Auch kurze, in Ekel gekehrte Lust grinste ihm entgegen. Ein herziges Gesichterl aus Wien erschien in seinem Traum, den er mit offenen Augen träumte, dann wieder eine junge Frau, drüben in Amerika, mit langen, lässigen Gebärden, eine junge Frau, deren traurige Worte von ihrem Ehejammer er oft gehört, von der er sich aber losgerissen, weil er nicht zum Diebe werden wollte. Und wie ihn die Gestalten umgaukelten, aus längst vergangenem Leben erwacht, kam ihm leise der Gedanke: »Wenn sie es wüßte!«

Einen Augenblick durchzuckte es ihn: Du mußt es ihr einmal sagen. Dann wieder lächelte er über sich selbst. Was war damit gewonnen? Sollte er Unruhe tragen in das reine Herz seiner Frau? Sie war gut, sie liebte ihn, sie hätte ihm gewiß alles verziehen: aber konnte nicht doch vielleicht irgend etwas, gerade das Unscheinbarste, Unerwartetste in ihr bleiben, nagen, bohren, – ein Keim, der wuchs und die Liebe bedrängte, überwucherte, gar erstickte? Wer kannte einen anderen, und wäre es der nächste Mensch gewesen, bis in die tiefsten Regungen seines Wesens?

Er schreckte zusammen dabei, zugleich in der Befürchtung, er möchte die Schlafende, die an seiner Schulter lehnte, wecken. Doch sie bewegte sich nicht. Ihre Seele ruhte. Sie wußte nichts von den Gedanken, die ihn quälten. Leise wehte es ihn an: jeder Mensch war doch allein, ganz allein. Schliefen nicht seltsame Gedanken in der Seelen Tiefen? Untergründe, deren keiner sich selbst bewußt war? Ein Wort seines letzten Botschafters, des Grafen Baray, der ihn einmal besuchen wollte auf seinem Heimaturlaub, fiel ihm ein. Der weltkluge ungarische große Herr, der über bedeutende Mittel verfügte und doch in frühen Jahren schon den Unwert des Geldes erkannt, hatte ihm einmal in Washington gesagt, als es sich um die Auslieferung eines österreichischen Diebes gehandelt: »Wir wollen Mitleid haben mit allen Menschen. Wer weiß, was wir selber in der gleichen Lage getan hätten!«

Meinhardt hatte gesagt: »Erziehung und Moral schützen davor«, doch der alte Diplomat schüttelte den grauen Kopf:

»Es gibt unter uns allen verkappte Schufte, in denen das Gift nur latent ruht, wie in einem für eine Infektionskrankheit empfänglichen Boden. Hat man das Glück, daß der Bazillus des Totschlags, Mordes, Diebstahls, kurz, was Sie wollen, unserem Organismus nicht nahekommt, so bleibt man ein ehrlicher Mensch. Dringt er ein – so erliegt mancher der Versuchung, der bis dahin ein vollendeter Ehrenmann gewesen war!«

Eine Dame, verletzt, als ob sie bereits zur Verbrecherin gestempelt, rief: »Nun, ich kenne mich aber doch.«

Die Exzellenz lächelte:

»Ich weiß nicht. Was wir von anderen Menschen wissen, ahnen wir nur durch einen Rückschluß von uns selbst. Und wer kennt sich?«

Ja, es lagen Tiefen in der Menschenseele, unergründlich. Meinhardt dachte an ein dunkles Abenteuer, einst in Meran auf dem Gymnasium, das ihn vielleicht, wenn es das Schicksal bös mit ihm gemeint, auf ewig ins Verderben hätte stürzen können! Er wollte den Mantel über die Vergangenheit breiten. Was half es Margret, wenn sie von alledem erfuhr?

