Karl Philipp Moritz
Anton Reiser
Karl Philipp Moritz

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Indes fing nun seine Lage an, immer mißlicher zu werden – durch die Ausgaben, welche sein Teilnehmen an der Aufführung der Komödien erforderte, die seine Einkünfte weit überstiegen, und durch die Versäumnis der Lehrstunden, welche er gab, stürzte er sich immer tiefer in Schulden und fing bald an den notwendigsten Bedürfnissen des Lebens wieder an Mangel zu leiden, weil er nicht die Kunst gelernt hatte, auf Kredit zu leben. –

Seine Garderobe als Fürst im Edelknaben, die er sich, so wie jeder die seinige, selbst anschaffen mußte, kostete ihm allein so viel, als wovon er einen Monat lang alle seine Ausgaben hätte bestreiten können – und für dies alles erreichte er doch nicht einmal seinen Zweck, sich in einer auffallenden tragischen Rolle zeigen zu können, welches doch eigentlich von jeher sein Wunsch gewesen war. –

Von den drei Stücken, die an einem Abend nacheinander aufgeführt wurden, war Clavigo das erste, der Mann nach der Uhr das zweite, und der Edelknabe blieb bis zuletzt. –

Während daß nun der Clavigo aufgeführt wurde, suchte Reiser in der Anziehstube dicht bei dem Theater so viel wie möglich seine Sinne zu betäuben und sich die Ohren zu verstopfen – jeder Laut, den er vom Theater hörte, war ihm ein Stich durch die Seele – denn hier war es, wo nun eben das schönste Gebäude seiner Phantasie, woran jahrelang gebaut worden war, wirklich scheiterte, und er mußte es selbst mit ansehen, ohne es im mindesten verhindern zu können – er suchte sich mit den beiden Rollen, die er noch zu spielen hatte, zu trösten und alle seine Aufmerksamkeit darauf zu heften, aber es war vergeblich – während daß die Rolle des Clavigo nun von einem andern vor einer solchen Menge von Zuschauern wirklich gespielt wurde, war ihm zumute wie einem, der alle sein Hab und Gut ohne Rettung in den Flammen aufgehen sieht – noch bis zum letzten Tage hatte er immer gehofft, diese Rolle, es koste auch, was es wolle, zu erhalten – nun aber war alles vorbei. –

Und da nun wirklich alles vorbei und Clavigo zu Ende gespielt war, so wurde ihm wieder etwas leichter. – Aber ein Stachel blieb doch immer in seiner Brust zurück. – Er spielte nun im Mann nach der Uhr, worin Iffland den Mann nach der Uhr machte, die Rolle des Magister Blasius mit allem Beifall. – Aber dies war nicht der rechte Beifall, den er sich gewünscht hatte. – Er wollte nicht zum Lachen reizen, sondern durch sein Spiel die Seele erschüttern. – Der Fürst im Edelknaben war nun zwar eine edle, aber doch eine zu sanfte Rolle für ihn – und überdem mißlang es gewissermaßen mit der ganzen Aufführung des Stücks – denn da der Clavigo und der Mann nach der Uhr zu Ende waren, so gingen die meisten Zuschauer weg, weil es schon sehr spät war, und es blieb nicht der dritte Teil da, welche den Edelknaben noch abwarteten – dies und der quälende Gedanke an den Clavigo, den er immer noch nicht unterdrücken konnte, war Ursach, daß Reiser den Fürsten im Edelknaben sehr nachlässig und weit schlechter spielte, als er ihn hätte spielen können – und da nun alles geendigt war, mißvergnügt und traurig nach Hause ging. – Er dachte aber dabei doch noch dereinst seine Lust zu büßen, sich auf dem Theater in einer heftigen und erschütternden Rolle zu zeigen, möchte es auch kosten, was es wolle. – Daß ihm zum ersten Male dieser Genuß versagt war, reizte seine Begierde darnach nur noch stärker – und wie konnte er sicherer die Erfüllung seines höchsten Wunsches hoffen, als wenn er das zum eigentlichen Geschäft seines Lebens machte, woran ohnedem schon sein ganzes Herz hing. – Der Gedanke, sich dem Theater zu widmen, bekam daher, statt niedergedrückt zu werden, noch immer mehr Gewalt über ihn. –

