Karl Philipp Moritz
Anton Reiser
Karl Philipp Moritz

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Reiser ging nun zu Ekhof, und auf dem Wege dahin drängten sich alle seine Entwürfe, die er vom Anfang seiner Wanderung an gemacht, noch einmal wieder in seine Seele zusammen, da er sich so nahe am Ziel seiner Reise sahe; die Melodie und der Vers aus Lisuart und Dariolette tönten noch immer in seine Ohren, und diesmal wenigstens täuschte ihn seine Hoffnung nicht. – Ekhof empfing ihn über Erwartung gut und unterhielt sich beinahe eine Stunde mit ihm.

Reisers jugendlicher Enthusiasmus für die Schauspielkunst schien dem Greise nicht zu mißfallen – er ließ sich mit ihm über Gegenstände der Kunst ein und mißbilligte es gar nicht, daß er sich dem Theater widmen wollte, wobei er hinzufügte, daß es freilich gerade an solchen Menschen fehlte, die aus eigenem Triebe zur Kunst und nicht durch äußere Umstände bewogen würden, sich der Schaubühne zu widmen.

Was konnte wohl aufmunternder für Reisern sein als diese Bemerkung – er dachte sich schon im Geist als einen Schüler dieses vortrefflichen Meisters.

Nun zog er auch seinen gedruckten Prolog hervor, der Ekhofs vollkommnen Beifall erhielt und den sich derselbe sogar von ihm ausbat und bemerkte, wie nahe das Talent zum Schauspieler und zum Dichter miteinander verwandt sei und wie eins gewissermaßen das andere voraussetze.

Reiser fühlte sich in diesem Augenblick so glücklich, als sich ein junger Mensch nur fühlen konnte, der vierzig Meilen weit bei trockenem Brote zu Fuße gereist war, um Ekhof zu sehen und zu sprechen und unter seiner Anführung Schauspieler zu werden.

Was nun sein Engagement anbeträfe, sagte Ekhof, so müsse er sich deswegen vorzüglich bei dem Bibliothekarius Reichard melden, mit welchem er selbst auch Reisers wegen sprechen wolle.

Reiser versäumte keinen Augenblick dieser Anweisung zu folgen und ging von Ekhof, der in einem Bäckerhause wohnte, nach dem Hause des Bibliothekarius Reichard, der ihn zwar auch höflich empfing, aber sich doch nicht so viel wie Ekhof mit ihm einließ. Indes machte er ihm zu einer Debütrolle Hoffnung, welches Reisers höchster Wunsch war, denn wenn er nur dazu käme, zweifelte er nicht, seinen Endzweck zu erreichen.

Mit Heiterkeit im Gesichte kehrte er nun zu Hause, weil er diesen Anfang seiner Unternehmung für höchst glücklich hielt und unter diesen günstigen Umständen sich so viel zutraute, daß nun sein Wunsch ihm nicht mehr fehlschlagen könne.

Und ob er sich gleich seinem Wirt nicht ganz entdeckte, so schien dieser doch gar nicht mehr daran zu zweifeln, daß er nun in Gotha bleiben und seine theatralische Laufbahn hier antreten würde.

Voller Zutrauen zu sich selbst und seinem Schicksale brachte nun Reiser in der Gesellschaft des alten Hauptmanns, des Hoflakaien und seines Wirts den Mittag höchst angenehm zu; und voll von schimmernden Aussichten, worin ihn alles bestärkte, überschritt er durch dies Mittagsessen zum erstenmal im Taumel der Freude den Bestand seiner Kasse und dünkte sich nun dadurch um desto fester an diesen Ort und an die hartnäckigste Verfolgung seines Plans gebunden.

Er machte nun fast täglich bei Ekhof seinen Besuch, und dieser riet ihm, fürs erste die Proben im Schauspielhause fleißig zu besuchen, welches Reiser tat und den alten Ekhof hier ganz in seinem Elemente sahe, wie er auf jede Kleinigkeit aufmerksam war und auch den ersten Schauspielern noch manche Erinnerung gab. Auch wurde Reisern erlaubt, die Komödie unentgeltlich zu besuchen, wo das erste Mal ein gewisser Bindrim mit dem Vater in der Zaire debütierte.

Weil nun dieser keinen besondern Beifall fand und Reiser in sich fühlte, wie bei den meisten Stellen der Ausdruck hätte ganz anders sein müssen, so spornte ihn dies noch mehr an, nun selber so bald wie möglich in einer Debütrolle den Schauplatz zu betreten, und er lag Ekhof dringend an, daß in einem der nächstaufzuführenden Stücke ihm eine Rolle möchte zugeteilt werden.

Und da das nächstemal die Poeten nach der Mode aufgeführt wurden, so tat Reiser den Vorschlag, die Rolle des Dunkel zu übernehmen, welches ihm aber Ekhof aus dem Grunde widerriet, weil er selbst diese Rolle spiele und es für einen angehenden Schauspieler nicht ratsam sei, sich gerade in einer Rolle zuerst zu zeigen, die man schon von einem alten geübten Schauspieler zu sehen gewohnt wäre.

So verschob sich nun sein Debüt von einem Spieltage bis zum andern, während daß seine Hoffnung dazu immer genährt wurde und auf dieser Entscheidung nun sein ganzes Schicksal beruhte.