Unwillkürlich abwehrend machte er eine heftige Bewegung. Wie sie nun erwachend den Kopf hob, schloß er sie in seine Arme. Schlaftrunken, wußte sie nicht, was geschehen. Sie fühlte seinen Kuß auf Stirn, Wangen, Mund; zum Leben zurückgekehrt, erwiderte sie den Druck seiner Lippen. Da nahm er sie auf, hob sie vom Stuhl und trug sie in ihr Schlafzimmer hinüber. Wie sie selig an seinem Halse hing, sagte er zurückkehrend zu ihren ängstlichen Gedanken:

»Wenn ich einmal von dieser Erde gehen müßt', mein Lieb, ich nähm' dich mit. Zum Himmel trüg' ich dich hinauf, wohin du gehörst – und auf den besten, besten Platz!«

Er ließ sie behutsam auf ihr Bett sinken. Dann trat er an Theresens Stelle: zog ihr die Schuhe aus, öffnete den Kragen, löste ihr Gewand. Wie er sie in die Kissen schob und zudeckte, flüsterte sie, die Lider selig schwer geschlossen: »Ach, ist das schön!«

Meinhardt küßte sie auf die Stirn und schlich hinaus.

Aber das einsame Glück dort oben ging nun wirklich dem Ende entgegen: das Leben forderte sein Recht. Sie hatten Besuche gemacht, bald waren sie täglich fast unter Menschen.

»Margret, weißt, was mir gestern die alte Exzellenz Crivelli g'sagt hat? Ich darf dir's eigentlich nit wiederholen, daß du nit eitel wirst.«

Nun wollte sie es erst recht wissen, und er war ja von Anfang an bereit gewesen, es ihr zu sagen:

»Er hat gemeint: ›Wissen's, was an Ihrer Frau so schön ist? Ich hab' noch niemals ein böses Wort aus ihrem Munde über einen anderen Menschen gehört!‹«

In dieser Frühjahrszeit wuchs ihr Bekanntenkreis. Einmal waren sie in irgendeinem Miethaus bei lieben, einfachen Menschen zu bescheidenem Nachtessen, ein andermal wieder in einem der großen Hotels zu einem Diner, das jemand gab, als Dank für die Einladungen, die er während seines Meraner Aufenthaltes erhalten. Als nun aber alles grünte und blühte, die Märzwinde schwiegen, wanderten die Menschen in die köstliche, sonnendurchstrahlte Luft hinaus. Rosa schimmerten die Mandelbäume. Das ganze Tal war wie mit weißem Puder betupft. Die Blüten stiebten gleich Tau herab. Langsam zog sich der Winter über die Kämme des Hochgebirges zurück. Durch den Sonnenbrand war die Südwand der Bergketten schon aper. Schwarz drohten die Felsen nieder. Nur eine Schneerinne lief noch herab zwischen beiden Spitzen des Tschigats.

Jetzt war kein Fremdenbett mehr frei in Meran, keine Fiaker gab es an den Standplätzen, sie hatten Kurgäste entführt: hinüber nach Lana, hinauf zur Töll, empor nach dem Schlosse Tirol.

Und wieder fuhren sie nachmittags zur gleichen Stunde in langer Kette durch die Obermaiser Villen und Gärten. Dort blühte alles, duftete und sang. An den Balkonen hingen die lockeren, riesigen lila Blütentrauben der Glyzinien, manche schon abgeblaßt vom starken Sonnenbrand, umsummt und umschwirrt von Kerbtieren. Auf den Mauern lagen die großen grünen Lazerten, die kleinen, graubraunen Eidechsen und blinzelten mit ihren klugen Äuglein in die Sonne. Wenn Menschen vorüberkamen, huschten sie ängstlich am Mauerwerk hin, um in irgendeinem Loche zu verschwinden. Die Nußbäume dufteten, die Edelkastanien hatten sich mit Grün bedeckt, ja schon begannen die späten, unwahrscheinlich großen Blätter an den wilddrohenden Ästen der Katalpen sich aufzutun. Die Wiesen lachten frisch bewässert in strahlendem Grün. Und wenn in der sonneduftenden Wärme des Südtiroler Lenzes, wo das Thermometer schon hoch hinaufkletterte, ein frischer Windhauch aus dem offenen Passeier herüberwehte, zitterten die spitzen Finger der Palmen, durch die Zedern ging ein Rauschen, und die Büschelnadeln der Wellingtonien legten sich zusammen und wischten gleich Pinseln durch die Luft.

