Karl Philipp Moritz
61-107
Karl Philipp Moritz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Trauung

Diese verrichte der alte Superintendent Tanatos. Sein Urältervater hieß Tod und nannte sich Tanatos, als er in Erfurt Magister wurde.

Der alte Superintendent Tanatos verrichtete die Trauung selber, weil er seinen Substituten die Gebühren nicht gönnte. Er wußte nicht, daß dieser Trauungsakt sein letzter war.

Der weite Priesterrock hing über der hageren Gestalt; die Augen lagen tief im Kopf. Die Knie wankten, das Haupt bebte; die Zähne schlotterten im Munde.

Mit beiden Händen faßte er das hundertjährige Formular, das eiserne Klammern hatte, und las die Flüche des alten Testaments dem neuen Ehepaar vor. Zu dem Mann sagte er:

»Verflucht sei der Acker um deinetwillen. Dorn und Distel soll er dir tragen und im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zur Erden werdest, von der du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zur Erden werden.«

Und zum Weibe sprach er:

»Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären, und dein Wille soll deinem Manne untertan sein, und er soll dein Herr sein.«

Es kam an die Worte; »Bis der bittere Tod euch scheidet!«

In sich gekehrt und ernst stand das Brautpaar da. Die letzte entscheidende Frage wurde mit einem leisen Ja! beantwortet; die Ringe wurden gewechselt, das Band war geknüpft, und die furchtbare Zeremonie endete mit der Gratulation des alten Superintendenten Tanatos, dessen Gesicht sich zu einem Lächeln verzog, womit er dem Brautpaar Glück wünschte, und Hartknopf und Sophie die knöcherne Hand reichte.


 << zurück weiter >>