Allein so wie man immer zu dem, was man zu tun wünscht, sich selbst die dringendsten Bewegungsgründe zu schaffen sucht, um sein Betragen gleichsam gegen sich selbst zu rechtfertigen – so suchte sich auch Reiser die Bezahlung der kleinen Schulden, die er zu machen verleitet war, als eine so unmögliche Sache und die Entdeckung derselben als etwas so Mißliches vorzustellen, daß er schon dieserwegen sich aus Hannover entfernen zu müssen glaubte. – Aber seine eigentlichen Bewegungsgründe waren der unwiderstehliche Trieb nach Veränderung seiner Lage und die Begierde, sich auf irgendeine Weise so bald wie möglich öffentlich zu zeigen, um Ruhm und Beifall einzuernten, wozu ihm nun freilich nichts bequemer als das Theater scheinen mußte, wo es einem nicht einmal darf zur Eitelkeit angerechnet werden, daß er sich so oft wie möglich zu seinem Vorteil zeigen will, sondern wo die Sucht nach Beifall gleichsam privilegiert ist. –

Indes fingen seine kleinen Schulden freilich auch an, ihn zu drücken, wozu noch ein paar Demütigungen kamen, die ihm vollends seinen längern Aufenthalt in Hannover zum Ekel machten. –

Die eine bestand darin, daß ein junger Edelmann, den er unterrichtete, und mit dem er sich auf der Stube desselben manchmal noch ein wenig zu unterhalten pflegte, zu ihm sagte, er habe die Ehre sich ihm zu empfehlen, ehe sich Reiser selbst noch empfohlen hatte. – Es war sehr wahrscheinlich, daß jener wirklich geglaubt hatte, Reiser mache Miene zum Weggehen, und also mit dem Abschiedskomplimente ein wenig zuvorkommend gewesen war – aber eben dies Zuvorkommende war für Reisern so erschrecklich auffallend und drückte auf einmal so sehr sein ganzes Wesen darnieder, daß er, da er schon hinaus war, noch eine Weile still stand und ihm die Arme am Körper niedersanken – dies zuvorkommende ›ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfehlen‹ gesellte sich plötzlich in seiner Idee zu dem ›dummer Knabe!‹ des Inspektors auf dem Seminarium, zu dem ›ich meine Ihn ja nicht!‹ des Kaufmanns, zu dem ›par nobile Fratrum‹ der Primaner und zu dem ›das ist ja eine wahre Dummheit!‹ des Rektors. – Er fühlte sich auf einige Augenblicke wie vernichtet, alle seine Seelenkräfte waren gelähmt. – Der Gedanke des auch nur einen Augenblick Lästig-gewesen-seins fiel wie ein Berg auf ihn – er hätte in dem Moment dies irgendeinem Geschöpf außer ihm so lästige Dasein abschütteln mögen. –