Dann teilte sich die lange Kette der Wagen an der Rametzer Brücke: die einen zogen links nach Schenna, dem alten Schlosse der Grafen von Meran, die anderen rechts hinauf zur Fragsburg. Es waren ihrer aber seltsam viel an diesem Tage. Und die Menschen schienen sich zu kennen: von einem Gefährt zum andern wurde gerufen: bei Wegbiegungen, wo man die ganze Reihe übersah, gab es dann ein Winken und Wehen von Taschentüchern, und die Schirme nickten zum Gruß.

Immer weiter zog die Kolonne hinauf, immer mehr Wagen schlossen sich an. Am Wege zur Rochusburg bogen die meisten ab. Bald hielt im geräumigen Hofe des Schlosses einer neben dem andern.

Auf dem großen Hofplatz, der mit einer Zinnenmauer abgeschlossen, vorsprang bis an den jähen Felsabsturz zum Tal, standen in den Weinlaubengängen rechts und links Tische gedeckt: dort gab es Tee, Getränke, belegte Brötchen und Süßigkeiten. Auf den breiten Kieswegen der Mittelanlage, von fußhohen Buchsbaumhecken eingefaßt, wo von zerbröckelnden Sockeln verwitterte Figuren herabschauten, schritten die Menschen auf und ab. Eine Gruppe drängte sich um ein weites Marmorbecken in der Mitte, aus dem der gedrungene Pilz einer Quelle stieg.

Bei jenen, die des Burggrafenamtes Wasserarmut kannten, erregte sie Bewunderung, und Meinhardt erzählte, daß er dazu oben in Hafling Quellen zusammengekauft habe. Die Anlage war nicht allein fürs Auge: die Fluten dienten wohlberechnet gleichzeitig zur Bewässerung der tiefer unten liegenden Wiesen, bis ins Tal hinab zur Rochusburg gehörend. Er zeigte sie dem Washingtoner Botschafter, Grafen Baray, seinem einstigen Chef, der sein Versprechen eingelöst, ihn beim nächsten Heimatsurlaub zu besuchen.

Als sie den Rundgang beendet, ging der Botschafter auf Baronin Durazzi zu und begann mit ihr zu reden in seiner Art, die immer etwas hatte, als würde ein alter Philosoph über die Menschen und ihre Umgebung sich klar.

Tante Angiolina setzte sich. Er nahm ihr gegenüber Platz. Andere ältere Damen kamen hinzu: das Känguruh, das sowieso nichts sprach, Frau Doktor Mareith, der Mizzi Mareith Mutter, genug, ein ganzer Kreis. Und die Damen, denen Herren hilfsbereit Stühle gebracht, legten sich behaglich zurück und lauschten, wie der Botschafter erzählte.

Links, wo die Wege unter alte Edelkastanien führten, war ein Tennisplatz im Entstehen. Dort hatte sich die Jugend zusammengefunden, um einen »Galgen«, an dessen Seil eine Kugel hing. Darunter standen die Kegel. Zwei Parteien wurden gebildet, die Kugel ward gehoben, flog im Bogen um einen Pflock und sauste in die Hölzer hinein, die hingemäht dumpf zur Seite fielen. Ein kleiner Bengel, der Jüngste des Dieners, stellte sie jedesmal wieder auf.

Hausherr und Hausherrin begegneten sich. Er machte ihr scherzend eine förmliche Verbeugung: »Gnädigste Gräfin –«

»Graf Aich...«

Dann gingen sie lachend davon.

