Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Der schwüle Tag

Zwei Tage waren im süßen Taumel leicht und fröhlich dahingeflogen, der dritte war schwül und schwer.

Schwarze Gewitterwolken lagerten sich am Horizont, und eine drückende Hitze lähmte die Glieder.

Sophie war in diesen Stunden ganz glücklich in ihrer Stube und an ihrem Tischchen, Hartknopf aber war die Stube zu eng, und er ging allein aus.

Nicht unzärtlich – sein scheidender Blick voll Liebe versenkte Sophie in eine süße Ruhe, worin die Momente ihr unbemerkt vorüberflohen; sie hatte nun keine Wünsche mehr, und fühlte doch keine Leere. Der schöne Umkreis ihres Daseins war nun ausgefüllt. Ihr drohten die Gewitterwolken nicht, und ihre Brust atmete sanft unter der drückenden Luft. –

Als Hartknopf nun aus dem Hause trat, begegneten ihm ein paar hämische Bauern, die sich gerade über seine Jubelpredigt und den herabgestürzten Engel miteinander unterhielten. Sie grüßten ihn und sprachen dann wieder leise und hohnlächelnd zusammen.

Hartknopf eilte, daß er aus dem Dorfe kam, da begegnete ihm beim Ausgehen aus dem Dorfe der Küster Ehrenpreiß, der ihm aus einer Art von höhnendem Respekt immer eine tiefe Verbeugung machte, die Hartknopf ärgern sollte. Hartknopf ärgerte sich zwar darüber nicht, aber es war ihm doch fatal, daß er mit diesem Menschen leben mußte.

Er ging über einen schmalen Damm nach dem Krainberg zu, der schwarz und öde vor ihm dalag. Auf der braunen Fläche der Heide ruhte die Nacht des umwölkten Himmels. Hin und wieder stand einsam ein gekrümmter Baum, welcher dem dürren Boden mühsam entwachsen war.

Und zwischen dem öden Heidekraut, stieg Hartknopf den sandigen Pfad hinauf.

Als er nun oben war und in das Tal auf das Torfmoor hinunterblickte, so sah er die beiden spitzigen Türme von Ribbeckenau und Ribbeckenäuchen in fürchterlicher Nähe vor sich nebeneinander stehen.

In diesem Bezirk lag nun sein Leben, seine Reisen, sein Wirkungskreis – hier endete seine Laufbahn, und ward wie auf einer Landkarte ihm vorgezeichnet.

Immer näher zog das Dunkel, immer schwüler wurde die Luft, und immer gepreßter sein Atemzug.

Der alte Superintendent Tanatos reichte ihm wieder die knöcherne Hand; das Hochzeitskarmen mit der bangen Wehklage tönte wieder in sein Ohr.

Der dunkelumwölkte Himmel ruhte wie eine schwarze Decke über der Erde, und die kleine Turmspitze von Ribbeckenau schien sich in dem niedrigen Gewölk zu verlieren. Einsam trauerten ein paar dürre Baumstämme auf der Heide; das niedergebückte Alter hatte sie beschlichen.

Mit schnellen Schritten wandelte er die Anhöhe wieder herab, denn der Tag hatte sich geneigt; und so wie er hinunterstieg, zog sich immer enger und enger sein Horizont um ihn zusammen. Wie ein Traum waren vierzig Jahre verschwunden, und er ging auf eben diesem Fleck gebückt am Stabe, und immer noch wanderte ihm zur Seite der Küster Ehrenpreiß mit ihm über das Torfmoor, dann schloß sich die Laufbahn auf immer.

Alles lief nun in einem fürchterlichen Punkt, in einer traurigen Spitze aus.

Unaufhaltsam lief der Sand im Stundenglas, und das Ziel war da, nichts war dazwischen als die einförmige Wiederkehr dessen, was schon da war. Schrecklich öffnete sich der Abgrund dicht vor den Füßen des Wanderers.

Das enge Grab war nun da – die Erde scholl dumpf auf den Sarg; keine Aussicht, kein Gedanke an die Zukunft mehr. Alles verbaut, verschlossen und gehemmt – zwischen öden Mauern, die des Tages Glanz verdeckten. –

Sowie nun Hartknopf über den kleinen Dorfkirchhof nach Hause ging, erleuchtete ein Blitzstrahl die goldene Schrift an den Kreuzen auf den Grabhügeln. Sie flammte einen Augenblick, und verlosch wieder in schwarzer Nacht.

Die Kirchhofmauer lief so enge zu, die Grabhügel waren so dicht aneinandergedrängt.

Auf einmal sah sich Hartknopf vor der Tür seines Hauses, sein liebend Weib empfing ihn mit ausgestreckten Armen, und er erwachte wie aus einem schweren Traum.


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