Dann ging er aus dem Tore nach dem Kirchhofe, wo der Sohn des Pastor Marquard begraben lag, und weinte bei dessen Grabe die bittersten Tränen des Unmuts und Lebensüberdrusses. – Alles erschien ihm auf einmal in einem traurigen melancholischen Lichte – die ganze Zukunft seines Lebens war düster – er wünschte mit dem Staube vermischt zu sein, den sein Fuß betrat, und dies alles noch wegen des zuvorkommenden ›ich habe die Ehre mich Ihnen zu empfehlen‹. – Diese Worte ließen einen Stachel in seiner Seele zurück, den er vergeblich wieder herauszuziehen suchte – ob er dies gleich sich selber nicht eigentlich gestand, sondern seinen Unmut und Lebensüberdruß aus allgemeinen Betrachtungen über die Nichtigkeit des menschlichen Lebens und die Eitelkeit der Dinge herzuleiten suchte – freilich fanden sich denn auch diese allgemeinen Betrachtungen ein, die aber ohne jene herrschende Idee nur seinen Verstand beschäftigt, nicht aber sein Herz in Bewegung gesetzt haben würden. – Im Grunde war es das Gefühl der durch bürgerliche Verhältnisse unterdrückten Menschheit, das sich seiner hiebei bemächtigte und ihm das Leben verhaßt machte – er mußte einen jungen Edelmann unterrichten, der ihn dafür bezahlte und ihm nach geendigter Stunde auf eine höfliche Art die Türe weisen konnte, wenn es ihm beliebte – was hatte er vor seiner Geburt verbrochen, daß er nicht auch ein Mensch geworden war, um den sich eine Anzahl anderer Menschen bekümmern und um ihn bemüht sein müssen – warum erhielt er gerade die Rolle des Arbeitenden und ein andrer des Bezahlenden? – Hätten ihn seine Verhältnisse in der Welt glücklich und zufrieden gemacht, so würde er allenthalben Zweck und Ordnung gesehen haben, jetzt aber schien ihm alles Widerspruch, Unordnung und Verwirrung. –

Da er nun zu Hause ging, so wurde er auf der Straße erstlich von einem seiner Gläubiger gemahnet – und da er mit gesenktem Haupte melancholisch vor sich hinging, so hörte er hinter sich einen Jungen zum andern sagen: da geht der Magister Blasius! – Dies brachte ihn so auf, daß er dem Jungen auf der Straße ein paar Ohrfeigen gab, welcher nun hinter ihm herschimpfte, bis Reiser seine Wohnung erreichte. –

Von dem Tage an war Reisern der Anblick von den Straßen in Hannover ein Greuel – und vor allem war die Straße, wo der Junge hinter ihm hergeschimpft hatte, ihm am verabscheuungswürdigsten; er vermied es, wo er konnte, durch dieselbe zu gehen, und wenn er doch durchgehen mußte, so war es ihm, als ob die Häuser auf ihn fallen wollten – wohin er trat, glaubte er hinter sich den spottenden Pöbel oder einen ungeduldigen Gläubiger zu hören. –

Diese Demütigungen waren zu schnell nacheinander gekommen, als daß er sich unter dem Druck, welcher ihm von nun an den Ort seines Aufenthalts verhaßt machte, noch einmal hätte wieder emporarbeiten können. – Der Gedanke, Hannover zu verlassen und sein Glück in der weiten Welt zu suchen, wurde von nun an fester Entschluß, den er aber doch niemanden als Philipp Reisern entdeckte – dieser war damals sehr mit sich selber beschäftigt, weil er wieder einen verliebten Roman spielte und alle seine Aufmerksamkeit darauf wandte, wie er seinem Mädchen gefallen wollte. – Anton Reisers Schicksal war ihm daher etwas weniger wichtig, als es ihm zu einer andern Zeit würde gewesen sein. –

Ohngeachtet Anton Reiser vielleicht in wenigen Tagen Hannover auf immer zu verlassen im Begriff war, so unterhielt ihn sein Freund dennoch mit dem ganzen Detail seiner Liebschaft, als wenn jener den Erfolg von dem allen hätte abwarten können. – Dies ärgerte ihn denn zuweilen wohl – aber Philipp Reiser war doch einmal sein nächster Vertrauter – und er hatte niemanden außer ihm, dem er sich hätte entdecken mögen. –

Weil er doch aber nun, um sein Glück in der weiten Welt zu suchen, sich irgendeinen Ort in der weiten Welt zum Ziel seiner Wanderung machen mußte, so wählte er Weimar hierzu, wo sich damals die Seilersche Truppe, über welche Ekhof die Direktion führte, aufhalten sollte. – Hier wollte er seinen Entschluß, sich dem Theater zu widmen, ins Werk zu richten suchen. –


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