Margret bemühte sich, als hätte sie nie anderes getan, gemeinsame Gesprächsgegenstände unter Menschen, die einander nicht kannten, zu werfen. Ein paar sächsische Damen und einen Grundbesitzer aus dem Salzburgischen einigte sie, indem sie München nannte, das beide kannten. Den Ministerresidenten van der Goelen, der nur Briefmarken liebte und frischen Spargel, brachte sie in Feuer, indem sie erzählte, Hofrat Ritter von Krettig besäße die »Tasmania«, die ihm fehlte. Da stünde er – da, da drüben. Und alle rühmten ihre Liebenswürdigkeit.

Dann begann der dicke Major Prinz Hohburg von irgendwelchen Ulanen, der gleich Poldi zum Rennen herübergekommen war, die Aichsche Küche lobend, den Damen seine Kochkünste auseinanderzusetzen.

Als Mizzi Mareith, immer den Schnabel vorweg, seine Worte zu bezweifeln begann, stemmte er die Hände in die Seite, markierte einen Wutanfall, sich schüttelnd, daß die goldenen Ulanenfransen zwischen den Knöpfen auf seinem Rücken zu zittern begannen:

»Sagen's mir irgend a Speis' – i werd's Ihnen kochen.«

Mizzi Mareith rief keck: »Lukullus.«

Der Major zuckte spöttisch die Achseln:

»Der ist ein berühmter Kamerad von mir g'wesen, aber ka Speis'! Schauen's, Sie meinen gewiß ›Lukulluspastete‹! Gut, nun passen's auf, wie ich koche.«

Mit verliebten Äuglein, ab und zu mit den Lippen schmatzend, schälte er vor den Augen der Damen, hackte, schnitt, wog ab, schmorte, briet, dünstete, kochte und buk, kostete, kühlte, richtete an, trug auf, daß denen im Kreise das Wasser im Wunde zusammenlief, aber auch vor Lachen aus den Augen perlte.

Margret war beruhigt: ihre Gäste unterhielten sich. Sie stand hinter den dichten Reihen, die sich um den prinzlichen Stabskoch gebildet hatten. Zwei Gruppen gab es jetzt nur noch: diese und drüben die Damen, die um den Botschafter saßen. Abseits aber, über die Zinnenmauer gelehnt, sah man in weißem Kleide, das schwarze Haar unter dem Strohhut hervorquellend, eine gertenbiegsame Gestalt, um den Gürtel, wie immer, die Uhrkette gelegt.

Meinhardt ging auf sie zu:

»Ossana!«

Sie fuhr zusammen und drehte sich um, doch sofort ging ein Lächeln über ihr ernstes Gesicht.

»Kommst nicht hinüber, Ossana?«

Sie folgte ihm zu den andern, aber ehe sie das Laubendach verließen, blieb sie noch einmal stehen:

»Wie man sich nur ändert! Was hab' i früher an allem für a Freud' g'habt! – I weiß nit, jetzt g'fallt mir gar nix mehr.«

Er fragte, was sie zu Haus triebe. Sie erzählte mit Wichtigkeit von ihrer Musik, erwartend, daß er etwas dazu sagen sollte. Doch er dachte an Margrets Spiel und suchte seine Frau drüben in der Gruppe mit den Augen.

Als Margret herblickte, winkte er ihr. Da kam sie herüber. Nun trat er mit den beiden in den Laubengang zurück, wo die halb abgeräumten Teetische träumten:

»Margret, das Mädel ist jetzt so ganz allein, und das geht ihr vielleicht im Kopf herum! Wir sollten uns schon a bissel mehr um sie kümmern!«

Margret beugte sich vor zu ihrer Schwester:

»Du kannst doch immer zu uns kommen, Ossana!«

Die hob die Schultern:

»'s ist so weit, und i nutz doch abends beim Nachtmahl wieder daheim sein!«

»Dann will i dir was vorschlagen! Im Sommer machen wir eine schöne Reise, weißt was – –«

Sie brach ab im gleichen Augenblick. Meinhardt wollte fragen, was sie hatte sagen wollen, doch sie drückte ihm den Arm. Er verstand und schwieg. Sie mußten sich um ihre Gäste kümmern. Auf dem Wege zum verlassenen Kegelspiel kam ihnen der alte Baron entgegen:

»Meinhardt, jetzt bin ich aber bös. G'schnitten hast mich! Nit ein Wort hab' i mit dir reden können. Jetzt laß i di nimmer los.«

Er hakte ihn unter und zog ihn fort von der fröhlichen Gruppe, wo es jetzt ruhiger geworden war, denn die Pastete war verspeist. Alles nahm ein Ende, auch die Reise des Botschafters. Die Damen konnten nicht mehr schweigen! Privatgespräche, zuerst halblaut geführt, waren zu solchem Summen und Surren angeschwollen, daß Seine Exzellenz sich erhob und nachdenklich den Seitenweg hinunterging. Dort traf er Baron Durazzi.

Die Sonne stand schon schräg. Aus dem Passeier wehte eine linde, erfrischende Luft. Die Schatten der Baumriesen fielen lang über Weg und Rasen. Von Meinhardt redeten die beiden Herren. Der alte Baron schwärmte wie gewöhnlich, wenn er auf seinen jungen Freund zu sprechen kam; der Botschafter sagte:

»Wissen's, Baron Durazzi, einen einzigen Fehler hat er gehabt: er hat Dinge auf die Goldwaage gelegt, die man bei unserem Metier mit der Viehwaage messen muß. Er glaubt in anderen Menschen etwas finden zu müssen, das sein könnte, meinetwegen sollte, aber nicht ist. Das macht ihm alle Ehre, aber für menschliches Glück ist's nicht von Vorteil.«

Während sie nebeneinander, gleichsam wie auf Leitersprossen über die Schatten der Baumstämme den Weg hinaufschritten, lächelte der alte Baron. Er verstand den philosophischen Botschafter nicht ganz. Als sie an die Mauer kamen, die vor dem Absturz ins Tal schützte, meinte er:

»Exzellenz, aber a liaber, guter Bursch' is er doch!«

Graf Baray sah ihn von der Seite an: »Das hatt' ich mir eben erlaubt zu sagen!«

Im Schloßhof tönten wieder die Hufe der Pferde auf dem Pflaster, die Wagen rollten einer nach dem anderen davon, während die Jugend den Fußweg einschlug über Trauttmannsdorff. Eine Weile noch sah man Säbel blitzen und helle Kleider leuchten, dann verschwanden die Köpfe jenseits der nächsten Wiesenhöhe.

Margret und Meinhardt gingen durch den verlassenen Garten. Regungslos hing an ihrem Strick die Kugel vom Galgen herab, die hingemähten Kegel lagen im Grase, so zertreten, daß Margret sich bückte, um es aufzurichten. Durch ein Blumenbeet führten frische Spuren, auf der Terrasse standen wild die Stühle umher, auf Tischen, auf der Mauer, selbst auf dem Rasen waren Tassen, Teller aus der Hand gesetzt.

Er deutete rundum:

»So schaut ein Schlachtfeld aus.«

Dann fragte er unvermittelt:

»Sag' Margret, eh' i drauf vergess': warum hast du denn die Ossana nicht hab'n woll'n?«

»I möcht' nit gern, daß ein Dritter zwischen uns war'. Und wenn's auch die Schwester ist, i muß dich ganz allein haben. I muß erst – lach' mich nur aus – i muß erst deine Seele so gewinnen, so ...«

Er wollte sie unterbrechen, doch sie fuhr schnell fort:

»I weiß, du willst sagen, i hab' sie schon. Nein, i mein' ... besitzen, daß i alles sagen könnt' – –«

Dann gingen sie auf den söllerartigen Balkon, der auf Säulen des Stockwerkes darunter ruhte. Sie setzten sich dicht nebeneinander und sahen die letzten Sonnenstrahlen drüben die zackige Bergkette in sterbender, roter Glut hinanklettern bis zu den Spitzen, sahen, wie das Tal in immer tiefere Schatten sank, und sprachen kein Wort. Ihre Seelen waren beieinander.


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