Bei Ekhof holte sich nun Reiser immer Trost und neue Hoffnung, sooft er anfing verzagt zu werden; denn daß dieser sich gerne mit ihm unterhielt, flößte ihm wieder Selbstzutrauen und neuen Mut ein.

Demohngeachtet aber waren auch ein paar Äußerungen von Ekhof äußerst niederschlagend für ihn; denn als einmal von seinem Engagement die Rede war und Reiser sich auf einen jungen Menschen berief, der in den Poeten nach der Mode die Rolle des Reimreich gespielt hatte, so sagte Ekhof, man habe diesen vorzüglich seiner Jugend wegen angenommen, und schien dadurch zu verstehen zu geben, daß dieser Beweggrund bei Reisern nicht mehr stattfinde; der damals doch auch erst neunzehn Jahr alt war, aber, wie es schien, von jedermann für weit älter gehalten wurde; so daß bei dem Verlust aller Freuden der Jugend auch nicht einmal der Anschein der Jugend geblieben war.

Und ein andermal, als von Goethen gesprochen wurde, sagte Ekhof, er sei ohngefähr von Reisers Statur, aber gut physiognomiert, welches ›aber‹ allein schon den Schauspieler in Reisern ganz vernichtet haben würde, wenn nicht Ekhof gleich darauf zufälligerweise ihm wieder etwas Aufmunterndes gesagt hätte, indem er ihn fragte, ob er außer dem Prolog sonst nichts gedichtet habe? welches Reiser bejahte und, sobald er zu Hause kam, seine Verse, die er auswendig wußte, niederschrieb, um sie Ekhof zu überbringen.

Er brachte wohl ein paar Tage mit dieser Arbeit zu, und sein Wirt geriet auf den Gedanken, daß Reiser ein dramatisches Werk für die Schaubühne verfertigte. – Dies ließ er sich auf keine Weise ausreden und wünschte Reisern schon im voraus Glück zu der glänzenden Laufbahn, die er nun betreten würde.

Als Ekhof die Gedichte gelesen hatte, bezeigte er Reisern seinen Beifall darüber und sagte, er wolle sie auch dem Bibliothekarius Reichard zu lesen geben. Dies war für Reisern eine Aufmunterung ohnegleichen, weil er sich immer noch an Ekhofs ersten Ausspruch erinnerte, wie nahe der Schauspieler und der Dichter aneinander grenzten.

Er zweifelte nun nicht, daß diese Gedichte ihm seinen Weg zum Theater noch mehr bahnen und ihn bald seinem Ziele näher bringen würden. Dazu kam noch, daß der Schauspieler Großmann, welcher sich damals in Gotha aufhielt und Reisern einmal auf der Straße begegnete, ihm neuen Mut zusprach, indem er den Grund anführte, daß man ihn gewiß nicht würde so lange aufgehalten haben, wenn man nicht gesonnen sei, ihn vielleicht ohne Debüt für das Theater zu engagieren; denn es war nun schon in die dritte Woche, daß Reiser sich hier aufhielt.

Diese tröstenden Worte und die freundliche Anrede von Großmann waren damals ein wahrer Balsam für Reisern, der bei dem Schlosse, wo gebauet wurde, einsam auf und nieder ging und gerade mit finsterm Unmut über sein noch ungewisses Schicksal nachdachte.

Reiser ging nun mit guter Hoffnung zu Hause und brachte den Tag bei seinem Wirt noch sehr vergnügt zu.

Am andern Morgen ging er in die Probe, und man führte den Tag gerade die Operette der Deserteur auf, worin ein fremder Schauspieler, namens Neuhaus, den Deserteur und dessen Frau die Lilla spielte.

Ekhof bewies sich bei der Probe besonders geschäftig, und Reiser stand hinter den Kulissen und sahe mit Vergnügen zu, wie durch Anstrengung und Aufmerksamkeit eines jeden einzelnen das schöne Werk entstand, das am Abend die Zuschauer vergnügen sollte.

Er dachte sich lebhaft die Nähe, in der er sich nun bei diesen reizenden Beschäftigungen fand, und daß auf eben diesem Schauplatze mit seinem Spiele sich auch zugleich sein Schicksal entscheiden und seine Existenz auf diesem Flecke sich entwickeln würde. –

Denn auf diesen engumschränkten Schauplatz waren nun nach der weiten Reise alle seine Wünsche beschränkt; hier sah er sich, hier fand er sich wieder. – Hier schloß die Zukunft ihren ganzen reichen Schatz von goldenen Phantasien für ihn auf und ließ ihn in eine schöne und immer schönere Ferne blicken. – –

So hatte er schon oft zwischen den Kulissen in Gedanken vertieft gestanden und stand auch diesmal wieder so, als er auf einmal den Bibliothekarius Reichard auf sich zukommen sah, von dem er schon seit einigen Tagen eine entscheidende Antwort erwartet hatte.

Die Miene desselben verkündigte schon nichts Gutes, und er redete Reisern mit den trocknen Worten an, es täte ihm leid, ihm sagen zu müssen, daß aus seinem Engagement beim Theater nichts werden und daß er auch zur Debütrolle nicht kommen könne. – Mit diesen Worten gab er Reisern die geschriebenen Gedichte zurück, indem er gleichsam zum Trost hinzufügte, es herrsche eine leichte Versifikation darin und er solle dies Talent ja nicht vernachlässigen.


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